Vardari - Eisenwolf (Bd. 1) -  Siri Pettersen

Vardari - Eisenwolf (Bd. 1) (eBook)

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2021 | 1. Auflage
544 Seiten
Arctis Verlag
978-3-03880-142-9 (ISBN)
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Von der Autorin der Bestsellerserie DIE RABENRINGE: Das nordische Fantasy-Epos über Blut, Begierde, Verrat und Abhängigkeiten Juva hasst Blutleserinnen. Sie werden für ihre Hellsichtigkeit gefeiert, sind aber nichts als Betrügerinnen, die mit den Ängsten der Menschen spielen. Juva stammt zwar selbst von ihnen ab, hat sich aber geschworen, niemals eine von ihnen zu sein. Als jedoch ihre Familie von den Vardari - den Ewigwährenden, niemals Alternden - bedroht wird, begibt sie sich auf die Jagd nach dem Erbe der Blutleserinnen: ein dunkles Geheimnis, das einst die Welt verändert hat und es möglicherweise wieder tun wird. Doch um zu überleben, muss Juva ihr eigenes Trauma bewältigen: Sie hat als Kind den Teufel gesehen ...

Siri Pettersen, geboren 1971, wurde 2013 mit dem Erscheinen des ersten Bands der RABENRINGE-Trilogie schlagartig bekannt. Sie eroberte auch mit den beiden Folgebänden die Bestsellerlisten und wurde mehrfach ausgezeichnet. Die gelernte Designerin lebt heute in Oslo.

Siri Pettersen, geboren 1971, wurde 2013 mit dem Erscheinen des ersten Bands der RABENRINGE-Trilogie schlagartig bekannt. Sie eroberte auch mit den beiden Folgebänden die Bestsellerlisten und wurde mehrfach ausgezeichnet. Die gelernte Designerin lebt heute in Oslo.

Der Neuling


Der Neuling war von der schlimmsten Sorte. Ein Streuner aus der Stadt, der sich schon nach der ersten Nacht in Svartland für einen Wolfsjäger hielt. Er war ungeschickt, machte krampfhaft auf Kumpel und redete am laufenden Band. Juva war kurz davor, sich die Ohren mit Schnee zuzustopfen, um ihn nicht mehr hören zu müssen.

Stattdessen stand sie auf und rollte die Schlaffelle zusammen. Die anderen konnten gern sitzen bleiben und nachsichtig nicken, wenn der Anfänger wertvolles Tageslicht wegwitzelte. Und dafür war sie in aller Frühe aufgestanden? Hatte das Feuer angemacht, damit die anderen beim Aufwachen Wärme und Essen hatten. Einer nach dem anderen waren sie aus den Schneehöhlen gekrabbelt. Eine Gruppe von sieben diesmal.

Sechs war üblich. Sechs war besser.

Der Neuling war als Letzter auf die Beine gekommen. Trotzdem hatte er seinen Hintern gleich ans Feuer gepflanzt, ohne einen Finger krumm zu machen, und dort saß er immer noch und schwatzte mit vollem Mund. Stattdessen hätte er lieber seine Sachen packen, sich fertig machen sollen, so weit fertig wenigstens, wie er mit dieser Ausrüstung werden konnte.

Juva schmiss die Felle auf den Schlitten, wobei sie heimlich zu ihm hinüberschielte. Seine Lederstiefel waren neu und weit um die Unterschenkel, besser geeignet, um auf den Straßen von Náklav herumzulatschen. Er war gestern bis auf die Haut nass geworden, und das würde ihm heute wieder passieren. Seine Armbrust steckte mit dem Bogen im Schnee, als ob er nicht wüsste, wo bei der oben und unten war. Wenn er denn jemals zum Schießen kommen sollte, wäre der Bolzenlauf mit Eis verstopft. Die Bolzen lugten aus einem Köcher an seiner Hüfte, und sie klickerten bei jeder Bewegung gegeneinander. Der einzige Wolf, in dessen Nähe sie kommen würden, musste ein taubes Tier sein.

Juva guckte zu den anderen hinüber und stellte fest, dass Broddmar sie beobachtete, als er den letzten Löffel Sauergrütze aus seiner Schüssel kratzte. Sie kehrte ihm den Rücken zu und schnallte sich das Geschirr um. Es war für sie schon immer etwas zu breit gewesen, weil es Vater gehört hatte; aber das Leder war weich gewetzt und hatte schon längst aufgehört zu scheuern. Sie hatte es außerdem gut für sich angepasst: hatte einen Riemen über der Brust angebracht, der das Gewicht der Armbrust auf dem Rücken erleichterte, eine größere Tasche und ein Futteral fürs Schindermesser am Hüftgürtel. Sie zog die Schnalle enger, die die Bolzen am Schenkel festhielt. Sie waren nebeneinander aufgereiht, die giftbraunen Stahlspitzen sicher verborgen. Sie mussten leicht herauszuziehen sein, aber fest genug sitzen, um bei einem Sturz nicht herauszufallen. Sie hoffte für den Neuling, dass er sich keine Giftbolzen umgeschnallt hatte, denn dann würde er sich wohl selbst umbringen, sobald er stolperte.

Sie hörte hinter sich Broddmars Schritte im Schnee.

»Du, Juva …«

»Nein, ich nehme ihn nicht.«

Broddmar reagierte nicht gleich, er dachte immer erst nach, bevor er den Mund aufmachte, im Gegensatz zum Neuling. Er war aber auch so alt, dass er ihr Großvater hätte sein können, im Lauf der Jahre wurde man wohl stark und wortkarg. Darum hatte er das Sagen. Und jetzt hatte er beschlossen, einen Grünschnabel mitzunehmen, der die Jagd im besten Fall vergeblich und im schlimmsten lebensgefährlich machte.

»Na gut«, sagte Broddmar endlich. »Er geht mit mir, wenn wir uns aufteilen.«

Juva zog die Schnur um eins der Schlaffelle fest, bis es eingeschnürt war wie eine behaarte Sanduhr.

Broddmar hüstelte hinter ihrem Rücken. »Ich glaube nicht, dass die Felle vorhaben, abzuhauen …«

Sie drehte sich um und wies mit dem Kopf in Richtung Neuling, der vor den anderen mit seiner Armbrust angab. »Du hast doch immer gesagt, die Gruppe ist nicht stärker als das schwächste Glied! Guck ihn dir an! Er ist vorher noch nie auf der Jagd gewesen, er ist ein Kind!«

Broddmars Wangen fielen noch weiter ein; der Beweis, dass er sich ein Lächeln verkniff. »Du bist neunzehn, er hat dir mindestens zehn Jahre voraus.«

Ihre Augen verengten sich, und er sprach schnell weiter: »Hör mal … Er ist mit einer Freundin von Mottes Schwester zusammen, und der hat es nicht fertiggebracht, Nein zu sagen. Und es ist nur dieses eine Mal, Juva.«

Letzteres war ein Geständnis, das ihren Ärger dämpfte. Er wusste, dass er sich einen Schnitzer erlaubt hatte. Er lächelte aufmunternd, mit einer großen Lücke dort, wo Vater ihm einmal die Schneidezähne ausgeschlagen hatte. Im Oberkiefer hatte er nur noch die Backenzähne übrig. Und dadurch klang ihr Name aus seinem Mund wie Jufa, wenn er aufgeregt war. Das war entwaffnend, und das nutzte er immer aus, wenn es sich lohnte.

»Er wird es versauen«, murmelte sie.

Broddmar klopfte ihr mit einem pelzigen Wollfäustling auf die Schulter und wandte sich zum Gehen. Sie hielt ihn am Arm fest.

»Dann schuldest du mir was, Broddmar. Ich will mitkommen, wenn du dich nächstes Mal rot anziehst.«

Broddmar linste zu den anderen, doch niemand konnte sie durch den endlosen Redefluss des Neulings hören.

»Nein, du willst nicht mit mir kommen, Juva. Vergiss das auf der Stelle! Lagalune würde mir die Haut abziehen, wenn ich dich mitkommen ließe; und ich bin nicht so blöd, mich mit deiner Mutter anzulegen.«

Als ob sie das interessieren würde.

Juva ließ ihn gehen. Broddmar konnte man nur bis zu einer bestimmten Grenze reizen. Sie vertraute ihm, trotz des Neulings. Wenn sich Broddmar bei ihm sicher war, dann sollte sie das auch sein. Doch die Unruhe wuselte wie Würmer durch ihren Bauch. Das lag nicht daran, dass der Schwachkopf keine Erfahrung hatte, die hatte sie vor ein paar Jahren auch noch nicht besessen. Da war noch etwas anderes; er war nervös. Rastlos. Er schwang die Armbrust an ihren Platz, als wäre sie eigentlich nicht wichtig. Als hätte er es nicht auf Felle und Wolfszähne abgesehen.

Sie wünschte, sie hätte nie gelernt, Leute zu lesen. So was vergaß man nicht mehr. Ob man es wollte oder nicht, man schnappte allein schon durch die Bewegung der Menschen etwas auf. Durch die Worte, mit denen sie sich ausdrückten. Darum kam sie sich wie eine Diebin vor, die ihnen die Gelegenheit stahl, selbst zu zeigen, wer sie waren. Sie wusste schon mehr über den Neuling als er selbst über sich. Sie hoffte nur, sie irrte sich.

Die anderen brachen allmählich auf. Hanuk kickte Schnee ins Feuer, das sich zu Tode zischte. Lok saß in der Hocke, um die Schneeschuhe anzuschnallen. Sein rostrotes Haar reichte ihm bis zum Hintern, wenn er so dasaß. Er nickte zu den Stiefeln des Neulings, der sich noch immer nicht erhoben hatte.

»Hast du keine Angst, mit feuchtem Brand nach Hause zu kommen?«

Juva war erleichtert, dass ihn endlich jemand fragte. Lok konnte ein Großmaul sein, meinte es aber gut, so voller Gefühle, wie er war. Weinte grundlos. Und vermisste seine Kinder nach einem halben Tag. Und sogar er, der vier Mäuler zu füttern hatte, trug geeignetere Schuhe.

Der Neuling zog die Beine an und schaute auf seine Füße. »Was ist mit denen? Waren sauteuer, das kann ich euch sagen. Von Kastor in der Scherengasse, vom besten Schuhmacher in ganz Náklav! Er hat eine Warteliste, aber ich …«

»Daran habe ich keinen Zweifel«, schnitt Lok ihm das Wort ab. »Wir haben zusätzliche Schuhe und Fäustlinge, falls jemand welche braucht.«

»Ja, ich werde das nicht sein, um es mal so auszudrücken; ich habe die besten, die für Geld zu kriegen sind.« Der Neuling schlug Lok auf die Schulter, als teilten sie ein Geheimnis. »Außerdem habe ich das Schicksal auf meiner Seite. Ich war vor knapp drei Tagen bei einer Blutleserin, die hat auch eine Warteliste.«

Juva hielt die Luft an.

Das hatte gerade noch gefehlt …

»Und sie hat gesagt, du kannst nicht erfrieren?«, fragte Lok.

»So gut wie. Sie hat gesagt, ich hätte kaum angefangen zu leben.«

Juva verdrehte die Augen. Wie konnte man nur so leichtgläubig sein? Die Formulierung war eine Absicherung nach allen Seiten, die sie schon tausend Mal gehört hatte. Die Blutleserin hatte nichts weiter gesagt, als dass er jung war. Dass er noch lange zu leben hatte, war seine Schlussfolgerung.

Hanuk brach in schallendes Gelächter aus. »Hört sich nicht wie eine Garantie fürs Altwerden an.«

Der Neuling sprang auf, eindeutig entrüstet, dass jemand an der Vorhersage kratzte, auf die er sich verlassen hatte. Er stotterte sich durch die Fabel, wie und woher die Blutleserinnen ihre Kräfte bekommen hatten, nämlich vom Teufel persönlich, im Wolfspelz. Als ob nicht jedes Kind in Draumheim das »Märchen von den drei Schwestern und dem Wolf« schon mit der Muttermilch aufgesogen hätte.

»Das ist Scheißgeschwätz«, sagte Motte. »Stimmt’s, Juva?«

Juva biss die Zähne zusammen. Broddmar stieß ihm den Ellenbogen in die Seite, sodass Motte zusammenzuckte. Er guckte zu Juva hoch, beschämt über den Versprecher, was traurigerweise so typisch für ihn war. Er war schwerfällig wie ein Berg und einem solchen auch nicht ganz unähnlich.

Der Neuling hatte das mitgekriegt und kam zu ihr, mit Gier im Blick. »Warum fragt er dich? Kennst du Blutleserinnen?«

Juva zeigte auf seine Stiefel. »Du kannst wenigstens was drumschnüren, damit dir kein Schnee reinfällt. Wir drehen nicht um, nur weil du kalte Füße kriegst.«

»Kennst du welche? Bist du mit Blutleserinnen verwandt?« Er ließ sich offensichtlich nicht dazu verleiten, seine Frage zu vergessen.

»Wenn ich Ja sage, schnürst du dir dann Fell um die Schuhe?«

Sie kehrte ihm den Rücken zu, doch er schmuggelte sich vor sie und lehnte sich an den...

Erscheint lt. Verlag 18.3.2021
Reihe/Serie Vardari
Vardari
Vardari
Übersetzer Dagmar Mißfeldt, Dagmar Lendt
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Kinder- / Jugendbuch Jugendbücher ab 12 Jahre
Schlagworte Fantasy • Mythologie • nordisch • Norwegen • Rabenringe • Siri Pettersen • Trilogie • worldbuilding
ISBN-10 3-03880-142-9 / 3038801429
ISBN-13 978-3-03880-142-9 / 9783038801429
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