Der Schwur des Drachen (Die sechs Kraniche 2) (eBook)
496 Seiten
Carlsen Verlag Gmbh
978-3-646-93558-5 (ISBN)
Elizabeth Lim wuchs in der Nähe von San Francisco auf und kam schon früh mit Märchen, Mythen und Liedern in Berührung. Nach ihrem Studium an der Juilliard School und am Harvard College arbeitete sie zunächst als Komponistin für Filme und Computerspiele, bevor sie mit dem Schreiben begann. Seither stürmen ihre atmosphärischen Fantasy-Romane die Bestsellerlisten. Heute lebt sie mit ihrem Mann und ihrer Tochter in New York.
Elizabeth Lim wuchs in der Nähe von San Francisco auf und kam schon früh mit Märchen, Mythen und Liedern in Berührung. Nach ihrem Studium an der Juilliard School und am Harvard College arbeitete sie zunächst als Komponistin für Filme und Computerspiele, bevor sie mit dem Schreiben begann. Seither stürmen ihre atmosphärischen Fantasy-Romane die Bestsellerlisten. Heute lebt sie mit ihrem Mann und ihrer Tochter in New York. Birgit Schmitz hat Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft studiert und arbeitete einige Jahre als Dramaturgin. Heute lebt sie als Literaturübersetzerin und Lektorin in Frankfurt am Main.
Kapitel 1
Der Grund der Taijin-See schmeckte nach Salz, Schlick und Enttäuschung. Bis auf ein paar mysteriöse schwache Lichtstrahlen war es dort unten dunkler als im tiefsten Schlund. Das konnte wohl kaum das großartige Wasserreich sein, in dem die Drachen beheimatet sein sollten.
Als Seryu langsamer wurde und seine langen Tasthaare besonders in die Richtung eines der Lichtstrahlen zuckten, setzte ich mich auf seinem Rücken aufrecht hin. Vielleicht hatte ich mir das eingebildet, aber dieser eine Strahl leuchtete heller als die anderen – fast violett.
»Bist du bereit?«, fragte Seryu, der den Kopf zu mir gedreht hatte.
Bereit zu was?, dachte ich, nickte jedoch.
Mit einem schnellen Schlag seines Schwanzes tauchte er durch den violetten Strahl – und alles veränderte sich. Das Wasser wurde azurblau und aus Sandbänken stiegen kupferrote Dunstschwaden auf. Und Licht! Überall war Licht, welches eine unsichtbare Sonne verströmte.
Die wachsende Spannung ließ mein Herz rasen. Ich klammerte mich an Seryus Hörner, während er in derart schnellem Tempo abwärtsschwamm, dass ich beinahe den Mund geöffnet hätte.
Wir sind fast da, Kiki, dachte ich in unserer stummen Sprache, doch sie antwortete nicht. Ein Blick in meinen Ärmel erklärte es: Mein magischer Papiervogel war ohnmächtig geworden.
Ich konnte es Kiki nicht verübeln. Wir bewegten uns mit unglaublicher Geschwindigkeit, und wenn ich versuchte, geradeaus zu schauen, bekam ich hämmernde Kopfschmerzen. Aber ich durfte auf gar keinen Fall ohnmächtig werden. Ich wagte es nicht einmal, die Augen zu schließen.
Ich wollte alles mitbekommen.
Schließlich erreichten wir, klaftertief unter dem Meer der Sterblichen, ein Labyrinth aus leuchtenden Korallenriffs. Seegras wiegte sich in einer unsichtbaren Strömung, weiße Sanddünen und von Goldadern durchzogenes Gestein sprenkelten den Boden, und Baldachine aus ineinander verflochtenen Meeresblumen bildeten die Dächer von Unterwasserhäusern.
Das also war Ai’long, die Heimat der Drachen.
Es war eine Welt, die nur wenige Sterbliche je zu Gesicht bekommen würden. Auf den ersten Blick wirkte sie gar nicht so anders wie das, was ich an Land kannte. Anstelle von Bäumen gab es hier Korallensäulen, manche dünn, manche dick, von denen die meisten spiralförmige, mit Bändern aus Moos geschmückte Äste hatten. Sogar die Fische erinnerten mich an durch die Luft gleitende Vögel, wenn sie ihre spitz zulaufenden Flossen wie Flügel ausbreiteten und durchs Wasser glitten.
Und doch … war das hier anders als alles, was ich je gesehen hatte. Die Bewegung des ständig hin und her wogenden Wassers, das durch Farbblitze und das Gestöber von Fischen offenbar wurde. Die Art, wie das Seegras die vorbeiflitzenden Fische kitzelte, als könnten sie miteinander sprechen.
Seryu grinste, als ich das alles in mich aufnahm. »Ich habe ja gesagt, du wirst überwältigt sein.«
Er hatte natürlich recht, ich war wirklich überwältigt. Andererseits wäre es auch merkwürdig gewesen, wenn Ai’long eine Sterbliche wie mich nicht beeindruckt hätte. Denn schließlich machte genau das seine Gefährlichkeit aus. Das war die Falle.
Ein Ort, der so schön war, dass selbst die Zeit den Atem anhielt.
In jeder Stunde, die du hier verbringst, verlierst du zu Hause einen Tag – wenn nicht mehr, ermahnte ich mich streng. Da würde schnell eine Menge Zeit zusammenkommen, und ich war ohnehin schon so lange von meinem Vater und meinen Brüdern getrennt gewesen, dass ich nicht eine einzige Minute vergeuden wollte.
Los, weiter, signalisierte ich mit einem Tritt in die schlangenförmige, langgezogene Flanke des Drachen.
»Ich bin kein Pferd, nur dass du’s weißt.« Seryu drehte sich mit hochgezogenen grünen Augenbrauen zu mir um. »Warum so still, Shiori? Du hältst doch nicht den Atem an, oder?«
Als ich nicht antwortete, warf er mich ab. Seine Klaue schoss vor und zwickte mich in die Nase.
Ein Strom von Luftblasen kam heraus – die kostbare Luft, die ich sorgsam gehortet hatte. Aber, bei den Göttern, ich konnte atmen! Oder zumindest fühlte es sich so an, als würde ich atmen. Das Wasser schmeckte süß statt salzig – und es war berauschend wie ein schwerer Pflaumenwein, als ich zu tief einatmete.
»Solange du ein Stück von meiner Perle trägst, kannst du unter Wasser atmen«, erklärte Seryu und erinnerte mich damit an den leuchtenden Splitter, den ich mittlerweile an einer Kette um den Hals trug. »Es mag ja nicht länger in deinem Herzen sein, sodass wir uns nicht mehr in Gedanken austauschen können … aber du weißt schon, dass du sprechen kannst, oder?«
»Klar weiß ich das«, log ich.
Um meine Erleichterung zu kaschieren, griff ich nach dem winzigen Bruchstück von Seryus Perle. Selbst so tief unten im Meer leuchtete es wie ein Kügelchen aus Mondlicht.
»Du solltest es besser verbergen«, sagte Seryu. »Man könnte sonst die falschen Schlüsse ziehen.«
»Ich dachte, das wäre nur, damit ich atmen kann. Warum sollten man dann …?«
»Es ist zu kompliziert, das zu erklären«, murmelte der Drache. »Ich hatte vergessen, wie viele Fragen du stellst. Vielleicht hätte ich dich doch besser weiter die Luft anhalten lassen sollen.«
Ich zog die Augenbrauen zusammen. »Du hast ja eine fantastische Laune.«
»Menschen sind in Ai’long nicht gerade gern gesehen«, erwiderte Seryu schmallippig. »Ich denke gerade an die unendlich vielen Arten, wie dein Besuch schiefgehen kann.«
Er war schon den ganzen Tag schlecht drauf, schon seit dem Moment, in dem er an Land gekommen war, um mich abzuholen. Er hatte meine Brüder kaum begrüßt und Takkan sogar ganz ignoriert …
Ich versuchte, ihn aufzuheitern, indem ich ihn neckte: »Werde ich etwa keine lustigen Geschichten zu erzählen haben, wenn ich nach Hause komme? Dabei habe ich doch allen vorgeschwärmt, dass der Prinz der Drachen mir eine große Führung durch sein Königreich gewährt.«
»Je kürzer dein Besuch dauert, desto besser.« Seryus rote Augen blickten zu der Korbtasche, die ich über der Schulter trug. »Du bist hier nicht zum Vergnügen, sondern um meinem Großvater etwas auszuhändigen.«
So viel zu dem Versuch, ihn aufzumuntern. Jetzt war ich auch schlecht gelaunt.
Ich öffnete meine Korbtasche – nur ein kleines Stück weit. Dieses Etwas, das ich aushändigen sollte, war eine zerbrochene Drachenperle. Raikama hatte sie mir vor ihrem Tod überlassen. Die Macht der Perle war so groß, dass ich spürte, wie sie gegen den Zauberbann ankämpfte, der auf der Tasche lag und dafür sorgte, dass die Perle blieb, wo sie war – sicher und vor fremden Blicken verborgen. Kein Wunder, dass Seryus Großvater sie haben wollte.
Doch sie war nicht der einzige Gegenstand in der Tasche. Ich hatte auch mein Netz aus Sternenkraut mitgenommen – als Schutz vor dem Drachenkönig – und das Skizzenbuch, das Takkan mir zum Abschied geschenkt hatte.
»Noch mehr Briefe?«, hatte ich gefragt und das Buch mit beiden Händen entgegengenommen.
»Besser als das«, hatte Takkan versprochen. »Damit du mich nicht vergisst.«
Was konnte besser sein als seine Briefe? Sehnsüchtig blickte ich auf das Skizzenbuch und wünschte mir, mit den Fingerknöcheln über den weichen Rücken fahren und durch die mit Kohlestift gefüllten Seiten blättern zu können. Doch in Seryus Anwesenheit wäre das vermutlich unhöflich gewesen.
Zweifellos war Seryu ebenfalls dieser Meinung, denn er blinzelte mich mit zusammengekniffenen Augen an. »Beim Anschauen der Perle habe ich dich noch nie rot werden sehen.«
»Ihr Licht ist so hell«, sagte ich schnell. »Davon bekomme ich immer ein warmes Gesicht.«
Er lachte verächtlich über diese Lüge. »Wenigstens ist dein menschlicher Gernegroß-Lord uns nicht ins Wasser hinterhergesprungen. Hätte mich nicht gewundert, so wie er dich beim Abschied mit großen Augen angeglotzt hat. Den hätten sich die Haie geschnappt, noch ehe er an den Korallenriffs vorbei gewesen wäre.«
Ich klappte den Korb zu. »Haie, dein Ernst?«
»Großvater beschäftigt ein ganzes Heer von ihnen.« Seryu grinste süffisant. »Sie sind immer hungrig. Wir werden in Kürze einigen von ihnen begegnen.«
Wieder bekam ich Herzklopfen. Waren wir schon so nah an Nazayuns Palast?
Seryu deutete meine Besorgnis falsch, und sein Ton wurde ein wenig lockerer. »Keine Angst – auf ein so mageres Menschlein wie dich haben die Haie keinen Appetit.«
Vielleicht ändern sie ihre Meinung ja noch, dachte ich. Sobald der Drachenkönig herausfand, warum ich wirklich in Ai’long war, konnte ich mich glücklich schätzen, wenn er mir einen so schnellen Tod bescherte.
Nervös glitt ich wieder zu Seryu hin und strampelte dabei heftiger, als nötig gewesen wäre. In Ai’long funktionierte das Schwimmen anders als in gewöhnlichen Gewässern. Hier war das Wasser so leicht wie Luft, und winzige Strömungen unter meinen Füßen trugen mich weiter. Es war fast wie Fliegen.
Entsprechend schoss ich an Seryu vorbei, weil ich mich zu stark bewegt hatte. Wie aus dem Nichts sank eine Wolke aus Quallen auf mich herab.
Es waren mindestens ein Dutzend. Ihre Körper waren leuchtende Schirme und ihre Tentakel tanzten geschmeidig durchs Wasser. Sie näherten sich keck, strichen mir über Arme und Beine und...
Erscheint lt. Verlag | 27.1.2023 |
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Reihe/Serie | Die sechs Kraniche | Die sechs Kraniche |
Übersetzer | Birgit Schmitz |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Jugendbücher ab 12 Jahre |
Schlagworte | All Age Fantasy • Bestseller • Ein Kleid aus Seide und Sternen • Fantasy Abenteuer für junge Erwachsene • Fantasy für Jugendliche • Fantasy Liebesromane • Fantasy Romance • High Fantasy • Japanische Mythologie • jugendbuch mädchen ab 14 • Liebesromane für Junge Erwachsene • NYT-Bestseller • Romance Romantasy Fantasy • Romantasy Bücher für Jugendliche • Romantic Fantasy • Romantic Fantasy Bücher • Young Adult • Young Adult Romance |
ISBN-10 | 3-646-93558-8 / 3646935588 |
ISBN-13 | 978-3-646-93558-5 / 9783646935585 |
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