we fell in love in october (eBook)

Spiegel-Bestseller
Roman über queere Liebe und die Frage, was uns wirklich glücklich macht
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
416 Seiten
Moon Notes (Verlag)
978-3-96981-023-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

we fell in love in october -  Inka Lindberg
Systemvoraussetzungen
9,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
»Das kann doch nicht alles sein im Leben«, sagt sich Lisa, bricht ihre Ausbildung als Bankkauffrau ab und bricht damit auch mit allem, was ihre Eltern und Freund Max sich vorgestellt haben. In einer Spontanaktion bucht sie ein Busticket nach Köln. Dort beginnt ein Abenteuer, in dem sie auf die Tätowiererin Karla trifft, die ihr eine Welt zeigt, die Lisa bis dahin nur aus Filmen kannte. Zwischen Couchsurfing, Partys und existenziellen Lebenskrisen erkundet die junge Frau nicht nur ihre Sexualität, sondern auch die Möglichkeit, dass Träume keine Träume bleiben.

Inka Lindberg hat Anglistik und Vergleichende Literaturwissenschaften studiert und arbeitet heute als Autorin, Moderatorin und Web-Video-Produzentin in Köln.

Inka Lindberg hat Anglistik und Vergleichende Literaturwissenschaften studiert und arbeitet heute als Autorin, Moderatorin und Web-Video-Produzentin in Köln.

Kapitel 1


Ich war mir nicht sicher, wann ich mich das letzte Mal wirklich lebendig gefühlt hatte. Denn lebendig sein und sich lebendig fühlen waren grundsätzlich zwei verschiedene Dinge. Offensichtlich lebte, atmete und bewegte ich mich. Viel bekam ich davon allerdings nicht mit. Mechanisch bewegten sich meine Hände, bedienten den Kopierer und sortierten die Ausdrucke mit routinierten Griffen, während ich mir selbst bei der Arbeit zuschaute. In letzter Zeit sahen die meisten Tage so aus. Mein Körper war anwesend, ich nicht. Wie eine Zuschauerin im Kino nahm ich alles wahr, was geschah, doch es fühlte sich schon lange nicht mehr so an, als wäre ich die Protagonistin.

Seufzend griff ich nach einem Stapel Papiere, tackerte sie zusammen und legte sie meinem Vorgesetzten auf den Schreibtisch.

»Lächle doch mal, Lisa.« Joseph Eckert. Seit meinem ersten Tag in der Bank hatte er keine Möglichkeit versäumt, etwas zu meiner Person zu sagen. Mal meckerte er über meine mangelnde Begeisterung, mal kommentierte er meine Strumpfhosen und ein anderes Mal starrte er einfach nur ungeniert in meinen Ausschnitt. Vermutlich hätte es mich sauer machen sollen. Ein kleiner Funken in mir protestierte jedes Mal, wollte, dass ich gegen diese Unverschämtheit rebellierte. Doch ich ignorierte ihn. Stattdessen zählte ich, aus wie vielen einzelnen Haaren der Schnäuzer des hageren Mittvierzigers bestand. Die Haare, die auf seinem Kopf fehlten, hatten sich alle oberhalb seiner dünnen Lippen versammelt. Sie waren borstig und schimmerten bei Tageslicht rötlich. 13. Weiter kam ich nicht, bis sich das Walross (so nannte ich ihn heimlich) irritiert von mir abwandte. Ich lächelte nicht, ärgerte mich ein wenig darüber, beim Zählen unterbrochen worden zu sein, und ging zurück zu meinem Platz.

Die Bankfiliale beschäftigte neben mir eine weitere Auszubildende. Jenny, die gerade eine ältere Dame mit Rollator verabschiedete, die sie bedient hatte, winkte mir freudestrahlend zu, als sähe sie mich in diesem Moment zum ersten Mal, dabei arbeiteten wir schon seit fast einem Jahr zusammen. Als Hund wäre sie mit Sicherheit ein Golden Retriever. Meine Mundwinkel zuckten leicht, und ich beeilte mich, zu ihr hinter den Schalter zu kommen.

»Mein Gott, die Bergmann war wieder da und hat sich zwanzig Minuten über die mangelnden Zinsen beschwert. Ich weiß gar nicht, wie oft ich mit ihr da noch drüber diskutieren soll. Ich glaube, sie denkt immer noch, dass wir irgendwelche Sonderangebote für besonders exklusive Kunden haben. Sie erzählt mir immer, dass sie den Söder persönlich kennt und mit Herbert Grönemeyer per Du ist. Als ob das irgendwas ändern würde.« Während ihres Redeschwalls gestikulierte Jenny wild und sah mich immer wieder an, wobei ihr Blick gefühlt nie bei mir ankam, sondern irgendwie durch mich hindurchging.

Ich mochte Jenny. Sie erwartete absolut nichts von mir. Das war toll. Es reichte ihr, dass sie mich vollquatschen konnte, und ich hatte den Eindruck, dass sie mich deswegen ebenfalls mochte.

»Meinst du, der Eckert lässt mich morgen bei dem Kundengespräch mit Frau Vogel dabei sein?« Eine Sekunde lang starrte sie mich mit vor Erwartung geweiteten Augen an, dann beantwortete sie sich die Frage selbst. »Wahrscheinlich nicht. Beim letzten Kundengespräch habe ich aus Versehen Kaffee über seine Unterlagen gekippt. Aber immerhin dürfen wir heute Abend wieder allein die Abrechnung machen. Das letzte Mal ist schon so lange her!«

Abrechnungen und Kundengespräche. Die Highlights im Leben einer Azubine. Als mich meine Mutter dazu gedrängt hatte, mich auf diese Ausbildung zu bewerben, hatte es fast wie eine gute Idee geklungen.

»Mach das, was dich glücklich macht, und du musst keinen einzigen Tag deines Lebens arbeiten!«, verkündeten die Ratgeber im Internet, wenn man sich über Karriereoptionen erkundigte. Aber was war, wenn es nichts gab, was mich glücklich machte? Was war, wenn mein größtes Hobby Mittagsschläfchen waren? Temporäres Nichtexistieren – etwas Besseres konnte ich mir nicht vorstellen. Und mir fiel kein Job ein, bei dem man fürs Schlafen bezahlt wurde.

War dann »ein sicherer Job bei der Bank«, wie meine Mutter ihn anpries, nicht eine existenzsichernde Option? Wie sich herausstellte, wohl eher nicht. Jedes Mal, wenn ich Eckerts muffigen Kaffeeatem riechen musste, starb ein weiterer Teil von mir. Ich kapselte mich über die letzten Monate mehr und mehr von mir selbst ab, wodurch ich meine negativen Gefühle besser ignorieren konnte, mir allerdings auch immer mehr Fehler passierten.

Frau Bergmann wollte nie mit mir über Zinsen diskutieren, sondern wartete immer auf Jenny, weil sie meine Wortkargheit als fehlende Fachkompetenz interpretierte. Aber hey, irgendwie lag sie damit auch richtig.

Bei der Abrechnung am Abend, bei der der Ein- und Ausgang sämtlichen Bargeldes gezählt wurde, waren mir schon mehrfach Rechenfehler passiert, und einmal wurde ich dabei erwischt, wie ich eine wartende Dame am Schalter ignorierte, obwohl sie mehrfach versuchte, meine Aufmerksamkeit zu erlangen. Ich hatte sie schlicht und ergreifend nicht wahrgenommen, weil ich in dem Moment geistig nicht anwesend gewesen war. Wie so oft. Ein bisschen so, als hätte mich meine Banking-App automatisch ausgeloggt, weil zu viel Zeit vergangen war.

»Du bufferst schon wieder«, sagte Jenny jedes Mal, wenn sie mich dabei erwischte, wie ich in meine eigene Welt abtauchte. Statt einer schlechten Internetverbindung hatte ich eine schlechte Verbindung zu mir selbst.

 

Zuschauerin des eigenen Lebens zu sein, hatte durchaus seine Vorteile, wenn es nicht gerade dazu führte, dass ich vergaß, meinem Job nachzugehen. Oft verging die Zeit dadurch wie im Flug. Es konnte auch ein wenig beängstigend sein, weil ich dadurch manchmal (sehr zur Irritation meiner Mutter) nicht mehr sagen konnte, was ich den ganzen Tag getan hatte. Es war, als löschte die Frage nach meinem Tag sämtliche Erinnerungen von der Festplatte meines Hirns. Praktisch war es wiederum, wenn ich auf die Uhr sah und es plötzlich schon Zeit war, die Bank zu schließen.

Das Walross hatte bereits die Eingangstür so verriegelt, dass man von draußen nicht mehr reinkam, die meisten Kollegen hatten sich verabschiedet, und Jenny und ich standen vor dem kleinen Drucker, der sämtliche Buchungsbelege des Tages ausspuckte. Es handelte sich um einen sogenannten »Vier-Augen-Fall« und war wahrscheinlich der einzige Moment am Tag, an dem ich wirklich aufmerksam war.

Ich beobachtete unablässig, wie die Belege Stück für Stück aus dem Ausgabefach geschoben wurden, und fing an zu schwitzen. Das Gerät, das ein wenig an die Dinger in Arztpraxen erinnerte, mit denen Rezepte bedruckt wurden, ratterte in aller Seelenruhe vor sich hin, während Jenny und ich darauf warteten, dass der Kassenabschluss und das Hauptkonto übereinstimmten. In letzter Zeit war es öfter zu Ungereimtheiten gekommen, und das, was sich in der Kasse befand, war weniger, als es hätte sein sollen.

Joseph Eckert hatte sich jedes Mal furchtbar aufgeplustert und war vor uns beiden wie eine aufgescheuchte Taube auf und ab gewandert, bis wir den Fehler gefunden hatten. Als einmal auch nach mehrfachem Nachzählen noch 80 € gefehlt hatten, wurden wir tagelang nur noch für die nervigsten Aufgaben eingeteilt. Ich war mir ziemlich sicher, dass ich bis dato noch nie so viel Kaffee an einem Tag zubereitet hatte.

Jenny krallte ihre langen Fingernägel in meinen Arm. Ich spürte es kaum. »151,23 € fehlen.« Auf ihrer sonst so makellosen Haut bildete sich eine steile Falte. Die Unbekümmertheit, die sie sonst auszeichnete, war wie weggeblasen. »Verdammte Axt.« Sie blätterte fieberhaft durch die Belege und suchte nach einer Erklärung für eine solch hohe Differenz. Ich sah ihr zu und sagte nichts. Stattdessen konzentrierte ich mich auf das Kribbeln, das in meinen Fingerspitzen begann und sich langsam in meinem gesamten Körper ausbreitete. Wir waren geliefert, nur weil uns ein paar spezielle Papierfetzen fehlten, von denen die Menschheit beschlossen hatte, dass sie viel wert waren.

Ein Kichern sprudelte aus mir hervor wie bei einem Topf, der überkochte. Mein plötzlicher Stimmungswechsel kam so unerwartet, dass selbst Jenny kurz innehielt, von ihren veralteten Flüchen absah und mich befremdet musterte. Ich nahm das Kleingeld, kippte es erneut in die Zählmaschine und kämpfte gegen ein manisches Gelächter an, während mich das Walross aus der Ferne anstarrte. Er war in ein Gespräch mit einem der Sicherheitsleute verwickelt und betrachtete mich über die Schulter seines Gegenübers. Manchmal hakte der Mechanismus des Geräts, weshalb der Kassenabschluss sich um einige Cents, manchmal auch um einen oder zwei Euro verkalkulierte. Über 150 € würden dadurch jedoch nicht aus dem Nichts erscheinen. Das wusste ich. Und Jenny wusste es ebenso. Trotzdem fixierten wir das Gerät, als vollbrächte es das achte Weltwunder.

»Himmel, Herrgott, noch mal.« Jenny pfefferte die Buchungsbelege auf den Schreibtisch. Zweiter Versuch, selbes Ergebnis. Mist.

Obwohl spätestens jetzt eigentlich klar war, dass sich daran auch nichts mehr ändern würde, kippte Jenny das Geld noch ein drittes Mal in die Maschine.

Als ich die neuen Ausdrucke entnehmen wollte, stieg der Geruch von Kaffee und Zigaretten in meine Nase, und ich hielt inne. Es war nicht nötig, mich umzudrehen, um mich zu vergewissern, dass sich der werte Herr Joseph Eckert zu uns gesellt hatte, um nach dem Rechten zu sehen.

Gänsehaut breitete sich auf meinen Armen aus. Das Walross kannte so etwas wie persönliche Distanzzonen nicht und atmete mir regelmäßig in den...

Erscheint lt. Verlag 2.9.2022
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Kinder- / Jugendbuch Jugendbücher ab 12 Jahre
Schlagworte ab 16 • Abenteuer • Ausbildung • Bankkauffrau • bisexuelle Charakter • bisexuelle Charaktere • Booktok • Coming-of-age • Freundschaft • gay lovestory • gay romance • I fell in Love with this Journal • Jugendbuch • Köln • Leben • lesbische Liebesgeschichte • lgbtqi+ • Liebe • Mit dir falle ich • New Adult • Orientierung • Party • Romance • Sexualität • Spiegel-Bestseller-Autorin • Tattoos • Träume
ISBN-10 3-96981-023-X / 396981023X
ISBN-13 978-3-96981-023-1 / 9783969810231
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 1,5 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich