1000 gute Gründe (eBook)
288 Seiten
Planet! in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH
978-3-522-65539-2 (ISBN)
Lucy Astner wurde 1982 in Hamburg geboren. Sie mag es, Schokolade zu essen, Trampolin zu springen und zu lachen, bis der Bauch wehtut. Und eben weil sie selbst so gerne lacht, hat sie ihr Hobby zum Beruf gemacht und schreibt Kinderbücher und Drehbücher für Kinofilme, mit denen sie viele andere Menschen zum Lachen bringt. Mit ihren vier Kindern und ihrem Mann lebt sie heute mitten in Hamburg.
Milou zog die aufgeschlagenen Knie zu sich heran und schlang die Arme um ihre Beine, um sich möglichst klein zu machen, klein und immer kleiner. Am liebsten hätte sie sich in Luft aufgelöst. Auf einer Skala von eins bis zehn war dieser Tag hier eine glatte Null, nein – vermutlich bewegte er sich sogar im Minusbereich!
Hinter sich auf dem Sportplatz hörte sie noch immer die anderen, hörte, wie sie kreischten, lachten und einander anfeuerten, als ginge es hier um die Rettung des Planeten und nicht etwa um eine blöde Urkunde aus noch blöderem Papier. Pah! Milou konnte auf so einen Unsinn gut und gerne verzichten. Sie hatte andere Talente – sich verstecken zum Beispiel. Ja, wenn »Verstecken« eine Disziplin bei diesem doofen Wettkampf gewesen wäre, dann hätte sie jetzt mit allergrößter Wahrscheinlichkeit auf dem Siegertreppchen gestanden: Ehrenurkunde mit Goldmedaille und Extrasternchen. Vermutlich hätte man ihr sogar eine Krone aufgesetzt!
Weil »Verstecken« aber eben keine Wettkampfdisziplin war, stand Milou nun also auch nicht auf irgendeinem Treppchen und ließ sich feiern, sondern hockte stattdessen zusammengekauert hinter dem alten Geräteschuppen am Rande des Sportplatzes und hoffte inständig, dass niemand sie entdeckte, bevor die Veranstaltung vorüber war. Und als wären die blutigen Knie und die Scham über das, was passiert war, nicht schon schmerzhaft genug, kletterte nun auch noch die Mittagssonne über die Baumkronen am Spielfeldrand und knallte ihr mit erbarmungsloser Härte auf den Kopf.
Mama würde ihr heute Abend garantiert einen ellenlangen Vortrag darüber halten, wie absolut schädlich direkte Sonneneinstrahlung für die Gesichtshaut junger Damen war. Milou konnte sich ihre Standpauke sogar jetzt schon lebhaft ausmalen:
»Glaub mir, Schätzchen, jeder Sonnenstrahl macht eine Falte. Wenn du dich mit zwölf schon bräunst wie ein Grillhähnchen, sieht dein Gesicht mit dreißig aus wie ein Pavianhintern!«
So war Mama eben: direkt, schlagfertig und nie um einen witzigen Spruch verlegen. Und natürlich wusste Milou um die Gefahr von Sonnenbränden. Allerdings sorgte sie sich dabei ehrlich gesagt weit mehr um die gesundheitlichen Spätfolgen der UV-Strahlung als um Faltenbildung. Aber wenn es um ihre Gesichtshaut ging, war Mama eben unverbesserlich. Kaum etwas schien für Florentine Hufschneider schrecklicher als die Vorstellung, nicht mehr jung zu sein.
Milou konnte das nicht verstehen. Oma Anni hatte unzählige Falten – und Milou liebte jede einzelne! Sie erzählten eine Geschichte, sie zeichneten ein Bild vom Leben, das Milou Hoffnung machte. Ein Bild davon, dass die Jahre zwar ihre Spuren hinterließen, am Ende aber irgendwie alles gut wurde. Denn genau so war das Leben in Oma Annis Küche, in ihrem kleinen Garten und in ihren weichen Armen: einfach gut!
Wenn Anni lachte, dann lachten nicht nur ihr Mund und ihre grünen Augen, nein, jede Falte in ihrem Gesicht kicherte mit. Und wenn ihre flinken Finger Hefeteig kneteten, Nusszöpfe flochten oder eine Prise Zimt in frische Pflaumenmarmelade rieseln ließen, dann roch hinterher jede noch so kleine Falte an ihren Händen nach zu Hause, nach Wärme und Geborgenheit. Milou war zwar erst zwölf, aber eines wusste sie bereits ganz sicher: Wenn sie alt wurde, würde sie jedes Fältchen willkommen heißen – solange das Leben immer noch nach Omas Backstube roch!
Auf einen Sonnenbrand konnte sie aber trotzdem gut und gerne verzichten. Stöhnend legte sie ihr Gesicht auf ihren schmerzenden Knien ab und versuchte herauszufinden, an welcher Stelle dieser Tag derart aus dem Ruder gelaufen war. Wann genau hatte sie verpasst, die Notbremse zu ziehen?
Im Grunde war schon das Aufstehen eine Qual gewesen. Vor lauter Aufregung – und vermutlich, weil sie bereits geahnt hatte, dass dieser Tag nicht zu ihren Sternstunden gehören würde – hatte sie gestern Abend einfach nicht einschlafen können. Stunde um Stunde hatte sie sich im Bett herumgewälzt, hatte sich unruhig von einer Seite auf die andere geworfen und hartnäckig versucht, das Wort aus ihren Gedanken zu vertreiben, das sie nicht nur um den Schlaf, sondern auch um den Verstand brachte:
Bundesjugendspiele ...
Für die meisten Mädchen und Jungen war das hier der schönste Tag im ganzen Schuljahr – für Milou aber war es ein Tag des Grauens.
Natürlich konnte man sich darüber freuen, den ganzen Vormittag in kurzen Hosen und bei schönstem Sonnenschein über den Hartplatz zu hetzen, in übergroße Sandkisten zu springen und kleine schwere Bälle zu werfen – aber doch nur, wenn man Freude an Bewegung hatte und zumindest einen Funken Talent!
Milou aber hatte weder das eine noch das andere. Um genau zu sein, war sie nicht viel sportlicher als ein nasser Sandsack. Und bedauerlicherweise war sie auch nicht viel beweglicher. Deshalb hatte sie heute Morgen auch auf Papas Verständnis gehofft. Milous Vater teilte die Nicht-Begeisterung seiner Tochter für Sport. Mit großer Wahrscheinlichkeit hatte er Letztere sogar an sie vererbt. Clemens Hufschneider konnte einen Fußball nicht von einem Basketball unterscheiden und hielt Ronaldo für ein scharfes brasilianisches Reisgericht. Außerdem hatte er bei seinem letzten Versuch, eine Glühbirne unter der Zimmerdecke auszuwechseln, einen Krampf in der Schulter bekommen und war wie eine Riesenkartoffel vom Küchenstuhl geplumpst. Eine ziemlich laut fluchende Riesenkartoffel, wohlgemerkt …
Im Gegensatz zu Milou machte es ihm allerdings nicht besonders viel aus, nicht sportlich zu sein. Wieso sollte es auch? Er konnte sich schließlich jeden Morgen in sein schickes Labor zurückziehen, zwischen Studienergebnissen und Erlenmeyerkolben abtauchen, und die Welt retten, indem er sein Mikroskop scharf stellte. Man konnte sich also durchaus erlauben, eine Kartoffel auf zwei Beinen zu sein, wenn man nicht an den blöden Bundesjugendspielen teilnehmen musste!
Milou hatte dieses Glück leider nicht – aber sie hatte natürlich trotzdem auf die Unterstützung ihres Vaters gehofft. Doch dann war es heute Morgen ausgerechnet Mama gewesen, die ihr die Decke nach dem achten Weckerklingeln vom Kopf gezogen hatte.
»Aufstehen, Schlafmütze. Sieh mal aus dem Fenster, heute wird ein herrlicher Tag!«
Milou war über den unerwarteten Auftritt ihrer Mutter allerdings viel zu überrascht gewesen, als dass sie noch hätte zum Fenster sehen können.
»Wo … ist denn Papa?«
»Der musste kurzfristig nach Brüssel«, hatte ihre Mutter erwidert und strahlend das Fenster aufgerissen. »Irgendein Kollege ist auf einem Kongress ausgefallen. Und du kennst ja deinen Vater: Er lässt keine Gelegenheit aus, seinen Kopf mit den anderen Superhirnen dieser Welt zusammenzustecken und irgendein neues Wundermittel aus der Kitteltasche zu schütteln.« Sie lachte auf und zwinkerte verschwörerisch, aber Milou sah sich nicht dazu in der Lage, zurückzulächeln. Stattdessen zog sie sich vorsorglich die Bettdecke bis zum Kinn hoch.
»Und warum bist du nicht im Studio?«
»Hab mir heute freigenommen«, verkündete ihre Mutter und riss dann doch tatsächlich Milous schützende Decke an sich.
Milou konnte es nicht fassen. Nicht nur die Sache mit der Decke, nein, viel verstörender fand sie, dass ihre Mutter sich freigenommen hatte!
Florentine Hufschneider moderierte seit sieben Jahren für einen großen Fernsehsender. Vor knapp einem Jahr waren sie sogar extra hergezogen, damit sie das tägliche Morgenmagazin übernehmen konnte. Jede freie Minute verbrachte sie vor der Kamera. Milou erinnerte sich an mindestens vier Kindergeburtstage, bei denen ihre Mutter nicht dabei gewesen war, weil sie arbeiten musste. Außerdem hatte sie ihre Einschulung und ihre Teilnahme an der Endrunde des Vorlesewettbewerbs verpasst – und zweimal hatte sie sogar an Heiligabend arbeiten müssen. Aber ausgerechnet heute Morgen konnte sie nicht einfach im Studio verschwinden?!
Am liebsten hätte Milou sich für den Rest des Tages unter ihrer Bettdecke verkrochen – aber das ging ja nicht mehr, weil Mama die Decke bereits zum Auslüften über das Fensterbrett warf. Trotzdem konnte Milou nicht einfach kampflos aufgeben.
»Ich … fühle mich irgendwie nicht gut heute«, murmelte sie und gab sich große Mühe, ein extraleidvolles Gesicht aufzusetzen. Offenbar waren ihre Schauspielkünste aber nicht viel überzeugender als ihre sportlichen Leistungen, denn Mama runzelte nur kurz die Stirn und schüttelte dann amüsiert den Kopf.
»Das kommt davon, wenn du nachts heimlich unter der Decke liest. Du weißt schon, dass ausreichend Schlaf ein wichtiger Faktor für Fitness, Konzentration und ein ausgeglichenes Hautbild ist?«
Milou stöhnte leise und rollte mit den Augen. »Erstens habe ich letzte Nacht gar nicht gelesen, zweitens ist mir mein Hautbild ziemlich egal – und drittens brüte ich vermutlich irgendetwas aus.«
»Und was genau brütest du aus?«, hakte Mama nach und verschränkte belustigt die Arme vor der Brust.
Milou zuckte möglichst lässig mit den Schultern. »Keine Ahnung....
Erscheint lt. Verlag | 27.1.2023 |
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Illustrationen | Stephanie Reis |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Kinderbücher bis 11 Jahre |
Schlagworte | Alltag • Beerdigung • Chaos • Dankbarkeit • Empowerment • Familie • Freundschaft • Glück • Glücklich • Mobbing • Mut • Nachdenken • Probleme • Psychologie • Pubertät • Rebellion • selbstbewusst • Stolpersteine • Teenager • Tod • Toleranz • Trauer • Trost • Verlust • Vertrauen |
ISBN-10 | 3-522-65539-7 / 3522655397 |
ISBN-13 | 978-3-522-65539-2 / 9783522655392 |
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