Dry (eBook)
448 Seiten
Fischer Sauerländer Verlag
978-3-7336-5153-4 (ISBN)
Neal Shusterman, geboren 1962 in Brooklyn, ist in den USA ein Superstar unter den Jugendbuchautoren. Er studierte in Kalifornien Psychologie und Theaterwissenschaften. Alle seine Romane sind internationale Bestseller und wurden vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem National Book Award.
Neal Shusterman, geboren 1962 in Brooklyn, ist in den USA ein Superstar unter den Jugendbuchautoren. Er studierte in Kalifornien Psychologie und Theaterwissenschaften. Alle seine Romane sind internationale Bestseller und wurden vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem National Book Award. Jarrod Shusterman arbeitet als Drehbuchautor für Film und Fernsehen. Außerdem dreht er Filme und Werbeclips. Jarrod lebt mit seinem zahmen Wolf in Los Angeles. Pauline Kurbasik, geboren 1982 in Landau, studierte Romanistik, Anglistik und Linguistik sowie Literaturübersetzen. Sie übersetzt Bücher aus dem Englischen und Französischen und lebt in Köln. Kristian Lutze studierte Anglistik/Amerikanistik und Germanistik in Düsseldorf, Buffalo, N.Y., und Hamburg. Er lebt in Köln und übersetzt neben Neal und Jarrod Shusterman u. a. Martin Cruz Smith, Walter Mosley, Michael Robotham und Robert Wilson aus dem Englischen.
Teil eins Tap-Out
Tag Eins Samstag, 4. Juni
1|Alyssa
Der Wasserhahn in der Küche gibt sehr bizarre Geräusche von sich.
Er keucht und hustet, als hätte er einen Asthmaanfall. Er gurgelt wie ein Ertrinkender, spuckt einmal und verstummt dann ganz. Unser Hund Kingston stellt die Ohren auf, hält jedoch weiter Abstand zum Spülbecken, als ob der Hahn unerwartet wieder zum Leben erwachen könnte, aber so viel Glück haben wir nicht.
Mom hält mit fragendem Blick die Wasserschale unter den Hahn. Dann dreht sie ihn wieder zu und sagt: »Alyssa, hol deinen Vater.«
Seit mein Vater eigenhändig unsere komplette Küche renoviert hat, bildet er sich ein, er wäre ein Meisterinstallateur. Und ein Meisterelektriker. Warum Wucherpreise für Handwerker bezahlen, wenn man es auch selbst machen kann?, sagt er immer. Dann lässt er seinen Worten Taten folgen. Seither haben wir Dauerprobleme mit den Wasser- und Stromleitungen.
Dad ist in der Garage mit Onkel Basil, der hin und wieder bei uns lebt, seit seine Mandelfarm in Modesto pleitegegangen ist. Eigentlich heißt er Onkel Herb, aber irgendwann haben mein Bruder und ich angefangen, ihn nach den verschiedenen Kräutern in unserem Garten zu benennen. Onkel Dill, Onkel Thymian, Onkel Schnittlauch, und eine Zeitlang – von der unsere Eltern sich wünschen, wir würden sie vergessen – Onkel Cannabis. Am Ende blieb Basil hängen, Basilikum war zu lang.
»Dad«, rufe ich in die Garage. »Küchenprobleme.«
Die Beine meines Vaters ragen unter seinem Camry hervor wie die der Bösen Hexe des Ostens. Onkel Basil ist eingehüllt in eine Gewitterwolke aus E-Zigaretten-Qualm.
»Kann das nicht warten?«, fragt mein Vater.
Doch ich ahne schon, dass es nicht warten kann, und antworte: »Ich glaube, es ist was Größeres.«
Er rutscht unter dem Wagen hervor und macht sich schwer seufzend auf den Weg in die Küche.
Mom ist nicht mehr da. Sie steht in der Tür zwischen Küche und Wohnzimmer, Kingstons leere Wasserschale noch in der linken Hand. Mir läuft ein kalter Schauer über den Rücken, ohne dass ich weiß warum.
»Was ist so wichtig, dass du mich aus der …«
»Psst!«, zischt Mom. Sie ermahnt Dad nur ganz selten, den Mund zu halten, mich und Garrett dafür den ganzen Tag. Aber untereinander schneiden meine Eltern sich praktisch nie das Wort ab. Eine unausgesprochene Regel.
Sie blickt zum Fernseher, wo ein Nachrichtensprecher über die »Nachflusskrise« redet. So nennen die Medien die Dürre, seit die Leute den Begriff »Dürre« nicht mehr hören können. So wie die »globale Erwärmung« zum »Klimawandel« wurde und ein »Krieg« zum »Konflikt«. Jetzt haben sie ein neues Schlagwort für die nächste Eskalationsstufe der Wasserkrise. Sie nennen es »Tap-Out«.
Onkel Basil taucht lange genug aus seiner Dampfwolke auf, um zu fragen: »Was ist los?«
»Arizona und Nevada sind gerade aus dem Stausee-Hilfsprogramm ausgestiegen«, erklärt Mom. »Sie haben die Schleusentore aller Dämme geschlossen. Sie brauchen das Wasser selbst, sagen sie.«
Das bedeutet, der Colorado River kommt nicht mehr in Kalifornien an.
Onkel Basil versucht, das Gehörte zu begreifen. »Den ganzen Fluss abdrehen wie einen Wasserhahn? Können die das?«
Mein Vater zieht eine Braue hoch. »Sie haben es gerade getan.«
Im Fernsehen wird live zu einer Pressekonferenz des Gouverneurs von Kalifornien umgeschaltet, der vor einer Menge von zappligen Reportern spricht.
»Das ist bedauerlich, kommt jedoch nicht vollkommen unerwartet«, sagt der Gouverneur. »Unsere Leute arbeiten rund um die Uhr daran, einen neuen Deal mit diversen Behörden auszuhandeln.«
»Was soll das denn heißen?«, fragt Onkel Basil.
»Psst«, zischen Mom und ich gleichzeitig.
»Als Vorsichtsmaßnahme werden die Ressourcen aller städtischen und gemeindlichen Wasserdistrikte vorübergehend an Einrichtungen der kritischen Infrastruktur umgeleitet. Außerdem kann ich nicht nachdrücklich genug betonen, dass es notwendig ist, Ruhe zu bewahren. Ich möchte Ihnen allen persönlich versichern, dass es sich um eine vorübergehende Maßnahme handelt und kein Grund zur Sorge besteht.«
Die Medienvertreter bombardieren ihn mit Fragen, doch der Gouverneur verschwindet, ohne eine einzige zu beantworten.
»Sieht so aus, als wäre Kingstons Wassernapf nicht der einzige, der leer bleibt«, sagt Onkel Basil. »Ich nehme an, dass wir demnächst auch das Wasser aus der Toilettenschüssel trinken müssen.«
Mein jüngerer Bruder Garrett, der die ganze Zeit auf der Couch gesessen und darauf gewartet hat, dass das normale Fernsehprogramm weitergeht, zieht ein entsprechendes Gesicht, worüber Onkel Basil lachen muss.
»Immerhin«, sagt Dad halbherzig zu Mom, »sind diesmal nicht meine Klempnerarbeiten schuld.«
Ich gehe in die Küche und drehe den Wasserhahn auf – als hätte ich magische Hände. Nichts. Nicht einmal ein Tröpfeln. Unser Wasserhahn hat einen Herzstillstand erlitten, und keine Wiederbelebungsmaßnahme wird ihn zurückholen. Im Kopf verzeichne ich Datum und Uhrzeit wie die Leute in der Notaufnahme: 4. Juni, 13:42 Uhr.
Alle werden sich daran erinnern, wo sie waren, als die Wasserhähne versiegten, denke ich. Wie bei der Ermordung eines Präsidenten.
Hinter mir öffnet Garrett den Kühlschrank und nimmt eine Flasche Gatorade heraus. Er trinkt gierig, doch nach dem dritten Schluck bremse ich ihn.
»Stell es zurück«, sage ich. »Spar etwas für später auf.«
»Aber ich habe jetzt Durst«, jammert er. Er ist zehn – sechs Jahre jünger als ich. Und Zehnjährige haben Probleme mit verzögertem Belohnungsaufschub.
Die Flasche ist ohnehin fast leer, also lasse ich sie ihm. Ich sehe nach, was noch im Kühlschrank ist. Ein paar Bier, drei weitere Flaschen Gatorade, ein Vier-Liter-Kanister Milch, in dem nur noch ein Schluck übrig ist, und andere Reste.
Kennt ihr das, dass man manchmal gar nicht weiß, wie durstig man ist, bis man den ersten Schluck trinkt? Nun, dieses Gefühl kriege ich jetzt plötzlich allein vom Blick in den Kühlschrank.
Noch nie war ich einer Vorahnung so nahe.
Mit einem Mal höre ich die Nachbarn auf der Straße. Wir kennen unsere Nachbarn – begegnen ihnen manchmal. Die einzigen Anlässe, bei denen sie scharenweise gleichzeitig auf die Straße strömen, sind der 4. Juli und Erdbeben.
Auch meine Eltern, Garrett und mich zieht es nach draußen, wo wir alle verlegen herumstehen, als erwarteten wir, dass irgendjemand uns sagt, was wir nun am besten tun sollen, oder zumindest bestätigt, dass all das wirklich passiert. Jeanette und Stu Leeson von gegenüber, die Maleckis mit ihrem Neugeborenen und Mr Burnside, der schon immer siebzig ist, so lange ich mich erinnern kann. Nur die McCrackens sind nirgends zu sehen, was zu erwarten war, so zurückgezogen wie die leben. Wahrscheinlich haben sie sich in ihrer Vorstadt festung verbarrikadiert, nachdem sie die Nachricht gehört haben.
Mit den Händen in den Taschen stehen wir da und vermeiden jeden Blickkontakt wie meine Klassenkameraden beim Schulball.
»Okay«, sagt mein Dad schließlich, »wer von euch hat Arizona und Nevada verärgert?«
Alle kichern. Nicht weil es besonders lustig ist, aber es löst die Spannung ein wenig.
Mr Burnside zieht eine Augenbraue hoch. »Ich sag’s ja nur ungern, aber hab ich nicht prophezeit, dass sie das, was vom Colorado River noch übrig ist, irgendwann horten werden? Wir haben zugelassen, dass wir ausschließlich von diesem Fluss abhängig sind. Jetzt sind wir geliefert.«
Früher wusste niemand so genau, woher unser Wasser kam, und es kümmerte auch keinen. Es war einfach immer da. Aber als dann das Central Valley langsam austrocknete und die Preise für Lebensmittel in die Höhe schossen, wurden die Menschen aufmerksamer. Oder zumindest aufmerksam genug, um Gesetze und Wählervorschläge zu verabschieden. Die meisten waren nutzlos, vermittelten den Leuten jedoch das Gefühl, dass etwas getan wurde. Wie die Gesetzesinitiative gegen leichtfertige Verschwendung, durch die unter anderem das Werfen von Wasserbomben verboten wurde.
»Las Vegas hat noch Wasser«, bemerkt jemand.
Unser Nachbar Stu schüttelt den Kopf. »Stimmt … aber ich habe gerade versucht, ein Hotelzimmer in Vegas zu buchen. Eine Million Zimmer, und kein einziges ist verfügbar.«
Mr Burnside lacht kläglich, als würde ihn Stus Unglück irgendwie freuen. »Eigentlich sind es nur hundertvierundzwanzigtausend Hotelzimmer. Offenbar hatten eine Menge Leute die gleiche Idee.«
»Ha! Könnt ihr euch den Verkehr auf dem Interstate Highway vorstellen?«, fragt meine Mom wie der Fuchs, dem die hoch hängenden Trauben zu sauer sind. »Da möchte ich jetzt nicht im Stau stehen!«
Und dann gebe ich meinen Senf dazu. »Wenn das verbliebene Wasser an ›lebenswichtige Einrichtungen‹ umgeleitet wird, muss noch etwas übrig sein. Irgendjemand sollte die Verantwortlichen verklagen, damit sie uns einen Bruchteil davon abgeben. So wie bei den vorübergehenden Stromabschaltungen. Jedes Stadtviertel kriegt jeden Tag ein bisschen Wasser.«
Meine Eltern sind beeindruckt von meinem Vorschlag. Die anderen sehen mich mit einem »Ist sie nicht entzückend?«-Blick an, der mich nervt. Meine Eltern sind überzeugt, dass ich eines Tages Anwältin werde. Das kann sein, aber wenn es so kommt,...
Erscheint lt. Verlag | 22.5.2019 |
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Übersetzer | Pauline Kurbasik, Kristian Lutze |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Jugendbücher ab 12 Jahre |
Schlagworte | aktuell • akutell • Bestseller • Dürre • Durst • Freundschaft • Hitze • Jetzt • Jugendbuch • Kalifornien • Katastrophe • Katastrophenroman • Naturkatastrophe • Prepper • Scythe • Sommer • Survival • Trockenheit • Überleben • vollendet • Wasserknappheit • Wassermangel |
ISBN-10 | 3-7336-5153-7 / 3733651537 |
ISBN-13 | 978-3-7336-5153-4 / 9783733651534 |
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