Weltgeschichte(n) - Eroberer der Meere: Die Wikinger (eBook)
Vor über 1000 Jahren landen früh am Morgen die Wikinger schwer bewaffnet mit ihren Schiffen auf der Holy Island und plündern das Kloster Lindisfarne. Es ist der Beginn der Wikingerfeldzüge - eine sagenumwobene, spannende und blutige Zeit in unserer Geschichte.
Auf ihren Beutezügen machen die Nordmänner die Weltmeere unsicher und verbreiten überall Angst und Schrecken: Ivar der Knochenlose überfällt York, Ragnar Lodbrok plündert Paris und Sven Gabelbart erobert England. Doch die Wikinger sind auch Händler und große Entdecker: Hrafna-Flóki gibt Island seinen Namen, Erik der Rote besiedelt Grönland, Harald der Harte reist bis nach Konstantinopel und Leif Eriksson entdeckt Amerika - lange vor Kolumbus.
Historiker Dominic Sandbrook katapultiert die Leser*innen mitten hinein in die historischen Ereignisse, Schauplätze und Einzelschicksale. Das Ergebnis: Geschichtswissen in einer fundierten, mitreißenden und dramatischen Erzählung für Leser*innen ab 10 Jahren.
Dominic Sandbrook ist Historiker, Autor, Kolumnist und Fernsehsprecher. Er hat Bücher über die politische Geschichte Amerikas geschrieben und steht kurz vor der Vollendung eines mehrbändigen Geschichtsbands über Großbritannien in der Nachkriegszeit. Sein jüngstes Buch »Who Dares Wins« wurde in den Medien wiederholt als Buch des Jahres bezeichnet. Sandbrook hat für zahlreiche BBC-Fernsehserien die Drehbücher geschrieben und als Sprecher fungiert. Er ist Gastprofessor am King's College London, hat eine monatliche Kolumne im BBC History Magazine und schreibt für The Daily Mail und The Sunday Times.
PROLOG
Lindisfarne
8. Juni 793
Es war ein kühler, windiger Tag an der nordenglischen Küste. Ein Tag wie geschaffen dafür, an den grasbewachsenen Klippen entlangzuspazieren und die Meeresluft in sich aufzunehmen; die Seevögel am Himmel zu beobachten und flache Steine über das graugrüne Wasser hüpfen zu lassen; den fernen Horizont zu betrachten und sich zu fragen, was sich wohl dahinter befinden mochte.
Auf der Insel Lindisfarne waren die Mönche schon seit Stunden auf den Beinen. Einige beugten sich über ihre Schreibpulte, um die reich verzierten Bibelabschriften herzustellen, für die ihr Kloster berühmt war.
Andere arbeiteten in der Küche, hielten das Gotteshaus in Ordnung oder wischten geduldig den Steinfußboden der langen Gänge.
Doch an so einem schönen Morgen trieb es vor allem die jüngeren Männer nach draußen, um sich der Gartenarbeit zu widmen. An der Küste Northumberlands war es oft dunkel, nass und kalt, und so war es nur vernünftig, den Sonnenschein auszunutzen.
Lindisfarne war bekanntermaßen etwas Besonderes – ein Ort wie kein anderer. Seit über hundert Jahren gab es hier ein Kloster, das die gottgefälligsten und gelehrtesten Männer des Landes anzog.
Der hochverehrte ehemalige Bischof des Klosters, Cuthbert von Lindisfarne, lag nur wenige Schritte entfernt begraben, und Jahr für Jahr kamen Hunderte Pilger, um an seinem Grab zu beten. An diesem Ort der Ruhe und des Friedens fühlten sie sich Gott nahe.
Ganz ausblenden konnten die Mönche die äußere Welt jedoch nie. In den letzten Monaten hatten die Pilger von seltsamen Omen und Vorzeichen berichtet. Sie sprachen von Wirbelwinden, zuckenden Blitzen und glühenden Drachen, die über den Himmel schossen …
Doch an solch einem Tag, an dem Gottes Schöpfung seine volle Schönheit zeigte, schienen alle Stürme und Drachen weit weg zu sein.
Es war einer der jungen Mönche, der mit scharfem Blick die Segel erspähte. Er stieß einen Schrei aus, ließ seine Harke fallen und zeigte aufgeregt in Richtung Horizont. Seine Freunde eilten sofort herbei. Ja! Es gab keinem Zweifel! Drei große Segel: eines rot-weiß gestreift, das zweite blau mit dem Abbild eines Tieres, das dritte leuchtend gelb.
Die Schiffe kamen näher und hielten direkt auf die Insel zu. Die Mönche konnten die Männer an Bord noch nicht einmal richtig sehen, da machte einer von ihnen bereits hastig kehrt, um den Abt zu informieren.
Dabei stieß er fast mit einem anderen Mönch zusammen, der direkt hinter ihm stand und wie zu Stein erstarrt schien.
Dieser Mönch war von weit her aus dem hohen Norden gekommen. Eine gezackte Narbe zog sich von seiner Stirn bis zum Kinn, als hätte jemand versucht, ihm den Schädel zu spalten. Doch er sprach nie von seiner Vergangenheit, und es traute sich auch niemand, ihn danach zu fragen.
Er stand da wie angewurzelt und starrte auf das Meer, während die Schiffe näher und näher kamen. Reines Entsetzen spiegelte sich auf seinem Gesicht …
Wie ein Orkan aus den Tiefen der Hölle stürmten die Angreifer den Strand hinauf.
Den ersten Mönch, dem sie begegneten, schlugen sie wortlos nieder, ehe eine Axt ihm den Schädel spaltete. Dann stürmten sie weiter den Hügel hinauf, und es konnte kein Zweifel daran bestehen, was sie vorhatten.
Mehrere Mönche kamen ihnen mit erhobenen Armen entgegen und flehten um Gnade. Die Wikinger metzelten sie an Ort und Stelle nieder. Blut spritzte über den Boden.
Dann stürmten sie wie von Sinnen brüllend ins Kloster, rissen die Kreuze von den Wänden und verwüsteten die Grabstellen.
Sie warfen die Weihgefäße auf einen Haufen und zertrampelten die Reliquien. Sie rissen das Altartuch herunter, zerfetzten die Bibeln und zerschmetterten die Bänke. Ihr wildes und grausames Gelächter erfüllte den Kirchenraum.
Als alles vorbei war und ihre Raserei sich gelegt hatte, zwangen sie die Überlebenden, die Beute ans Ufer zu tragen. Nachdem sämtliches Diebesgut an Bord gebracht worden war, ketteten sie die jungen Mönche aneinander und verfrachteten auch sie auf ihre Langschiffe.
Auf den Sklavenmärkten im Osten würden sie eine hübsche Summe kassieren, wie einer der Angreifer höhnisch bemerkte.
Als die Sonne an diesem Abend hinter den Hügeln Northumberlands versank, traten sie mit ihren Langschiffen die Heimreise an. Mit rhythmischen Bewegungen hoben sich die Ruderblätter und wurden durchs Wasser gezogen.
Viele der Mönche weinten. Doch der Wikingerkapitän am Bug des Leitschiffs nahm keine Notiz davon.
Zu sehr war er damit beschäftigt, das goldene Kreuz zu studieren, das er vom Altar genommen hatte. Als er es in den letzten Strahlen der Sonne hin und her drehte, breitete sich auf seinem tätowierten Gesicht ein wölfisches Grinsen aus.
Dann ließ er es in einem Sack verschwinden, bellte den Ruderern ein Kommando zu und wandte sich gen Osten.
Die Kunde vom Angriff auf Lindisfarne, der am 8. Juni 793 stattgefunden hatte, sandte Schockwellen durch ganz Westeuropa. In jedem Winkel der christlichen Welt rangen Geistliche die Hände, Eltern drückten ihre Kinder an sich.
Das Zeitalter der Wikinger hatte begonnen, eine der schillerndsten, spannendsten, aber auch blutigsten Episoden der Geschichte. In den nächsten dreihundert Jahren fielen die skandinavischen Piraten von ihren Siedlungen im heutigen Dänemark, Norwegen und Schweden aus über den europäischen Kontinent her, plünderten, mordeten und brandschatzten.
Natürlich waren sie nicht nur Räuber und Mörder, sondern auch Bauern und Händler, Schiffsbauer und Handwerker, Magier und Dichter, Geschichtenerzähler und Träumer. Sie haben uns Broschen und Armreife in Gold und Silber hinterlassen sowie unsterbliche Sagen und Legenden.
Die meisten von uns verbinden mit den Wikingern jedoch rasende Berserker und schwertschwingende Schildmaiden. Wir denken an den einäugigen Odin und Thor, den Donnergott. Wir haben vor Augen, wie Langschiffe mit einem Drachenkopf am Bug aus dem Nebel auftauchen, die Äxte der Männer verschmiert mit dem Blut ihrer Feinde. Wir hören das Klagen der Gefangenen sowie die Triumphlieder der Eroberer.
Die Wikinger plünderten sich durch England, Schottland, Wales und Irland, verwüsteten Ortschaften und Klöster und versklavten ihre Bewohner. Sie wüteten in Frankreich und belagerten zweimal Paris. Sie attackierten die goldenen Städte im Süden Spaniens. Ihre Eroberungszüge führten sie bis nach Italien und ins ferne Nordafrika.
Sie segelten die großen Flüsse im Osten hinunter und gründeten ein Königreich in Kiew, aus dem die Ukraine und Russland hervorgingen. Sie belagerten Konstantinopel, die Hauptstadt des Byzantinischen Reichs, und dienten dem Kaiser als Leibwächter. Sie kämpften im Heiligen Land, in Sizilien und der heutigen Türkei und drangen zu Pferd bis in die Wüsten Asiens vor.
Weit im Westen besiedelten sie inmitten der isländischen Vulkane ein neues Land und segelten zu den eisigen Küsten Grönlands. Das Unglaublichste ist jedoch die Tatsache, dass sie mit ihren Schiffen die Tausende Kilometer entfernte Küste von Nordamerika erreichten – als erste Europäer überhaupt.
Die Wikinger waren brutal und großartig, überwältigend und furchterregend. Unter ihnen befanden sich einige der legendärsten Krieger aller Zeiten: Ragnar Lodbrok und Ivar der Knochenlose, Sigurd Schlangenauge und Erik Blutaxt, Sven Gabelbart und Harald der Harte.
Begleitet wurden sie von den beeindruckendsten Frauen, die man sich vorstellen kann: von Olga von Kiew, die in der orthodoxen Kirche als apostelgleiche Heilige verehrt wird und ihre Feinde verbrennen ließ, bis zu Aud der Tiefsinnigen, die ihr Langschiff eigenhändig zum Land aus Feuer und Eis steuerte.
Ein großer Teil der Wikingerära liegt heute unter einem mystischen Schleier verborgen. Die spannendsten Episoden wurden von den isländischen Sagas bewahrt, in denen sich Tatsachen und Erfundenes, Mythen und magische Vorstellungen vermischen.*
Kein Historiker weiß genau, was wirklich geschah und was nicht. Darum ist jede Version dieser düsteren und dramatischen Jahre auch auf ein wenig Fantasie angewiesen – das ist bei diesem Buch nicht anders.
Doch bevor wir in die Welt der Wikinger eintauchen, sollten wir uns zwei Dinge vergegenwärtigen, die wir zweifelsfrei wissen: Zum einen wissen wir, dass sie sich selbst niemals als »Wikinger« bezeichnet haben. Das altnordische Wort »viking« bedeutet »plündern« oder »sich auf einen Beutezug begeben«.
»Wikinger« bezieht sich also auf einen bestimmten Lebensstil und nicht auf jemanden aus einer bestimmten Gruppe oder einem bestimmten Land.
»Wikinger« war man nicht – man tat es.
Auch Außenstehende bezeichneten die Helden dieses Buches nicht generell als Wikinger. Die Engländer nannten sie einfach Heiden oder Dänen, während die Menschen im Osten sie als Rus oder Waräger bezeichneten.
Die Wikinger selbst – also die Menschen, die im heutigen Skandinavien lebten – betrachteten sich hingegen als »Nordmänner«.
Das Zweite, was wir wissen, wird für manche enttäuschend sein: Die Wikinger trugen niemals gehörnte Helme.
Helme mit Hörnern wurden etwa tausend Jahre später erfunden, und zwar für eine Inszenierung von Richard Wagners Opernzyklus »Der Ring des Nibelungen« im Jahr 1876. Viele Opern von Richard Wagner basieren zwar auf nordischen Mythen; die eindrucksvollen gehörnten Helme waren aber eine Idee des...
Erscheint lt. Verlag | 11.5.2023 |
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Reihe/Serie | Die Weltgeschichten-Reihe | Die Weltgeschichten-Reihe |
Übersetzer | Knut Krüger |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Adventures in Time #5 - The Vikings |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Sachbücher |
Schlagworte | 2023 • ab 10 • Abenteuerroman • Berühmte Personen • Die Edda • eBooks • Erik der Rote • Eroberung • Erzählendes Sachbuch • Freya • Geschichte • Geschichte für Kinder • Harald III. • Homeschooling • Island • Ivar Ragnarsson • Kinderbücher ab 10 jahre • Kinderkrimi • Kindersachbuch • Kinderwissen • Landnahme • Leif Eriksson • Lindisfarne • Loki • Märchenbuch • Mittelalter • Neuerscheinung • Nordische Mythologie • Normannen • Odin • Ragnar Lodbrok • ragnar lothbrok • Ragnarök • Sachbücher • Sachwissen für Kinder • Seefahrer • Skandinavien • The last kingdom • Thor • Unterhaltungshistorik • Vikings • Vinland • Walhalla • Wickie • Wikinger-Abenteuer • Wikingergeschichte • Wikingerschiff • Wikingerzeit • Zu Hause lernen |
ISBN-10 | 3-641-29472-X / 364129472X |
ISBN-13 | 978-3-641-29472-4 / 9783641294724 |
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