Shi Yu (eBook)

Die Unbezwingbare | Ein Piraten-Abenteuerroman
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2022 | 1. Auflage
512 Seiten
Thienemann Verlag GmbH
978-3-522-62194-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Shi Yu -  Davide Morosinotto
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Meisterhaft erzählter Martial-Arts-Roman über den Aufstieg einer jungen Frau vom Waisenkind zur Befehlshaberin der größten Flotte Chinas. Für Jugendliche ab 13 Jahren. Fliegende Klinge wird sie genannt. Schwerelos fliegt sie durch die Luft und gleitet über das Wasser. Shi Yu ist eine Meisterin der Kampfkunst. Ohne den Wushu der Luft und des Wassers hätte sie nicht überlebt, als sie von Piraten entführt wurde. Noch ahnt sie nicht, dass sie die größte Piratin der chinesischen Meere werden soll und dass es nur einen Mann gibt, der es an Geschicklichkeit mit ihr aufnehmen kann: der gefährliche Eunuchenfürst Cao Feng.

Davide Morosinotto wurde 1980 in Norditalien geboren. Bereits mit 17 Jahren schrieb er seine erste Kurzgeschichte. Seitdem hat er über 30 Kinder- und Jugendbücher veröffentlicht. Sein Kinderbuch 'Die Mississippi-Bande' wurde für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert. Für sein Jugendbuch 'Shi Yu' wurde er mit dem 'Premio Strega', dem wichtigsten Literaturpreis Italiens ausgezeichnet. Davide Morosinotto lebt als Autor, Journalist und Übersetzer in Bologna. 

Seit jenem Abend, als es Bai Bai nicht mehr gelungen war, Yu auszupeitschen, herrschte zwischen ihnen so etwas wie ein Waffenstillstand. Sie taten, als sähen sie einander nicht, und sie sprachen nur dann miteinander, wenn es sich nicht umgehen ließ.

Yu wusste, dass der Wirt sie am liebsten umgebracht hätte, wenn er nur gekonnt hätte. Doch sie machte ihre Arbeit gut, die Gäste mochten sie, und Jia, die alte Köchin, war nicht jünger geworden. Ohne Yus Hilfe war sie nicht mehr in der Lage, für die Gäste zu kochen.

»Eines Tages finde ich eine andere Köchin«, knurrte Bai Bai, »und dann werde ich euch beide …«

Yu ließ ihn reden. Sollte er vor sich hin schimpfen, wenn ihm das Spaß machte.

Eines Nachts, um die vierte Wache herum, als es Zeit zum Schließen war, kam der Wirt in die Küche gerannt und verkündete: »Gerade ist eine ganze Schiffsbesatzung eingetroffen. Zwanzig Matrosen, die alle essen wollen.«

»So spät?«, brummelte die alte Jia. »Wurden die Laternen nicht schon längst gelöscht?«

»Die Laternen sind mir egal. Es sind zwanzig Mann und sie haben Silberbarren und Münzketten dabei. Sie scheinen so reich wie Fürsten zu sein …«

»Ja, klar, Fürsten«, höhnte die Köchin. »Bestenfalls sind das Piraten.«

»Auch das ist mir egal. Sie bezahlen und ich bringe ihnen etwas zu essen. Macht schnell vier oder fünf Krüge Reiswein warm.«

Yu war todmüde. Sie hatte seit dem frühen Morgen in der Gastwirtschaft gearbeitet und den ganzen Nachmittag trainiert (und zwar allein, denn seit jenem hässlichen Wortwechsel mit Wei hatte sie den Jungen nicht mehr wiedergesehen). Anschließend hatte sie das Abendessen größtenteils selbst gekocht und serviert. Zusammen mit Jia hatte sie gerade mit dem Aufräumen und Putzen begonnen und nun sollten sie die Kochfeuer wieder entzünden. Zum Glück war noch etwas von der Haifischflossensuppe, der Spezialität des Hauses, übrig. Es gab auch noch Schweinezunge in Hoisin-Soße und gedämpfte Krebse.

»Was soll das sein?«, protestierte Bai Bai, als er das Tablett abholte. »Ich habe doch gesagt, dass sie Hunger haben. Zwanzig ausgewachsene Matrosen! Dieses bisschen Zeug reicht nicht mal für einen hohlen Zahn!«

Also setzte Yu Reis auf und briet frittierte Schweinefleischbällchen mit Ingwer. In den leeren Topf der Hoisin-Soße goss sie Wasser und garte darin die Eiernudeln.

»Sie haben Durst, sie haben Durst!«, schrie Bai Bai.

Yu wärmte den Reiswein an, filterte ihn und goss ihn in die Krüge. Weil der Wirt nicht alles allein tragen konnte, folgte Yu ihm mit einem zweiten Tablett.

Aus dem Gastraum klangen Rufe und Gelächter herüber. Die Schiffsbesatzung hatte drei Tische in Beschlag genommen und schien sehr gut gelaunt zu sein.

Yu hatte in ihrem kurzen Leben schon viele seltsame Menschen gesehen, aber eine derartige Ansammlung von beunruhigenden Gestalten hatte sie noch nie erlebt. Die Männer wirkten derartig verwildert, dass man sich fragte, wer wohl auf die Idee gekommen war, sie auf eine Stadt loszulassen. Das waren keine harmlosen Matrosen, dachte Yu, das mussten Piraten sein.

Einer, ein wahrer Riese, trug als einziges Kleidungsstück – wenn man es denn so nennen wollte – eine lange Eisenkette. Es handelte sich um eine Ankerkette, die er sich um den Körper gewickelt hatte, sodass es aussah, als hielte ihn eine eiserne Riesenschlange umklammert. Einen anderen dagegen fand Yu wunderschön. Er hatte sich den Kopf kahl rasiert und Kopf und Gesicht vollständig blau angemalt, vielleicht um die Tätowierungen zu verbergen, die in China alle Sträflinge erhielten. Auch gab es einen kleinwüchsigen Mann, der sich zwei Hämmer über den Rücken gehängt hatte, die genauso lang waren, wie er groß war.

Keiner der Seeleute trug die vorgeschriebene Mandschu-Haartracht. Stattdessen besaßen sie fantasievolle Frisuren, Unmengen von Tätowierungen und goldene Ohrringe. Und genau wie Bai Bai gesagt hatte, trugen viele von ihnen Ketten aus aufgefädelten Münzen um den Hals. Mit anderen Worten: Sie waren steinreich.

»Oh, was für ein schönes Mädchen!«, rief einer der Männer, als er Yu aus der Küche kommen sah. »Wo hattest du die denn versteckt, Wirt?«

»Wenn sie dir gefällt, kannst du sie meinetwegen gleich mitnehmen«, entgegnete der Wirt.

Der Kerl lachte laut auf. Es war ein Schrank von einem Mann mit spitz zugefeilten Zähnen und tiefen roten Narben, die sich wie die Schnurrhaare einer Katze quer über seine Wangen zogen. Er griff nach Yu, doch die glitt in einer flüssigen Bewegung zur Seite und der Mann bekam nur Luft zu fassen.

»Was war das denn?«, polterte er.

»Bist du etwa blind geworden, Scharlachroter Tiger?«, kicherte der Mann mit den beiden Hämmern. »Das ist doch nur ein kleines Mädchen, lass es in Ruhe. Los, Wirt, gieß uns endlich Wein ein, bevor wir verdursten.«

Bai Bai und Yu beeilten sich, den Reiswein auf die Becher zu verteilen, doch als der letzte Becher vollgeschenkt war, war der erste bereits leer getrunken.

Yu wollte gerade in die Küche gehen, um mehr Wein zu holen, als im Eingang eine Stimme rief: »Keiner rührt sich! Im Namen des Kaisers!«

Ein Beamter in einem schwarzen Changshan trat ein. Er schien keine Waffen zu tragen, doch als er eine Hand hob, folgten ihm dreißig bis an die Zähne bewaffnete Soldaten.

Einer der Seeleute schrie: »Brüder, sie greifen uns an!«

Auf diese Warnung hin zogen alle ihre Waffen: Dolche, Schwerter, Dreizacke und nagelbewehrte Stöcke. Mit heiseren Kriegsschreien warfen sich die Männer den Soldaten entgegen. Bai Bai flüchtete sich kreischend unter einen Tisch. Yu wirbelte herum und sah ein Wurfmesser an ihrem Gesicht vorbeifliegen.

Yu wusste, dass sie sich besser in Sicherheit bringen und in die Küche laufen sollte, doch es war, als wolle ihr Körper dem Befehl ihres Kopfs nicht gehorchen. Fasziniert blieb sie stehen und sah zu, wie der Riese von seinem rechten Arm einen Teil der Kette abrollte, diesen kreisend über seinem Kopf schwang und mit dem Kettenende einen Soldaten mitten im Gesicht traf. Die Wucht des Schlags schleuderte den Soldaten so fest gegen die Wand, dass das Holz splitterte.

Scharlachroter Tiger zog unter seinem Hemd zwei Lu jiao dao hervor, halbmondförmige Klingen, die er wie überlange Krallen einsetzte. Er sprang einen Soldaten an, durchschnitt ihm die Kehle, wirbelte herum und tötete auf dieselbe Weise zwei weitere Soldaten – drei tote Gegner in einer einzigen Bewegung.

Yu war sprachlos: Diese Art zu kämpfen hatte mit den Übungen, die Peng gelehrt hatte, nichts gemein. Sie war brutal und entsetzlich grausam.

»Vorsicht, Kleine!«, rief der Mann mit den beiden Hämmern.

Zwei ineinander verkeilte Kämpfende bewegten sich auf Yu zu, die sich mit einem halben Purzelbaum in Sicherheit brachte.

Währenddessen kämpfte der kleinwüchsige Mann gegen zwei Gegner gleichzeitig. Ein dritter versuchte, ihm von hinten ein Schwert in den Rücken zu rammen, doch am anderen Ende des Raums bemerkte der blaue Pirat es und spuckte eine lange Stahlnadel aus. Das Projektil flog quer durch die Gaststube und drang in die Hand des Soldaten ein, der augenblicklich sein Schwert fallen ließ. Der Kleinwüchsige wirbelte herum und tötete seinen Angreifer.

»Los!«, rief der Beamte. »Ergreift sie!«

Auf diesen Befehl hin drangen weitere Soldaten in die Gastwirtschaft ein, um ihre gefallenen Kameraden zu ersetzen. Inzwischen schienen die Soldaten den gesamten verfügbaren Raum zu beherrschen und das Blatt wendete sich: Jeder einzelne Pirat sah sich fünf bis sechs Gegnern gegenüber.

»Rückzug, Brüder!«, rief eine Stimme.

Eine gute Idee, dachte Yu, doch um zur Tür zu kommen, mussten sie es mit mindestens fünfzig bewaffneten Soldaten aufnehmen.

»Durchgefallener, mach uns den Weg frei!«

Ein großer Mann im Gewand eines Mandarins begann, mit seiner Axt auf eine Wand der Gastwirtschaft einzuschlagen.

»Was macht ihr da?«, kreischte Bai Bai unter seinem Tisch. »Ihr zerstört ja mein Lokal!«

Niemand beachtete ihn.

Mit zwei, drei Schlägen öffnete der Mandarin in der Wand ein Loch, durch das man die Straße sah.

»Fertig!«, rief er mit tiefer Stimme. »Lasst uns verschwinden!«

»Hier entlang!«

»Schnell!«

Die Piraten traten den Rückzug an und kämpften nur noch dort, wo es darum ging, sich die Soldaten vom Leib zu halten. Die Soldaten stürzten hinterher und plötzlich fand sich Yu mitten im Kampfgeschehen wieder. Jetzt wurde es für sie wirklich Zeit, die Flucht anzutreten. Sie wollte in die Küche flitzen, doch plötzlich stand Scharlachroter Tiger vor ihr und versperrte ihr den Weg.

»Wo willst du denn hin?«, grunzte er.

Mit einem teuflischen Grinsen beugte sich der Pirat dem Mädchen entgegen. Yu versuchte, ihm auszuweichen, doch ein Soldat versetzte ihr einen heftigen Ellbogenstoß in den Rücken und stoppte sie dadurch mitten in der Bewegung.

Yu erinnerte sich an etwas, das Peng ihr einmal vor langer Zeit gesagt hatte: »Es ist deine Schuld. Du hast den Fuß aufgesetzt, ohne hinzuschauen.«

Die Wiederholung dieses Fehlers kam sie teuer zu stehen.

Scharlachroter Tiger nutzte ihr kurzes Zögern, um mit eisernem Griff ihren Arm zu packen. Yu schrie auf und schlug mit der Handkante heftig gegen den Kehlkopf des Mannes, doch erstaunlicherweise lockerte dieser nicht seinen Griff, sondern hustete nur kurz. Immer noch grinsend senkte er den Kopf, um ihn mit Wucht gegen Yus Stirn zu knallen.

Yu verlor das Bewusstsein und ihr Körper erschlaffte.

»Tiger, was tust du da?«, fragte der...

Erscheint lt. Verlag 24.2.2022
Übersetzer Cornelia Panzacchi
Sprache deutsch
Original-Titel La Più Grande
Themenwelt Kinder- / Jugendbuch Jugendbücher ab 12 Jahre
Schlagworte Abenteuer Geschenk • Abenteuerroman • China Buch • Freundschaft • Jugendbücher ab 12 • Kampfkunst Buch • karate buch • Kungfu • liebesgeschichte bücher • Mädchen • Martial Arts • martial arts book • Piraten • piraten roman • Piratenschiff • spannend
ISBN-10 3-522-62194-8 / 3522621948
ISBN-13 978-3-522-62194-6 / 9783522621946
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