Die fantastische Reise zum Bücherhimmel - Roman für Kinder (eBook)
306 Seiten
Verlag DeBehr
978-3-95753-478-1 (ISBN)
1. Kapitel
So ist die Lage
Es war ein Freitag und nichts deutete darauf hin, dass es ein besonderer Freitag werden würde, einer, an dem eine Geschichte beginnt. Weder Louise-Ann noch die kleine Gespenstin Elviera ahnten etwas davon. Doch sie kam in Gang mit den ersten Schritten von Elviera aus der kleinen alten Ruine hinaus zu dem Mädchen Louise-Ann hin, das nicht weit entfernt im Gras saß, mit angezogenen Beinen, einem Skizzenblock auf den Knien, und sie zeichnete.
Das Gras ist feucht, sie wird nasse Flecke an ihre weißen Schuhe bekommen, stellte Elviera missbilligend fest. Man sollte seine Sachen schonen, dachte sie. Ich habe in meinem früheren Leben meine Sachen immer geschont, denke ich jedenfalls. Und zu Anfang einer Geschichte gleich krank zu werden, ist auch nicht günstig. Ganz plötzlich überkam die kleine Gespenstin ein Gefühl, da ginge es um den Anfang einer Geschichte. Genau genommen wäre es der zweite Anfang für sie, denn sie war bereits aus einer Geschichte ausgestiegen, weil es dort nicht weiterging. Und doch beschlich sie jetzt eine Ahnung, als würden diese beiden Anfänge zueinander gehören.
„Aber von allen guten und schlechten Dingen gibt es gewöhnlich drei“, murmelte das Gespenst, das in einem verbeulten Gestell eines Reifrockes steckte, und sie sah hinüber zu Louise-Ann.
„Sie sitzt und zeichnet, als ob es nichts Wichtigeres gäbe.“ Sie ging, um sich das, was da gezeichnet wurde, anzusehen. Dabei dachte sie an Blumen, eine Wiese, die kleine Ruine, was Mädchen eben so zeichnen und malen. Dann aber zuckte sie betroffen zurück, als sie dem Mädchen über die Schulter spähte – Louise-Ann zeichnete sie!
„Peng“, sagte die kleine Elviera, da haben wir ihn, den dritten Anfang und den Anschub, den eine Geschichte braucht, um in Fahrt zu kommen. Man kann ihn sich nicht aussuchen. So würde sie die goldene Strickleiter, die sie aus der anderen Geschichte mitgebracht und die sie in der grauen Ruine abgelegt hatte, vielleicht doch noch brauchen.
Elviera stellte sich auf Zehenspitzen und linste erneut über die Schulter von Louise-Ann, nickte dann anerkennend. „Genau so sehe ich aus“, hauchte sie dem Mädchen in das linke Ohr. „Ich habe mich in einer Spiegelscherbe in der alten Ruine betrachtet.“ Sie unterdrückte einen anerkennenden Pfiff und bewunderte das Grübchen, welches das Mädchen nur durch einen Punkt neben den linken Mundwinkel ins Gesicht gezaubert hatte. „Habe ich bisher kaum bemerkt“, stellte sie fest.
Louise-Ann kitzelte ein kalter Hauch im Nacken, sie merkte, wie ihre Füße langsam nass wurden, und im Rücken saß ihr ein kalter Schauer. Ihr Vater würde sie loben für ihre Zeichnung. „Bravo, Anne“, würde er sagen. Ihre Mutter käme bestimmt mit dem Einwand: „Es gibt keine Gespenster in der Wirklichkeit, nur in Geschichten. In meiner gibt es eins, doch es trägt keinen Reifrock, sondern ein Hemd oder einen Kittel, wie man es gewohnt ist.“ Genau das waren ihre Worte gewesen, als sie die Illustrationen des Vaters betrachtete, der als Illustrator in einem großen Verlag arbeitete.
„Ich wollte hinzufügen, was du noch nicht erzählt hast“, verteidigte ihr Vater seine Zeichnung, die sie, Louise-Ann, sehr schön fand. Sie würde bestimmt auch anderen Kindern gefallen wie die vielen Kinderbücher, die ihr Vater schon illustriert hatte.
Doch ihre Mutter meinte, für ihre Geschichte sei sie nicht passend. „Bleibe du bei deinen Zeichnungen und lass mir meine Geschichte so, wie ich sie schreibe.“ Das kam spitz und mit schrillen Tönen. Ihre Mutter schien sichtlich verärgert. Ihre Augen blitzten dunkel vor Erregung und sie blies sich eine blonde Haarsträhne aus der Stirn.
„Aber in der kleinen Ruine habe ich genau so ein Gespenst erblickt“, fügte ihr Vater mit einem kleinen Lächeln an. Es sollte heißen, wir wollen uns doch deshalb nicht streiten.
„Seit wann kannst du Gespenster sehen, Martin?“, fragte ihre Mutter. „Das ist mir neu.“ Sie übersah das Lächeln im Gesicht ihres Mannes. „Außerdem gibt es keine Gespenster.“
So ging der Streit weiter und endete böse.
Und das alles wegen einer Geschichte, dachte Louise-Ann und schüttelte darüber den Kopf. Dann seufzte sie auf. Nun bedauerte sie, keinen Radiergummi eingesteckt zu haben, um das Grübchen, das sich recht gut machte, wieder zu entfernen. Ihr Vater wäre gegen das Radieren gewesen. „Falsche Linien bleiben einfach stehen“, hörte sie ihn sagen. Doch ihr war eingefallen, dass diese Gespenstin auf der Zeichnung sehr viel Schuld an dem Streit ihrer Eltern trug. Und Louise-Ann gab ihr auch einen Anteil daran, dass sie seit Kurzem ein Freitagskind geworden war. Louise-Ann ballte wütend die Hände zu Fäusten. Diesen Streit zwischen ihren Eltern fand sie bescheuert. „Es sollte eine Schule für Eltern geben, wo Kinder das Sagen haben“, vertraute sie Paula, ihrer besten Freundin, in der Hofpause an.
„Meine Eltern streiten um Geld“, sagte Paula wissend, „sie sind geschieden.“
„Nun, das sind wir nicht“, Louise-Ann atmete tief aus und ein, „aber wir leben jetzt getrennt. Paps wohnt nun über dem Gang in der Wohnung, die gerade frei wurde. Er meint, es ist seine Atelierwohnung, vielleicht nur vorübergehend. Wir wissen es noch nicht. Und jeden Freitag bis Sonntagnachmittag wohne ich bei ihm. Das ist lustig.“ Aber es klang unendlich traurig und voller Unverständnis für die Erwachsenen.
„Das kann sich wieder ändern“, tröstete Paula. „Und eine Geschichte kann man auch umschreiben.“
Danach dachte Louise-Ann darüber nach, wie sie ihre Eltern versöhnen konnte, aber es fiel ihr nicht das Passende ein. „Sie sind beide Dickschädel“, sagte sie.
Durch ihre Schuhe drang die Feuchtigkeit, sie fühlte es an den Zehenspitzen. – Nein, krank werden brachte auch keine Lösung. Ganz deutlich hörte sie wieder die streitenden Stimmen ihrer Eltern. Jetzt ging es um einen Hund, der ebenfalls auf einer Illustration ihres Vaters zu sehen war. Er gefiel ihrer Mutter deshalb nicht, weil ihr Vater ihn mit einem unlösbaren Halsband gezeichnet hatte.
„Davon steht nichts in meiner Geschichte. Was du dir nur immer ausdenkst, genau wie das Reifrockgespenst.“
Louise-Ann richtete sich auf und klappte den Zeichenblock zu. Sie wusste nur zu gut, was ihr Vater darauf geantwortet hatte: „Also, wenn meine Illustrationen deine Geschichte schlechter machen …“, die Worte blieben gleichsam in der Luft stehen und verdunkelten die freundliche Küche, „… dann … dann …“
Nun hatte sie vom Streit ihrer Eltern endgültig genug. Wie eine lästige Melodie brummten die Worte weiter hinter ihrer Stirn. Langsam schlurfte sie mit lustlosen Schritten durch das feuchte Gras der Straße und dem Haus zu, in dem sie mit ihren Eltern wohnte. Überrascht blieb sie plötzlich stehen. Fast hätte sie es vergessen, es war ein Freitag heute. Von einem Freitag war nichts Gutes zu erwarten. An dem Tag wechselte sie die Wohnung und zog zu ihrem Vater.
„Auf Wiedersehen bis Sonntagabend“, sagte sie dann zu Mam, „da bin ich wieder zurück.“
Freitags packte sie ein kleines Rollköfferchen mit den Sachen für ein Wochenende.
„Wir sind beide für dich da“, sagte ihre Mutter nach einem Kuss zum Abschied. „Schau, ob es neue Illustrationen gibt“, rief sie Louise-Ann nach.
Bei ihrer Mam schlief sie auf einer gemütlichen Liege. Drüben bei ihrem Vater stand jetzt ein prächtiges Himmelbett in dem Zimmer für sie. Louise-Ann bewunderte die hauchzarten Vorhänge daran. Wenn die nur von ihrer Mutter genäht worden wären und nicht von einer Firma. Auch wünschte sie sich, beide sollten auf die Idee mit dem Himmelbett gekommen sein.
„Ich dachte, du hast dir immer eins gewünscht?“, fragte ihr Vater etwas enttäuscht, als Louise-Anns Freude nur gedämpft ausfiel.
„Es ist wunderbar“, beeilte sie sich zu versichern. Es stand eben nur am falschen Platz. Trotzdem schlief sie fest und angenehm darin.
Von ihrem neuen Zimmer bei ihrem Vater erblickte sie, wenn sie aus dem Fenster sah, die düstere Ruine und auch einmal die kleine Gespenstin in ihrem Reifrockgestell. Nach einigem Hinschauen fand sie, ihr Vater habe sie genau so gezeichnet, wie sie aussehe. Nur bekam die Sache einen Haken: Ihre Mutter behauptete, es gebe keine Gespenster.
Zum Glück gab es da immer noch Sophie Lenbach, mit ihr konnte sie darüber sprechen. Sophie besaß so viele Bücher und wusste deshalb über ganz alltägliche Dinge oft etwas Kluges zu sagen. Außerdem verstand sie zu schweigen. Auch wenn sie niemals auch nur ein Wort darüber verloren hatten, wusste sie, Sophie Lenbach war ihre Freundin. Eines Tages würde sie es auch aussprechen. Bis dahin bewahrte sie es als Geheimnis, und das war fast noch schöner. Natürlich wusste sie längst von Sophies sehnlichstem Wunsch. Er ähnelte in gewisser Weise dem der Bücherfeen, was erstaunlich ist. Nur ging es bei Sophie nicht um ungestörtes Lesen. Ihr Wunsch gipfelte in einem Flug nach New York und dort nach Manhattan, das ein Stadtteil von New York ist. „Dort steht das schönste Hotel der Welt“, schwärmte Sophie, „das Hotel ‚Zum Buch’. Es besitzt einen eigenen Bücherhimmel und jeder Gast schläft mit unzähligen Büchern in einem Zimmer.“ Vor Sehnsucht nach diesem Ort wurde Sophies...
Erscheint lt. Verlag | 8.12.2017 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch |
ISBN-10 | 3-95753-478-X / 395753478X |
ISBN-13 | 978-3-95753-478-1 / 9783957534781 |
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