Die Beschenkte (Die sieben Königreiche 1) (eBook)
496 Seiten
Carlsen Verlag Gmbh
978-3-646-93685-8 (ISBN)
Kristin Cashore studierte am Center for the Study of Children's Literature in Boston. Ihre Bücher »Die Beschenkte«, »Die Flammende«, »Die Königliche« und »Die Wahrhaftige« schafften sofort den Sprung auf die New-York-Times-Bestsellerliste und wurden vielfach ausgezeichnet.
Kristin Cashore studierte am Center for the Study of Children's Literature in Boston. Ihre Bücher »Die Beschenkte«, »Die Flammende«, »Die Königliche« und »Die Wahrhaftige« schafften sofort den Sprung auf die New-York-Times-Bestsellerliste und wurden vielfach ausgezeichnet. Irmela Brender war als Journalistin für Presse und Rundfunk sowie als Lektorin in einem Jugendbuchverlag tätig. Ab 1970 arbeitete sie als freie Schriftstellerin und verfasste Romane, Erzählungen und Gedichte für Kinder und Jugendliche. Daneben war sie Übersetzerin erzählerischer Werke aus dem Englischen.
1
In diesen Verliesen herrschte vollkommene Finsternis, doch Katsa hatte einen Grundriss im Kopf. Bis jetzt hatte er genau gestimmt, so wie sie es von Olls Karten und Plänen gewohnt war. Katsa strich mit der Hand die kalten Mauern entlang und zählte im Vorbeigehen Türen und Gänge. Sie bog um die Ecke, wenn es Zeit dafür war, und blieb schließlich vor einer Maueröffnung stehen, in der eine Treppe nach unten führen sollte. Sie kauerte sich nieder und tastete sich mit den Händen vor, berührte eine Steinstufe, feucht und glatt, von Moos überzogen, und eine weitere rutschige Stufe darunter. Das also war Olls Treppe. Sie hoffte nur, Oll und Giddon, die ihr mit den Fackeln folgten, würden das schleimige Moos sehen, vorsichtig sein und die Toten in diesen Verliesen nicht durch einen Sturz auf der Treppe wecken.
Katsa glitt die Treppe hinunter. Eine Abzweigung nach links und zwei nach rechts. Sie hörte bereits Stimmen, als sie in einen Gang kam, in dem eine Fackel in der Halterung an der Wand flackerndes orangefarbenes Licht in die Dunkelheit warf. Gegenüber der Fackel öffnete sich ein weiterer Gang. Und in diesem Gang würden nach Olls Bericht zwei bis zehn Wachen vor einer bestimmten Zelle am Ende des Korridors stehen.
Diese Wachen waren Katsas Aufgabe. Ihretwegen war sie vorausgeschickt worden.
Katsa schlich auf das Licht und das Gelächter zu. Sie könnte anhalten und horchen, um eine genauere Vorstellung zu bekommen, wie vielen Männern sie gegenüberstehen würde, doch ihr blieb keine Zeit. Sie zog ihre Kapuze tief herunter und bog um die Ecke.
Fast wäre sie über ihre ersten vier Opfer gestolpert, die einander auf dem Boden gegenübersaßen und sich mit dem Rücken an die Wand lehnten. In der Luft lag der Gestank irgendeines hochprozentigen Getränks, das sie mit heruntergebracht hatten, um sich die Wachzeit zu vertreiben. Katsa trat und schlug auf Schläfen und Nacken, und die vier waren zusammengesackt, bevor sich die Überraschung in ihren Augen spiegelte.
Jetzt saß nur noch ein Wachmann vor dem Zellengitter am Ende des Gangs. Hastig stand er auf und zog sein Schwert aus der Scheide. Während sie auf ihn zuging, war sie sicher, dass er ihr Gesicht und vor allem ihre Augen wegen der Fackel hinter ihr nicht erkennen konnte. Sie taxierte seine Größe, seine Bewegungen, die Kraft des Arms, der ihr das Schwert entgegenhielt.
»Bleib stehen. Ich weiß, wer du bist.« Seine Stimme klang gelassen. Er war tapfer, dieser Mann. Warnend durchschnitt er die Luft mit seinem Schwert. »Du machst mir keine Angst.«
Er griff an. Sie duckte sich unter seiner Schwertklinge und schwang die Beine wie Windmühlenflügel. Ein Fuß traf seine Schläfe und der Mann fiel zu Boden.
Sie stieg über ihn, lief zum Gitter und spähte in die dunkle Zelle. Eine Gestalt kauerte an der hinteren Wand, ein Mensch, der zu müde oder zu durchfroren war, um sich für den Kampf im Korridor zu interessieren. Er hatte die Arme um seine Knie geschlungen und den Kopf dazwischengesteckt. Er schauderte – Katsa konnte seinen Atem hören. Sie bewegte sich und das Licht fiel auf seine gekrümmte Gestalt. Sein Haar war weiß und kurz geschoren, und sie bemerkte den Goldschimmer an seinem Ohr. Olls Karten hatten ihren Zweck erfüllt, dieser Mann war ein Lienid. Er war der, den sie suchten.
Sie zog am Türriegel. Verschlossen. Nun, das war keine Überraschung, und es war nicht ihr Problem. Sie pfiff einmal, leise, wie eine Eule. Dann streckte sie den tapferen Wachmann auf dem Rücken aus und warf ihm eine ihrer Pillen in den Mund. Sie lief durch den Korridor, drehte die vier Unglücklichen nebeneinander auf den Rücken und gab auch ihnen je eine Pille. Gerade als sie sich fragte, ob Oll und Giddon sich im Kerker verirrt hatten, kamen sie um die Ecke und schlüpften an ihr vorbei.
»Eine Viertelstunde, nicht mehr«, sagte sie.
»Eine Viertelstunde, My Lady.« Olls Stimme klang wie Knurren. »Seien Sie vorsichtig.«
Ihr Fackellicht ergoss sich über die Wände, als sie sich der Zelle näherten. Der Lienid stöhnte und schlang die Arme enger um sich. Katsa sah, dass seine Kleidung zerrissen und beschmutzt war. Sie hörte, wie die Dietriche an Giddons Ring klimpernd aneinanderschlugen. Gern hätte sie gewartet und gesehen, wie sie die Tür öffneten, doch sie wurde anderswo gebraucht. Sie schob ihr Pillenpäckchen in den Ärmel und lief los.
Die Wachmänner vor der Zelle hatten der Kerkerwache Bericht zu erstatten und die Kerkerwache der Unterwache. Die Unterwache hatte die Schlosswache zu informieren. Die Nachtwache, die königliche Wache, die Mauerwache und die Gartenwache erstatteten ebenfalls der Schlosswache Bericht. Sobald ein Wachmann die Abwesenheit eines anderen Wachmanns bemerkte, würde Alarm geschlagen werden, und wenn Katsa und ihre Männer sich dann noch nicht weit genug entfernt hätten, wären sie alle verloren. Sie würden verfolgt, es würde zu Blutvergießen kommen, man würde Katsas Augen sehen und sie erkennen. Deshalb musste sie alle ausschalten, jeden einzelnen Wachmann. Oll hatte angenommen, es würden zwanzig sein. Prinz Raffin hatte ihr dreißig Pillen mitgegeben, für alle Fälle.
Die meisten Wachmänner machten ihr keine Schwierigkeiten. Wenn sie sich anschleichen konnte oder wenn sie in kleinen Gruppen beieinanderstanden, wussten sie gar nicht, wie ihnen geschah. Die Schlosswache war ein wenig komplizierter, weil fünf Wachmänner das Büro ihres Hauptmanns bewachten. Katsa wirbelte durch sie hindurch, trat und schlug, und der Hauptmann sprang hinter seinem Schreibtisch auf, stürzte durch die Tür und lief ins Getümmel.
»Ich erkenne einen Beschenkten, wenn ich ihn sehe!« Er stach mit seinem Schwert zu und sie rollte zur Seite. »Lass mich die Farbe deiner Augen sehen, Junge. Ich schneide sie dir heraus, das kannst du mir glauben!«
Mit einem gewissen Vergnügen schlug Katsa ihm den Griff ihres Messers auf den Kopf, packte ihn an den Haaren und zog ihn auf den Rücken. Dann warf sie ihm eine Pille auf die Zunge. Wenn sie mit Kopfweh und voller Scham aufwachten, würden sie alle sagen, der Schuldige sei ein Beschenkter gewesen, beschenkt mit der Gabe des Kämpfens, und er sei allein gewesen. Sie würden sie für einen Jungen halten, weil sie in ihren schlichten Hosen und dem Kapuzenhemd so aussah und weil bei einem Überfall nie jemand auf den Gedanken kam, ein Mädchen könne die Angreiferin gewesen sein. Und keiner von ihnen hatte Oll oder Giddon zu Gesicht bekommen, dafür hatte sie gesorgt.
Auf sie würde niemand kommen. Wer die beschenkte Lady Katsa auch immer sein mochte, eine Verbrecherin, die um Mitternacht verkleidet durch dunkle Höfe schlich, war sie nicht. Außerdem war sie doch im Osten unterwegs. Ihr Onkel Randa, König der Middluns, hatte sie heute Morgen verabschiedet, die ganze Stadt hatte zugeschaut und gesehen, dass Hauptmann Oll und Giddon, Randas Adjutant, sie begleiteten. Nur ein sehr schneller Tagesritt in die falsche Richtung hätte sie in den Süden an König Murgons Hof bringen können.
Katsa lief durch den Schlosshof, an Beeten, Springbrunnen und Marmorstatuen von König Murgon vorbei. Für einen so unsympathischen König war es eigentlich ein schöner Schlosshof, es roch nach Gras und fruchtbarer Erde, dazu kam der süße Duft taufeuchter Blumen. Sie rannte durch Murgons Apfelgarten und hinterließ eine Spur aus bewusstlosen Wachleuten. Bewusstlos, nicht tot, ein wichtiger Unterschied. Oll und Giddon sowie die meisten vom geheimen Rat hatten gewollt, dass sie tötete. Doch bei der Besprechung, in der sie diesen Auftrag planten, hatte sie zu bedenken gegeben, dass sie dadurch keine Zeit gewinnen würde.
»Und wenn sie aufwachen?«, hatte Giddon gesagt.
Prinz Raffin fühlte sich angegriffen. »Du hast kein Vertrauen zu meinen Medikamenten! Sie werden nicht vorzeitig aufwachen.«
»Töten wäre schneller«, hatte Giddon gesagt und Katsa mit seinen braunen Augen eindringlich angeschaut. Die Köpfe in dem dämmrigen Raum hatten genickt.
»Ich schaffe es in der vorgesehenen Zeit«, hatte Katsa gesagt, und als Giddon widersprechen wollte, hob sie die Hand. »Genug. Ich werde sie nicht töten. Wenn ihr wollt, dass sie getötet werden, müsst ihr jemand anders schicken.«
Oll hatte gelächelt und dem jungen Adjutanten auf den Rücken geklopft. »Stell dir nur vor, Giddon, wie viel mehr Spaß es machen wird. Der perfekte Raub an allen Wachleuten Murgons vorbei, und noch nicht mal Verletzte? Das ist doch ein tolles Spiel.«
Im Raum war großes Gelächter ausgebrochen, doch Katsa hatte noch nicht einmal gelächelt. Sie würde nicht töten, wenn es nicht sein musste. Einen Mord konnte man nicht wieder rückgängig machen, und sie hatte genug getötet. Meistens für ihren Onkel. König Randa hielt sie für nützlich; er fand es sparsamer, statt einer Armee eine einzige Gesandte zu schicken, wenn es an den Grenzen Ärger gab. Aber sie hatte auch für den Rat getötet, wenn es nicht vermieden werden konnte. Diesmal war es zu vermeiden.
Am anderen Ende des Obstgartens traf sie auf einen Wachmann, der alt war, vielleicht so alt wie der Lienid. Er stand in einem Gehölz einjähriger Bäume und stützte sich auf sein Schwert, sein Rücken war rund und gebeugt. Sie schlich hinter ihn und blieb stehen. Ein Zittern schüttelte seine Hände auf dem Schwertgriff.
Katsa hielt nicht viel von einem König, der seine Wachleute nicht fürsorglich in den Ruhestand schickte, bevor sie zu alt waren, um ruhig ein Schwert zu führen.
Doch wenn sie diesen Alten unversehrt ließ, würde er die anderen finden, die sie niedergestreckt hatte, und Alarm schlagen. Sie traf ihn einmal kräftig am Hinterkopf und er sank...
Erscheint lt. Verlag | 29.6.2022 |
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Reihe/Serie | Die sieben Königreiche | Die sieben Königreiche |
Übersetzer | Irmela Brender |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Jugendbücher ab 12 Jahre |
Schlagworte | die besten Romantasy Jugendromane • Fantasy Buchreihe • Fantasy für Jugendliche • Fantasy für Mädchen ab 14 • Fantasy Liebesromane deutsch • Geschenk für Mädchen ab 14 • High Fantasy Bücher • Liebesromane deutsch • Liebesromane für Junge Erwachsene • liebesromane kindle deutsch • romance deutsch • Romance Romantasy Fantasy • romantasy ab 14 • Romantasy Jugendbücher • Romantic Fantasy • Romantische Bücher • romantischer Fantasy Liebesroman • starke frauen romane |
ISBN-10 | 3-646-93685-1 / 3646936851 |
ISBN-13 | 978-3-646-93685-8 / 9783646936858 |
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