Good Girls Die First (eBook)

Thriller
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
336 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491390-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Good Girls Die First -  Kathryn Foxfield
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So unheimlich wie spannend: ein mörderischer Pageturner der Extraklasse Ava wird zum Portgrave Pier gelockt, einem verlassenen, heruntergekommenen Freizeitpark in ihrer Heimatstadt. Genau wie neun andere Jugendliche, von denen sie manche kennt, manche nicht. Jeder von ihnen hat eine rätselhafte, erpresserische Einladung erhalten - mit der Anspielung auf ein großes persönliches Geheimnis, das er um keinen Preis verraten will. Bald verschwindet der Pier im Nebel, sie sind von der Außenwelt abgeschnitten. Jemand dringt in ihre Gedanken ein und schickt ihnen Botschaften. Offenbar sollen sie sich gegeneinander wenden, Opfer werden gefordert. Spielt ihnen ihr Gehirn Streiche? Ava muss sich ihrem eigenen Geheimnis stellen und die Frage beantworten, wie weit sie gehen würde, um selbst zu überleben.

Kathryn Foxfield schreibt düstere Bücher über seltsame Dinge. Ihren Hang zu gruseligen Stoffen führt sie auf ihre Kindheitsvorliebe für gänsehauterzeugende Serien und Krimis von Agatha Christie zurück. Sie schreibt über Figuren, die sich wehren können, würde selbst aber keine fünf Minuten in einer ihrer Geschichten überstehen. Kathryn ist Biologin, Autorin und Katzendienerin. Sie lebt im ländlichen Oxfordshire, ihr Herzensort ist jedoch London.

Kathryn Foxfield schreibt düstere Bücher über seltsame Dinge. Ihren Hang zu gruseligen Stoffen führt sie auf ihre Kindheitsvorliebe für gänsehauterzeugende Serien und Krimis von Agatha Christie zurück. Sie schreibt über Figuren, die sich wehren können, würde selbst aber keine fünf Minuten in einer ihrer Geschichten überstehen. Kathryn ist Biologin, Autorin und Katzendienerin. Sie lebt im ländlichen Oxfordshire, ihr Herzensort ist jedoch London. Christine Blum, aufgewachsen am Kaiserstuhl, studierte Literatur- und Kulturwissenschaften und übersetzt seit über fünfzehn Jahren aus dem Englischen und Russischen.

EINS


An Abenden, wenn der Wind aus der falschen Richtung wehte, schien von Allhallows Rock her verzerrte, misstönende Musik aufs Festland zu treiben. Das letzte Abendlicht ließ die Insel in nebligem Rot und Orange erstrahlen, und einen Moment lang sah es aus, als stünde sie noch immer in Brand.

Dann versank das Licht in den pechschwarzen Fluten, und die Bewohner von Portgrave wandten den Blick wieder ab. Alle Fragen, die sie sich vielleicht zu dem verlassenen Vergnügungspark mit seinem endlosen Pier stellten, lösten sich in nichts auf. Meistens vergaß Ava, dass es die Insel überhaupt gab.

Erpressung war doch eine hervorragende Methode, um das Gedächtnis aufzufrischen.

Menschenleer erstreckte sich nach rechts und links der düstere Strand. Auf der einen Seite führte ein mit Kies und Seetang bedeckter Streifen zur Strandpromenade von Portgrave hinauf, die in schmuddeliges Neonlicht getaucht war. Auf der anderen folgte eine Betonmauer der Krümmung des Ufers, wodurch die windschiefen Buden und mit Brettern vernagelten Läden wie ein Gefängniskomplex aussahen.

Weit und breit war kein Erpresser zu sehen – oder überhaupt jemand.

Zwanzig Uhr, Portgrave Pier. Kannst du ein Geheimnis für dich behalten?

So stand es in ihrer »Einladung«. Anfang der Woche war diese in einem makellosen weißen Umschlag durch den Briefschlitz in den Hausflur geworfen worden. Sie bestand aus einem Foto, das niemand außer Ava je gesehen hatte. Oder je hätte sehen sollen. Auf die Rückseite hatte jemand mit einer alten Schreibmaschine das heutige Datum und die mysteriösen Anweisungen getippt. Mehr nicht. Doch es musste Erpressung sein. Aus welchem anderen Grund hätte dieser Jemand Ava einen Beweis ihres größten Geheimnisses schicken sollen?

Sie wandte sich dem Pier zu. Hinter dem Eingangstor, das durch ein Vorhängeschloss gesichert war, erstreckte er sich aufs Meer hinaus wie ein im Regen vergessener Steg aus Streichhölzern. Unter halb verrotteten Bodenplanken schäumte gierig das Wasser. Das vierzig Jahre alte Gerüst schwankte gefährlich. Und für alle, denen das noch nicht reichte, prangte am Tor ein Schild in blutroter Handschrift: HIER LAUERT DER TOD.

Einst war die Insel ein Vergnügungspark gewesen: Schaubuden, Fahrgeschäfte, eine Spielhalle, ein Nachtclub. König dieses kleinen Reichs war der Große Baldo, bis ein Brand, dessen Ursache nie geklärt wurde, es vernichtet hatte. Pflichtschuldig hatten Feuerwehr und Küstenwache die Flammen gelöscht. Der Pier war mit einem Gerüst umgeben worden, um ihn zu erhalten. Dann zogen sich alle aufs Festland zurück, und das Tor wurde versperrt.

Mehr wusste Ava nicht. Niemand in Portgrave sprach über Portgrave Pier. Oder über Baldo. Fast als hätte man beides vergessen. Ein paarmal hatte Ava ihre Großmutter gefragt, aber die hatte nur geantwortet, sie solle sich davon fernhalten. Wenn Ava nachgefragt hatte, hatte sie nicht erklären können, warum. Das Merkwürdige war: Ava hatte sich ferngehalten, bis dieser Erpresserbrief sie vor das Tor des Piers gezwungen hatte.

Aus Gewohnheit hob sie ihre Spiegelreflexkamera auf Brusthöhe und machte sich auf die Suche nach einem guten Motiv. Die verrosteten Drehkreuze und verfallenen Donutbuden strahlten eine seltsame Schönheit aus, doch Ava wollte, dass in ihren Fotos mehr steckte als nur dramatische Lichtverhältnisse und verblichene Farben. Eine Aussage. So schrieb sie es wenigstens in ihre Instagram-Untertitel. Sie hatte vor, den Geist von Kapitalismus und Misswirtschaft einzufangen, der dem Pier noch immer anhaftete, vier Jahrzehnte nachdem die Menschen verschwunden waren.

Halbherzig hielt sie die Kamera auf Armeslänge von sich, schoss ein Selfie und betrachtete es. In der Dämmerung war ihr Gesicht etwas unscharf. Dunkles, leicht gewelltes Haar, zu einem kinnlangen Blunt Cut geschnitten. Die olivfarbene Haut im schwachen Licht scheinbar makellos. Ansatzweise geöffnete Lippen, kein Lächeln. Ava lächelte auf Fotos nie; wenn sie lächelte, sah sie viel zu sehr wie eine Sechzehnjährige aus.

»Die Kamera klaut dir noch die Seele«, rief jemand hinter ihr.

Ava zog sich der Magen zusammen. Auch ohne sich umzudrehen, wusste sie, dass es ihre beste Freundin Jolie war, die über die Wellenbrecher näher kam. Ava und Jolie – ein Paar wie Pech und Schwefel, wie Pommes und Ketchup, wie diese gruseligen Zwillinge aus The Shining. Einmal war Jolie vom Uferdamm gefallen und hatte sich den Arm gebrochen, und wochenlang hatte auch Avas eigener Arm weh getan. Und als Avas Haare nach einem unseligen Färbeversuch schreiend orange wurden, hatte Jolie ihre ebenso gefärbt. Sofort war sie von allen nur noch »Clown Bozo« genannt worden, und Avas Missgeschick war von Jolies überlebensgroßem knallorangem Schatten überdeckt worden.

Sicher, manchmal hatte Jolies Freundschaft etwas Erdrückendes. Aber meistens hätte sich Ava niemanden sonst an ihrer Seite gewünscht. Das hier jedoch war etwas anderes. Mit dieser Erpressung musste Ava allein fertigwerden, ohne dass Jolie sich einmischte oder ein Urteil abgab. Eigentlich hätte Jolie gar nicht wissen sollen, dass sie hier war.

Ava schaltete die Kamera aus und wartete, bis das Objektiv sich eingefahren hatte. Als sie aufsah, lehnte ihre Freundin schon an einem mit Graffiti besprühten Werbeplakat vor ihr. Funkelte sie unter der Kapuze eines Riesenpanda-Einteilers an, aus der wild die noch immer orangen Spitzen ihres blonden Kraushaars hervorlugten. »Komisch, dich hier zu sehen. Ich dachte, du hättest heute Abend große Pläne mit Photoshop?«

Der genervte Unterton war nicht zu überhören. Ava ging nicht darauf ein. »Und du? Wolltest du nicht lernen? Und dein Handy stummschalten?«

Jolie verengte die Augen, sichtlich unschlüssig, ob es Sinn hatte, weiter sauer auf Ava zu sein, da auch sie geschwindelt hatte. »Also, was machst du hier?«

Ava wies mit dem Kinn auf den Pier. »Mein Ding. Verfall der Zivilisation.«

»Deine vierzehn Follower werden überschnappen vor Begeisterung.«

»Es sind neunzehntausend, aber ist ja egal.« Ava machte eine kurze Pause. »Bist du mir gefolgt?«

Jolies Blick blieb finster. »Hä? Nein. Ich hab da per Post so ’ne Einladung gekriegt.« Sie verzog das Gesicht, krauste die sommersprossige Nase. »Wer verschickt denn heutzutage noch was mit der Post?«

Alte Leute und Erpresser. Betonung auf Erpresser. Also hatte auch Jolie ein Geheimnis, aufgrund dessen sie hier war.

»Was stand denn drin?«, fragte Ava.

Jolie musterte sie misstrauisch. Schließlich zog sie ein zerknittertes Stück Papier aus dem Einteiler und klatschte es Ava praktisch vor die Brust. »Kannst es gern sehen.«

Ava strich das Papier glatt. Es sah aus wie ein Zirkus-Werbeplakat aus dem neunzehnten Jahrhundert. In der Mitte saß steif eine bärtige Dame auf einem hochlehnigen Stuhl, auf ihrem Knie stand eine winzige Frau. Umrahmt wurden die beiden von einem Jungen, der mehr Wolf als Mensch zu sein schien, und einem Mann mit Elefantiasis. Monster und Missgeburten! Komm ins Kuriositätenkabinett, lautete die Überschrift über ihren Köpfen.

Ava drehte es um. Auf der Rückseite standen die gleichen Instruktionen wie die, die sie bekommen hatte. Zwanzig Uhr, Portgrave Pier. Kannst du ein Geheimnis für dich behalten?

Nach Avas Erfahrung gab es zwei Arten von Geheimnissen auf der Welt. Solche, die ihre Macht verloren, wenn man sie verriet, und solche, die alles veränderten. Die das Innere einer Person nach außen kehrten und zeigten, wie sie wirklich war. Zu welcher Sorte ihr eigenes gehörte, wusste sie. Doch was war mit Jolies?

»Sagt dir das Bild was?«, fragte sie.

»Sagen?«

»Na ja, weil meine Einladung irgendwie … persönlich war.«

Jolies verhärtete Miene wurde etwas weicher. »Ich dachte, da will sich jemand über mich lustig machen. Ein blöder Scherz. Wegen Max, weißt du. Ein paar assige Kids in der Nachbarschaft rufen ihm Missgeburt nach, wenn er rausgeht.«

»Oh«, sagte Ava.

Bei einem Hausbrand im vorigen Sommer wäre Jolies älterer Bruder fast gestorben. Eine unbeaufsichtigte brennende Zigarette, und alles hatte so schnell in Flammen gestanden, dass er davon eingeschlossen worden war. Es würde sicher noch fünf Jahre dauern, bis er mithilfe qualvoller Hauttransplantationen und plastischer Chirurgie wieder ein richtiges Gesicht hatte.

Ava kratzte sich am Kopf. Ihr Haar war schon ganz salzverklebt. »Das ist hart.«

Jolie nahm ihr die Einladung wieder ab. »Wenn ich rauskriege, wer das verbrochen hat, der kriegt so was von in die Eier, das sag ich dir. Deine ist also anders? Zeig mal her.«

Ava zögerte, wie viel sie preisgeben wollte. Schon dass eine Person außer ihr – der mysteriöse Erpresser – ihr Geheimnis kannte, war zu viel. Sie zog die Einladung aus der Hosentasche und drehte sie zwischen den Fingern.

Jolie schnappte sie sich und betrachtete das Foto. »Ist das das Parkhaus am Oracle? Warum bitte schickt dir jemand ein Bild von ’nem Parkhaus in der Stadt?«

Ava öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Sie wusste nicht, was sie erwidern sollte.

»Hm. Was ist in dem Parkhaus passiert?«

»Nichts.«

»Tu nicht so! Ich merk doch, wenn du was vor mir verbirgst. Dann wirst du total rot und fängst an zu schwitzen.«

»Und ich merke, wenn du was vor mir verbirgst. Zum Beispiel, was dieses Missgeburtposter wirklich bedeutet.«

Sie funkelten einander an. Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte Ava es für undenkbar gehalten, dass Jolie und sie je Geheimnisse voreinander haben könnten. Doch...

Erscheint lt. Verlag 1.5.2021
Übersetzer Christine Blum
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Kinder- / Jugendbuch Jugendbücher ab 12 Jahre
Schlagworte Agatha Christie • England • Geheimnisse • Horror • Jugendbuch • Karen McManus • Lügen • Mystery • One of us is lying • paranormal_themes • Pier • Teens • Thriller • YA
ISBN-10 3-10-491390-0 / 3104913900
ISBN-13 978-3-10-491390-2 / 9783104913902
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