Jotta (eBook)

Und die Kunst des Erpressens

(Autor)

eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
166 Seiten
neobooks Self-Publishing (Verlag)
978-3-7502-2339-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Jotta -  Sophie Fuchs
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Ein ruhiges unaufregendes Leben? Das gibt es nicht für die dreizehnjährige Jotta, die mit einem Kopf voller Ideen, einer kreativ gestalteten Familie und einem Probehund in Berlin-Friedrichshain lebt. Da passt es nur zu gut ins Bild, dass sie es leider schafft, das neue Kampagnenkind ihrer Schule zu werden. Um die marode Sporthalle zu sanieren, soll mit Jotta ein Kampagnenfilm gedreht werden, der durch eine renomierte Marketingfirma geleitet wird. Eine großartige Möglichkeit um sich schon einmal einen Namen zu machen, findet Jottas Papa, der erfolgreicher Künstler ist. Doch gerade als alles perfekt zu laufen scheint, werden die gesamten Kunstwerke von Jottas Vater gestohlen, gefolgt von einem Erpresserbrief. Zusammen mit ihren zwei besten Freunden nimmt Jotta die Fährte auf und macht eine unglaubliche Entdeckung.

Sophie Fuchs ist eine Berliner Autorin, die nun im Alter von 24 Jahren ihr erstes Buch veröffentlicht. Geboren und aufgewachsen in einer kleinen Stadt nahe Berlin, endeckte sie bereits schon früh ihre Leidenschaft zum Schreiben. Im Kontrast zu ihrem beruflichen Alltag verleiht ihr das Schreiben die Fähigkeit, an jedem erdenklich Ort zu sein und aus den Augen vieler verschiedener Figuren die Welt zu betrachten.

Ich bin Jotta


Die Schulglocke klingelt. Es ist das Signal, auf das alle gewartet haben. Schüler, die gerade noch in fast völliger Besinnungslosigkeit vor sich hingestarrt haben, erwachen wieder zum Leben. Wie perfekt einstudiert, öffne ich meinen Rucksack, halte ihn an die Kante meines Tisches und schiebe mit einem Schwung alles, was auf meinem Platz gelegen hat, hinein. Man könnte mich nachts wecken, mir das Klingeln unserer Glocke vorspielen und ich würde genau das tun. Noch bevor ich meinen Rucksack jedoch wieder schließen kann, schallen schon die schlimmen Worte durch den Raum: „Der Lehrer beendet den Unterricht!“
Daraufhin folgt derartiges Gestöhne und Augenverdrehen, das eine Zombieapokalypse geradezu anständig wirkt. Der Lehrer blickt in die bis zum Anschlag verdrehten Augen der Schüler. Man sieht ihm an, dass er nun seinen ganzen Mut zusammennehmen muss: „Da wir nächste Woche die neue Schulkampagne: ‚Wir sind alle anders und das finden wir gut so‘ beginnen, möchte ich, dass ihr am Wochenende bereits ein paar Bilder von eurem Leben macht. Es wäre toll, wenn die Bilder es schaffen, eine Geschichte über euch zu erzählen.“
Er sieht in die Runde. Ich tue es ihm gleich. Auf den Gesichtern einiger Schüler macht sich ein kleines hämisches Lächeln breit. Herr Martin muss es auch gesehen haben, denn er fügt noch einmal mit einem bedeutungsschweren Nachsatz hinzu: „Bitte gebt euch Mühe bei den Bildern! Wir möchten eine möglichst große Vielfalt vorweisen können, ok? Denkt einfach dran: Diese Kampagne ist wirklich wichtig für unsere Schule.“ Er seufzt und fügt etwas leiser hinzu: „Wir brauchen dieses Geld wirklich.“
Ich schenke Herr Martin einen innerlichen Verständnisseufzer. Er hat damit leider Recht. Die Schule braucht dieses Geld wirklich. Nicht zuletzt, weil Frau Neuhauser das dritte Whiteboard mit Edding bemalt hat. Nehmt der Frau doch mal die Stifte weg!
Die Klasse schaut Herrn Martin nach seinen Worten erwartungsvoll an. Der fasst sich nun mit der einer Hand an die Stirn und mit der anderen macht er einige Wink Bewegungen: „Ja ja, ist schon gut, ihr könnt gehen. Schönes Wochenende und so.“
ENDLICH! Ich ziehe meinen Rucksack zu und schmeiße ihn mir über die Schultern. Das Klassenzimmer verlassen kann ich jedoch leider nicht.
„Ey Jotta! Kannst du mal Anstand haben und auf mich warten!“
Die Worte kommen von Tilda, meiner besten Freundin. Sie ist leider nicht so schnell und sieht mich nun mit dem gleichen vorwurfsvollen Blick an, wie ihre Mutter das kann. Diese ist nämlich Yoga-Lehrerin und kann Menschen, die sich abhetzen oder selbst stressen, nicht tolerieren. Und Jotta, das bin ich. Natürlich fragt man sich jetzt: Warum? Warum Jotta? Ich meine den Namen Jutta, ja den hat man schon einmal gehört. Den Namen kennt man, aber Jotta? Ein O statt ein U?
‚Klingt wie ein Opfer‘, ist das häufigste Kommentar meiner Altersklasse. ‚Der Name klingt aber exotisch‘ hingegeben, ist das häufigste Kommentar aus der Altersklasse meiner Eltern. Um es kurz zu halten: Mein Papa ist Künstler und reist viel in der Welt herum. Irgendwann hat er mal ein Mädchen getroffen, das Jotta hieß. Diese hat ihn natürlich unendlich inspiriert, sodass er sich bei den Sternen geschworen hat, seine erstgeborene Tochter Jotta zu nennen. Jetzt wird die Sache auch noch klarer: Ich habe keine ältere Schwester. Und ich habe auch keine jüngere. Und keinen Bruder. Also eigentlich keine Geschwister. Mein Papa hatte nämlich nur einen Namen, der ihm gefallen hat. Wäre ich ein Junge geworden, hätte ich es nun schwer in der Schule. Um fair zu bleiben, möchte ich jedoch anmerken, dass es auch Tilda mit ihrem Namen nicht gut getroffen hat. Da ich finde, Tilda klingt wie eine 60-Jährige Floristin, nenne ich sie auch liebevoll Tia. Klingt doch gleich cooler. Aber mit ihren Namen haben hier viele Probleme. Das liegt vermutlich daran, dass wir in Berlin leben. In gutgesitteten kleinen Dörfern heißen die Mädchen Maria, Julia und Anna und die Jungen Paul, Felix und Max. Dort wo ich wohne, nämlich in Friedrichshain, heißen wir Shila, Auguste, Hugo, Fridolin oder sonst was. Und dann gibt es noch die Kinder, deren Eltern aus ganz anderen Gegenden dieser Erde kommen. Die haben dann teilweise wirklich schwer auszusprechende Namen. Das ist eigentlich immer das Beste auf jeder Schulveranstaltung mit einer Siegerehrung. Wenn dann der Schulleiter dasteht und anfängt zu schwitzen, weil er keine Ahnung hat, wie er diese neuartige Aneinanderreihung von Buchstaben aussprechen soll. ‚Nüguien?‘

Tilda und ich gehen zu den Fahrradständern und schließen unsere Räder ab.
„Wann holt ihr ihn denn am Wochenende?“, fragte Tilda mich, während sie sich auf ihr Fahrrad schwingt. Als Antwort zucke ich mit den Schultern. „Ok“, sagte Tilda und fragt nicht weiter nach. Hier einmal drei Dinge, warum Tilda meine beste Freundin ist: sie versteht immer, sie bleibt immer ruhig, sie kann nicht mit Emotionen. Ich meine, sie hat natürlich Emotionen, aber die sind irgendwie innerlich. Ich finde das super und deswegen beschreiben diese drei Gründe auch wunderbar, warum wir beste Freunde sind: ich habe meistens keine Ahnung von gar nichts, ich raste immer sofort völlig aus und ich habe viel zu viele Emotionen, die reichen für zwei.
Wir rollen aus dem Schultor und biegen langsam in die ruhige Seitenstraße, in der unsere Schule liegt. In unsere Pedalen tretend, fahren wir schweigsam unter der warmen Sonne hinfort. Wir biegen um ungefähr drei Straßenecken, bevor sich unsere Wege trennen. Tia wohnt nämlich im nördlichen Kiez und ich im Südlichen. „Ich komm dann Samstagabend zum Essen vorbei“, ruft sie und winkt, als sie um die Ecke biegt.
„Wenn‘s sein muss!“, brülle ich ihr hinter her. Noch ein Grund warum ich Tia mag, sie lädt sich immer selber an. Ich würde das sonst in meinem Wirrwarr-Kopf sicherlich mal vergessen. Ich grinse, biege nun nach rechts ab und trete kräftig in die Pedale. Die Sonne scheint durch das Dach der alten großen Bäume in die schmalen Straßen hinein. Bald sind Sommerferien, die habe ich mir sowas von verdient. Während ich meinen Weg nach Hause fahre, mache ich das, was ich jeden Sommertag mache: Ich zähle die Birkenstocks. Meistens trägt sie jeder, mich eingeschlossen. Irgendwie ist es eine Art Gesetz. Meine Theorie ist ja, dass die bereits in den Wohnungen bereitgestellt werden, wenn die neuen Mieter in die hippen Kieze ziehen. Aber wie gesagt, nur eine Theorie. Am Ende der Straße taucht nun auf der rechten Seite unser Haus auf. Also das Vorderhaus vor unserem Haus: Klassischer Berliner Altbau, unsaniert versteht sich. Ich drücke die große Eingangstür auf und schiebe mein Fahrrad durch das Vorderhaus bis in den großen Innenhof. Am Ende des Innenhofs steht ein altes Industriegebäude, in dem jetzt Wohnungen sind. Es soll eine Zeit gegeben haben, da hatte niemand Bock in so etwas zu wohnen, weil es wirklich alt und schäbig war. Jetzt ist es das zwar immer noch, aber es hat das Prädikat „besonders wertvoll“ erhalten und ein jeder leckt sich danach die Finger. Zum Glück hat die Mutter meiner Mutter die unteren zwei Etagen gekauft, als noch keiner da wohnen wollte. Als meine Oma vor sechs Jahren dann leider gestorben ist, haben wir ihre Wohnung bekommen und nun ist das unser Zuhause. Die zwei Wohnungen auf der linken Seite des Hauses gehören uns und sind mit einer Treppe verbunden. Zu der Wohnung gehören auch eine Terrasse und ein kleiner Garten, der einmal über Eck an der linken Seite des Hauses entlangläuft. Man kann sich hier schon richtig wohlfühlen.
Ich trete in den Flur des Hinterhauses und drücke den Schlüssel in das Türschloss zu unserer Wohnung: „Hallo Opa“, rufe ich in die Wohnung hinein und lehne mein Fahrrad gegen die Flurwand.
„Hallo Oberfreundin“, kommt es zurück.
Ja, richtig gehört: Oberfreundin. Es gibt gute Freunde, beste Freunde und natürlich Oberfreunde. Opa und ich sind Oberfreunde, schon immer. Ich lege meine Tasche in die Ecke und gleite aus meinen Birkenstocks. Mich kurz an der Nase kratzend, gehe ich ins Wohn-Ess-Küchenzimmer. Opa sitzt vor dem Fernseher und versucht bei Youtube ein Video auszuwählen. In seiner Suchzeile steht: Ente Ente Ente Ente. Ich nehme ihm die Fernbedienung aus der Hand.
„Opa, was suchst du denn da“, frage ich verständnislos und lösche die Wörter wieder weg. Opa sieht mich deprimiert an: „Ja, wie hieß denn nochmal dieses Video, was du mir letztens gezeigt hattest? Du weißt schon, mit Taube Taube Taube Taube und so.“
Ich muss auflachen, jetzt verstehe ich Ente Ente Ente. Ach Opa.
„Das hieß ‚Wenn Tiere wie Pokemon reden würden‘“, erkläre ich ihm und gebe die Wörter Tiere und Pokemon in die Suchzeile ein. Zack erster Treffer.
Opa nimmt wieder die Fernbedienung in die Hand und drückt auf Play. Das Video beginnt und automatisch machen wir die Tiere nach: „Karpfen, Karpfen, Karpfen, Karpfen, Karpfen.“
„Was zur Hölle macht ihr da?!“, ruft plötzlich eine entgeisterte Stimme von hinten. Meine Mutter ist mal wieder da. Die lebt ja leider mit mir und meinem Opa zusammen. Um die Kindheitsgeschichte kurz zu machen: Ich bin ein Scheidungskind und sehe meine Eltern eher mäßig oft. Meine Mama glaubt, dass sie Karriere und Mamasein vereinen kann und mein Papa ist Künstler und immer unterwegs. Also Mama ist auch immer unterwegs, aber eher so innerhalb von Deutschland oder sie ist eben ganz lange in ihrer Literaturagentur. Papa ist wirklich weit unterwegs: Paris, Rom, New York, Mailand oder wo er gerade sonst künstelt, wie ich es nenne. Wir sehen uns nur, wenn er mal wieder in Berlin ist und was ausstellt. An sich sind meine Eltern auch schon ewig geschieden. Aber über all das bin ich ehrlich gesagt gar nicht...

Erscheint lt. Verlag 2.2.2020
Sprache deutsch
Themenwelt Kinder- / Jugendbuch Sachbücher
Schlagworte Berlin • Detektive • Familie • Freunde • Kunst • Mädchen • Probehund • Schule • witzig
ISBN-10 3-7502-2339-4 / 3750223394
ISBN-13 978-3-7502-2339-4 / 9783750223394
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