Liebe Olivia, wie buchstabiert man Freundschaft? (eBook)
336 Seiten
Fischer Sauerländer Verlag
978-3-7336-0333-5 (ISBN)
Julie Murphy lebt mit ihrem Mann, der sie liebt, ihrem Hund, der sie vergöttert, und ihren Katzen, die sie akzeptieren, in Texas, USA. Nachdem sie sieben Jahre als Bibliothekarin gearbeitet hat, widmet sie sich jetzt ganz dem Schreiben. Wenn sie nicht gerade schreibt oder in Erinnerungen an die guten alten Zeiten in der Bibliothek schwelgt, schaut sie Filme, die nur fürs Privatfernsehen gemacht wurden, fahndet nach der perfekten Pizza mit viel Käse oder plant ihre nächste große Reise.
Julie Murphy lebt mit ihrem Mann, der sie liebt, ihrem Hund, der sie vergöttert, und ihren Katzen, die sie akzeptieren, in Texas, USA. Nachdem sie sieben Jahre als Bibliothekarin gearbeitet hat, widmet sie sich jetzt ganz dem Schreiben. Wenn sie nicht gerade schreibt oder in Erinnerungen an die guten alten Zeiten in der Bibliothek schwelgt, schaut sie Filme, die nur fürs Privatfernsehen gemacht wurden, fahndet nach der perfekten Pizza mit viel Käse oder plant ihre nächste große Reise. Constanze Guhr, geboren 1975, wuchs in Leipzig auf, studierte in Berlin und ist dort seit 2001 als freischaffende Illustratorin für verschiedene Verlage und Zeitschriften tätig. Sie arbeitet zusammen mit drei anderen Künstlern im Atelier petit.4. Zu sehen sind die Arbeiten auf ihrer Homepage unter: www.constanzeguhr.de Seit 2006 widmet sie sich auch einem anderen Projekt: ihrem Sohn Elias Nikita.
Kapitel 1 Es rappelt im Karton
Ich habe meine Ersparnisse schon dreimal durchgezählt: all das Geld, das ich zum Geburtstag bekommen und zurückgelegt habe. Wenn das so weitergeht, werde ich es mir nie leisten können, mich klonen zu lassen. Da hilft es auch nicht gerade, dass sich das Klonen von Menschen noch nicht so recht durchgesetzt hat. Andernfalls hätte mich meine Mom wohl längst zum nächsten Labor geschleift und eine identische Kopie von mir anfertigen lassen. Eine für sie. Eine für Dad. Zack, bumm, Problem gelöst.
Weil es bis auf weiteres also nur eine Livi geben kann, haben meine Eltern sich für die nächstbeste Lösung entschieden, mit ihrer Scheidung umzugehen. Und deshalb haben wir jetzt zwei Häuser. Beide stehen in derselben Straße und sehen einander so ähnlich, wie es zwei verschiedene Häuser eben können. Gleiche Farbe, gleiche Teppiche und sogar die gleichen Möbel. Mom behält das Original, und Dad bekommt die Kopie, was nur logisch ist, weil das alte Haus früher Nana – Moms Mom – gehört hat, bevor sie gestorben ist.
Ich habe lange darüber nachgedacht, welche von meinen Sachen ich mit zu Dad nehmen soll, aber ich kann mir Dinge am besten vorstellen, wenn ich sie vor mir sehe. »Visuelles Lernen« nennt Mrs. Young das. Daher haben Oscar Rivera, mein bester (und einziger) Freund, und ich uns eine Rolle von Dads altem Klebeband geschnappt und mein Zimmer in zwei Hälften aufgeteilt. Der blaue Strich erinnert mich unangenehm an die Linie in der Mitte der Sporthalle, wo Coach Jeffers uns immer Völkerball spielen lässt, was, wenn ihr mich fragt, noch grausamer ist als das Seilklettern, mit dem er uns letzten Herbst gequält hat. Völkerball bedeutet: Erst gibt es einen gnadenlosen Beliebtheitswettbewerb, wer in wessen Team gewählt wird, und dann darf man sich bis zum Ende des Spiels mit Gummibällen bombardieren lassen. Hoffentlich wird mein Umzug nicht ganz so traumatisch.
»Was wohl deine Mom sagen wird, wenn sie nach Hause kommt und dein Zimmer so sieht?«, fragt Oscar. Er hat sein glänzendes schwarzes Haar zu einer perfekten Tolle hochgezwirbelt und dabei Unmengen von dem Zeug benutzt, das er neulich in der Drogerie entdeckt hat. Es nennt sich Pomade, wird in einem großen Glastiegel verkauft und klebt höllisch. Oscar schwört darauf.
Schulterzuckend nehme ich das Ergebnis unserer Arbeit in Augenschein. Mein Zimmer sieht aus, als wäre jemand mit einem riesigen Radiergummi reinspaziert und hätte eine Hälfte wegradiert, während in der anderen weiter das gewohnte geordnete Chaos herrscht: ungemachtes Bett, eine Sammlung nicht zueinander passender Socken darunter und stapelweise alte Arbeitsblätter und Zeitungsausschnitte auf dem Nachttisch. »Egal, was sie sagt, ich werde es nicht mitkriegen. Heute ist Dad-Abend.«
Da die Woche sieben Tage hat, wechseln meine Eltern sich damit ab, wer mich drei Tage bekommt und wer vier. Mom zufolge ist es »zwingend notwendig«, dass keiner von ihnen als der »dominante Elternteil« wahrgenommen wird. Wenn ihr mich fragt, muss man sich bloß angucken, wer von beiden die Regeln macht, um zu wissen, wer hier das Kommando hat. Falls ihr auf Mom getippt habt – ding, ding, ding! –, habt ihr richtig geraten.
Meine Bücher habe ich alphabethisch aufgeteilt. Moms Haus kriegt A bis M, der Rest wandert zu Dad. Bei all meinen anderen Besitztümern ging die Zuordnung sehr viel langsamer und war schnarchlangweilig. Währenddessen hat Oscar mich andauernd daran erinnert, dass es nicht schlimm ist, wenn ich was vergesse. Immerhin wohnt Dad nur zwei Häuser weiter, auf der anderen Seite von Miss Floras imposantem zweistöckigen Haus.
»Wenigstens hast du deine Bettwäsche nicht in zwei Hälften geschnitten«, sagt er seufzend und bückt sich nach einer Kiste mit der Aufschrift LIVIS SCHREIBTISCHKRAM auf der Seite.
»Aus den Knien heben!«, mahne ich. Das ruft Mr. McMullan seinen Angestellten bei Love’s Haushaltswaren immer zu.
»Ich bin nicht für körperliche Arbeit geschaffen«, mosert Oscar, während er die Kiste zur Tür trägt. »Hast du alles?«
»Jepp. Wir sehen uns drüben.«
Ich gehe in die Hocke und verschließe die Klappen des letzten Umzugskartons sorgfältig mit Klebeband. Beim Aufstehen gebe ich mir alle Mühe, den Karton aus den Knien zu heben, auch wenn ich keine Ahnung habe, was das eigentlich bedeuten soll. Warum habe ich das Ding bloß so vollgepackt?
Gerade, als ich mich aufrichte, kommt ein Knurren und Miauen aus der Box. Sie vibriert förmlich in meinen Händen.
»Heilige Makkaroni!«, entfährt es mir, und ich lasse die Kiste fallen. Darauf folgt ein weiteres, leiseres Miauen. »Oh, Cheese! Es tut mir so leid.« Ich reiße das Klebeband ab. »Cheese, bitte verzeih mir, Kumpel.«
Cheese ist mein Kater. Er ist orange getigert und wiegt locker sieben Kilo. Kein Wunder, dass der Karton so schwer war! Cheese springt aus der Kiste, in die ich das restliche Zeug von meinem Schreibtisch gestopft habe, und stolziert aus meinem Zimmer, wobei er mit dem Schwanz gegen den Türrahmen schlägt.
»Cheese!«, rufe ich ihm nach. »Ich hab nicht aufgepasst. Es tut mir leid.« Was soll ich sagen? Der Kater kann verdammt nachtragend sein. Das muss er von seinen Besitzern haben.
Ich tippe mir mit dem Zeigefinger an den Kopf, damit ich nachher daran denke, ihm zur Wiedergutmachung ein paar Extra-Leckerlis zu geben. Cheese war unser großes Familienweihnachtsgeschenk, als ich sechs war. Ich hatte die Ehre, mir einen Namen für ihn auszusuchen, und habe ihn kurzerhand Cheese getauft, weil er … wie Käse aussah? Keine Ahnung. Ich war sechs, okay? Rückblickend hätte ich ihn Havarti nennen sollen, nach meiner Lieblingskäsesorte.
Seufzend schnippe ich das Klebeband beiseite und klappe den Karton wieder zu. Dann sehe ich mich ein letztes Mal in meinem Zimmer um. Eine blütenweiße Zierleiste, pfirsichfarbene Tapete und jede Menge Ausschnitte aus Zeitungen und Zeitschriften, die ich hingepinnt habe, wo gerade Platz war: eine Auswahl von Miss Floras Ratgeberkolumne (Miss Flora weiß Rat), Bilder aus Dads National-Geographic-Magazinen, die Orte auf der Welt zeigen, von denen ich kaum glauben kann, dass es sie wirklich gibt, und ein paar Comics aus der Valentine Gazette. Ich kann mich noch erinnern, wie Mom, Dad und ich zusammen die Zierleiste gestrichen haben und Mom aufgeschrien hat, als Dad ihr mit einem nassen Pinsel über den Rücken gefahren ist.
Ich glaube, ich verstehe, was die Erwachsenen meinen, wenn sie sagen: »Wenn diese Wände sprechen könnten.« Aber mal im Ernst: Die Vorstellung, dass Wände auf einmal losplappern, ist ja wohl echt gruselig.
Ich trete rückwärts aus dem Haus. Die Fliegengittertür fällt knarrend hinter mir ins Schloss. »Auf Wiedersehen, Zuhause«, raune ich niedergeschlagen.
»Findest du das nicht ein bisschen zu melodramatisch?«, ruft Oscar.
Ich wirble herum.
»Ich wollte bloß nachsehen, ob du noch Hilfe brauchst.« Er steht auf dem Bürgersteig vor dem Haus. »Tut mir leid, wenn ich deinen großen Moment ruiniert habe.«
Mein dicker schwarzer Pony fliegt auf, als ich entrüstet schnaube. »Ich bin nicht melodramatisch.« Ich werfe einen letzten Blick auf unser kleines rotes Ziegelhaus mit seiner weißen Zierleiste und der knallblauen Tür (Moms Werk). Alles in allem unterscheidet es sich nicht sehr von den anderen Häusern in unserem Block, mit Ausnahme von Miss Floras. »Na ja, okay, vielleicht ein bisschen.«
»Und der diesjährige Oscar in der Kategorie ›Beste Hauptdarstellerin‹ geht an … Olivia DiMarco!«
Ich sehe an ihm vorbei in die Ferne. »Ich möchte all den kleinen Menschen danken – und mit kleinen Menschen meine ich ganz besonders meinen besten Freund Oscar. Zu sehen, wie ich diesen Preis gewinne, ist das Aufregendste, was er je erlebt hat. Lassen Sie uns eine Schweigeminute einlegen, um seines traurigen Lebens zu gedenken.«
»Ha, ha«, sagt er. »Du weißt, dass ich der Talentierte von uns beiden bin.«
Ich lache. »Wenn du das Talent hast, dann hab ich das Hirn.«
Er öffnet das Gartentor für mich. »Na los, jetzt leg mal einen Zahn zu. Ich bin am Verhungern. Und mir wurde Pizza im Austausch für meinen körperlichen Einsatz versprochen.«
»Jetzt tu nicht so, als hättest du es nicht auch für umsonst getan«, erwidere ich, während ich ihm durchs Tor folge. »Du magst mich. Ich bin deine beste Freundin.«
Er lacht trocken. »Du bist meine einzige Freundin.« Er zeigt auf Cheese, der es sich auf einer Fensterbank gemütlich gemacht hat. »Hast du das gehört, Cheese? Ich bin ihr bester Freund!«
Damit bringt er mich endgültig zum Lachen. Einmal, als Oscar bei mir übernachtet hat, ist Cheese auf seinem Gesicht eingeschlafen. Oscar ist aufgewacht, weil er gar nicht mehr aufhören konnte zu niesen. Ich habe versucht, ihm zu erklären, dass das ein Zeichen von Zuneigung war, aber Oscar, der gegen so ziemlich alles allergisch ist, behauptete steif und fest, Cheese habe aus Eifersucht einen Rachefeldzug gegen ihn angezettelt.
Wenn man Cheese außen vor lässt, hat Oscar aber vollkommen recht: Er ist mein bester Freund, und ich bin seine beste Freundin. Seit meine Eltern ihre Scheidung – oder, wie meine Mom es nennt, ihre »einvernehmliche Trennung« – bekannt gegeben haben, ist er mir praktisch nicht mehr von der Seite gewichen. Irgendwie hat uns das noch enger zusammengeschweißt.
Schweigend laufen wir an Miss Floras Haus vorbei. Sie sitzt auf ihrer mit...
Erscheint lt. Verlag | 28.7.2021 |
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Illustrationen | Constanze Guhr |
Übersetzer | Ulrike Köbele |
Zusatzinfo | 37 s/w Abbildungen |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Kinderbücher bis 11 Jahre |
Schlagworte | Briefe • Freundschaft • Mädchenbuch ab 10 • Pubertät • Scheidung • Schule • Texas • Übergewicht • Zeitungskolumne |
ISBN-10 | 3-7336-0333-8 / 3733603338 |
ISBN-13 | 978-3-7336-0333-5 / 9783733603335 |
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