Derselbe Mond (eBook)

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2023 | 1. Auflage
176 Seiten
Fischer Sauerländer Verlag
978-3-7336-0458-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Derselbe Mond -  Lara Schützsack
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Die Sommerferien sind vorbei, doch der Sommer macht einfach weiter. Magdalena hängt, wie alle aus ihrer Klasse, im Skaterpark ab. Aber eigentlich hat sie keine Lust, den schönen Felix anzuhimmeln, nur weil der ein paar öde Tricks auf dem Skateboard kann. Da betritt ein Mädchen die Halfpipe wie eine Bühne: blaue Haare, seltsame Klamotten, und es scheint ihr total egal zu sein, was die anderenüber sie denken. Magdalena findet die Blaue unmöglich und faszinierend zugleich. Und sorgt dafür, dass sie sich wiedersehen. Der preisgekrönten Drehbuchautorin und Schriftstellerin Lara Schützsack gelingt es meisterhaft, sich in die Gefühlswelt von Teenagern einzufühlen und eine Stimme zu geben. 

Lara Schützsack, geboren 1981 in Hamburg, studierte Germanistik, Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaften sowie Amerikanische Literatur und Kultur an der Universität Potsdam. Es folgte ein Drehbuchstudium an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin. Lara Schützsack lebt und arbeitet als Autorin in Berlin.  Literaturpreise für ?Und auch so bitterkalt? - Ulla-Hahn-Autorenpreis 2014 - Oldenburger Kinder- und Jugendbuchpreis 2014 Literaturpreise für ?Sonne, Moon und Sterne? - Paul Maar-Preis für junge Talente - Korbinian 2019

Lara Schützsack, geboren 1981 in Hamburg, studierte Germanistik, Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaften sowie Amerikanische Literatur und Kultur an der Universität Potsdam. Es folgte ein Drehbuchstudium an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin. Lara Schützsack lebt und arbeitet als Autorin in Berlin.  Literaturpreise für ›Und auch so bitterkalt‹ - Ulla-Hahn-Autorenpreis 2014 - Oldenburger Kinder- und Jugendbuchpreis 2014 Literaturpreise für ›Sonne, Moon und Sterne‹ - Paul Maar-Preis für junge Talente – Korbinian 2019

1


Ende August

Die Sommerferien sind vorbei, aber der Sommer macht einfach weiter.

Nach dem Unterricht hängen die Coolen aus unserer Stufe immer hier im Skaterpark ab, und deswegen findet Sofia, dass wir unbedingt an der Pipe sein müssen. Flip findet das auch. Zumindest sagt er nichts dagegen.

Wir sitzen also hier auf der Wiese herum, beobachten die anderen und lassen uns beobachten. Sofia blinzelt zur Skaterrampe rüber, zwirbelt eine ihrer dicken, dunkelbraunen Locken um ihren Finger, zieht eine Schnute und zwitschert irgendwas von Likes und süß, während Flip betont lässig dasitzt und es genießt, dass Yuna immer wieder zu ihm rüberschaut. Ich kenne Flip schon, seitdem er ein Jahr alt ist, und finde es total komisch, dass die Mädchen ihn neuerdings so anstarren. Als hätten sie seine Existenz überhaupt erst bemerkt, seitdem er zwölf ist, seine langen schwarzen Wimpern mit Wimperntusche schminkt, jeden Tag ein anderes T-Shirt mit Aufdruck trägt und sein schwarzes Haar jeden Abend mit Spülung wäscht, damit es schön glänzt. Als wäre er vorher unsichtbar gewesen, und jetzt ist er so mega sichtbar, dass sie gar nicht anders können, als mit ihren Blicken an ihm kleben zu bleiben.

Drüben fahren Felix und Elias aus der 6a jetzt die Rampe runter. Die beiden sind die Einzigen, die auf die Rampe gehen. Felix mit seinem Board und Elias mit seinem BMX-Rad. Der Parcours, das ist ihre Bühne. Und wir, die wir drum herum sitzen, ihr Publikum. Natürlich gucken alle, wenn sie da runterfahren.

Immer gucken alle, wenn der schöne Felix etwas macht. Weil er eben megasüß ist, sagt Sofia. Bis vor kurzem hat sie die Bezeichnung megasüß nur für Flips Wellensittiche Klick und Klack verwendet.

Irgendwann gegen Ende des letzten Schuljahres hat es angefangen. Die Sache mit Felix und das Abhängen im Park. Noch im Jahr davor waren Flip, Sofia und ich immer zusammen, also nur wir drei. Die meiste Zeit waren wir bei Sofia im Garten in unserem Baumhaus. Und dann ist alles anders geworden. Seit diesem Frühjahr interessiert Sofia sich nicht mehr für Wellensittiche und Baumhäuser. Sie interessiert sich für Jungs und den neusten Klatsch. Zum Beispiel dafür, dass es in der Parallelklasse ein echtes Liebespaar gibt. Die halten sogar Händchen, so, dass alle es sehen können. Ich finde, die beiden sehen überhaupt nicht aus wie ein Liebespaar, sondern wie zwei, die ein Liebespaar spielen. Sofia ist sich aber sicher, dass die sich schon einmal geküsst haben. So richtig mit Zunge. Sie ist neidisch deswegen. Nicht weil sie den Jungen gut findet, sondern einfach nur, weil sie auch schon mal einen Jungen geküsst haben möchte. Egal welchen. Hauptsache sie hat es getan. Damit sie weiß, wie das geht.

Jetzt beugt sie sich zu mir rüber und flüstert mir ins Ohr: »Ich habe mir überlegt, ich will da richtig profimäßig drin sein, also im Knutschen.«

War ja klar, dass es wieder ums Küssen geht.

»Andere wollen eine Eins in Deutsch, ich will eine im Küssen.«

»Klar«, sage ich. »Verstehe ich.« Aber ich sage das nur, um irgendwas zu sagen, denn eigentlich verstehe ich Sofia in letzter Zeit gar nicht mehr. Ganz anders als früher, als ich ihre Sätze zu Ende sprechen konnte. Jetzt weiß ich häufig gar nicht, was ich antworten soll. Als ob Sofia und ich auf einmal eine andere Sprache sprechen. Ich selbst kann mir gar nicht vorstellen, einen Jungen zu küssen. Ich bin im Kopf alle Jungs aus unserer Klasse durchgegangen und habe mir ausgemalt, wie das wohl wäre, ganz nah vor einem zu stehen, mich zu ihm vorzubeugen und dann … Die Vorstellung ist eklig! Die haben bestimmt Müslireste zwischen den Zähnen. Im Kindergarten haben Flip und ich uns einmal geküsst. In der Höhle unter dem Klettergerüst, aber das war ja etwas anderes, und ich weiß auch gar nicht mehr genau, wie das war. Ich weiß nur noch, dass es dunkel war und dass Flip nach Milch und Himbeerzahnpasta geschmeckt hat.

»Du könntest das Küssen doch einfach mit Flip üben«, schlage ich Sofia vor und denke im gleichen Moment, dass das eine blöde Idee ist. Ich will gar nicht, dass Sofia und Flip sich küssen. Ich fühle mich in letzter Zeit sowieso schon ausgeschlossen, weil die beiden ständig zusammen rumalbern und ich oft gar nicht verstehe, was jetzt gerade so lustig ist.

»Gute Idee.« Sofia nickt und betrachtet Flip von der Seite. »Ist definitiv eine Option.«

Flip tut so, als würde er nicht mitbekommen, dass wir über ihn reden. Dabei bekommt er alles ganz genau mit. Ich würde Flip heute nicht mehr küssen. Ich finde es okay, meinen Kopf an seine Schulter zu legen oder hinten bei ihm auf dem Gepäckträger mitzufahren und die Arme um seine Hüfte zu legen. Aber das ist etwas anderes. Das würde ich ja auch bei einem Mädchen machen. Flip ist eben mein bester Freund.

»Kann ich Mathe bei dir abschreiben?«, fragt Sofia.

»Klar«, sage ich und wühle in meinem Rucksack nach dem Matheheft. Dabei rutscht der Flyer für den Schreibwettbewerb raus von dem unsere Deutschlehrerin, Frau Morgenstern, uns heute erzählt hat. Schnell schiebe ich ihn wieder in den Rucksack. Flip und Sofia sollen auf keinen Fall mitbekommen, dass ich überlege, da mitzumachen. Die beiden würden mich für völlig irre halten, wenn sie wüssten, dass ich Gedichte schreiben möchte.

»Guck mal da. Kennst du die?«, raunt Sofia jetzt und dreht meinen Kopf in Richtung Rampe. Da drüben steht ein Mädchen.

»Die habe ich noch nie gesehen«, schaltet Flip sich ein.

Ich habe das Mädchen auch noch nie gesehen. Sie sieht komisch aus. Weiße, völlig ungebräunte Beine, abgeschnittene Jeanshosen, die ihr bis zum Knie gehen, und ein schlabberiges rotes Sweatshirt. Das Auffallendste an ihr ist aber, dass sie blau gefärbte Haare hat. Taubenblau. Ihre Haare sehen ziemlich struppig aus und gehen ihr bis zum Kinn. Anscheinend kennt sie hier niemanden.

Das würde ich nie machen, alleine hier hingehen, ohne dass ich weiß, dass Sofia und Flip auf mich warten. Wenn man sich dem Parcours nähert, dann starren einen die anderen nämlich alle an. Meine Beine werden dann immer so puddingmäßig, und ich habe das Gefühl, dass ich komisch gehe und blöd aussehe. Ich gucke dann immer schnell, wo Flip und Sofia sind, damit ich mich dazustellen oder ins Gras fallen lassen kann und das Starren aufhört. Die da drüben dagegen hält das Starren locker aus. Steht da einfach, in ihrem viel zu großen Sweater und den ausgefransten Shorts. Vielleicht findet sie es sogar gut, dass wir alle sie anschauen, oder sie merkt es gar nicht.

»Die sieht irgendwie räudig aus.«

Räudig ist Sofias neues Lieblingswort. Es beschreibt wirklich alles, was Sofia gerade nicht gefällt. Und das ist ziemlich viel. Das Klassenzimmer riecht räudig, der Pickel an Sofias Stirn ist räudig, Flips neue Hose ist es, der minikleine Marmeladenfleck an meinem T-Shirt. Eigentlich alles, was nicht megasüß ist. Bei Sofia gibt es in letzter Zeit gar nichts zwischen megaboring oder räudig und megasüß. Ich habe das Gefühl, dass ihr Leben seit dem Sommer nur noch aus fett gedruckten Überschriften besteht. Und wenn ich ihr ein Geheimnis anvertraue, etwas Leises, das nicht jeder wissen soll, dann kann es seit neuestem sein, dass Sofia es in voller Lautstärke in die Welt posaunt.

Die Blaue steht noch immer dort drüben und lässt ihren Blick in aller Ruhe über die Wiese wandern. Ob die wohl von hier ist? Die Stadt ist einerseits so groß, dass ich natürlich nicht alle Mädchen in meinem Alter kenne. Andererseits ist sie aber auch so klein, dass ich die auffälligen Mädchen von den anderen Schulen, also die, die irgendwie anders sind, schon irgendwann mal irgendwo gesehen und mir gemerkt habe. Und dieses Mädchen hier ist anders. Allein schon diese Haare. Ich lege bestimmt nicht so großen Wert auf das perfekte T-Shirt wie Flip, und ich gucke auch nicht in jeden Spiegel wie Sofia, aber so wie die Blaue würde ich dann auch nicht herumlaufen. Solche ausgefransten Jeans, die bis über das Knie gehen, und Schlabberpullis trägt wirklich niemand. Ist ja auch viel zu heiß heute für so einen Pulli. Jetzt macht sie ein paar Schritte auf die Rampe zu. Obwohl, Schritte sind das nicht, sie gleitet eher darauf zu. Das sieht seltsam aus, und jetzt sehe ich auch, woran das liegt. Sie trägt diese Turnschuhe mit Rollen in den Sohlen. Die waren irgendwann mal cool, aber jetzt trägt die keiner mehr. Die Schuhe rollen nicht nur, die Sohlen blinken dazu noch in allen möglichen Farben.

»Die sieht so kacke aus. Und dann noch Heelys. Die sind so räudig, die Teile«, bemerkt Sofia.

»Echt jetzt? Geht sie damit jetzt auf die Rampe?« Flip schiebt seinen Kopf an mir vorbei, um einen besseren Blick auf die Blaue zu haben. Und tatsächlich rollt das Mädchen jetzt auf die Skaterrampe zu, zieht sich auf das Podest hoch. Steht jetzt alleine da oben.

Die Blaue gleitet an den Rand des Podests und schaut auf die Betonwelle unter sich. Sieht so aus, als ob sie allen Ernstes da runterfahren will. Dann macht sie tatsächlich einen Schritt nach vorn und rollt in die Pipe. Besonders elegant oder lässig sieht es nicht aus, aber sie fällt auch nicht hin. Ganz unten kommt sie kurz ins Stolpern, fängt sich aber wieder und rollt dann aus, bis zum Ende der Betonfläche. Dort angekommen, bleibt sie einen Moment stehen. Sie dreht sich um, kneift die Augen zusammen und schaut rüber zu Felix und Elias, die zu ihr gucken und laut lachen.

»Was ist so witzig?« Die Stimme der Blauen ist dunkel und heiser. Sie starrt die beiden so lange an, bis sie aufhören zu lachen. »Also, was...

Erscheint lt. Verlag 29.3.2023
Zusatzinfo 1 s/w Abbildung
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Kinder- / Jugendbuch Kinderbücher bis 11 Jahre
Schlagworte beste Freunde • Beste Freundin • Bücher für Jugendliche ab 11 • Erwachsenwerden • Gedichte • November • peinlich • Sandkastenfreundschaft • Schule • Skatepark • Skaterpark • Sommer • Trennung
ISBN-10 3-7336-0458-X / 373360458X
ISBN-13 978-3-7336-0458-5 / 9783733604585
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