Die beste Zeit ist am Ende der Welt (eBook)
400 Seiten
Arctis Verlag
978-3-03880-146-7 (ISBN)
Sara Barnard, 1987 in England geboren, studierte Amerikanische Literatur und Kreatives Schreiben. Sie hat zwischenzeitlich in Kanada gelebt, in Indien gearbeitet und ist mit dem Zug durch Europa gereist. In Zügen schreibt sie auch am liebsten ihre Bücher, da sie so ihre beiden Leidenschaften miteinander verbinden kann: das Schreiben und das Reisen. Mit Die beste Zeit ist am Ende der Welt war sie 2022 für den Deutschen Jugendliteraturpreis in der Kategorie Jugendjury nominiert. Die Autorin lebt mit ihrem Mann und einer »Grumpy Cat« in Brighton, England.
Sara Barnard, 1987 in England geboren, studierte Amerikanische Literatur und Kreatives Schreiben. Sie hat zwischenzeitlich in Kanada gelebt, in Indien gearbeitet und ist mit dem Zug durch Europa gereist. In Zügen schreibt sie auch am liebsten ihre Bücher, da sie so ihre beiden Leidenschaften miteinander verbinden kann: das Schreiben und das Reisen. Mit Die beste Zeit ist am Ende der Welt war sie 2022 für den Deutschen Jugendliteraturpreis in der Kategorie Jugendjury nominiert. Die Autorin lebt mit ihrem Mann und einer »Grumpy Cat« in Brighton, England.
Was zuvor geschah
aka
Warum ich alle Zelte abgebrochen und mit meinem alten Leben abgeschlossen habe, obwohl ich erst siebzehn bin und meine Eltern mich ziemlich sicher umbringen werden
aka
Als ich noch dachte, dass sich alles zum Guten wenden könnte
Der erste Tag auf dem College. Der erste Tag meines neuen Lebens! Ein neues Ich, in neuen Klamotten (Skinny-Jeans, weißes T-Shirt und eine Gänseblümchenkette. Klassisch, schlicht und nicht an eine bestimmte Persönlichkeit gebunden, denn ich musste ja erst mal herausfinden, wer ich am besten sein sollte). In erster Linie aber ein Ich mit einer neuen Einstellung. Welche Einstellung? Positiv. Ich, auch bekannt als Peyton King, frischgebackene Zwölftklässlerin und die Neue, die es nicht erwarten konnte, Freunde zu finden, war bereit.
Ich war so was von bereit. Wen interessierte schon, dass ich eigentlich gar nicht auf ein Wirtschaftscollege gehen und vor allem nicht das lernen wollte, was meine Eltern für richtig hielten, statt zu tun, was ich mir selbst wünschte – und was sich im Prinzip mit dem Wort »Kunst« zusammenfassen ließ. Ich war trotzdem bereit. Alles andere war sowieso egal. Ich hatte ein Ziel, und nur dieses Ziel: Freunde finden. Echte, treue, Geheimnisse anvertrauende, WhatsApp-Gruppen teilende, zusammen im Park chillende Freunde.
Das, was an meiner alten Schule passiert war, war bloß ein Fliegenschiss gewesen. Auch wenn dieser Fliegenschiss fünf Jahre Hölle bedeutet hatte. Ja, keine Freunde zu haben, fühlt sich an, als würde einem die Seele ausgesaugt. Ja, es hat mich fast völlig kaputt gemacht. Und ja, das grausame Mobbing hat mich vermutlich nachhaltig traumatisiert und wird mich bis ins Erwachsenenleben verfolgen.
Aber – das ist vorbei! Schnee von gestern. Neuanfang, neue Peyton.
»Herzlich willkommen!« Eine lächelnde Frau saß an einem der Info-Tische im Eingangsbereich.
»Hi!«, antwortete ich. Genau so, Peyton, zeig Begeisterung. »Ich bin Peyton King!«
Die Frau nickte, sah hinunter auf die Liste vor sich, entdeckte meinen Namen und strich ihn durch. »Das hier sind deine Willkommensunterlagen.« Sie reichte mir einen Stapel Papiere. »Ein Geländeplan, die Öffnungszeiten der Mensa und so weiter. Die Einführungsveranstaltung findet um 09:00 Uhr in der Aula statt. Hast du vorher noch irgendwelche Fragen?«
Wie finde ich Freunde? Werden die anderen mich mögen? Warum mochte mich früher niemand? Sehe ich okay aus? Wie ist meine Frisur? Tue ich das Richtige? Werden die anderen mich mögen?!
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, danke!«
(Kann man von der eigenen Hoffnung und Vorfreude high werden? Falls ja, dann war ich das definitiv. Das hörte man allein schon an meinem Tonfall.)
Auf dem Weg zur Einführung befürchtete ich, dass wir diese schrecklichen Kennenlernspiele spielen würden. Und gleichzeitig hoffte ich auch ein bisschen darauf, dass es tatsächlich damit losgehen würde. Sie waren zwar todespeinlich, aber meist funktionierten sie ja.
Allerdings war ich mir nicht sicher, ob man das hier überhaupt für nötig hielt. Auch wenn die Gebäude des Wirtschaftscolleges größtenteils auf einem eigenen Gelände standen, so gehörte es doch offiziell zur Eastridge Highschool, die die Mehrheit der Schülerinnen und Schüler bis zum Abschluss der elften Klasse besucht hatte. Noch dazu gab es zwei Partnerschulen, von denen auch viele kamen. Ein kleiner Rest war von ganz woanders, so wie ich. Das war also mein neues Leben – endlich. Ich war raus aus dieser Hölle, die die Claridge Academy für mich gewesen war, weit weg von allen, die mich je gemobbt hatten, und von denen, die es zugelassen hatten. Ich war frei und konnte neu anfangen.
Am Tag zuvor war ich bei der Friseurin meiner Mutter gewesen. Ich hatte ihr genau gesagt, was ich wollte – sympathisch, aber nicht zu auffällig, nichts zu Bemühtes, nichts, was zu sehr schrie: Schaut mich an! Daraufhin hatte sie meine straßenköterblonden Wellen in einen sattbraunen Long-Bob mit kupferfarbenen Strähnchen verwandelt, der gerade auf meine Schultern hinabfiel. Perfekt. Ich hatte den ganzen Sommer über geübt, mir die Haare zu glätten, und jetzt hatte ich die passende Frisur dafür.
Seht ihr, wie bereit ich war? So was von.
Die Einführung war etwas seltsam. Alle versammelten sich in der Aula, um der Willkommensansprache – oder vielmehr der Willkommenspredigt – des Oberstufenkoordinators, Mr Kirby, zu lauschen, der sehr wenig lächelte. Danach wurden wir in Kleingruppen eingeteilt und über den Campus geführt. Ich war in einer Gruppe mit zwei anderen Mädchen, die nur miteinander tuschelten und mich kaum beachteten, und mit drei Jungs, die überhaupt nichts sagten. Kein besonders guter Start.
»Von welcher Schule kommst du?«, fragte ich eines der Mädchen, als wir nach dem Rundgang zurück in die Aula gebracht wurden. Ich war wild entschlossen, diese erste Gelegenheit nicht verstreichen zu lassen, ohne es wenigstens versucht zu haben.
»Eastridge«, antwortete sie. Eine besitzergreifende Geste schloss ihre Freundin mit ein. »Und du?«
»Von der Claridge. Academy.«
Sie runzelte die Stirn. »Wieso bist du dann nicht dort in die Oberstufe gegangen?«
Ich sagte nicht, weil ich da keine Freunde habe, und wenn ich hier auch keine finde, gehe ich elendiglich zugrunde, sondern: »Weil das ein Scheißladen ist.« Was mich betraf, entsprach das absolut der Wahrheit.
Aber es kam falsch rüber, zu laut, zu vehement. In meinen Ohren klang es viel zu übertrieben und das wollte ich doch eigentlich um jeden Preis vermeiden. Ich lächelte, aber auch das fühlte sich nicht richtig an. Ich konnte spüren, wie mir die Röte den Hals hinaufkroch. Ein einziges Gespräch und ich hatte es schon vergeigt.
»Tja, die Eastridge ist ganz okay«, meinte das Mädchen und zuckte mit den Schultern.
»Das ist jetzt nicht mehr die Eastridge«, wurde sie von ihrer Freundin erinnert, »sondern das College. Das ist was völlig anderes.«
»Ich versuche hier, nett zu sein.« Das erste Mädchen verzog das Gesicht. »Ihr Mut zu machen und so.«
Die andere verdrehte die Augen, was nicht besonders freundlich wirkte. Aber sie fragte mich: »In welcher Aufnahmegruppe bist du?«
Hoffnungsvoll blickte ich auf mein Anmeldeformular. »S6.«
»Tja, wir sind beide in S2.« Sie zuckte mit den Achseln. Dieses Achselzucken sagte: Sorry, wir werden leider keine Freunde. Ciao.
»Okay«, antwortete ich.
»Wir müssen auch langsam los«, meinte die Erste wieder. »Zur Anmeldung.«
»Okay.« Ich wiederholte mich, aber was sollte ich sonst tun?
Halb hatte ich gehofft, sie würden mich vielleicht fragen, ob ich mit ihnen zu Mittag essen wollte, aber nichts da. Bloß ein peinlich berührtes Lächeln und dann zogen sie zusammen davon.
Keine Panik, alles in Ordnung. Das war meine erste soziale Interaktion und ich hatte weder angefangen zu heulen noch mich völlig blamiert. Man könnte es als eine Art Testlauf betrachten. Schließlich konnte ich ja nicht erwarten, dass jedes kurze Gespräch gleich zu lebenslanger Freundschaft führen würde. Schön optimistisch bleiben.
Auf einer Bank in der Sonne aß ich mein mitgebrachtes Pausenbrot und zeichnete mit der freien Hand vor mich hin. Ich stellte mir meine Zukunft vor, den Schulabschluss, mit Hut und Talar, umringt von Freunden, die mich breit anlächelten. Das war alles, was ich vom Leben wollte. Nicht Hut und Talar, die waren mir eigentlich ziemlich egal – aber Freunde. Eine beste Freundin, die Art, von der man in Büchern liest. In den Geschichten, die ich liebte, denen über stinknormale Mädchen wie mich, hatten alle beste Freundinnen, oft sogar mehrere. Ganze Horden davon. Obwohl sie mir manchmal das Gefühl gaben, sehr allein zu sein, in meiner eigenen, freundinnenlosen Realität, las ich sie trotzdem weiter. Ja, ich verschlang sie regelrecht, um zu lernen, was eine gute beste Freundin ausmachte, damit ich vorbereitet war, wenn es eines Tages – endlich – so weit wäre.
Okay, bringen wir es hinter uns. Ich weiß, was ihr wissen wollt. Ihr wollt wissen, warum ich so besessen davon war, Freunde zu finden. Wie ich die letzten Jahre überhaupt ohne überlebt hatte. Ihr fragt euch, wie ich jahrelang zur Schule gehen konnte, ohne Freundschaften zu schließen. Ihr denkt, du musst doch Freunde haben. Jeder hat Freunde. Oder vielleicht glaubt ihr, dass ich bestimmt mal welche hatte, sie aber durch irgendeine schlimme Tat vergrault habe. Und jetzt seid ihr neugierig, was das gewesen sein könnte.
Zuerst lasst mich euch eins sagen: Es stimmt. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt keine Freunde. Und ich hatte auch davor nie welche. Keine Menschen, die ich mochte und deren Gesellschaft ich mir ausgesucht hatte und die andererseits mich mochten und die sich meine Gesellschaft ausgesucht hatten. Keine Leute, mit denen ich samstags chillen, Ausflüge planen oder über WhatsApp quatschen konnte. Keine Leute, die mich auf Fotos bei Instagram markierten oder mir Freundschaftsarmbändchen knüpften.
Und zweitens: Es gab keinen großen Zwischenfall, der mich freundelos gemacht hat. Ich werde jetzt auch nichts so Dramatisches sagen wie: Alle haben mich gehasst. Denn das stimmt nicht. Auf irgendeine komische Art denke ich manchmal, dass es einfacher gewesen wäre, hätten sie es getan. Ich wurde nicht gehasst, ich wurde gehetzt. Wie bei der Fuchsjagd. (Die Jäger...
Erscheint lt. Verlag | 20.8.2021 |
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Übersetzer | Hanna Christine Fliedner |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Kinderbücher bis 11 Jahre |
Schlagworte | Abenteuer • Backpacker • Deutscher Jugendliteraturpreis • Einsamkeit • Freundschaft • Jugendjury • Kanada • Mobbing • Nominiert • Reise • Roadtrip • Selbstfindung • Vertrauen |
ISBN-10 | 3-03880-146-1 / 3038801461 |
ISBN-13 | 978-3-03880-146-7 / 9783038801467 |
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