Schon okay - Antje Lampe

Schon okay

(Autor)

Buch | Softcover
230 Seiten
2021 | 1. Erstauflage
PROOF Verlag Erfurt
978-3-949178-20-7 (ISBN)
14,90 inkl. MwSt

Juli macht nächstes Jahr Abitur und das ist, seid ihr Schwester ausgezogen ist der einzige Lichtblick in ihrem Leben: denn Abitur machen heißt verschwinden. Weg aus diesem Ort, in dem wirklich gar nichts mehr geht. Kein Bus, kein Spaß und vor allem kein Konrad. Besonders kein Konrad. Alles macht Juli traurig. Nicht denken an Konrad und denken an Konrad, Fahrrad fahren in der Langeweile von Klein Granitzow, am See mit Lara und Timo sitzen, nicht mal die Partys in Berlin können sie aufheitern. Es muss etwas passieren; sie muss hier endlich raus. Nach Amsterdam, dort verspricht alles mehr als nur schon okay zu sein.

Antje Lampe. Jahrgang 1989, geboren und aufgewachsen im brandenburgischen Grenzgebiet, ist inzwischen Erfurterin aus Gelegenheit. Als Gründungsmitglied der Aktionsgruppe Eskapismus schreibt und liest sie in guter Gesellschaft. „Schon okay“ ist ihr Debütroman.

Leseprobe: Schon okay Im Radio lief „Copacabana“ und Juli rüttelte am Griff der Autotür. Mit ihrem ganzen Körper lehnte sie sich dagegen, drückte mit den Füßen gegen den Boden, um eine größere Wucht zu erzeugen. Es gab keine Wucht. Die Tür gab nicht nach. Dann drehte sie sich zur anderen Seite und streckte den Arm bis zum Griff aus. Zog daran. Auch die Beifahrertür bewegte sich nicht. Juli schloss die Augen und überlegte, wie lange sie in einem verschlossenen Auto sitzen bleiben könnte. Würde ihr irgendwann der Sauerstoff ausgehen? Wie funktionierte so etwas eigentlich? Und warum hatte sie in der Schule nie etwas darüber gehört, wie viel Zeit man hatte, wenn man sich aus einem verriegelten Auto befreien musste? Unsinn war das und das wusste sie auch. Viel eher würde sie hier wahnsinnig werden, in den wenigen Kubikmetern. Sich einbilden, dass die Decke auf sie zu rückt und ihr immer weniger Platz bleiben würde. Sie kletterte auf den Rücksitz und probierte auch dort beide Türen aus, hauptsächlich, um alles versucht zu haben. Damit sie das sagen könnte, wenn sie jemand fragte: „Hast du dir überhaupt richtig Mühe gegeben?“ Natürlich, sie hatte alles versucht. Mit den Fäusten trommelte sie gegen die Scheibe, dabei wusste sie, dass niemand sie hören würde. Alle waren im Haus – die Eltern an ihren Laptops, Mine unter großen Kopfhörern auf dem Sofa. Die Nachbarn waren damit beschäftigt, den Rasen zu gießen oder zu mähen, einen alten Motor zu reparieren oder ein aufwendiges Abendessen nach einem Rezept aus der Fernsehzeitung zu kochen. Juli lehnte ihren Kopf gegen die Fensterscheibe. „Nicht so wild“, sagte sie zu sich. Das sagte sie gern, wenn sie versuchte, sich zu beruhigen. Etwas gegen die eigenen Bilder zu halten. Nicht so wild wie ein Orkan. Nicht so wild wie ein Wolfsrudel. Nicht so wild wie ein Fuchsteufel, was auch immer das war. Als Kind hätte sie nicht gedacht, dass sie dem einmal etwas entgegen setzen müsste. Sie ließ sich auf den Rücksitz gleiten, nahm die Füße auf das Polster und sah mit angewinkelten Beinen durch das Fenster. Man musste nur abwarten, hatte ihr Vater gesagt. Wenn so etwas passierte, musste man einfach nur abwarten. Altes Auto, das hatte nun mal ein paar Macken. Kein Grund zur Panik. There was blood and a single gun shot. But just who shot who? Copacabana, das wär’s. Oder Neuseeland. Draußen verfärbte sich der Himmel grau. Es gab keinen Strand, kein Meer, keine Berge. Das hier war Brandenburg und Juli Winter saß fest. Müsste sie bleiben, hier auf dem Rücksitz, ohne gute Aussichten und mit einem Radio, das auch weiterlief, nachdem der Motor abgestellt war. Müsste sie bleiben, wäre sie zumindest verschont von den ewigen Fragen. Ob es ihr besser ging oder ob sie keinen Spaß hatte? Was sie jetzt machen wollte? Ob sie geschlafen hatte? Warum sie keine Bratwurst essen wollte, auch wenn der Vater sie dafür eingerechnet hatte? Ob sie es überhaupt probiert hätte? Ob sie sich Mühe gegeben hätte? Ob und ob und ob. Ein Knacken verriet ihr, dass sich die Türen wieder öffnen ließen. Die Zentralverriegelung war aufgesprungen. Man musste nur abwarten. Juli blieb noch für einen Moment liegen, bevor sie sich vom Rücksitz aufsammelte, die Tür aufmachte und über Pflastersteine ins Haus hinein ging. Vorbei an dem Zaun, den die Eltern für den Sommer aufgestellt hatten. „Wo warst du denn so lange?“, fragte Julis Mutter über den Rand ihres Laptops hinweg. „Im Auto. Es ist wieder zugegangen.“ Mine drehte sich zu ihr um, hob dabei die Kopfhörer ein Stück von den Ohren weg. „Bei mir hat das Auto so was nie gemacht.“ „Hast du versucht, es neu zu starten?“ „Hast du alle Türen probiert?“, mischte sich ihr Vater ein. „Hast du es auch wirklich versucht?“ Wie stellten die sich das wohl vor? Dass Juli einfach im Wagen sitzen blieb und sich ergab, obwohl sie durch eine der Türen noch aussteigen konnte? Dass sie nicht richtig hinsah? Dass sie nicht verstanden hatte, wie sie mit den Makeln des alten Autos umgehen musste, als der Vater es ihr erklärt hatte? Dass sie alles vergessen hatte? „Natürlich“, sagte Juli, darum bemüht, die aufsteigende Wut in Zaum zu halten. Kein Wolfsrudel, kein Fuchsteufel. „Ich hab alles versucht.“ Der Vater seufzte, nickte, machte die Lippen schmal. „Na es hat ja geklappt“, sagte er. (…) Nachts schlich sie durch die Straßen von Klein Granitzow. „So schlimm ist es nicht“, wiederholte Juli zu sich selbst, mit den Händen in den Hosentaschen. Die paar Zweifel, das bisschen Traurigkeit. Das war doch nichts. Das hier war doch nichts. Vor dem alten Laden blieb sie stehen. Das Schild hing noch immer im Fenster, niemand wollte das Geschäft kaufen. Juli ging an die Scheiben heran, schirmte mit den Händen ihre Augen vom Licht der Straßenlaterne gegenüber ab und sah durch das Glas. Der Laden war leer bis auf einen Tresen und eine Reihe von Regalen. Juli hatte eine blasse Erinnerung daran, wie sie hier mit ihrer Mutter einkaufen war, als sie noch nicht über den Tresen blicken konnte. Sie hatten nur eine Kleinigkeit kaufen wollen, etwas, das sie in Rienkewitz vergessen hatten. Die Verkäuferin, eine dicke Frau mit Locken, schenkte Juli ein Gummitier, einen Hai, glaubte sie. Aber sie war sich nicht sicher, ob das wirklich so gewesen war. Wie lange der Laden leer stand, wusste sie nicht. Was sie wusste, war, dass in all den Jahren niemand die Scheiben eingeschlagen hatte. So etwas geschah in Klein Granitzow nicht. Sie trat einen Schritt zurück und sah sich um. Suchte den Boden nach etwas Passendem ab. Juli hob einen Stein auf, der groß genug war und angenehm schwer in ihrer Hand lag. Dann warf sie mit aller Wucht. Das Geräusch, mit dem das Glas zerbrach, nahm sie mit nach Hause, als sie, ohne sich zu verstecken, zurückging. Ihr Puls lief schneller als ihre Füße. Für einen Moment, gleich nach dem Bruch, war sie zufrieden gewesen.

Erscheinungsdatum
Sprache deutsch
Maße 146 x 201 mm
Themenwelt Kinder- / Jugendbuch
Schulbuch / Wörterbuch Unterrichtsvorbereitung Sekundarstufe II
Schlagworte Coming-of-age • Depressionen • Erwachsenwerden • Freundschaft • Frust • Liebeskummer • Melancholie • Wut
ISBN-10 3-949178-20-1 / 3949178201
ISBN-13 978-3-949178-20-7 / 9783949178207
Zustand Neuware
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
Mehr entdecken
aus dem Bereich
Musik erleben, reflektieren, interpretieren

von Wieland Schmid; Ursel Lindner

Buch | Hardcover (2024)
Helbling Verlag
29,50