Die Silbermeer-Saga (Band 2) - Die Fließende Karte (eBook)

Zweiter Band des bildgewaltigen Nordic-Fantasy-Epos
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
640 Seiten
Loewe Verlag
978-3-7320-1512-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Silbermeer-Saga (Band 2) - Die Fließende Karte -  Katharina Hartwell
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'Manche von uns müssen durch die Angst gehen, um zu werden, wer sie sind.' Hoch oben im nördlichen Teermeer vermutet Edda ihren kleinen Bruder Tobin, der vom Krähenkönig entführt worden ist. Um ihn zu finden, braucht sie ein Schiff. Und die Fließende Karte. Denn die Lage der Inseln in der Silbersee verändert sich ständig und die Reise in den Norden ist weit und gefährlich. Edda findet heraus, dass die kostbare Karte beim Volk der Irsu auf den Regen-Inseln aufbewahrt wird. Voller Hoffnung bricht sie dorthin auf. Und findet in Pantemin einen Gefährten, der sie fasziniert - und gleichzeitig von ihrem Jugendfreund Teofin entfremdet. Ein sagenhaftes Inselreich hoch im Norden, eine Welt voller fantastischer Wesen und eine starke Heldin bilden den Mittelpunkt von Katharina Hartwells hinreißender und sprachgewaltiger Nordic-Fantasy-Trilogie.

Schon als kleines Mädchen schrieb Katharina Hartwell Märchen, später Abenteuer- und Geistergeschichten. Als Studentin besuchte sie Schreibwerkstätten, nahm an Wettbewerben teil. Erst an regionalen, schließlich bundesweit. Sie stand im Finale des Literaturwettbewerbes open mike und gewann den überregional beachteten MDR-Kurzgeschichtenpreis. 2013 war sie Sylter Inselschreiberin. Ihr Debüt Das fremde Meer erschien 2013 im Berlin Verlag und wurde mit dem Seraph ausgezeichnet.

Schon als kleines Mädchen schrieb Katharina Hartwell Märchen, später Abenteuer- und Geistergeschichten. Als Studentin besuchte sie Schreibwerkstätten, nahm an Wettbewerben teil. Erst an regionalen, schließlich bundesweit. Sie stand im Finale des Literaturwettbewerbes open mike und gewann den überregional beachteten MDR-Kurzgeschichtenpreis. 2013 war sie Sylter Inselschreiberin. Ihr Debüt Das fremde Meer erschien 2013 im Berlin Verlag und wurde mit dem Seraph ausgezeichnet.

Die Schwestern wurden unter einer Blutsonne geboren, und dies, so erzählte man sich im Dorf, war das erste Zeichen. Ihre Mutter nannte sich Inge und hatte ihr ganzes Leben in Colm verbracht. Es war ein Leben voller harter Arbeit und ohne besondere Ereignisse. Bis zu jenem Sommertag, in dem Inge nicht bloß ein, sondern gleich zwei Kinder zur Welt brachte. Die Erstgeborene nannte sie Agatha, und die Zweitgeborene nannte sie Lor. Während Agatha kräftig war und schrie, dass man es noch in Maunland hören konnte, schien Lor zunächst mehr tot als lebendig. Niemand im Dorf glaubte, dass sie leben würde. Doch als die Nacht kam, stahl sich Farbe in ihr Gesicht, und sie stieß Schreie aus, die laut waren wie die ihrer Schwester.

Im großen Festsaal des Fischhauses feierte man bald ein Fest zu Ehren von Inges Töchtern. Zwei Kinder auf einen Schlag! Dies musste ein gutes Zeichen sein. Doch auf die hellen Tage folgten dunkle, und bald hatte man Freuden und Feste vergessen, denn ein harter Winter suchte die Küste heim. Auch das Frühjahr brachte kaum Erleichterung. Morgens fuhren die Fischer zur See, und abends kehrten sie mit leeren Netzen zurück. Weder fingen sie solche Fische, die man verzehren, noch solche, deren Schuppen man zu Colminbrei stampfen und teuer an die Händler verkaufen hätte können. Ohne Handel gab es keinen Reis und keine Linsen und also nur wenig zu essen.

In Colm lebte eine alte Frau namens Solve. Manche sagten, sie sei eine Hexe, und andere sagten, sie sei bloß ein gehässiges Weib. In jener Zeit der großen Not begann sie, dunkle Wahrheiten im Dorf zu verbreiten. Laut Solve waren die Blutsonne und die Hungersnot bloß erste Boten und kündeten von einem noch größeren Unglück: Eine Flut würde über die Küste hinweggehen und alle Häuser, Tiere und Menschen mit sich reißen. Jeder wisse, erklärte Solve, dass Zwillingskinder die Schatten und das Unglück anzögen. Um die See zu besänftigen, müsse man ihr ein Opfer bringen und die Mädchen ins Meer schicken.

Aber die Mädchen könnten nicht schwimmen!, warf einer ein.

Die Mädchen sollten auch nicht schwimmen!, zischte Solve zurück. Ihre Lungen sollten sich mit Wasser füllen und ihre Körper schwer dem Meeresgrund entgegensinken. So würden sie der See gehören, und die See würde die Küste verschonen.

Auch Inge hörte Solves Reden und sprach ihnen Tag und Nacht entgegen. Solve sei schon immer niederträchtig gewesen und von schwarzem Herzen, rief Inge, und die Bewohner Colms stimmten ihr zu. »Lass Solve reden«, sagte einer. »Die alte Hexe garbelt bloß wieder mit gedrehter Zunge«, sagte ein anderer.

Doch ein harter Winter reihte sich an den nächsten, und Solves Zunge stand nicht still. Die beiden Schwestern saßen der Alten wie ein Dorn in der Ferse. Wer kann heute noch sagen, warum. Vielleicht, weil die Schwestern jung waren und feines blondes Haar und klare blaue Augen hatten. Vielleicht, weil sie nie einsam waren und immer einander hatten. Vielleicht, weil sie von Mutter und Vater geliebt wurden. Vielleicht, weil da etwas in ihren Adern kreiste, das auch Solve spürte, nur dass es längst nicht so schnell und kräftig floss. Auch eine Hexe ist vor Eifersucht nicht gefeit, und in Solve wütete sie wie ein schwarzes Gift.

Jahr um Jahr sprach Solve in die Ohren der Fischer und ihrer Frauen, wisperte und flüsterte, fragte und beantwortete im gleichen Atemzug selbst. Wann hatte die erste Hungersnot das Dorf heimgesucht? Im selben Jahr, in dem Agatha und Lor geboren worden waren! Welche Farbe hatten die Augen der Schwestern? Silberseegrau! Was war in der Woche nach ihrer Geburt geschehen? Es hatte ein Gewitter gegeben! Zeichen, allesamt!

Und während Solve sprach, blieben die Fische aus, und die Menschen Colms aßen nichts als dünne Suppe und bittere Blätter, und sie waren bald ganz schwach in ihren Bäuchen, und dann in ihren Köpfen, und dann in ihren Herzen. »Solve ist alt und weise«, murmelte erst der eine. »Hört auf die Worte der Hexe, sie wird es wissen«, behauptete ein anderer.

Als die Dorfbewohner schon so abgemagert waren, dass sie ihre Rippen unter der Haut zählen konnten und ihnen die Haare in Büscheln ausfielen und sie nachts von nichts anderem mehr träumten als dem Reisbrei, den sie früher oft leid gewesen waren, beschlossen sie, eine Versammlung abzuhalten.

»Wer von euch glaubt, wir sollten die Schwestern in die See schicken?«, fragte Gunnar Bragnor, und beinahe jeder Mann und beinahe jede Frau hob die Hand, und Inge ging ohne ein Wort aus dem Fischhaus.

Als der Tag kam, da man die Mädchen hinunter zum Strand führen wollte, färbte man zunächst ihre Kleider rot. Rot sei eine heilige Farbe und werde sie schützen, erklärte man ihnen. In Wahrheit aber fürchtete man bloß, dass die See die Schwestern früher oder später wieder ausspucken würde. Ihre Leiber sollten fortgeschafft werden, bevor Inge oder ihre Schwester Solfried sie fanden.

Beinahe das ganze Dorf geleitete die Mädchen hinunter zum Strand. Die Schwestern hielten einander an den Händen, als sie in die weiß schäumende Gischt traten. Hinter sich hörten sie die Mutter weinen. Gleich zwei Männer mussten Inge an den Armen halten, damit sie den Töchtern nicht nachlief.

Kalt war das Wasser, das Agathas und Lors Schuhe tränkte. Bald ging es ihnen bis zu den Knien, den Hüften, bis zur Brust, zum Kinn, zur Nase. Und die Schwestern fühlten, wie die See sie packte und davontrug, fort von der Küste, fort von Colm, von Solve und ihrer Mutter Inge, die sich noch immer den Armen der Fischer zu entwinden suchte und schrie, bis ihr die Stimme heiser wurde.

Die Schwestern wussten, dass es ihr Schicksal war, zu sinken wie Steine, und dass sie in den graukalten Meerestiefen den Tod finden würden. Sie zappelten und strampelten nicht. Doch statt sie auf ihren Grund hinabzuziehen, nahm die See die Schwestern bloß mit sich, trug sie hinaus zu den ersten Inseln des Archipels.

Die See war groß und gab wenig auf die Weissagungen einer Hexe. Die See wollte keine Opfer. Was sollte sie mit Opfern, wenn sie sich nehmen konnte, was immer sie begehrte? Behutsam legte sie die Mädchen am Ufer einer Insel ab, die den Namen Ootland trug. Auf ihr lebte eine Frau zusammen mit einer Wolfshündin, und diese Frau hieß Felma.

Felma zog die beiden Mädchen groß. Sie lehrte sie das Wissen über die Blumen und Gräser und Bäume, aber sie unterrichtete sie auch in Hexendingen, weil sie den Mädchen ansehen konnte, dass sie mit einem Fuß in der Welt der Menschen und mit dem anderen in der Welt der Sprachzauber standen.

Wie die meisten Hexen liebte auch Felma die Stille und brauchte keine andere Gesellschaft als die ihrer Wolfshündin. Als sie den Mädchen das ein oder andere Alte Wort beigebracht und ihnen gezeigt hatte, wie man in den Knochen las und eine Nachricht in ihnen versteckte, und als die Mädchen im Grunde keine Mädchen mehr waren, sondern junge Frauen, da schickte Felma sie fort.

Agatha und Lor mussten nicht lange suchen, bis sie eine Insel fanden, die ihnen gut gefiel. Sie nannten sie Horvig und von hier an ihr Zuhause. Auf Horvig gab es nicht viel: karges, steiniges Land und spärlich wachsendes Gras und genau in der Mitte einen Hügel. Hier errichteten die beiden Schwestern einen Turm. Sie bauten ihn aus Steinen und Alten Worten, und wenn sich ein Reisender der Insel näherte, dann sah er einen großen Baum oder einen steil aufragenden Felsen, aber nie einen Turm.

Die Schwestern führten ein ruhiges Leben auf Horvig. Manchmal dachten sie an ihre Mutter, aber sie wussten, dass sie niemals nach Colm zurückkehren konnten.

Wenn den Schwestern nach Abenteuern und Abwechslung gewesen wäre, hätten sie jederzeit auf Reisen gehen können, aber sie gaben nichts auf Reisen.

Wenn ihnen nach Besuch gewesen wäre, hätten sie jederzeit Reisende anlocken können, aber sie gaben nichts auf Besucher.

So verstrichen die Jahre, und ein Jahrzehnt reihte sich ans nächste, und die Haare der Schwestern färbten sich grau und ihre Haut wurde rau und gegerbt von der Sonne. Sonst aber geschah wenig. Keine Gefahren und keine Wunder, und den Schwestern war es recht so, denn sie hatten genug von Gefahren und Wundern. Und hätte man Agatha gesagt, dass sie nie wieder mit jemand anderem als Lor sprechen würde, so wäre es gut gewesen. Und hätte man Lor gesagt, dass sie nie wieder mit jemand anderem als Agatha sprechen würde, so wäre es gut gewesen.

Doch es kam anders.

Eines Morgens, nachdem ein großer Sturm durchs Inselreich gegangen war, schaute Lor im höchsten Zimmer des Turms aus dem Fenster und sah, dass ein Boot in der Brandung lag. Sie rief ihre Schwester, und zusammen gingen sie hinunter zum Wasser.

In dem Boot lag ein Junge. Er hatte die Augen geschlossen. Auf seiner Stirn prangte eine blutige Wunde, und er rührte sich nicht, seine Brust aber hob und senkte sich noch.

»Zurück ins Wasser oder hinauf in den Turm?«, fragte Lor ihre Schwester, denn es war immer Agatha, die Ältere, die wichtige Entscheidungen traf.

Agatha wiegte den Kopf. Für einen Jungen hatten die Schwestern so viel Verwendung wie für einen Wassermann oder eine Königskrake. Es wäre ein Leichtes gewesen, das Boot zurück in die Brandung zu schieben und die See darum zu bitten, ihn fortzuschaffen. Aber die See hatte ihnen den Jungen schließlich überhaupt erst gebracht. Und Agatha erinnerte sich, wie Lor und sie einst an einer Insel angespült worden waren und wie Felma sich ihrer angenommen hatte. Vielleicht war es an der Zeit, eine Schuld zu begleichen. Sie kniete sich neben das Boot in den Sand, fuhr dem Jungen übers Haar und griff sich eine Strähne. Der Junge roch nach Blut und Rost, er roch nach etwas Verborgenem, einem Geheimnis, von dem er selbst nichts wusste.

Agatha...

Erscheint lt. Verlag 10.3.2021
Reihe/Serie Die Silbermeer-Saga
Die Silbermeer-Saga
Verlagsort Bindlach
Sprache deutsch
Themenwelt Kinder- / Jugendbuch Jugendbücher ab 12 Jahre
Schlagworte Bücher wie Das Reich der sieben Höfe • Bücher wie Die Spiegelreisende • Bücher wie Ein Meer aus Tinte und Gold • Das ferne Meer Katharina Hartwell • Dicke Bücher mit viel Inhalt • Fantasy Bücher ab 14 vierzehn Jahren • Geschenke Jungen Mädchen 14 Jahren Buchfans • High Nordic Fantasy Epos • Jugendbücher ab 14 vierzehn Jahren • Literatur für Jugendliche
ISBN-10 3-7320-1512-2 / 3732015122
ISBN-13 978-3-7320-1512-2 / 9783732015122
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