Lua und die Zaubermurmel -  Alexandra Helmig

Lua und die Zaubermurmel (eBook)

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2017 | 1. Auflage
220 Seiten
mixtvision (Verlag)
978-3-95854-913-5 (ISBN)
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Lua ist vaterseelenallein, seit das Herz ihres Vaters aufgehört hat zu schlagen. Erst als sie mit Hilfe einer Zaubermurmel den Weg in den Zirkus findet und sich in die magische Welt der Zirkuskünstler begibt, kommt der Vater ihr wieder näher. Alexandra Helmig erzählt in ihrem Kinderbuchdebüt eine warmherzige Geschichte über Lua und die Suche nach dem richtigen Platz in der Welt.

Erstes Kapitel


Mondfische angeln


Lua sah Dinge, die andere nicht sahen. Weil die meisten Menschen Kartoffeln auf den Augen haben, wie Papa sagte. Da konnte man so viel reden und erzählen und schwärmen, wie man wollte – sie sahen die Dinge einfach nicht. Man konnte beispielsweise sagen:

»Pass auf, du musst die Schneeflocke fangen.«

»Hä? Warum?«, fragten dann die Menschen mit den Kartoffeln auf den Augen, und ihr Blick war leer.

»Na, weil sie bestimmt Angst davor hat, in einer Pfütze zu landen«, erklärte man ihnen, doch sie guckten nur ratlos, schüttelten den Kopf und gingen weiter.

Lua war neun Jahre alt. Sie hatte mittellanges braunes Haar, das glatt auf ihren Schultern lag und auch dann noch glatt blieb, wenn sie abends mit nassen Haaren und geflochtenem Zopf ins Bett ging. Sie bekamen höchstens einen Knick, aber niemals eine Locke wie die Haare ihrer Schwestern, der Zwillinge Celeste und Alva.

Am auffälligsten an Lua waren ihre grünbraunen Augen, die ihre Farbe änderten, je nachdem, wie Lua sich fühlte. Wie ein Tümpel, der grün vor sich hindümpelt, wenn niemand ihn stört, aber bräunlich wird, wenn man zum Beispiel mit einem Stock den Schlamm auf seinem Grund aufwühlt.

Wenn Lua glücklich war, strahlten ihre Augen wie ein heller Stern am Nachthimmel. Wenn sie jedoch ungeduldig oder wütend war, vor allem, wenn sie sich ungerecht behandelt oder nicht verstanden fühlte, dann fing ihr Blick an zu flirren, wie eine Glühbirne, bevor ihr Licht ausgeht. Es gab nur einen einzigen Menschen, der sie immer verstand.

Und das war ihr Papa.

Doch Luas Papa wohnte nicht mehr auf dieser Welt. Vor ziemlich genau einem Jahr, an einem Sonntagmorgen, hatte sein schwaches Herz aufgehört zu schlagen.

Seitdem war in Luas Welt nichts mehr so, wie es vorher war. Es verging kein Tag, an dem sie nicht an ihren Papa dachte. Sie sehnte sich nach seiner tiefen Stimme, seinem Lachen, sie sehnte sich danach, auf seinem Schoß zu sitzen und seine Hände auf ihrem Bauch zu spüren.

An den Nachmittagen war es besonders schlimm, denn das waren die Stunden, in denen sie ihn früher ganz für sich allein gehabt hatte. Wenn ihre beiden Schwestern noch im Kindergarten gewesen und erst am späten Nachmittag von Mama abgeholt worden waren, hatten sie zusammen gegessen und danach gemeinsam Luas Hausaufgaben gemacht. Papa hatte als Übersetzer für verschiedene Verlage gearbeitet und konnte sich seine Zeit frei einteilen. Das war der beste Beruf der Welt, fand Lua. Denn so konnte er immer da sein, wenn sie aus der Schule nach Hause kam.

Wenn sie die Wohnungstür öffnete, ihre Schultasche in die Ecke warf, stand er in der Küche und wartete bereits mit dem Mittagessen auf sie. Es gab Pasta mit viel Tomatensoße oder Pasta mit wenig Tomatensoße. Viel mehr Abwechslung gab es nicht, denn Papa konnte nicht besonders gut kochen. Wenn Lua sich beschwerte, grinste er nur und sagte verschwörerisch:

»Wusstest du, dass diese Nudeln eigentlich Süßkartoffeln sind? Sie haben heute extra für dich ihr Pasta-Ausgehkostüm angezogen. Ach ja, und die Tomatensoße ist übrigens mit dem Hackfleisch verheiratet und du würdest ihr einen großen Gefallen tun, wenn du ihre Liebe schmecktest.«

Papa wusste immer, was er tun musste, um Lua aufzuheitern. Er wusste auch immer, wie sie sich fühlte. Ob sie traurig war oder wütend oder eifersüchtig oder glücklich. Oft wusste er es sogar, bevor sie selbst es wusste.

Wenn Lua zum Beispiel neidisch war auf ihre Schwestern, die im Gegensatz zu ihr das dicke, lockige Haar von Mama geerbt hatten, was wildfremde Menschen auf der Straße regelmäßig dazu bewog, stehen zu bleiben und entzückt auszurufen: »Meine Güte, was für wundervolle Haare!«, dann flüsterte Papa ihr ins Ohr: »Du bist so voller Wunder, dass einem ganz schwindelig wird.«

Er schwankte über die Straße, raufte sich die Haare, schielte in zwei Richtungen, während er auf Lua zeigte und rief:

»Dieses Mädchen hat mich verzaubert!«

Er sah dabei so komisch aus, dass Lua jedes Mal laut lachen musste. Ein Lachen, bei dem jeder mitlachen musste, weil es so ansteckend war. Seit Papa nicht mehr da war, hatte Lua nicht mehr auf diese Weise gelacht.

So befreit, so ausgelassen, so atemlos.

Es war, als ob seither eine dicke Erdschicht ihr Lachen erstickte.

Die Geschichte, wie Lua ihr Lachen wiederfand, begann an einem Nachmittag mitten im Sommer:

Lua hatte sich mit ihrem besten Freund Jonah verabredet, bevor dieser mit seinem Vater übers Wochenende zum Angeln fuhr. Jonah wohnte mit seiner Mutter im Nachbarhaus. Seine Eltern hatten sich getrennt, als er vier Jahre alt war. Seitdem lebte sein Vater mit seiner neuen Frau und seinem neuen Sohn in einer anderen Stadt. Diesen Sommer würde Jonah zum ersten Mal ganz allein mit seinem Papa wegfahren. Seit Wochen redete er von nichts anderem. Lua war ein wenig eifersüchtig. Immerhin hatte er noch einen Papa, auch wenn er ihn nicht so oft sehen konnte.

Lua und Jonah wollten zu ihrem Geheimversteck, einer seichten Uferstelle an einem kleinen See, der im Naturschutzgebiet nicht weit entfernt von ihrer Wohnsiedlung lag. Dort saßen sie oft stundenlang auf dem steinigen Sandboden, eingerahmt vom Schilf der Uferböschung und dem Himmel über ihnen. Um dorthin zu kommen, musste man den stillgelegten Bahngleisen folgen, die hinter der Wohnsiedlung begannen und auf denen man so gut balancieren konnte.

Lua lief vorneweg, während Jonah versuchte, mit ihr Schritt zu halten. Das gelbe Hängekleid mit den roten Punkten flatterte um ihre Beine. Ein Geschenk von Papa aus dem letzten gemeinsamen Familienurlaub. Seitdem hatte Lua es so oft getragen, dass die roten Punkte vom vielen Waschen ausgeblichen und nun eher rosa waren. Lua mochte kein Rosa, aber in diesem Fall musste sie eben eine Ausnahme machen.

Es war ein herrlicher Sommertag. Der Himmel war so blau, als ob ihn jemand mit Leuchtfarbe angemalt hätte. Nur vereinzelt zogen Wolken vorbei, die aussahen wie Seepferdchen oder Elefanten oder andere Tiere.

»Lass uns den Zoo anschauen«, hatte Papa oft am Nachmittag gesagt, und dann hatten er und Lua sich auf den Balkon gesetzt und dem vorbeiziehenden Wolkenzoo bei seiner Reise am Himmel zugeschaut.

Als Lua und Jonah am See ankamen, ließen sie sich rücklings ins Gras fallen. Jonah strich mit den Händen durch die Wiesenblumen und summte leise vor sich hin, während Lua einen Maikäfer beobachtete, der über ihren Unterarm krabbelte. Seine dünnen Beine kitzelten auf der Haut.

Leise sagte sie: »Flieg, flieg, flieg, kleiner Käfer! Wenn ich blinzele, flieg!«

Lua blinzelte und der Maikäfer flog davon. Sehnsüchtig schaute sie ihm hinterher und dachte an die bevorstehenden Sommerferien. Wie gerne würde sie auch wegfliegen. Weit weg. In den Himmel und darüber hinaus.

»Die da sieht aus wie ein Dinosaurier«, sagte Jonah und zeigte auf eine Wolke am Himmel. Er hatte recht. Die Wolke sah tatsächlich aus wie ein kleiner Dinosaurier mit wulstigen Beinen. Doch Lua hatte heute keine Lust auf das Wolkenratespiel.

Sie setzte sich auf und schaute über den See. Die Oberfläche des Wassers schimmerte grün von den hohen Bäumen, die auf der anderen Seite des Sees standen. Ob es den Bäumen gefällt, dass sie sich jeden Tag im Spiegel anschauen müssen?, fragte sie sich und sah zu einer kleinen Tanne vorn am Ufer, die nur ein karges Blätterkleid trug. Sie nahm einen großen Stein vom Boden, holte weit aus und ließ ihn gleichmäßig übers Wasser hüpfen. Die Ringe, die sich ausbreiteten, wurden immer größer, als ob ein Wassergeist tief unten im See Seifenblasen blies. Jonah pfiff anerkennend durch die Zähne und nahm ebenfalls einen Stein. Eine Weile lang ließen sie schweigend Steine über den See hüpfen, kleine, große, sichelförmige oder solche, die flach wie ein abgenutztes Stück Seife waren. Sie verfolgten ihre unterschiedlichen Sprünge über das Wasser und die Ringe, die sich an der Wasseroberfläche bildeten. Normalerweise waren Lua und Jonah unzertrennlich, kein Blatt passte zwischen sie, sagten alle, doch jetzt lag ein ganzer Blätterhaufen zwischen ihnen.

Plötzlich sprang Jonah auf und lief zum Ufer. Ein langer Ast, den der letzte Sturm abgerissen hatte, lag dort am Boden. Er hob ihn auf und hielt ihn wie eine Angel ins Wasser.

»Die Fische in Österreich sind viel größer als hier«, sagte er und drehte sich grinsend zu Lua um.

Lua ärgerte sich, dass er so angeben musste. Sie warf ihre gesammelten Steine in hohem Bogen ins Wasser und sagte trotzig:

»Ich gehe auch mit meinem Papa angeln. Auf dem Mond. Da gibt es nämlich Mondfische, die sind noch viel größer als die Fische in Österreich!«

Jonah stocherte verlegen mit seiner »Angel« im Wasser herum, bis es sich braun färbte.

»Ich hab gedacht, dein Papa wohnt auf einem Stern.«

»Er ist umgezogen«, sagte Lua und streckte den Zeigefinger gen Himmel. »Sein Ausblick gefiel ihm nicht mehr. Deshalb wohnt er jetzt auf dem Mond.«

Jonah grinste. »Cool«, sagte er. »Kann ich mal mitkommen?«

Lua schaute durch ihn hindurch und sagte nichts, weil sie nichts sagen konnte. Weil der Satz sich in ihr Herz bohrte wie der Haken einer Angel.

»Vielleicht magst du ja auch mal mit mir und meinem Vater ...«

Jonah verstummte, als er merkte, dass Lua sich abwendete. Sie ergriff eine Handvoll Kieselsteine und rieb sie gegeneinander.

»Tut ... tut mir leid«, stammelte er verlegen.

Lua spürte einen dicken Kloß im...

Erscheint lt. Verlag 14.7.2017
Sprache deutsch
Themenwelt Kinder- / Jugendbuch
ISBN-10 3-95854-913-6 / 3958549136
ISBN-13 978-3-95854-913-5 / 9783958549135
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