Ari und Dante 2: Aristoteles und Dante springen in den Strudel des Lebens (eBook)
544 Seiten
Thienemann Verlag GmbH
978-3-522-62199-1 (ISBN)
Benjamin Alire Sáenz schreibt Lyrik und Prosa für Erwachsene und Jugendliche. Er wurde für seine Bücher für Erwachsene mit dem PEN/Faulkner Award und dem American Book Award ausgezeichnet. Auch seine Jugendbücher, darunter 'Aristoteles und Dante entdecken die Geheimnisse des Universums', erhielten zahlreiche Auszeichnungen. Er unterrichtet Kreatives Schreiben an der University of Texas in El Paso.
Dreißig
Am Abend vor unserem Campingausflug luden mich die Quintanas zum Essen ein.
Meine Mutter backte einen Apfelkuchen. »Man geht nicht mit leeren Händen zu anderen Leuten, das ist unhöflich.«
Mein Vater grinste und sagte: »Deine Mutter legt noch oft das Verhalten von Einwanderern an den Tag. Sie kann nichts dafür.«
Ich fand das ziemlich komisch.
Meine Mutter auch. »Einen Apfelkuchen mitzubringen hat nichts mit dem Verhalten von Einwanderern zu tun.«
»O doch, Lilly. Nur weil du keine Tamales und gerösteten Chilis mitbringst, heißt das nicht, dass dein Einwandererverhalten verschwindet. Du gibst ihm nur eine amerikanische Verpackung. Apfelkuchen? Amerikanischer geht’s ja wohl nicht.«
Meine Mutter küsste ihn auf die Wange. »Sei still, Jaime. Estás hablando puras tonterias. Willst du nicht eine Zigarette rauchen gehen?«
Normalerweise ging ich zu Fuß zu Dante, aber ich entschied mich für den Pick-up. Ich hatte diese Vision, dass ich den Kuchen auf den Gehsteig fallen lasse, und wollte nicht im Mittelpunkt des anschließenden Dramas stehen. Ich war fürs Leben gezeichnet, als ich mit sieben einen Porzellanteller mit den Weihnachtsplätzchen meiner Mutter hatte fallen lassen. Bis vor Kurzem das letzte Ereignis, an dem ich geweint hatte. Und zwar nicht, weil meine Mutter sich aufgeregt hätte. Im Gegenteil, aus irgendeinem Grund tröstete sie mich, was es noch schlimmer machte.
Ich merkte, dass meine Mutter mit meiner Entscheidung sehr einverstanden war. »Langsam scheinst du vernünftig zu werden«, sagte sie.
»Mom, vielleicht denke ich einfach nur praktisch.«
»Nun, vernünftig sein und praktisch denken schließen sich nicht gegenseitig aus.«
Ich nickte nur.
»Du verdrehst nicht die Augen. Das zeigt Beherrschung.«
Ich hörte meinen Vater im Nebenzimmer lachen.
»Mom«, sagte ich, »ich glaube, aus dir wird nie eine gute Dummschwätzerin.«
Sie überreichte mir den Kuchen. »Viel Spaß. Und grüße Dantes Eltern von mir.«
»Mom, deine Grüße brauchen sie nicht«, sagte ich auf dem Weg nach draußen. »Sie brauchen deinen Apfelkuchen.«
Ich hörte meine Mutter lachen, als ich die Tür leise schloss und zu Dante aufbrach.
Auf der kurzen Fahrt zu Dante grinste ich wie ein Honigkuchenpferd – die ganze Zeit.
Mrs Quintana kam an die Tür. Ich fühlte mich etwas schüchtern und kam mir albern vor mit dem Apfelkuchen in der Hand. »Hallo«, sagte ich. »Meine Mutter schickt Ihnen schöne Grüße und diesen Apfelkuchen.«
Mann, Mrs Quintana hätte einen Lächelwettbewerb gewinnen können.
Sie nahm mir den Kuchen ab. Mein einziger Gedanke war, dass ich ihn nicht hatte fallen lassen und ihn heil einer erfahrenen Kuchenhandhaberin übergeben hatte. Ich folgte ihr ins Esszimmer, wo Mr Quintana gerade einen großen Teller mit Tacos auf den Tisch stellte.
»Ich habe meine weltberühmten Tacos gemacht.« Er grinste mich an.
Dante kam ins Zimmer, er trug ein rosa Shirt mit einem kleinen Krokodil. Ich versuchte zu übersehen, dass ihn das Rosa auf seiner hellen Haut fast leuchten ließ. Mann, er war so attraktiv. Dante. Mist. Mann. »Und ich hab den Reis gemacht.«
»Du kochst? Wer hätte das gedacht!«
»Ich weiß nur, wie man Reis kocht und Reste aufwärmt.«
Dieser bezaubernde Ausdruck auf seinem Gesicht! Dante konnte bescheiden sein.
Ich muss sagen, Mr Quintanas Tacos waren spitze. Und Dantes Reis war zum Reinknien. Nicht so locker wie der meiner Mutter, aber trotzdem. Dante und ich verputzten jeder sage und schreibe fünf Tacos, Mr Quintana vier und Mrs Quintana entschuldigte sich, weil sie drei aß. »Normalerweise reichen mir zwei, aber im Augenblick esse ich ja für zwei. Und der Kleine macht einen ziemlichen Wirbel.«
Dantes Augen leuchteten auf. »Tritt er gerade?«
»Und wie.« Sie winkte ihn zu sich. »Fühl mal.«
Dante stand in einer halben Sekunde neben seiner Mutter. Sie nahm seine Hand und legte sie auf ihren Bauch. »Spürst du’s?«
Dante brachte kein Wort heraus, bis er schließlich sagte: »O, Mom, das ist unglaublich. O Gott, das ist, das ist Leben. Und du hast es in dir. Ach, Mom.« Nach einer Weile zog er langsam seine Hand weg und küsste seine Mutter auf die Wange. »Weißt du, Mom, wenn ich mit dir streite, meine ich das eigentlich nicht so.«
»Ich weiß. Bis auf die Sache mit den Schuhen.«
»Wo wir gerade dabei sind – Ari, ich ernenne dich zur Schuhpolizei. Dante darf nur in White Sands barfuß laufen.«
»Ich glaube, das krieg ich hin.«
»Du stellst dich auf ihre Seite?«
»Antworte nicht darauf«, sagte Mr Quintana. »Es gibt keine richtige Antwort.«
Dante warf seinem Vater einen höhnischen Blick zu. »Dad hält sich für die Schweiz. Er entscheidet sich immer für Neutralität.«
»Nein. Ich entscheide mich fürs Überleben.«
Ich musste lachen.
»Also, ich hab lange genug auf ein Stück von Lillys Apfelkuchen gewartet. Wir essen den Kuchen und reden darüber, wie ihr zwei euch während eures Campingausflugs verhaltet.«
Mann, ich dachte, ich sterbe gleich. Sie wollte nicht über Sex reden. Eigentlich dachte ich ja an nichts anderes, was nur beweist, dass ich wie jeder andere Siebzehnjährige auf dem Planeten war. Ich saß da wie erstarrt. Das Gute war, dass Mrs Quintana eifrig den Apfelkuchen aufschnitt und auf Tellern verteilte. Sonst hätte sie vielleicht den Ich will mich unterm Tisch verkriechen-Blick auf meinem Gesicht bemerkt.
»Ihr kifft nicht und trinkt kein Bier. Verstanden?«
Ich nickte. »Ja, Ma’am, verstanden.«
»O, bei dir mache ich mir keine Sorgen, Ari. Diese kleine Lektion gilt hauptsächlich meinem Sohn.«
»Mom, es ist ja nicht so, als könnte ich im Handumdrehen Gras besorgen.«
»Da bin ich mir nicht sicher, Dante. Du bist ziemlich einfallsreich.«
»Ach, Mom, erzähl mir nicht, dass du und Dad nie gekifft oder Bier getrunken habt, als ihr minderjährig wart.«
»Was dein Vater und ich getan haben, als wir minderjährig waren, geht dich erstens nichts an und spielt zweitens für dich keine Rolle. Ich bin eine Mutter und du glaubst vielleicht, ich will dich nur kontrollieren, aber da täuschst du dich. Ich will nur, dass ihr keine Schwierigkeiten bekommt. Ihr habt schon genug am Hals. Und du weißt, was ich meine, also übertreib es nicht.« Sie küsste Dante auf die Stirn und stellte ihm ein Stück Kuchen hin.
Mr Quintana warf Mrs Quintana eine Kusshand zu.
»Genau das meine ich«, sagte Dante. »Er wirft ihr eine Kusshand zu. Damit sagt er Gut gemacht, Schatz. Und dann bildet er sich ein, er sei die Schweiz.« Er zog eine Grimasse, stieß die Gabel in sein Stück Kuchen, und noch bevor er den ersten Bissen geschluckt hatte, wurden seine Augen so groß, wie ich es noch nie gesehen hatte. »Verdammt, das ist der beste Apfelkuchen, den ich je gegessen habe.«
Mrs Quintana senkte den Blick und schüttelte den Kopf. »Ich wasch dir gleich den Mund mit Seife aus. Ich weiß, wie sehr du dieses Wort magst, und du weißt, dass ich es hasse. Du verfügst über einen umfangreichen Wortschatz, der dir bestimmt andere Möglichkeiten bietet.«
»Sicher, aber gegenüber diesem Wort verblassen alle.«
»Siehst du meinen missbilligenden Blick? Ich kann dich vielleicht nicht daran hindern, das Wort zu benutzen, wenn ich nicht in deiner Nähe bin, aber benutze es nicht vor mir. Niemals.«
»Tut mir leid, Mom. Ehrlich.« Er zeigte mit der Gabel auf seinen Kuchen. »Probier mal.«
Sie bedachte Dante mit einem ihrer berühmten Blicke und probierte den Apfelkuchen. »Du meine Güte, Ari, wo hat deine Mutter gelernt, so zu backen?«
»Ich weiß nicht. In der Küche war sie schon immer unglaublich.«
»Ist sie im Klassenzimmer genauso gut wie in der Küche?«
»Mein Gefühl sagt mir, ja.«
Mrs Quintana nickte und nahm den nächsten Bissen. »Mein Gefühl sagt mir das auch«, erwiderte sie. »Ich kann dir fast verzeihen, dass du das Wort benutzt hast.«
Dante sah sie triumphierend an.
»Werd bloß nicht anmaßend. Ich sagte ›fast‹.«
Mir fiel auf, dass Mr Quintana sich ein zweites Stück vom Kuchen meiner Mutter nahm.
»Sam, hast du ihn überhaupt geschmeckt? Oder hast du ihn nur eingeatmet?«
»O, ich hab ihn durchaus geschmeckt. Redet ihr ruhig weiter. Ich bin damit beschäftigt, meiner Leidenschaft für Lillys Apfelkuchen zu frönen.«
Dante lächelte mir zu. »Ich danke Gott für den Kuchen deiner Mutter. Er hat meine Mutter aus dem Strafpredigtmodus geholt.«
»Du musst immer noch einen draufsetzen, sonst bist du nicht zufrieden, oder, Dante?« Mrs...
Erscheint lt. Verlag | 24.2.2023 |
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Reihe/Serie | Ari und Dante | Ari und Dante |
Mitarbeit |
Designer: Formlabor |
Übersetzer | Brigitte Jakobeit |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Aristotle and Dante Dive into the Waters of the World |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Jugendbücher ab 12 Jahre |
Schlagworte | AIDS • Coming of Age • Coming-out • Erwachsen werden • Familie • gay romance • Geschenk • HIV • Homosexualität • Identität • lgbtqia+ • lgbtq jugendbücher • Liebesgeschichte • Outing • romantisch • Schwul • Selbstfindung • Teenager |
ISBN-10 | 3-522-62199-9 / 3522621999 |
ISBN-13 | 978-3-522-62199-1 / 9783522621991 |
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Größe: 2,3 MB
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