The Girls I've Been (eBook)
448 Seiten
Carlsen Verlag Gmbh
978-3-646-93453-3 (ISBN)
Tess Sharpe wurde in einer Berghütte geboren und wuchs mit ihrer Punkrocker-Mutter im ländlichen Kalifornien auf. Heute lebt sie irgendwo in den Backwoods zusammen mit einem Hunderudel und einer wachsenden Kolonie Katzen, ist Herausgeberin einer Anthologie und hat mehrere preisgekrönte Bücher für Kinder, Jugendliche und Erwachsene geschrieben.
Tess Sharpe wurde in einer Berghütte geboren und wuchs mit ihrer Punkrocker-Mutter im ländlichen Kalifornien auf. Heute lebt sie irgendwo in den Backwoods zusammen mit einem Hunderudel und einer wachsenden Kolonie Katzen, ist Herausgeberin einer Anthologie und hat mehrere preisgekrönte Bücher für Kinder, Jugendliche und Erwachsene geschrieben. Beate Schäfer, 1961 bei Frankfurt am Main geboren, studierte Germanistik, Geschichte und Amerikanistik in München und arbeitete lange als Verlagslektorin. An der Alice-Salomon-Hochschule Berlin absolvierte sie eine Ausbildung als Schreibpädagogin. Inzwischen lebt sie als Übersetzerin und freie Lektorin in München und leitet daneben Seminare und Schreibwerkstätten für Autor*innen und interessierte Laien.
2
9.12 Uhr (15 Sekunden in Gefangenschaft)
Der Bankräuber – ein Weißer, etwa eins achtzig, braune Jacke, schwarzes T-Shirt, rote Basecap, blasse Augen und Brauen – brüllt: »ALLE AUF DEN BODEN!«, typisch Bankräuber eben. Wir werfen uns hin. Als wären alle hier in der Bank Marionetten und er hätte unsere Schnüre gekappt.
Ein kantiger Klumpen Angst drückt mir auf den Bauch, die Brust, die Kehle, eine Sekunde lang bekomme ich kaum Luft. Er brennt und presst sich in mein weiches Inneres, ich will husten, habe aber Angst, dass ich damit seine Aufmerksamkeit auf mich ziehe.
Das darfst du auf keinen Fall. Ich weiß das, weil ich nicht zum ersten Mal in dieser Lage bin. Einen Banküberfall habe ich zwar noch nie erlebt, aber manchmal habe ich das Gefühl, vom ersten Atemzug an immer in der Schusslinie gestanden zu haben.
Wenn jemand eine Knarre auf dich richtet, ist das nicht wie im Film. In den ersten Sekunden gibt es keinen Mut und keine Tapferkeit. Du hast einfach Angst, Angst bis in die Knochen, du machst dir wirklich fast in die Hosen vor Angst. Iris’ Arm drückt gegen meinen, ich spüre, wie sie zittert. Zu gern würde ich ihre Hand nehmen, kann mich aber gerade noch zurückhalten. Was, wenn der Typ denkt, ich würde nach einer Waffe greifen? Hier in Clear Creak rennt jeder Depp bewaffnet herum. Das kann ich nicht riskieren.
Wes auf der anderen Seite von mir hat alle Muskeln angespannt, und ich brauche einen Moment, um zu begreifen, warum. Er macht sich bereit, auf den Bankräuber loszugehen – so ist er, mein Ex. Wes handelt instinktiv und heldenhaft, und in kniffligen Situationen hat er ein absolut mieses Urteilsvermögen.
Jetzt bewege ich mich doch. Ich muss, sonst lässt sich Wes noch abknallen. Ich packe ihn am Oberschenkel und grabe meine Fingernägel tief in seine Haut, direkt unter dem Saum seiner Shorts. Er reißt den Kopf zu mir herum, und ich funkle ihn an, mit einem Untersteh-dich-Blick. Dann schüttele ich ein Mal den Kopf und starre ihm weiter ins Gesicht. An der Art, wie er die Augenbrauen hebt, kann ich schon fast sein Aber Nora ablesen, doch dann sackt er in sich zusammen und gibt sich geschlagen.
Okay. Okay. Atme. Konzentrier dich.
Der Bankräuber. Er brüllt die Kassiererin an. Die Kassiererin – Ist da nur eine? Wieso bloß eine? – ist eine mittelalte blonde Frau mit einer Brille um den Hals, die an einer Kette aus blauen Glassteinen baumelt. Mein Hirn gibt Vollgas und registriert alles Mögliche, als könnte ich es später noch mal brauchen.
Der Kerl schreit rum, es geht um den Bankmanager. Es ist schwer zu verstehen, was er sagt, denn die Kassiererin hat jetzt einen Heulanfall mit lauten Schluchzern. Sie scheint nur noch aus zitternden Händen und roten Wangen zu bestehen, also gibt es keine Chance, dass sie den stillen Alarm ausgelöst hat, höchstens aus Versehen. Mit der Schusswaffe vorm Gesicht ist sie voll im Panikmodus.
Kann ihr keiner vorwerfen. Wie du reagierst, weißt du erst, wenn die Waffe auf dich gerichtet ist.
Niemand von uns dreien ist ohnmächtig geworden, also sind wir wohl okay. Fürs Erste. Das ist immerhin was.
Aber wenn es darum geht, die Lage zu retten, fällt die Kassierin aus. Und ohne Alarm kommt kein Sheriff. Ich schaue so weit nach links, wie ich es hinkriege, ohne den Kopf zu sehr zu drehen. Gibt es eine zweite Kassiererin, die sich versteckt hat? Wo ist der Typ von der Security? Haben die hier in der Filiale überhaupt einen?
Hinter mir Schritte. Meine Muskeln verkrampfen sich, Iris keucht leise. Ich drücke meinen Arm fester an ihren und wünsche mir, ich könnte sie durch die Haut mit Ermutigung fluten. Aber wenn eine Schusswaffe im Spiel ist, gibt es nicht viel Ermutigendes.
Moment mal. Schritte, schnelle Schritte. Als sie auf meiner Höhe sind, blicke ich so weit hoch, dass ich die abgesägte Schrotflinte in den Händen des Kerls sehe. Ein langsamer Ruck läuft durch meine Brust, in mir nur noch Grauen und wogende Übelkeit. Nicht nur einer. Es sind zwei.
Zwei Bankräuber. Beide weiß. Saubere Jeans, schwere Stiefel. Schwarze T-Shirts, keine Logos.
Ich schlucke knackend, meine Mund ist trocken wie die Wüste, mein Herz steppt im Rhythmus von Wir sterben! Verdammte Scheiße, wir sterben!
Meine Hände schwitzen. Ich kralle die Finger zusammen – Gott, wie lang geht das jetzt? Zwei Minuten? Fünf? Die Zeit verhält sich seltsam, wenn du auf dem Boden liegst und ein Typ mit einer Knarre vor deinem Gesicht herumfuchtelt – und zum ersten Mal denke ich an Lee.
Oh nein, Lee.
Ich kann mich unmöglich erschießen lassen. Meine Schwester bringt mich um. Aber vorher macht sie sich zur Lebensaufgabe, denjenigen zu erwischen, der mich getötet hat. Lee ist beängstigend, wenn sie eine Mission hat. Das weiß ich aus Erfahrung, denn als ich zwölf war, hat mich Lee von unserer Mom weggeholt, mit einem groß angelegten Täuschungsmanöver, das nicht mal die Queen des Betrugs kommen sah. Jetzt sitzt sie im Gefängnis … nicht Lee, sondern Mom.
Und ich habe geholfen, sie festzusetzen.
Ich darf mich nicht von meiner Angst leiten lassen. Ich muss ruhig bleiben und einen Ausweg finden. Es gibt ein Problem. Bearbeite das Problem, damit du es lösen kannst.
Wer war außer der Kassiererin noch in der Bank, als wir reingekommen sind? Ich gehe in Gedanken zurück. Vorne in der Schlange ist eine Frau gewesen. Der mit der roten Basecap hat sie zur Seite gestoßen und dann losgebrüllt. Jetzt liegt sie links neben mir auf dem Boden, ihre Tasche ist ein Stück weggerutscht. Der mit der grauen Cap ist erst nach uns reingekommen. Er muss vorne im Eingangsbereich gewartet haben.
Mein Magen macht einen Salto, als mir einfällt, dass da noch jemand war – ein Kind. Ich kann den Kopf nicht weit genug drehen, um zu erkennen, wo das Mädchen jetzt ist, aber ich habe sie beim Reinkommen kurz angeschaut.
Sie ist zehn, vielleicht auch elf. Gehört sie zu der Frau ganz vorne? Muss wohl so sein.
Doch die Frau liegt genau in meiner Blicklinie, und sie hat nicht mal kurz zu den Stühlen rübergesehen, wo das Mädchen vorhin war.
Okay. Fünf Erwachsene oder Fast-Erwachsene. Ein Kind. Zwei Bankräuber. Mindestens zwei Schusswaffen, vielleicht mehr.
Keine guten Zahlen.
»Wir wollen ins Untergeschoss.« Der mit der roten Basecap drückt seine Pistole ins Gesicht der Kassiererin, was aber nichts nützt. Sie gerät nur noch mehr in Panik, und wenn er so weitermacht …
»Hör auf zu brüllen.«
Es ist das erste Mal, dass der mit der grauen Cap den Mund aufmacht. Seine Stimme wirkt harsch, aber nicht weil er sie verstellt, anscheinend ist sie einfach so. Als hätten lange Lebensjahre ihr jeden Klang genommen, übrig ist nur noch eine Art Stimmenattrappe. Der Rote zieht sich sofort zurück.
»Kümmer dich um die Kameras«, befiehlt der Graue. Und der andere wuselt durch die Banklobby hinter die Schalter, wo er die Leitungen der Überwachungskameras durchtrennt, dann stellt er sich wieder neben den mit der grauen Cap.
Iris stößt mich an. Sie beobachtet die beiden genauso intensiv wie ich. Ich stoße zurück, um sie wissen zu lassen, dass ich es auch bemerkt habe.
Redcap mag den ersten Schritt gemacht haben, aber Graycap hat ganz klar das Sagen.
»Wo ist Frayn?«, fragt der Graue.
»Noch nicht da«, antwortet die Kassiererin.
»Die lügt doch«, höhnt Redcap, fährt sich dabei aber mit der Zunge über die Lippen. Der Gedanke macht ihn fertig.
Wer ist Frayn?
»Geh und guck nach«, bestimmt Graycap.
Die Schuhe des anderen bewegen sich an uns vorbei und er verschwindet aus der Lobby.
Ich nutze den Moment und drehe, sobald er außer Sichtweite ist und der Graue sich auf die Kassiererin konzentriert, den Kopf nach rechts. Das Mädchen liegt unter einem Tischchen in der Mitte des Wartebereichs und zittert so sehr, dass ich das sogar von hier aus erkennen kann.
»Das Kind«, flüstert Wes. Auch sein Blick liegt auf der Kleinen.
Ich weiß, mache ich. Wenn sie nur mal herschauen würde, dann könnte ich ihr eine Art aufmunternden Blick rüberschicken, doch sie presst ihr Gesicht fest in den scheußlichen braunen Teppichboden.
Schritte. Meine Angst vertieft sich, als der mit der roten Cap zurückkommt. »Sein Büro ist abgeschlossen.«
Vor Panik klingt seine Stimme ganz rau.
»Wo ist Frayn?«, fordert der Graue wieder.
»Er kommt später!«, quiekt die Kassiererin. »Er musste erst noch Judy abholen, die zweite Kassiererin. Ihr Auto ist nicht angesprungen. Er ist zu spät.«
Irgendwas läuft hier falsch. Was auch immer die zwei geplant haben, der erste Schritt ist verbockt. Und wenn Leute etwas verbocken, machen sie meiner Erfahrung nach eins von zwei Dingen. Entweder sie hauen ab oder sie legen sich noch mehr ins Zeug.
Für den Bruchteil einer Sekunde bilde ich mir ein, sie würden vielleicht abhauen und wir kämen mit Albträumen davon und einer Story, die uns bis an unser Lebensende Stoff für Partygespräche gäbe. Aber im nächsten Moment wird diese Hoffnung restlos zertrümmert.
Wie in Zeitlupe schwingen die Banktüren auf, und der Wachmann, an den ich vorhin dachte, schlendert herein, mit Kaffeebechern in den Händen.
Er hat keine Chance. Der Typ in Rot – impulsiv, zittrig und nervös, wie er ist – schießt schon, bevor der Wachmann den Kaffee fallen lassen und nach...
Erscheint lt. Verlag | 21.10.2021 |
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Reihe/Serie | The Girls I've Been |
Übersetzer | Beate Schäfer |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Jugendbücher ab 12 Jahre |
Kinder- / Jugendbuch ► Kinderbücher bis 11 Jahre | |
Schlagworte | Bankraub • Banküberfall • Buch spannend Jugendliche • Buch Thriller Jugendliche • Dreiecksgeschichte • Escape Room • Jugendbuch Krimi • LGBTQ • Millie Bobby Brown • Multiple Persönlichkeit • Netflix • One of us is lying • Prison Break • Trickbetrüger |
ISBN-10 | 3-646-93453-0 / 3646934530 |
ISBN-13 | 978-3-646-93453-3 / 9783646934533 |
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