Gargantis - Die Geheimnisse von Eerie-on-Sea (eBook)

(Autor)

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2021
336 Seiten
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
978-3-446-27220-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Gargantis - Die Geheimnisse von Eerie-on-Sea - Thomas Taylor
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Wer 'Malamander' mochte, wird 'Gargantis' lieben! Thomas Taylor lässt die Freunde Herbie und Vi ein neues Abenteuer in Eerie-on-Sea erleben - ein packender Schmöker.
Seit dem Kampf gegen den sagenumwobenen Malamander sind Herbie Lemon, Sachenfinder im Grand Nautilus Hotel, und Violet Parma, das Mädchen ohne Eltern, beste Freunde. Herbie wacht über sein Fundbüro, während Violet in der fantastischen Bücher-Apotheke eine neue Heimat gefunden hat. Es könnte alles so friedlich sein! Aber wer das glaubt, war noch nicht in Eerie-on-Sea. Jedenfalls nicht im Winter. Über dem Meer braut sich ein gewaltiger Sturm zusammen, der die kleine Stadt zu zerstören droht. Mag man den alten Legenden glauben, muss Gargantis, der Sturmfisch, getötet werden, um Eerie-on-Sea zu retten. Ein weiteres Abenteuer, wie gemacht für Herbie und Violet...

Thomas Taylor, 1973 geboren, wuchs an der Küste von Wales auf. Nach seinem Studium an der Kunstakademie illustrierte er zunächst Bücher und gestaltete unter anderem das englische Cover zu J.K. Rowlings 'Harry Potter und der Stein der Weisen'. Schließlich begann er selbst Bücher zu schreiben. Malamander - Die Geheimnisse von Eerie-on-Sea erschien 2020 bei Hanser, 2021 folgte Gargantis - Die Geheimnisse von Eerie-on-Sea. 2022 erschien mit Shadowghast - Die Geheimnisse von Eerie-on-Sea der dritte Teil der Serie. Thomas Taylor lebt mit seiner Familie in Südengland.

 

 

Seemannslied

 

 

 

Violet dreht den Schlüssel dreimal kräftig um …

Tick-tick-tick-TICK, tick-tick-tick-TICK, tick-tick-tick-TICK

Nichts geschieht.

Sie legt das stachelige Schneckenhaus auf das Tischchen neben meinem Sessel.

Es geschieht immer noch nichts.

»Moment mal«, sagt sie. »Hörst du das? Es tut irgendetwas

Ich spitze die Ohren, und ja, aus dem Schneckenhaus kommt tatsächlich ein leises Surren – als würden sich winzige Rädchen in Stellung bringen.

Dann richtet sich das Schneckenhaus auf.

Beziehungsweise hebt sich einen Fingerbreit über das Tischchen, als sich ein kleiner Messingarm aus der Trompete nach unten streckt und das Schneckenhaus hochstemmt. Dann beginnt die Musik – eine klimpernde Melodie, die durch die Luft schwebt, während sich das Schneckenhaus auf dem Messingarm dreht. An dem schimmernden Gehäuse bricht sich der Schein meiner Kellerlampe, die widergespiegelten Lichtpunkte tanzen über die Decke.

»Wie wunderschön!« Violet hält die Luft an. »Und die Melodie kommt mir irgendwie bekannt vor …«

»Sollte sie auch«, sage ich. »Das ist ein Shanty.«

»Ein was?«

»Ein Seemannslied. Etwas, das die Fischer singen. Du hast es bestimmt schon mal gehört, wenn sie ihre Boote an den Strand ziehen. Oder am Kai herumlungern. Sie singen immer.«

»Aber es klingt anders«, widerspricht Violet. »Das hier ist hübscher. Magischer.«

Die Musik endet, und das Schneckenhaus hört auf, sich zu drehen. Es sinkt wieder auf den Tisch.

»Es ist also eine Spieldose«, stelle ich fest und überlege, ob ich diese Tatsache ebenfalls in das Verzeichnis eintragen soll. »Vielleicht lässt sich der rechtmäßige Besitzer so leichter finden …«

Das Schneckenhaus stellt sich wieder auf.

Und damit meine ich, dass es dieses Mal TATSÄCHLICH aufsteht, und zwar auf vier Messingbeinchen, die sich von innen mit einem metallischen KLACK! aufklappen! Jedes von ihnen ähnelt einem Krebsbein. Violet und ich hatten uns vorgebeugt, um die Musik zu hören, und weichen überrascht zurück. Selbst Erwin setzt sich in seiner Kiste mit Schals auf und faucht erschrocken. Das Schneckenhaus dreht sich in meine Richtung, als wolle es mich anschauen, allerdings kann ich kein Auge entdecken. Anschließend schwenkt es zu Violet. Ein fünftes Messinganhängsel schiebt sich heraus, dieses endet wie bei einem Krebs in einer winzigen Schere. Der Arm winkt zwischen uns hin und her, die kleine Schere schnipp-schnapp-schnappt dabei auf eine Weise, die ich nur als bedrohlich beschreiben kann.

»Gib mir den Eimer dort«, bitte ich Violet so gelassen wie möglich.

»Warum?«, lautet ihre Antwort. »Ist dir übel?«

»Nein«, nuschle ich. »Die dritte Regel des Sachenfindens. Hatte ich vergessen. Gib mir den Eimer. Schnell!«

Violet greift nach einem alten Holzeimer mit Kleiderbügeln. Ich reiße ihn ihr aus der Hand, schleudere die Bügel auf den Boden und stürze mich auf das Schneckenhaus.

Zu spät! Das Ding scheint mich irgendwie zu spüren, vielleicht ist es auch einfach der falsche Zeitpunkt, denn das Schneckenhaus springt genau in dem Moment von dem Tischchen, als ich ihm den Eimer überstülpen will, und flitzt über den Boden davon. Ich stürze hinterher, verfehle es aber noch einmal, und muss hilflos zusehen, wie der kleine Aufzieh-Einsiedlerkrebs – denn genau so sieht das Ding für mich aus – die Kiste mit den vergessenen Büchern hochsaust und über sie hinweghuscht. In meiner Verzweiflung schleudere ich den Eimer nach dem Krebs, und er fällt auf den Boden.

Violet springt vor und stürzt sich mit einem alten Wollpulli in der Hand auf ihn. Einen Moment lang kämpft sie mit ihm in dem Pullover, ich höre das metallische Klacken und Surren, als sich der mechanische Einsiedlerkrebs zu befreien versucht. Dann regt sich der Pullover nicht mehr.

»Hab ihn!«, triumphiert Violet.

»Meinst du, er ist jetzt wirklich nicht mehr aufgezogen?«

Violet zuckt mit den Schultern.

»Zumindest wehrt er sich nicht mehr.«

»Vielleicht.« Als ich ihr den Pullover abnehme, passe ich auf, dass unser kleiner Aufzieh-Gefangener nicht ausbüxt. »Aber ich gehe kein Risiko ein. Wenn jemand kommt und dieses Aufzieh-Schneckenhaus abholen will, möchte ich nicht gestehen müssen, dass es davongerannt ist und irgendwo in meinem Fundbüro sein Unwesen treibt. Diese Schere gefällt mir überhaupt nicht.«

Ich stopfe den Pullover – mitsamt Schneckenhaus – in den Eimer, stelle diesen verkehrt herum auf den Boden und beschwere ihn mit etlichen dicken Büchern. Falls die Mechanik immer noch ein bisschen Schwung vom Aufziehen hat, sollte ihn das daran hindern, irgendwohin zu verschwinden.

»Und wie heißt sie?«, fragt Violet.

»Die Spieluhr?«

»Nein, ich meine die dritte Regel für Sachenfinder. Wie lautet die?«

»Die dritte Regel lautet« – ich werfe ihr einen meiner extrem beeindruckenden Blicke zu – »Unerwarte das Erwartete

»Sollte es nicht andersherum heißen?«

»Ha!«, erwidere ich. »Genau das habe ich von dir unerwartet.«

»Alles klar.« Violet verdreht die Augen. »Wo hast du dieses Schneckenhaus überhaupt her?«

»Wurde abgegeben.« Ich lasse mich wieder in meinen Sessel fallen. »Neuer Gast, gerade erst angekommen. Er muss es, ähm, irgendwo gefunden haben.«

»Das weißt du nicht?«, fragt Vi von der anderen Seite des Ofens. »Hast du ihn etwa nicht gefragt, wo er es herhat? Du hast dich nicht nach den Details erkundigt? Das sieht dir überhaupt nicht ähnlich.«

Ich überlege, ob ich es erklären und Violet erzählen soll, wie merkwürdig und finster der gesichtslose Gast mit seiner tief gezogenen Kapuze und der gruseligen Stimme war, aber es ist mir zu mühsam. Vor allem, weil Violet ärgerlicherweise recht hat. Ich hätte Kapuzenmann hinterherrennen und mehr herausfinden sollen. Wie soll ich das dämliche Schneckenhaus seiner rechtmäßigen Besitzerin oder seinem rechtmäßigen Besitzer zurückgeben, wenn ich die Spur nicht verfolge, solange sie heiß ist? Ich brauche bloß morgen früh bei dem Mann an die Tür zu klopfen und nachzufragen. Jetzt würde ich allerdings wirklich gern das Thema wechseln und bin ich froh, als Violet es mir abnimmt.

»Hast du Hunger?«, fragt sie. »Es ist ewig her, dass wir bei Seegol Fish ’n’ Chips essen waren.«

Bei der Erwähnung der köstlichen Pommes von Seegol schlägt mein Magen einen kleinen erwartungsvollen Salto. Meine Ohren melden meinem Hirn allerdings stürmisches Wetter, weshalb mein Hirn ein Signal an meinen Magen sendet, es lieber zu vergessen. Mein Magen schlägt trotzdem noch einen kleinen Salto.

»Ich würde ja gern gehen«, antworte ich. »Aber der Sturm …«

»Ist ein Ungeheuer«, räumt Violet ein und stößt einen Pfiff aus. »Aber draußen zu sein, während er tobt, ist auch aufregend. So was hab ich noch nie erlebt. Außerdem ist es nicht weit zu Seegol.«

Tja, dem wirst du zustimmen, falls du schon mal einen Stadtplan von Eerie-on-Sea gesehen hast. Aber oben auf dem Pier zu sein, während sich am Himmel die Blitze verzweigen …

»Los, komm schon, Herbie!«, quengelt Violet und springt auf. »Es wird sich wie ein neues Abenteuer anfühlen.«

»Na gut.« Ich stehe auf und nehme meinen Mantel. Meine Kellerecke mit dem flackernden Feuer sieht mit einem Mal gemütlicher aus als je zuvor. »Und falls der Sturm richtig schlimm ist, können wir die Pommes ja mit hierhernehmen.«

 

 

 

Ich klettere weniger aus dem Kellerfenster, als dass ich herausgezogen werde. Der Wind scheint mich in die Lüfte heben zu wollen. Violet und ich stemmen uns dagegen, ihr dunkler Lockenschopf steht wie eine sturmgepeitschte Hecke von einer Kopfseite ab. Bevor ich etwas sagen kann, fegt ein Windstoß meine Worte davon und versucht gleichzeitig, mir die Mandeln herauszureißen. Ich schließe also lieber den Mund und denke an die Pommes. Wir stolpern über das Pflaster zum Kai, und der Anblick dahinter lässt uns verblüfft die Augen zusammenkneifen.

Das Meer verschlingt gerade den Pier.

Oder versucht es zumindest: Wellen, die aussehen wie der Kiefer irgendeiner riesenhaften urgewaltigen Kreatur, mampfen seine viktorianische Eisenkonstruktion. Sie brechen sich in Gischtfontänen, die auf die bebenden Bohlen eindreschen. Lichtergirlanden tanzen wie verrückt im Wind, während das Neonschild – auf dem in zischenden bonbonbunten Buchstaben EERIE-ON-SEA steht – heftiger knistert und blinkt als jemals zuvor. Darüber brodelt der Sturm in einer blutergussfarbenen Wolkenkuppel, in der elektrische Blitze aufleuchten.

Nur die Lichter von Seegols Diner – dem Fish ’n’ Chips-Imbiss in der Mitte des Piers – leuchten unerschütterlich und beruhigend.

Ich schaue Violet an, ihre Augen strahlen vor Aufregung. Sie steigt, sich an der Kaimauer festhaltend, die Treppe zum Pier hinunter. Doch plötzlich bleibt sie stehen, schlägt ihren Mantel wie Flügel auf und wartet, dass er sich mit der wütenden Luft füllt, und dann, genau im richtigen Moment …

… springt sie!

Unglaublich, der Sturm hält sie nicht nur in der Luft, er hebt sie sogar leicht hoch. Violet Parma fliegt!

Bis die Schwerkraft es mitkriegt und sie wieder herunterholt. Violet landet geschickt auf dem Pier und schließt den Mantel, damit der Sturm sie nicht länger hin und her rüttelt. Sie gibt mir ein Zeichen, ihrem Beispiel zu folgen.

Ich schlage meinen Mantel weit auf und sehe zum blitzenden Himmel hoch.

Einen Augenblick lang fühle ich mich wie...

Erscheint lt. Verlag 23.8.2021
Reihe/Serie Eerie-on-Sea
Eerie-on-Sea
Übersetzer Claudia Max
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Gargantis
Themenwelt Kinder- / Jugendbuch Kinderbücher bis 11 Jahre
Schlagworte Abenteuergeschichte • Antolin • Detektiv • England • Freundschaft • Geheimschrift • Grusel • Humor • Küste • Küstenort • Legende • Malamander • Meer • Monster • Mythen • Mythos • Rätsel • Sagen • Schmöker • Seemannsgarn • Seeungeheuer • Strand
ISBN-10 3-446-27220-8 / 3446272208
ISBN-13 978-3-446-27220-0 / 9783446272200
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