Ist Oma noch zu retten? (eBook)
256 Seiten
Thienemann Verlag GmbH
978-3-522-61131-2 (ISBN)
Marie Hüttner, 1989 geboren, schreibt Romane, Hörbücher und Theaterstücke, am liebsten für Kinder. Nach dem Psychologiestudium war sie Stipendiatin der Akademie für Kindermedien. Sie lebt in Berlin, wo sie unter anderem als Therapeutin für Kinder mit LRS arbeitet. Mit ihrem Debütroman 'Ist Oma noch zu retten?' war sie für den Korbinian - Paul-Maar-Preis für neue Talente nominiert.
DER ANRUF
Nachdem sich mein Atem etwas beruhigt hatte, stand ich auf und entschied mich dazu, einen Rundgang zu machen.
1.Weil ich nun schon mal im Haus war und nicht wusste, was ich sonst tun sollte.
2.Weil ich das jeden Sommer bei meiner Ankunft machte. Als müsste ich mich vergewissern, dass sich auch ja nichts verändert hatte und alles noch an Ort und Stelle war.
3.Weil ich hoffentlich verdächtige Spuren finden würde. Spuren, die mir sagen würden, was mit Oma Lore passiert war.
Als Erstes guckte ich mich im pinken Zimmer um. Das pinke Zimmer ist das Badezimmer, weil die Wände pink gestrichen sind und der Boden weiß-pink gefliest. Außerdem gibt es eine pinkfarbene Deckenlampe in Form von einem Flamingo.
In Omas Haus hat jedes Zimmer eine andere Farbe. Sie sagt nämlich, Farbe macht was mit einem, die geht direkt in die Seele rein.
Schnorrer steckte sein flauschiges Köpfchen in das pinke Zimmer, als ich gerade die Handtücher inspizierte.
»Hier«, rief ich und wedelte mit einem Handtuch in seine Richtung. »Trocken. Staubtrocken. Damit hat sich schon länger niemand mehr die Hände abgetrocknet. Sehr seltsam.«
Schnorrer miaute zustimmend.
Ich schritt weiter im Bad auf und ab, zog Schubladen auf und guckte in Porzellandosen hinein. Ich öffnete Oma Lores knallroten Lippenstift, roch am Duschvorhang, untersuchte die Zimmerecken auf ihren Staubgehalt und kurz legte ich mich sogar in die Badewanne.
Ich musste an die legendäre Schaumschlacht vor zwei Jahren denken. Oma Lore hatte mich mit aufgeregter Stimme nach oben gerufen. »Pia-Kind, komm schnell ins Badezimmer, ich glaube, hier stimmt was nicht!«, hatte sie gebrüllt, und als ich oben ankam, stand sie schon neben der Badewanne, die vor Schaum nur so überquoll.
»Angriff!«, hatte sie geschrien und der erste Schaumballon waberte in meine Richtung. Es war wie eine Schneeballschlacht, nur eben im Sommer und am Ende war das Badezimmer voller Schaum und wir lagen glücklich und erschöpft auf dem lachsfarbenen Badewannenvorleger.
Damals. Ich seufzte schwer. Neben mir auf dem Badewannenrand lag Omas Rosenseife auf dem edlen goldenen Seifenhalter. Ich beugte mich darüber.
»Auch trocken«, bemerkte ich, und Schnorrer, der auf dem Badewannenrand balancierte, stimmte mir mit einem Miau zu.
Ich drehte mein Gesicht zur Seife, schloss die Augen und sog den Rosenduft ein. Es war, als wäre Oma Lore direkt vor mir. Und ein innerliches Gefühl entstand, als hätte jemand mein Herz in eine warme Decke gewickelt. Vielleicht, ganz vielleicht, gab es den klitzekleinen Hauch einer Chance, dass Oma Lore tatsächlich neben der Wanne saß, wenn ich die Augen wieder öffnete. Vielleicht. Vorsichtshalber ließ ich die Augen noch ein bisschen geschlossen. Nur einen Moment noch. Einen klitzekleinen.
SCHRIIIIILLL!!
Ich zuckte zusammen und bewegte ruckartig den Kopf. Das Uralt-Telefon! Oma Lore!
Ich schnellte hoch. Fast rutschte ich auf dem lachsfarbenen Badewannenvorleger aus, als ich in den Flur hechtete, die Treppe runter und dabei immer drei Stufen auf einmal nahm und den Hörer von der Gabel riss.
»Ja?« Ich schnappte nach Luft.
»Hallo?«, quakte eine hohe Frauenstimme am anderen Ende der Leitung. Nicht Oma.
»Hallo?«, echote ich.
»Oh my gosh, Pia, na endlich!«, quiekte die Frau und jetzt erkannte ich sie. Na toll. Ätz-Tanja. Papas neue Freundin. Sie sah immer ein wenig so aus, als hätte sie in eine Zitrone gebissen, und ihre schrille Stimme tat in den Ohren weh.
»Lars, keine Sorge, sie ist endlich rangegangen!«
Ich hörte ein Brummen.
»Dein Vater fährt gerade. Wir sind schon kurz vor den Alpen. Traumhaft. Du verpasst was. Ich weiß auch nicht, warum du nicht mitkommen wolltest. Das hätte unser erster Urlaub als neue Familie werden können.«
Die Art und Weise, wie sie das Wort Familie aussprach, sorgte bei mir augenblicklich für Übelkeit. Die Ferien bei Oma Lore eintauschen gegen zwei Wochen Hüttenwanderung mit Ätz-Tanja, die pausenlos meinen Vater abknutschte? Niemals!
Dieses Jahr war es wirklich schwierig gewesen. Erst wollte Mama mich überzeugen, mit ihr eine Woche Digital Detox im Wendland zu machen, also ohne Handy und Laptop und sonstige digitale Geräte eine Woche im Nirgendwo rumzuhängen. Bah. Und dann hatte ich mich gegen Papas idiotischen Vorschlag mit dem Hüttenwandern durchsetzen müssen. Dabei war doch allen klar: Das Einzige, was ich in den Sommerferien wollte, war Zeit mit Oma Lore zu verbringen.
Ich hörte Papas Stimme. »Tanja, was ist denn jetzt? Ist was passiert? Warte, ich fahr hier rechts ran. Gib sie mir mal. Pia?«
»Hallo, Papa!« Schnorrer scharwenzelte mir um die Beine. Sein Fell war warm und weich. Ich kniete mich auf den Boden und begann, ihn zu streicheln.
»Meine Güte, ich hab ungefähr zehnmal auf Lores Handy angerufen, aber sie geht nicht ran. Und fünfmal hier im Haus. Weißt du, was wir uns für Sorgen gemacht haben? Geht’s euch gut? Ist was passiert? Warum gehst du ans Telefon und nicht Lore?«
Das war eine gute Frage. Eine sehr gute Frage. Sollte ich die Wahrheit sagen? Nämlich, dass Oma Lore spurlos verschwunden war? Was würde dann passieren? Papa und Tanja würden sofort umdrehen und von den Alpen bis nach Klein Funkenwalde düsen, und wenn sie angekommen waren, war Oma Lore wahrscheinlich längst wieder aufgetaucht. Aber es gäbe kein Zurück mehr. Ich müsste mit Papa und Tanja mitfahren und Oma Lore aus dem Rückfenster winken, die immer kleiner werden würde vor ihrem gelben wunderschönen Haus und dann standen mir zwei Wochen Hüttenwanderung bevor, in denen mich jeden Morgen die quietschende Tanja wecken würde. Nein! Das musste ich unter allen Umständen verhindern! Es war an der Zeit, erfinderisch zu werden. Zum Glück war ich darin ausgesprochen gut. Ich holte tief Luft.
»Papa, jetzt komm mal runter. Kein Grund, sich so aufzuregen. Oma hat mich abgeholt und danach waren wir noch ziemlich lange bei …« Mist, mir fiel so schnell nichts ein. »… bei Tonis Fischbude, weißt du?«
»Warum wart ihr denn bei Toni? Da geht sie doch nicht mehr hin seit der Lebensmittelvergiftung«, sagte mein Vater sofort und klang sehr misstrauisch.
Hui, das war doch schwerer als gedacht. Ich nahm mein Käppi ab und wedelte mir damit frische Luft zu.
»Na, der Toni, der macht jetzt auch … Eis.«
»Tatsache?« Mein Vater klang verblüfft.
»Ja, weil das mit dem Fisch nicht so gut läuft. Oma hat das schließlich allen erzählt mit der Lebensmittelvergiftung. Der musste fast schließen, aber jetzt ist das ein super Eisladen.«
Ob er mir das glauben würde? Am besten ich lieferte noch ein paar Details mit, das machte Lügen glaubhafter.
»Ich hatte drei Kugeln. Stracciatella, Vanille und Schoko.«
»Na gut«, antwortete mein Vater. Puh. »Und warum geht Lore nicht ans Telefon?«
»Das Handy hat sie vergessen, du kennst sie ja. Sie ist ein bisschen verpeilt.« Fast konnte ich sehen, wie mein Vater die Lippen schürzte und nickte.
»Okay. Ich bin froh, dass es euch gut geht und ihr einen schönen Nachmittag hattet. Dann gib sie mir doch mal bitte.«
Ich erstarrte. Fast glitt mir der Telefonhörer aus der Hand.
»Wa… wa… was?«, stammelte ich.
»Na, Lore. Ich wollte noch etwas mit ihr abklären wegen der Abholung in zwei Wochen.«
Verdammt. Mist, verdammt. Mein Herz wummerte ganz schnell. Panisch schaute ich zu Schnorrer, als hätte der eine Lösung. Aber der Kater guckte mir nur gelangweilt vom Boden entgegen und fing dann an, sich am Po zu putzen. Bäh.
»Pia, bist du noch dran?«
»Äh, ja klar. Also, Oma … die kann jetzt leider nicht. Sie … ist …« Ich guckte zu Schnorrer und verzog das Gesicht. »Auf der Toilette.«
Pause.
»Ach so. Dann sag ihr doch, sie soll mich gleich zurückrufen.«
»Das … wird schwierig. Weil … sie ist …« Schnorrer war fertig mit dem Putzen und miaute in meine Richtung. Ja, das war es! »Sie ist sehr heiser. Sie hat gerade fast keine Stimme.« Ich nickte Schnorrer dankbar zu.
»Laaarsiiii, wann fahren wir endlich weiter? Wir wollten doch da sein vor Sonnenuntergang!«, quietschte Tanja ins Handy.
»Warte mal«, sagte Papa und ich wusste nicht, ob er mich oder Tanja meinte. »Ist Lore krank? Erkältet? Davon hast du gar nichts gesagt. Wenn ihr das zu viel ist mit deinem Besuch, dann kommen wir und holen dich ab, Pia. Wirklich, wir drehen sofort um und …«
Tanja fiel ihm ins Wort. »Lars, echt jetzt?! Das ist nicht dein Ernst, oder? Sag, dass das nicht dein Ernst ist!!«
»Nein, Papa«, redete ich schnell weiter. »Sie ist nicht krank, nur ein bisschen heiser. Wegen … weil …« Langsam gingen mir wirklich die Ideen aus. Ich durchkramte den Zettelberg auf dem Telefontischchen und bekam einen Flyer in die Hände. Let’s rock the House stand da drauf....
Erscheint lt. Verlag | 27.1.2023 |
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Illustrationen | Regina Kehn |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Kinderbücher bis 11 Jahre |
Schlagworte | Abenteuer • Detektiv-Geschichte • Diebe • Diebstahl • Entführung • Fahrrad • Falschgeld • Ferien • Freunde • Freundschaft • Geschenk • Kater • Kinderbuch • Kinderbuch ab 9 • Kinderbuch Freundschaft • Kinderkrimi • Mut • Oma • Polizei • Sommer • Sommerbuch • Team • Vermisst |
ISBN-10 | 3-522-61131-4 / 3522611314 |
ISBN-13 | 978-3-522-61131-2 / 9783522611312 |
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