Hauntingly Beautiful (eBook)
388 Seiten
Impress (Verlag)
978-3-646-60938-7 (ISBN)
Jana Schikorra, 1993 in Lübeck geboren, studierte Germanistik und Soziologie an der Universität Hamburg. Sie lebt mit Mann und Hund an der Ostsee, doch am lautesten schlägt ihr Herz für die Berge.
Jana Schikorra, 1993 in Lübeck geboren, studierte Germanistik und Soziologie an der Universität Hamburg. Sie lebt mit Mann und Hund an der Ostsee, doch am lautesten schlägt ihr Herz für die Berge.
Kapitel 2
Der Pilot legt eine absolute Bilderbuchlandung hin und kassiert dafür vereinzelt sogar den klassischen Applaus.
Ich warte, bis das große Gedränge an den Ausgängen vorüber ist, und schließe mich dann den verbleibenden Fluggästen auf ihrem Weg nach draußen an. Über eine Passagierbrücke geht es ins Innere des verhältnismäßig kleinen Flughafengebäudes. Ich war bereits etliche Male in Heathrow und Birmingham – mit der Familie, der Schulklasse oder meinen Freundinnen –, hier oben, im Norden des Landes, allerdings noch nie.
Das Unbekannte kitzelt mich wie eine Feder.
Habe ich mich jemals freier und unabhängiger gefühlt als in diesem Moment? Vermutlich nicht.
Ich bleibe kurz stehen, um mich an den von der Decke hängenden Schildern zu orientieren, und steuere dann die Gepäckausgabe an.
Glücklicherweise ist mein Koffer einer der ersten, die auf dem Band erscheinen. Ohne großen Zeitverlust breche ich also zum Abholbereich meines Terminals auf, den ich aufgrund der eher übersichtlichen Auswahlmöglichkeiten auch sofort ausfindig machen kann.
Ich atme tief ein.
Es riecht nach Kaffee, Sandwiches und Duty-Free-Shop – eine ganz besondere Duftmischung, die ich schon immer geliebt habe und aus der ich am liebsten ein eigenes Parfüm kreieren würde.
Eilig bahne ich mir einen Weg durch das geschäftige Treiben und komme ziemlich atemlos am vereinbarten Treffpunkt an. Ich scanne die Reihen der Wartenden nach Mr Carsteins grau meliertem, fein gekämmten Haarschopf ab, kann ihn aber nirgendwo entdecken. Stattdessen werde ich auf einen kleinen Mann mit Tweed-Anzug, Schnurrbart und Schiebermütze aufmerksam, der ein mit dem Namen »Julina« beschriftetes Schild in den Händen hält.
Wie Mr Carstein sieht er nicht aus – und wie dessen Frau erst recht nicht. Trotzdem gehe ich auf ihn zu; meinen riesigen Koffer ächzend hinter mir herziehend. Immerhin ist »Julina« nicht gerade der geläufigste Name, den man sich vorstellen kann. Soweit ich weiß, jedenfalls.
»Hallo?«, sage ich unsicher und versuche mich an einem Lächeln. Meine Mundwinkel zittern vor Aufregung und sofort wünsche ich mir die anfängliche Ruhe aus dem Flugzeug zurück.
»Julina Seiler?«, fragt der Mann mit einer basshaltigen Stimme, die überhaupt nicht zu seiner schmächtigen, verstaubten Erscheinung passt. Er mustert mich aufmerksam.
Sehr aufmerksam.
Doch ich bin es gewohnt, dass man mir länger als nötig ins Gesicht sieht. Genauer gesagt in die Augen.
Aufgrund meiner Heterochromie sind die nämlich verschiedenfarbig – das linke braun, das rechte grün.
»Ja«, bestätige ich meine Identität nickend, »die bin ich.«
Ich warte darauf, dass er etwas erwidert, aber das tut er nicht. Stattdessen seufzt er. Als er das Schild sinken lässt, sieht er irgendwie … ich weiß nicht … traurig aus. Bevor ich ihn scherzhaft fragen kann, ob ich wirklich so einen niederschmetternden Eindruck hinterlasse, macht er einen Schritt nach vorn und nimmt mir den Koffergriff aus der Hand. Sein Aufkeuchen verrät, dass er angesichts meiner zierlichen Statur mit weniger Gewicht gerechnet hat – wie sollte er auch ahnen, dass ich mein halbes Bücherregal mitgeschleppt habe? Gott sei Dank sind meine zwei anderen Koffer mit Kleidung vorherige Woche schon ohne mich auf Reisen gegangen und laut den Carsteins wohlbehalten in Dreadful Manor angekommen – andernfalls hätte es wohl zwei weitere schnurrbärtige Herren im Tweed-Anzug gebraucht, um mein Hab und Gut von A nach B zu befördern.
Nachdenklich blicke ich dem Mann hinterher, der nun mit meinem Gepäck in Richtung Ausgang verschwindet. Ich brauche einen Moment, bis mir klar wird, dass ich ihm besser folgen sollte.
Also blinzle ich meine Starre fort und haste ebenfalls durch die Schiebetüren, die im Sekundentakt surrend auseinandergleiten.
Draußen ist es kalt, selbst für Mitte Oktober.
Obwohl mir eben noch schrecklich warm war, friere ich sofort und ziehe meinen Schal so hoch, dass er mein halbes Gesicht verdeckt. Zusammen mit meinem etwas zu großen Pullover (ich bin große Verfechterin des Schlabberlooks) und der Steppjacke könnte man meinen, ich hätte vor zu einer Polarexpedition aufzubrechen.
»Mr Carstein lässt sich entschuldigen. Er hat einen wichtigen beruflichen Termin«, sagt der kleine Mann, während er meinen Koffer in ein schwarzes Auto wuchtet, das er in einem als »Abholer und Bringer« gekennzeichneten Bereich geparkt hat. Von der Aufmachung erinnert das Fahrzeug mich ein bisschen an die sogenannten »Black Cabs«, die in London als Taxis eingesetzt werden. Es ist diese Art von Wagen, die es einem leicht macht, sich wichtig vorzukommen. Ich kann mir bildhaft vorstellen, wie Mr und Mrs Carstein mit gestresstem Gesichtsausdruck auf der Rückbank sitzen, hektisch einen Coffee to go schlürfen und via Headset bedeutsame Kundengespräche führen. Damit komme ich der Wahrheit bestimmt ziemlich nah, immerhin ist er als angesehener Unternehmer im industriellen Bereich tätig und seine Frau arbeitet nicht minder erfolgreich als Architektin.
In einem unserer Telefonate haben sie mir ganz offen erzählt sich bewusst spät für die Elternschaft entschieden zu haben, um sich erst eine anständige Karriere aufbauen zu können – die beiden sind Mitte fünfzig, sehen allerdings schon ein wenig älter aus, was unter anderem sicher dem großen beruflichen Stress zuzuschreiben ist. Dreadful Manor jedoch ist der beste Beweis dafür, wie lukrativ diese stressigen Jobs sind. Lukrativ, aber dabei eben auch wahnsinnig zeitaufwendig, weshalb sie dringend jemanden benötigen, der ihnen die Kinderbetreuung abnimmt. Und an dieser Stelle komme ich ins Spiel.
»Okay. Kein Problem.« Ich warte darauf, dass der Unbekannte sich mir vorstellt, doch es scheint, als müsse ich ihm auf die Sprünge helfen. »Und Sie sind …?« Mein Gehirn muss sich erst einmal wieder daran gewöhnen, dass im Englischen keine Höflichkeitsform, wie ich sie kenne, existiert. Gedanklich übersetze ich das »You« trotzdem ganz automatisch in ein »Sie«, wie ich es jedem Menschen über achtzehn verpasse, den ich nicht kenne.
Der kleine Mann wischt sich mit dem Handrücken über die Stirn. Sein Kopf ist knallrot vor Anstrengung – immerhin hat er ja auch gerade ganze von Buchdeckeln eingefasste Welten hochgestemmt.
»Oje, Verzeihung. Wie unhöflich von mir. Ich bin Mr Morris, der Butler. Ich sorge in Dreadful Manor für Ordnung.«
»Ah, alles klar. Schön Sie kennenzulernen.«
Ich finde diese ganze Butler-Sache etwas veraltet, sage aber nichts. Sicher, es ist bestimmt so gut wie unmöglich, ein so großes Anwesen wie das der Carsteins ohne Unterstützung instand zu halten. Leuchtet ein. Dennoch stolpere ich irgendwie über die Berufsbezeichnung – und über die Vorstellung, dass Mr Morris mir am Ende meinen Tee auf mein Zimmer bringt und die Kissen aufschüttelt.
Andererseits scheint es sowohl innerhalb adeliger als auch innerhalb besonders wohlhabender Familien einfach nach wie vor Sitte zu sein, einen Butler zu beschäftigen. Landesweit gibt es einige renommierte Schulen, an denen der Beruf erlernt werden kann.
»Ganz meinerseits«, versichert er, umrundet den Wagen und hält mir die linke Hintertür auf.
Ich bedanke mich und lasse mich in einen alten Ledersitz sinken, dem ein Duft nach schwerem Parfüm und altem Zigarettenrauch entsteigt.
Mr Morris nimmt währenddessen auf dem Fahrersitz Platz und startet den Motor. Mit der einen Hand bedient er das Lenkrad, mit der anderen schaltet er das Radio ein. Suchend dreht er an den Reglern, bis er einen Sender findet, auf dem es nicht rauscht.
Schließlich fädelt sich der Wagen in den Verkehr ein (mein Herz setzt kurz einen Schlag aus, als Mr Morris zielstrebig die linke Spur ansteuert, bis mir wieder einfällt, dass alles andere in Großbritannien auch ziemlich leichtsinnig wäre). Bis auf die verhaltenen Klänge von Streichern und Blasinstrumenten, die nun aus den Lautsprechern dringen, ist es still im Auto. Ich würde gern etwas sagen, bin aber zu erschöpft, um mir etwas Sinnvolles zu überlegen.
Jetzt, da der erste Adrenalinschub langsam abebbt, fühlt sich mein ganzer Körper unheimlich schwer an. Laut Maps beträgt die Fahrtzeit nach Pinewick Falls anderthalb Stunden. Wahrscheinlich kehren meine Lebensgeister erst in den letzten Minuten vor der Ankunft zurück.
»Wie alt sind Sie, Miss Seiler, wenn ich das fragen darf?«, erkundigt sich Mr Morris so unvermittelt, das ich zusammenzucke.
Ein...
Erscheint lt. Verlag | 20.10.2022 |
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Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Jugendbücher ab 12 Jahre |
Schlagworte | Fantasy Liebesromane • Fantasy Liebesromane Erwachsene • Halloween Buch • impress ebooks • Romantasy Bücher • romantische Fantasy Bücher • Spukhaus • Teufel Liebesroman deutsch • Urban Fantasy Liebesromane • Urban Fantasy Romance • verfluchtes Haus • Zeitgenössische Liebesromane |
ISBN-10 | 3-646-60938-9 / 3646609389 |
ISBN-13 | 978-3-646-60938-7 / 9783646609387 |
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