Tiermenschen (eBook)

Eine Anthologie
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2019 | 1. Auflage
Alea Libris Verlag
978-3-945814-40-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Tiermenschen -  Luna Day,  Gergana Ghanbarian-Baleva,  Julia Hoch,  T.K. Moon,  Julia Polzer,  Alex Prum,  Holger Vos,  Ana
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Mischwesen aus Mensch und Tier bevölkern seit jeher unsere Fantasie. Mal sind sie uns sehr ähnlich, mal fremdartig oder gar monströs. Wo kommen diese Geschöpfe her und wie leben sie? Wie denken und handeln sie? Was macht sie menschlich, was tierisch? Und wie geht die Menschheit mit ihnen um? 9 Kurzgeschichten beantworten diese Fragen, erzählen von den vielseitigen Leben dieser Kreaturen und bringen uns um zum Nachdenken über uns und unsere Mitlebewesen.

Morgennebel - Alex Prum
Papas Transformation - Gergana Ghanbarian-Balcva
Sirene - Julia Polzer
Modita - Luna Day
Perspektiven - Julia Hoch
Meerjungfrauenblut - Achim Stößer
Der Clan der Wandler - T.K. Moon
Mighty Antlers
Der Schatten der schwarzen Katze - Anabel Walia
Ein Genuss - Holger Vos

Das Alpaka kaute, die Augen unablässig auf Glinda gerichtet.

Was auch immer dieses Tier von ihr wollte … Glinda schüttelte den Kopf und wandte sich ihrer eigenen Mahlzeit zu. Viel hatte sie nicht mehr. Wenn sie nicht bald ihr Ziel erreichte, musste sie umkehren – umkehren und hoffen, dass der Rückweg weniger beschwerlich war als der Aufstieg. Wie sagte man? Runter geht immer.

Sie saß zur Rast am Rand eines kleinen Gebirgsbachs auf halber Höhe des Qullqi, einem der südlichsten Gipfel Perus. Zumindest gab es frisches Wasser. Das Wetter war sonnig und erlaubte ihr einen guten Ausblick über das Tal, in dem sich einige weiße Häuschen aneinanderreihten. Von hier oben sahen sie wie Legosteine aus.

Das Alpaka senkte den Kopf, riss ein Büschel Gras aus dem Boden, richtete sich wieder auf und kaute. Der Blick seiner dunklen Augen jagte Glinda einen Schauer über den Rücken.

Das Tier folgte ihr nun schon seit zwei verdammten Tagen. Wann war es überhaupt zu ihr gestoßen? Sie hatte es während einer Pause bemerkt. Es hatte hinter einem Baum gestanden und sie beobachtet. Seither hatte es den Abstand immer weiter reduziert. Mittlerweile graste es nur noch knappe drei Meter von ihr entfernt auf der Wiese.

Glinda seufzte. Sie steckte sich den Rest ihres Sandwichs in den Mund und fischte ein in rotes Leder gebundenes Buch, kaum größer als ihre Hand, aus dem Rucksack. Wie unzählige Male zuvor schlug sie das Buch auf und starrte auf die Seiten. Sie blätterte etwas weiter, dann wieder zurück. Eine wundersame Illustration war hier abgebildet, komplett in schwarz und weiß, doch wenn Glinda blinzelte, schien das Bild von bunten Farben erfüllt. Farben, die es eigentlich nicht geben sollte. Kein Wunder. Das Buch kam nicht aus dieser Welt. Sie wollte nichts mehr, als den dort abgebildeten Ort einmal mit ihren eigenen Augen zu sehen. Das Bild zeigte einen flachen See, umgeben von blühenden Bäumen unterschiedlichster Arten. Auch solche, die es schon lange nicht mehr gab. Einige – da war sie sich sicher – hatte es in dieser Welt nie gegeben. Wenn sie die Blüten an den Zweigen betrachtete, konnte sie nur ahnen, dass die Zeichnung einen Ort im Reich des Frühlings darstellte. Doch natürlich konnte es auch etwas anderes sein. Eine andere Welt, eine Taschendimension oder nur ein einfacher Trick.

Es war eine dumme Idee gewesen auf diese Wanderung zu gehen. Vor allem allein. Na ja, auch wenn sie nun nicht mehr allein war. Sie sah zu dem Alpaka, das sie seinerseits aufmerksam beobachtete. Sein Fell war hellbraun und ungewöhnlich flauschig. Man konnte meinen, dass so etwas wie Intelligenz hinter diesen dunklen Augen lag, doch das war ein alberner Gedanke. Glinda seufzte. Sie steckte das Buch weg und zog dafür ihre Wasserflasche aus dem Rucksack hervor, um sie am Bach aufzufüllen. Dann räusperte sie sich. »Wenn du noch etwas trinken willst, würde ich dir jetzt dazu raten«, sagte sie zu dem Alpaka. »Es sei denn, du solltest dich entscheiden, mich allein zu lassen. Ich wäre dir sicher nicht böse.«

Zur Antwort bölkte das Alpaka. Noch immer bewegten sich seine Kiefer mit nahezu hypnotischer Gemächlichkeit.

Redete sie jetzt schon mit dem Tier? Nun, es war wirklich eine dumme Idee gewesen, allein hierher zu gehen. Ihre Magie war nicht besonders ausgereift, und auf diesen schmalen Pfaden starben jedes Jahr mehrere Leute. Meist waren es Touristen, die nicht auf einem Berg großgeworden waren, die nicht im Inneren eines Berges eine Schule besucht hatten. So wie sie … Doch selbst für jemanden wie Glinda waren diese Wege trügerisch, und wenn sie sich umdrehte, führte der steile Pfad gute dreißig Meter in die Tiefe. Jeder falsche Fußtritt konnte ihr letzter sein.

Nun schulterte sie den Rucksack, zog den Mantel, der in dieser Höhe notwendig war, enger und setzte ihren Weg den Pfad hinauf fort. Es war eine dämliche Idee. Doch das war es auch bei ihrem letzten Ausflug hierher gewesen. Sie wusste nicht, ob der Ort real war, und hatte kaum einen Anhaltspunkt, wie man dorthin kam. Dennoch: Sie musste diesen Ort einfach finden, und die Beschreibung von José war das Beste, was sie hatte. Es gebe einen See, hatte er gesagt. Einen See in der Nähe des Qullqi. Vielleicht fand sie genau deshalb nichts. Sie war immerhin auf dem Qullqi, nicht in seiner Nähe. Doch was bedeutete denn »in der Nähe«? Es konnte alles heißen und auch nichts. Besonders wenn es um einen so großen Berg ging. Sie nahm ihren Stab, um dessen Ende sie einige Lederschnüre gebunden hatte. Reine Zierde. Sie hatte versucht einige davon zu verzaubern, doch viel genützt hatte es nicht. Das einzige, was es brachte, war, dass sie so eine Richtung finden konnte, allerdings nur zu einem Ort, den sie schon kannte. Hilfreich, wenn man sich verirrte. Weniger hilfreich, wenn man etwas Neues suchte. Egal. Aufgeben konnte sie auch noch morgen. Morgen oder übermorgen. Je nachdem. Ein wenig Zeit hatte sie noch. Ein wenig Zeit für ein Abenteuer.

Die Füße des Alpakas trappelten über den Weg hinter ihr. Für ein Huftier war es erstaunlich leise, doch schließlich war die Straße auch nicht geteert. So ein wildes Alpaka … War das Alpaka überhaupt wild? Immerhin war es verdammt zutraulich für ein vermeintlich wildes Tier. Möglicherweise gehörte es auch jemandem und hatte sich verirrt? War das vielleicht der Grund, warum es ihr folgte? Sie sah sich zu dem Tier um, das ihr mit nur mehr zwei Metern Abstand folgte und prompt stehen blieb, als sie es auch tat. Eine Windbö wehte Glinda das Haar ins Gesicht und sorgte für seltsame Bewegungen im Fell des Alpakas. »Du suchst doch niemanden, oder?«, fragte Glinda ihren vierbeinigen Verfolger.

Das linke Ohr des Tiers zuckte leicht. Dann gab es einen summenden Ton von sich, wie es Alpakas manchmal taten, wenn sie in ihrer Herde standen. War das ein »Ja«? Suchte es seine Herde?

»Wen suchst du denn?«

War es nicht albern, dass sie mit dem Tier sprach? Als ob es überhaupt verstehen könnte, was sie sagte … Vielleicht freute es sich über die Aufmerksamkeit. Dann wiederum: Warum sollte sich ein Alpaka über Aufmerksamkeit freuen? Wirklich menschenbezogen waren diese Tiere ja nicht.

Das Alpaka summte nur weiter, trappelte dabei mit den Vorderhufen ein wenig vor und zurück, wie Glinda es auch von nervösen Pferden kannte.

Sie konnte nicht mit Tieren sprechen. Eigentlich konnte sie allgemein viel zu wenig für jemanden, der seit sieben Jahren ausgebildet wurde. Ein weiterer Grund zu finden, was sie suchte. Wenn es den Ort wirklich in der Feenwelt gab, fand sie dort vielleicht Hilfe. Sie hatte so viel von der Magie der Fae – der Magie der Andersweltbewohner – gehört. Vielleicht gab es irgendetwas, das ihr helfen konnte, mehr zu sein, als sie war; irgendetwas, das ihren magischen Kräften auf die Sprünge half.

»Ich nehme an, du verstehst nicht, was ich sage, oder?«, meinte sie.

Immer noch dieser summende Ton.

Glinda seufzte schwer. »Summ weiter, wenn du nicht verstehst, was ich meine!«

Das Alpaka verstummte. Wahrscheinlich nur ein Zufall.

Glinda schüttelte den Kopf - schon wieder schüttelte sie den Kopf über dieses Tier! Aus was für einem Grund es ihr auch folgte … Ihr Familiar war es sicher nicht. Wenn man seinen Tiergeist traf, seine verwandte Seele, dann wusste man es! Laut den Geschichten war es ein magischer Moment, anders als das hier. Davon abgesehen fanden Familiare heutzutage selten auf natürlichem Weg zu ihrem Magier. In Gedanken versunken setzte sie ihren Weg fort. Immer weiter den Berg hinauf.

 

Vier Stunden vergingen, ehe das Licht langsam schwand. Die Sonne ging im Westen hinter den Anden unter, ließ Glinda jedoch genug Zeit, eine halbwegs von den Höhenwinden geschützte Stelle inmitten eines Haufens Geröll zu finden. Es waren große Steine, die sicherlich bereits seit tausenden von Jahren dort lagen. Wahrscheinlich hätten sie ihr eine Antwort auf einige ihrer Fragen geben können, wäre es nicht noch schwerer gewesen, mit Steinen zu sprechen als mit Tieren. Dafür musste man zuerst den Geist des Steins beschwören, und das war eine gänzlich andere Klasse der Magie, als Glinda sie gelernt hatte. So war sie einfach dankbar für den Schutz, den die Steine ihr boten. Rasch baute sie ihr Zelt auf - ein einfaches Campingzelt, das allerdings nicht für das harsche Bergwetter gedacht war. Sie holte Decke und Schlafsack hervor, ehe sie sich mit einem weiteren Sandwich und etwas Wasser davorsetzte. Ihre Aufmerksamkeit galt der Sonne, deren letzte Strahlen sich gleißend zwischen zwei Bergen hindurchbahnten. Dann aber gewannen die Schatten und löschten das große Himmelslicht. So bekamen die Sterne eine Chance, zu strahlen und geheimnisvolle Formen in den Himmel zu malen. Wann der Mond wohl aufgehen würde? Sie hätte sich besser informieren sollen. Ein Griff in den Rucksack brachte eine Taschenlampe und das Buch zum Vorschein. Wieder blätterte sie darin, suchte etwas, das sie bisher übersehen hatte. Vielleicht brauchte sie ja Mondschein, um das Tor zu öffnen, um das Tor überhaupt finden zu können. Gab es einen Hinweis darauf?

Natürlich hatte sie schon ein paar Mal daran gezweifelt, dass das Geschriebene überhaupt der Wahrheit entsprach. Der Autor des Buches war unbekannt, doch dem alten Portugiesisch war zu entnehmen, dass er wahrscheinlich ein Kolonist gewesen war. Außerdem hatte sie das Buch tief vergraben in der Bibliothek ihrer Schule gefunden. Hätte es dorthin gefunden, wenn es nicht wirklich magisch war? Und das seltsame Schimmern der Seiten, wenn sie blinzelte, sprach für einen Zauber.

Auf einmal versperrte etwas ihre Sicht. Etwas Großes, Flauschiges, Braunes. Es war der Kopf des Alpakas, das begann, an dem Buch zu schnüffeln, und dann die Lippen nach einer der...

Erscheint lt. Verlag 30.12.2019
Verlagsort Neustetten
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Anthologien
Literatur Fantasy / Science Fiction Fantasy
Literatur Krimi / Thriller / Horror
Literatur Lyrik / Dramatik Dramatik / Theater
Literatur Romane / Erzählungen
Kinder- / Jugendbuch
Schlagworte Anthologie • Eine • Tiermenschen
ISBN-10 3-945814-40-5 / 3945814405
ISBN-13 978-3-945814-40-6 / 9783945814406
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