Als meine Schwester fliegen lernte (eBook)

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2022 | 1. Auflage
224 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-7336-0401-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Als meine Schwester fliegen lernte -  Uticha Marmon
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Eine Geschichte, die ihr Geheimnis erst nach und nach preisgibt Seit seine Schwester Lina sich in den Kopf gesetzt hat, dass sie eine Superheldin ist, hat Anton alle Hände voll zu tun. Denn Lina ist zwar total mutig, aber dafür bringt sie sich und ihn ständig in peinliche Situationen. Sie braucht dringend einen Manager: Anton. Doch Lina verlangt Mutproben von ihrem Manager, und Anton muss sich seinen nicht wenigen Ängsten stellen. Zum Beispiel, sich einzugestehen, dass niemand außer ihm selbst Lina sehen kann. Mit viel Feingefühl und Leichtigkeit schreibt Uticha Marmon über das Thema Verlust und Trauer und erzählt dabei eine spannende Freundschaftsgeschichte.

Uticha Marmon wurde 1979 in Berlin geboren. Sie studierte Dramaturgie, Vergleichende Literaturwissenschaft und Pädagogik und hat danach am Theater und in Verlagen gearbeitet. Heute lebt sie in Hamburg und arbeitet freiberuflich als Dramaturgin, Lektorin und Autorin. Ihr Kinderbuch »Mein Freund Salim« über einen syrischen Flüchtlingsjungen wurde 2016 mit dem Leipziger Lesekompass ausgezeichnet.

Uticha Marmon wurde 1979 in Berlin geboren. Sie studierte Dramaturgie, Vergleichende Literaturwissenschaft und Pädagogik und hat danach am Theater und in Verlagen gearbeitet. Heute lebt sie in Hamburg und arbeitet freiberuflich als Dramaturgin, Lektorin und Autorin. Ihr Kinderbuch »Mein Freund Salim« über einen syrischen Flüchtlingsjungen wurde 2016 mit dem Leipziger Lesekompass ausgezeichnet. Hildegard Müller, studierte – nach ihrem Abschluss als Diplomdesignerin und Tätigkeit in einer Frankfurter Werbeagentur – Kunstpädagogik an der Uni Mainz. Seit vielen Jahren arbeitet sie erfolgreich als Illustratorin, Autorin und Grafikdesignerin. Für ihre Bilderbücher wurde Hildegard Müller bereits mehrfach ausgezeichnet. Hildegard Müller lebt in Ginsheim in der Nähe von Mainz.

Fliegen


»Toni! Jetzt komm!«

Ich gucke auf meine Schuhe. Die Spitzen ragen schon über die Kante hinaus. Der braune Colafleck an der Seite schwebt über dem Nichts. Nur noch ein Zentimeter. Ein winziges Stück, und ich verliere den Halt. Die Schlaufen meines Schulrucksacks schneiden mir in die Handflächen. Aber der wird mich auch nicht festhalten. Wenn da ein Fallschirm drin wäre, okay. Dann vielleicht. Ohne Fallschirm ist das Dach, auf dem ich stehe, aber einfach nur superhoch. Weshalb Linas Idee, hier runterzuspringen total bescheuert ist. Und lebensmüde.

»Anton Nowak! Mach dir nicht in die Hose!«

Lina guckt mit zusammengekniffenen Augen zu mir rauf.

»Echt! Vertrau mir mal! Das ist babyleicht.«

Ja, für meine Schwester vielleicht.

Trotzdem, ich kann hier nicht den ganzen Tag stehen. Also bleibt nur eins: springen. Ich bin es Lina schuldig. »Aaaaaantooooon!«

Ist ja gut. Geht doch schon los. Ich schließe die Augen und atme ein. Beim Ausatmen springe ich ab. Ich kann fühlen, wie ich fliege. Ich fliege, und das ist richtig schön. Keine Ahnung, wann es das letzte Mal so in meinem Bauch gekitzelt hat.

»Vorsicht!«, brüllt Lina. Ich reiße die Augen auf – und sehe Sternchen. Vielleicht sind es die von Linas Jogginganzug. Es könnte aber auch damit zusammenhängen, dass ich gerade ziemlich hart im Sand aufgeschlagen bin. Eine ganze Ladung davon landet in meinem Mund.

»Bäh, da hat bestimmt schon ein Hund hingepinkelt.« Lina lacht. Na, danke auch. Sie weiß genau, wie sehr ich mich vor so was ekle.

»Haha, superlustig.« Ich rapple mich auf. Von hier unten sieht das Klettergerüst mit dem roten Turm gar nicht so hoch aus. Aber echt, noch mal springe ich da nicht runter.

»Erledigt«, spucke ich zusammen mit etwas Sand aus. Meine Hand gleitet automatisch in meine Hosentasche. Das Fläschchen mit dem Desinfektionsmittel ist noch da. Aber ich kann mir damit nicht den Mund ausspülen. Vorsicht, giftig! Steht extra darauf, so ähnlich jedenfalls. Aber eines ist sicher, wenn ich könnte, würde ich.

»Na ja«, sagt Lina. »So richtig fliegen war das ja nicht.«

Ich gucke sie vernichtend an. »Dann zeig doch mal, wie es geht. Wenn ich mich nicht irre, solltest du das können und nicht ich.«

»Kann ich ja auch«, sagt Lina und klettert mit Superspeed auf den Turm. Ich kann gar nicht so schnell gucken, da ist sie schon wieder unten bei mir. »Tadaa!«, ruft sie und verbeugt sich.

Ich puste mir eine störende Haarsträhne aus dem Gesicht. »Super«, murmle ich. Das reicht hoffentlich aus, damit Lina nicht gleich wieder anfängt, anzugeben. Und mich am Ende irgendwo noch höher raufschickt, um runterzuspringen. Ich gucke auf die Uhr. Viertel vor acht. Autsch!

»Jetzt aber Beeilung!« In fünf Minuten fängt die Schule an, und ich schreibe gleich in der ersten Stunde Englisch. Eigentlich wäre es ziemlich in Ordnung, da nicht zu erscheinen. Aber dann ruft unsere Schulsekretärin wieder zu Hause an, weil ich ohne Entschuldigung fehle, und es gibt Ärger. Nicht in die Schule gehen, ist keine Option. Obwohl schon jetzt klar ist, dass ich zu spät komme. Vom Spielplatz sind es in normalem Tempo fünfzehn Minuten. Ich renne sehr schnell, aber trotzdem dauert es sicher zehn, vor allem mit Seitenstechen und Schnappatmung. Meine Schwester dagegen schwebt geradezu neben mir her. Ich gebe echt alles. Lina überholt mich trotzdem. »Keine Sorge, ich mach das schon!« Sie greift nach meiner Hand und zieht mich einfach mit sich. Als wir in der Schule die Treppe raufstürmen, sind wir nur zwei Minuten zu spät. Das soll uns erst mal jemand nachmachen.

Lina lässt mich los, aber der Schwung reicht noch aus, um mich mit Raketenantrieb in meine Klasse sausen zu lassen. Fieberhaft überlege ich, was ich als Ausrede vorbringen kann. Die Wahrheit geht ja schlecht: Entschuldigung, Herr Kallenberg, ich musste noch vom Spielplatzturm springen. Das gehört dazu, wenn man der Manager einer Superheldin ist. Da muss man einfach wissen, wie sich fliegen anfühlt. Nein, das ist echt nicht drin. Aber Herr Kallenberg erwartet zum Glück gar keine Entschuldigung. Er ist gerade dabei, die Klassenarbeiten auszuteilen. Als ich zu meinem Platz fege, sieht er nur kurz hoch.

»Na, Anton? Ich dachte schon, du lässt mich im Stich.« Er legt ein Arbeitsblatt vor mich hin, dann schließt er die Tür und geht zu seinem Pult.

Hä? Das war’s? Kein Donnerwetter? Noch nicht mal ein winziger Kommentar darüber, dass ich schon wieder zu spät gekommen bin? Das ist auffällig. In letzter Zeit benimmt Herr Kallenberg sich mir gegenüber öfter merkwürdig. Vielleicht geht es ihm nicht gut?

»Ich würde Sie nie im Stich lassen, Herr Kallenberg«, beruhige ich ihn und drehe das Arbeitsblatt um. Aber als ich die Aufgaben durchlese, kommt es mir eher so vor, als wäre Herr Kallenberg derjenige, der mich im Stich lässt. Ich verstehe nur Bahnhof. Verwirrt starre ich auf das Blatt. Vielleicht wäre gar nicht zu kommen doch die schlauere Lösung gewesen. Schlechte Noten sind auch nicht besser als ein Anruf von der Schule. Bei einem Anruf setzt es ein Donnerwetter, aber schlechte Noten, da machen Mama und Papa sich Sorgen. Und davon haben sie schon genug.

»Pst, Toni!« Lina! Was macht sie denn hier?

»Schhh, ich muss mich konzentrieren«, wispere ich.

Julian neben mir guckt mich verwundert an. »Ich hab doch gar nichts gesagt.«

Ich schüttle nur den Kopf und starre weiter auf mein Blatt. Aber die Buchstaben tanzen vor meinen Augen. Ich habe keine Ahnung, wie ich es schaffen soll, sie zum Stillhalten zu bewegen. Und selbst, wenn sie das tun, kann ich die Fragen, die dastehen, noch lange nicht beantworten.

»Toni, jetzt guck!« Lina fummelt an meinem Schulranzen rum. Dadrin bewegt sich was.

»Anton?«, fragt Herr Kallenberg. »Gibt’s ein Problem?«

»Nein, alles gut«, sage ich schnell. »Ich brauche nur ein Taschentuch.«

Herr Kallenberg runzelt die Stirn, aber er nickt. Ich beuge mich zum Ranzen runter. Und da fiept es leise.

Keks? Das ist Keks!

»Was machst du denn hier?«, flüstere ich ihm zu und versuche, seinen Rattenkopf in den Ranzen zurückzuschieben. Aber Keks ist schneller. Er witscht mir durch die Finger, klettert über den Taschenrand und schon ist er auf dem Weg Richtung Tafel. Unter den Tischen und zwischen den Füßen meiner Klassenkameraden hindurch! Lina kichert leise. Und ich kriege Stress. Denn Keks steuert zielstrebig auf das Lehrerpult zu. Ich weiß, was er da will. Herr Kallenberg hat immer eine Packung Kekse für besondere Situationen in der Schublade. Wenn jemand Geburtstag hat, zum Beispiel. Keks hat sie mit seiner Rattennase natürlich sofort erschnüffelt. Seine Krallen klackern leise auf dem Boden. Jetzt heben sich die ersten Köpfe. Olivia und Anna in der zweiten Reihe haben Keks entdeckt. Und jetzt sehen sie sich um, ob noch jemand von uns Bescheid weiß. Unsere Blicke treffen sich. Ich schüttle langsam den Kopf. Haltet bloß die Klappe, heißt das. Aber Olivia und Anna gehören nicht zu der Sorte Leute, die in wichtigen Augenblicken dichthalten. Wie aus einem Mund kreischen sie los.

»Eine Ratte! Da ist eine Ratte!« Und dann, als wäre ihnen eben erst eingefallen, dass sie Angst vor Ratten haben, springen sie auf und klettern auf ihren Tisch.

»Iiiiiiiiigiiiiiiitt!«, kreischen sie im Chor. Als Nächstes bricht ein irrer Tumult los. Alle wollen die Ratte sehen. Selbst Herr Kallenberg guckt sich neugierig um. Keks scheint sich über die Aufmerksamkeit zu freuen. Er bleibt stehen und schnüffelt. Dann hebt er die Vorderpfoten und piepst. Der Clown. Und er kriegt sogar Applaus. Julian neben mir pfeift auf zwei Fingern. »Yeah, die Ratte macht Männchen!«, ruft er. Keks lässt sich wieder auf alle viere fallen und setzt seinen Weg Richtung Futter fort. Als er beim Schreibtisch angekommen ist, sieht er sich um. Er weiß genau, dass die Kekse in dem Container über ihm sind. Aber wie kommt er da jetzt dran? Einen Moment scheint er zu überlegen. Dann hat er die Lösung. Klar, Ratten sind nicht nur megaschlau, sie können auch super klettern. Und was läge näher, als einfach das Hosenbein von Herrn Kallenberg dafür zu verwenden? Also macht Keks sich an den Aufstieg. Herr Kallenberg erstarrt, als die Rattenkrallen sich durch den Stoff seiner hellbraunen Hose bohren. Und er wird blass. Keks hat sich schon bis zu seinem Knie hochgeangelt. Die anderen aus meiner Klasse kreischen und jubeln abwechselnd. Lina schüttelt sich vor Lachen und Herr Kallenberg schwankt. Er hält sich an der Armlehne seines Stuhls fest. Aber er hat die Rollen darunter vergessen. Herr Kallenberg zappelt mit dem Bein, um Keks loszuwerden – und der Stuhl rollt langsam rückwärts. Keks ist schon auf Herrn Kallenbergs Hüfte angekommen. Jetzt ist es Zeit für ihn, abzuspringen, um auf dem Schreibtisch zu landen. Er macht sich bereit. Nur spielt Herr Kallenberg leider nicht mit. Damit Keks den Sprung schafft, müsste mein Lehrer nämlich absolut stillhalten. Was er nicht tut. Der Stuhl rollt immer weiter nach hinten, und mit ihm verabschiedet sich Herrn Kallenbergs Gleichgewicht endgültig. Eine Sekunde später liegt er auf dem Rücken. Das läuft nicht nach Keks’ Plan. Er rennt den moppeligen Kallenberg-Bauch hinauf und beißt meinen armen Lehrer entrüstet ins Kinn.

»Au!«, ruft der und schlägt nach Keks. Das ist nicht nett, aber gebissen zu werden, hat Herr Kallenberg auch nicht verdient.

Keks kann aber natürlich gar nichts dafür. Der Lärm, den die anderen veranstalten, irritiert ihn total. Es wird Zeit, dass ich was...

Erscheint lt. Verlag 27.7.2022
Illustrationen Hildegard Müller
Zusatzinfo 14 s/w-Abbildungem
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Kinder- / Jugendbuch Kinderbücher bis 11 Jahre
Schlagworte Abenteuer • Abenteuer Rätsel • Amsel • Angst • Baum der Erinnerung • Buchstaben • Empathie • Erinnerung • Familie • Freundschaft • Geheimnis • Geschwister • Mein Freund Salim • Mutproben • Nimmerland • Oktopus • Rätsel • Resilienz • Superheld • Superheldin • Tod • Trauer • Trauerbewältigung • unsichtbare Freundin • Verlust
ISBN-10 3-7336-0401-6 / 3733604016
ISBN-13 978-3-7336-0401-1 / 9783733604011
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