Flammenfall -  Rosaria Munda

Flammenfall (eBook)

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2021 | 1. Auflage
496 Seiten
Arctis Verlag
978-3-03880-124-5 (ISBN)
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Gryff Gerssohn dient den geflohenen Drachenherren in Neu-Pythos als Drachenreiter niederen Rangs. Jetzt, da ihn Julia, die gefallene Erste Reiterin, nicht länger schützen kann, hat er keine Zukunft mehr. Soll er alles für die Herren opfern, die sein Volk unterdrücken, oder eine Allianz mit der Ersten Reiterin von Callipolis schmieden? Annie muss indes versuchen, Callipolis mit allen Mitteln für den Krieg zu wappnen, während Lee sich vom neuen Regime verraten fühlt und seine Loyalität einmal mehr auf die Probe gestellt wird ...

Rosaria Munda wuchs im ländlichen North Carolina auf, wo sie auf Bäume kletterte, ?Harry-Potter?-Fanfiction las und sich selbst Latein beibrachte.Sie studierte Politische Theorie in Princeton und lebt heute mit ihrer Familie in Chicago.?Funkensturm? ist der dritte Band ihrer Fantasy-Serie für Jugendliche, für die die Autorin in ihrer Heimat viele positive Kritiken und Auszeichnungen erhielt.

Rosaria Munda wuchs im ländlichen North Carolina auf, wo sie auf Bäume kletterte, ›Harry-Potter‹-Fanfiction las und sich selbst Latein beibrachte.Sie studierte Politische Theorie in Princeton und lebt heute mit ihrer Familie in Chicago.›Funkensturm‹ ist der dritte Band ihrer Fantasy-Serie für Jugendliche, für die die Autorin in ihrer Heimat viele positive Kritiken und Auszeichnungen erhielt.

1


Neu-Pythos


Gryff


Seit zwei Tagen fehlt von Julia jede Spur und meine Laune ist im Keller. Das kalte, feuchte Wetter macht es natürlich auch nicht besser, aber in Neu-Pythos ist es ja immer kalt und feucht. Ich nehme gerade Fische in der Kammer hinter den Drachenhöhlen aus, als Scully, der Drachenmeister, hereinkommt. »Drachenherr will dich sehen«, knurrt er.

Und ich hatte gedacht, es könnte nicht schlimmer kommen. Bran und Fionna, die beiden anderen Knappen, die mit mir zum Fischausnehmen abgestellt sind, wechseln einen Blick. Wir hocken in einem Morast aus Gräten und Schuppen; der Fischölgestank wird uns noch lange anhaften, wenn wir die Höhlen verlassen haben, und jetzt muss ich auch noch auf den einzigen Vorteil verzichten, den die Vorbereitung von Drachenfutter mit sich bringt – die Reste nach Hause schmuggeln zu können. Ich stehe auf und wische mir die Hände am Arbeitslappen sauber.

Scully hasst mein makelloses Drachisch, deshalb benutze ich es, so oft ich kann. »Welcher Drachenherr« – ich lasse ihn mit einer langen Pause genüsslich in Zweifel, ob ich es noch hinzufügen werde –, »Meister?«

Scully zieht ein finsteres Gesicht. Deswegen verdonnert er mich ständig zum Fischausnehmen. Weil ich frech bin. Und unsere Clans einander hassen.

»Der, dem du dienst«, sagt er auf Norisch.

An den meisten Tagen wäre das eine gute Nachricht. Heute wünschte ich nur, es wäre Julia.

Auf der Felsterrasse vor den Höhlen erwartet mich Delo Himmelsjäger.

Ich weiß noch, wie staunend ich die callipolitanischen Exilanten betrachtet habe, als sie sich nach Neu-Pythos gerettet hatten: die geisterhafte Blässe der überlebenden Sturmpfeile, die warme braune Haut und die krausen Locken der Himmelsjäger-Herren. Delo Himmelsjäger ist nicht mehr der zerlumpte Flüchtlingsjunge, der vor zehn Jahren an Land gespült worden ist, aber sein Anblick erstaunt mich immer noch, so prächtig steht er mit frisch frisiertem Haar in seinem Pelzmantel vor mir. Mir wird bewusst, wie sehr ich stinke.

Ich verbeuge mich tief.

»Welch unerwartete Ehre, Euch zu sehen, mein Herr.«

»Steh bequem«, murmelt Delo. Ich richte mich auf; Delo sieht mich verärgert an, als wüsste er, dass ich ihm Unbehagen bereiten will. Er ist so alt wie ich, größer, aber schlanker. »Die Exiltriarchie möchte mit dir sprechen.«

Ich schlinge die Arme eng um meinen Oberkörper und zittere in der gischtnassen Luft, die die Brandung zu uns heraufpeitscht. Gegen die Steilklippen, auf denen die Zitadelle thront, und die Kalksäulen aus Karstgestein, die aus dem Meer in den Himmel ragen, sind wir klein wie Zwerge. »Haben sie Euch gesagt, worum es geht?«

Ich benutze die ehrerbietige Anrede, Delo hingegen duzt mich. Als wir jünger waren und ich das Drachische noch nicht gut beherrschte, wollte er mich dazu bewegen, ihn ebenfalls zu duzen oder Norisch mit ihm zu sprechen, was er seinerseits gerade lernte, aber ich weigerte mich standhaft. In Willensproben gewinne ich immer gegen Delo.

»Sie wollen dich zu Julia befragen«, sagt er. »Sie wird vermisst.«

Als hätte ich das nicht mitbekommen.

»Woher sollte ich wissen, wo Julia steckt?«

Delo zögert. »Ixion … hat es ihnen erzählt.«

Sein Ton macht jede weitere Frage überflüssig.

Als ich Julia zum letzten Mal gesehen habe, lagen ihre Lippen auf meinen. Im Dunkeln konnte ich nur spüren, nicht sehen, wie sie lächelte, als sie die Hand in mein Hemd krallte und es hochschob. Sie lächelt jedes Mal, als wäre das, was wir tun, ein Spiel, das sie zu ihrer Belustigung gewinnt.

Ixion hat es ihnen erzählt.

Delos Miene verrät mir alles über das, was gleich im Gläsernen Saal geschehen wird. Er sagt nicht, dass es ihm leidtut, und ich sage nicht, dass Ixion kein Recht dazu hatte. Schließlich kenne ich die Demütigungen, die Ixion sich ausdenkt, schon lange.

Es passt zu seiner Methode, mich als den Bauern, den Julia sich ins Bett geholt hat, gerade dann in den Gläsernen Saal zu beordern, wenn ich nach Fisch stinke.

Als hätte er meine Gedanken gehört, greift Delo in seine Umhängetasche. »Ich habe dir ein frisches Hemd mitgebracht.«

Die meisten von Delos Kleidungsstücken sind blau, die Farbe der Himmelsjäger, aber dieses Hemd ist schlicht und nicht gefärbt, wie es sich für einen Bauern gehört. Trotzdem ist es edler als alles, was ich je besessen habe, und nun werde ich es auch noch besudeln müssen. Ich ziehe es mir über den Kopf, und als ich hochschaue, begegne ich Delos Blick. Er senkt die Augen. Das Hemd riecht nach ihm.

Ich folge Delo zu der in die Steilwand über dem Nordmeer gehauenen Außentreppe, die von den Drachenhöhlen zur Zitadelle emporführt. Beide Anlagen wurden von den Halb-Aurelianern erbaut, nachdem sie Noria mit ihrer Luftflotte erobert, mein Volk unterworfen und unsere Insel in Neu-Pythos umbenannt hatten. Kurze Zeit darauf starben ihre Drachen in der Kälte aus, doch die Halb-Aurelianer blieben an der Macht.

Und jetzt haben sie zum ersten Mal seit Generationen wieder Drachen, denn die Flüchtlinge aus Callipolis brachten vor zehn Jahren fünfundzwanzig Dracheneier auf die Insel mit.

Drachen für die große Rache.

Drachen für die überlebenden Söhne der Verbannten.

Drachen für die Söhne der halb-aurelianischen Fürsten, deren Gastfreundschaft sie beanspruchten. Titel für ihre Kinder in einem künftigen, mächtigeren Callipolis.

Doch es gab nicht genug Söhne. Die Exiltriarchie war gezwungen, den verbliebenen geschlüpften Drachen weitere Kinder vorzuführen.

Weibliche Drachenblütige, wie Julia. Uneheliche Sprösslinge, die einst verstoßen worden waren und jetzt nach und nach von den callipolitanischen Vasalleninseln geholt wurden.

Aber immer noch gab es Drachen, die keinen Reiter erwählten.

Und da sie eine vollständige Flotte brauchten, griffen die Drachenblütigen zu einer Maßnahme, an deren Gelingen kaum jemand glaubte.

Sie führten den letzten Drachen die Söhne und Töchter ihrer norischen Leibeigenen vor.

Und die Drachen erwählten uns.

Man nennt uns die niederen Reiter.

 

 

Delo und ich betreten den Gläsernen Saal und einen zittrigen Atemzug lang kann ich den Raum in Augenschein nehmen. Eine gewaltige Fensterfront aus Ornamentglas gibt den Blick auf das Nordmeer mit seinen Karstsäulen frei. Davor sitzen in einem Kreis aus hohen Lehnstühlen die Mitglieder der callipolitanischen Exiltriarchie und des halb-aurelianischen Fürstenhofs. In der Mitte thront Rhadamanthus, Großfürst von Neu-Pythos, der sich zum Dank für die Aufnahme der geflohenen Drachenblütigen zum aurelianischen Triarchen ernennen ließ – ein Titel, den kein Aurelianer aus Callipolis ihm streitig machen konnte, da keiner aus ihrem Haus die Revolution überlebt hatte.

Am Rand des Kreises stehen drei Stühle für die höchstrangigen Drachenreiter der drei Familien: Ixion Sturmpfeil, Rhodus Halb-Aurelian und – der leere Platz wartet auf ihn – Delo. Die drei Erbprinzen der Triarchie. Wenn Callipolis zurückerobert und mit Neu-Pythos vereint ist, werden sie zu dritt den Thron innehaben.

Ich sinke auf die Knie, lege die Hände flach auf den Boden und starre auf den glatten Stein.

Delo sagt: »Ich präsentiere dem versammelten Haus meinen Knappen, Gryff Gerssohn vom Ross-Clan, niederer Drachenreiter der pythischen Flotte.«

Er bleibt neben mir stehen, ohne sich auf seinen Platz neben Ixion zu begeben.

»Willkommen, Gryff.« Ich brauche den Sprecher nicht zu sehen, um ihn vor Augen zu haben: Rhadamanthus ist ein Bär von einem Mann, mit grau durchsetztem rotbraunem Haar und Falten in seiner goldfarbenen Haut. »Ixion hat uns mitgeteilt, dass du möglicherweise über … vertrauliche Informationen zu Julia verfügst.«

In den Clans gilt Rhadamanthus als unnachgiebig, doch verglichen mit den Launen der callipolitanischen Verbannten und ihrer Drachen habe ich ihn immer als besonnen erlebt, auch wenn er mit harter Hand regiert.

Ich hebe den Blick nicht von den steinernen Bodenplatten zwischen meinen Händen. »Ich fürchte, Herr Ixion irrt sich, Hoheit. Die Herrin hat mich nie als ihren Vertrauten behandelt.«

Ixion schnaubt. Rhadamanthus’ Sohn Rhodus, der Ixion alles nachmacht, schnaubt ebenfalls.

Herrin Elektra ergreift das Wort; ihre Stimme ist eisig vor Verachtung. Sie ist Ixions und Julias Großtante und hatte ihren Sturmpfeil-Gemahl bereits vor der Revolution verloren. Die Entscheidung, norische Drachenreiter zuzulassen, hat ihr seit jeher missfallen. »Es irritiert mich jedes Mal, wenn sie allzu gut Drachisch sprechen.«

Neben mir verlagert Delo das Gewicht von einem auf den anderen Stiefel. Ich frage meine Hände: »Wäre es meiner Herrin lieber, wenn ich Norisch spreche?«

»Nein. Danke. Das ist doch Zeitverschwendung, Rhadamanthus.«

»Ich glaube ihm nicht.« Ixions Stimme erhebt sich über die der Erwachsenen. Kalt, gedehnt, als langweilten ihn seine eigenen Worte. Nach so vielen Jahren gemeinsamen Trainings hat allein seine Stimme schon die Macht, mir einen Schauer über den Rücken zu jagen.

Ich verbinde sie unweigerlich mit Schmerz, Angst und Demütigung.

»Denk mal scharf nach, Gryff, ob sie nicht doch eine Andeutung gemacht hat, während ihr gerammelt habt …«

»Ixion«, sagt Rhadamanthus scharf.

Rhodus erahnt Ixions Spiel und beschließt, in die gleiche Kerbe zu schlagen. »Wie geht es Agga?«, fragt er. »Vielleicht würde sie deiner Erinnerung auf die Sprünge helfen? Wir können sie herbringen lassen. Mit ihren Gören.«

Ich sehe zu, wie sich...

Erscheint lt. Verlag 23.7.2021
Reihe/Serie Der Aurelianische Zyklus
Der Aurelianische Zyklus
Übersetzer Nadine Püschel
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Kinder- / Jugendbuch Sachbücher Tiere / Pflanzen / Natur
Schlagworte Aeneis • Drachen • Drachengeschichten • Game of Thrones • Gerechtigkeit • Kämpfe • Liebesgeschichte • Politik • Vergil • worldbuilding
ISBN-10 3-03880-124-0 / 3038801240
ISBN-13 978-3-03880-124-5 / 9783038801245
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