Der Schuss (eBook)

Roman
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2017 | 2. Auflage
320 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-43324-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Schuss -  Christian Linker
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Wer etwas ändern will, muss laut werden! Der 17-jährige Robin wird in seinem Wohnblock Zeuge des Mords an einem Anhänger der rechtsgerichteten »Deutschen Alternativen Partei«, deren Anführer Fred Kuschinski ein Kindheitsfreund von ihm ist. Die Rechten nutzen die Bluttat, um Fremdenhass und Ängste zu schüren. Auch Robins Schwester Mel schließt sich der Bewegung an und besucht die täglichen Mahnwachen. Robin hat sich bislang aus allen Konflikten im Block rausgehalten, aber jetzt wird ihm klar: Wenn er die Wahrheit ans Licht bringen will, ist Wegschauen keine Option mehr.

Christian Linker, geboren 1975, studierte in Bonn Theologie und machte Jugendpolitik, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. Seine Romane, die sich schon immer mit brisanten Themen auseinandergesetzt haben, wurden vielfach ausgezeichnet.

Christian Linker, geboren 1975, studierte in Bonn Theologie und machte Jugendpolitik, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. Seine Romane, die sich schon immer mit brisanten Themen auseinandergesetzt haben, wurden vielfach ausgezeichnet.

3


Robin

Was stimmt nicht mit dem Zeug, das ich gerade rauche? Woher zur Hölle kommt auf einmal dieses Röcheln? Ein Schatten taucht drüben an der Treppe auf. Fuck, das ist … die absolute Zombieapokalypse! Da taumelt ein Typ auf mich zu, macht gurgelnde Geräusche, glotzt mich glasig an, faucht was, das nach Wörtern klingt: »Unten … Garage … Krankenwagen.«

Erst denk ich, der wär einfach besoffen oder stoned von irgendwas; dann seh ich, dass er Blut spuckt. Sein Gesicht hat die Farbe von dem Käse, den meine Mutter immer für ewig im Kühlschrank liegen lässt, das seh ich sogar im Dunkeln. Er ist vielleicht Ende zwanzig und hat hier im Block nichts zu suchen, schon von den Klamotten her. Auch seine Hände sind voller Blut. Die eine Hand ist zur Faust verkrampft, die andere greift nach mir. Ich zuck zurück, kipp nach hinten von der Bank und rappel mich auf. Jetzt hab ich den verdammten Joint verloren.

»Hör zu«, sag ich zu dem Typen, »ich kann grad echt keinen Ärger brauchen. Keine Ahnung, mit wem du Palaver hast und warum, ruf dir einfach einen Krankenwagen und lass mich aus der Nummer raus, okay?«

»Handy …« Wieder versucht er, mich mit seiner blutverschmierten Hand zu packen. Die andere Hand ist immer noch zur Faust geballt.

»Oh, nein«, sag ich, »das läuft nicht. Nicht mit meinem Handy. Dann haben die meine Nummer und ich häng mit drin.«

»Handy …« Er fummelt mit der freien Hand an seiner Jacke rum, kriegt es aber nicht hin.

»Was für eine verdammte Scheiße!«, ruf ich unterdrückt und seh mich um, ob außer uns noch jemand hier ist. Ist aber keiner.

»Gib schon dein fucking Handy her.«

Ich greif in seine Jackentasche. Die Tasche ist warm und feucht. Ganz kurz denk ich, der hätte sich vollgepisst, dann schnall ich, dass es sein Blut ist. Und zwar überall. Schon klebt es an meinen Fingern. Ich krieg sein Handy zu fassen, zieh es raus und tippe eins, eins, zwei.

»Hallo«, sag ich, als sich der Notruf meldet, »auf dem Spielplatz, Breslauer Block, oben auf der Garage – ein verletzter Mann. Blutet stark.«

»Wie heißen Sie bitte?«, fragt eine Frau am anderen Ende.

»Ist doch kackegal.«

Der Typ vor mir macht so was wie ein Victory-Zeichen. »Zwei … unten ist … auch einer.« Dann sackt er in sich zusammen.

»Hören Sie«, sag ich, »einer ist auf der Garage und ein anderer ist in der Garage.«

»Verstanden«, sagt die Notruffrau. »Bitte legen Sie noch nicht auf, wir …«

Ich drück sie weg und pack den Typen vor mir. Ich zieh ihn ein Stück ins Gebüsch, denn ich hab keinen Bock auf Publikum. Es ist zwar schon weit nach Mitternacht und die Hausfassaden um uns rum liegen stockdunkel da, aber hinter ein paar Fenstern flimmert noch Fernsehlicht, und vielleicht geht irgendwer gerade zufällig auf seinen Balkon raus und guckt nach unten. Das Gebüsch bildet ein schönes Dach über uns, das müsste alle Blicke abhalten. Ich roll ihn herum, dass er auf dem Rücken liegt; dann zieh ich seinen Pullover hoch, leuchte mit seinem Handy und seh die Stichwunde an seinem Bauch. Der Bauch hebt und senkt sich schnell unter seinem flachen Atem und pumpt dabei rhythmisch Blut heraus. Im kalten Handylicht sieht das ganz schwarz aus. Ich spür den Stich in meinem eigenen Körper.

»Scheiße«, fluch ich leise und such die Gürtelschnalle von dem Mann, »scheiße, scheiße, scheiße!«

Ich find die Schnalle, öffne sie und zieh den Gürtel mühsam aus den Schlaufen.

»Emil …« Der Typ ist anscheinend doch noch bei Bewusstsein. »Becker …«

»Halt die Fresse!«, schnauz ich ihn an. »Ich will nichts hören! Ich will nichts wissen oder mitkriegen oder in irgendwas reingezogen werden, hast du verstanden?«

Ich zerr an seinem Pullover, aber es ist unmöglich, ein Stück rauszureißen. Ich müsste ihm das Teil komplett ausziehen und ihn dafür aufrichten, doch dafür ist er zu schwer; und außerdem gibt ihm das vielleicht den Rest.

»Fuck, fuck, fuck«, schimpf ich vor mich hin, streif meinen Hoodie ab und zieh mir das T-Shirt über den Kopf.

Der Fremde packt mich mit der freien Hand am Arm und fuchtelt gleichzeitig mit seiner Faust herum.

»Leute … von … Kuschinski …«, blubbert es aus ihm heraus.

»Halt endlich deine Fresse, Mann, oder ich lass ich dich hier verbluten, okay?«

Das scheint ihn für einen Moment zu beeindrucken. Ich falte mein Shirt vier-, fünfmal aufeinander, dann press ich es so fest wie möglich auf die blutende Wunde. Ich greif nach seiner freien Hand, führ sie an die Stelle und sag: »Drück zu, wenn du kannst.«

Dann nehm ich den Gürtel und versuch, ihn unter dem Rücken des Fremden durchzuziehen. Er scheint endlich zu kapieren, was ich da tu, und hebt ein bisschen den Hintern, wobei er erbärmlich stöhnt, aber es geht. Ich krieg den Gürtel um ihn rum, kann ihn über dem Knäuel von meinem Shirt strammziehen und schließen. Es ist der perfekte Druckverband. Ich zieh meinen Hoodie wieder an.

»Viel Glück, Mann«, sag ich, heb das Handy des Fremden auf und steck es ein. »Sorry, aber es käm gerade nicht gut, wenn die meine Fingerabdrücke irgendwo finden, wo sie nicht hingehören. Falls du durchkommst, kauf dir zur Feier des Tages ein neues.«

Nein, ich bin absolut nicht so cool, wie ich es ihm und mir vormach. Aber die künstliche Coolness hält meine Nerven im Griff und mein Hirn am Laufen. Und außerdem die Erinnerung unter Kontrolle, die ich jetzt echt nicht brauchen kann.

Wo ist der verdammte Joint? Da. Und er hat noch Glut, ich verbrenn mir die Flossen dran, aber ich muss ihn verschwinden lassen, denn ganz sicher wird es hier bald von Cops wimmeln. Aber als ich endlich abhauen will, kommt noch mal Leben in den Fremden. Wieder packt er mich und seine Faust trifft mich hart an der Schulter, dann öffnet sie sich. Drin liegt kleines rotes Teil. Ein USB-Stick.

»Henry!«, beschwört er mich, als wären das seine absolut letzten Worte, »du musst den Stick Henry geben!«

»Ein einfaches Danke hätte schon gereicht«, sag ich und nehm den Stick an mich.

Nicht um ihm seinen vielleicht letzten Willen zu erfüllen, sondern damit der Typ mich loslässt. Tatsächlich scheint es ihn zu beruhigen, denn er entspannt sich augenblicklich und sinkt schlaff zurück auf den Boden.

Schon bin ich auf den Beinen, flitz gebückt aus dem Gebüsch raus und quer über den Spielplatz. Dabei scanne ich die endlosen Reihen von Balkons, die wie betonierte Bienenwaben an den Fassaden kleben. Weit oben glimmt ein roter Punkt im Dunkel. Irgendwer steht da auf seinem Balkon und raucht. Falls er oder sie irgendwas mitgekriegt hat, dann … scheiß drauf. Lässt sich eh nicht ändern.

Wovor zur Hölle hab ich Schiss? Hab ich nicht gerade sogar einem fremden Typen vielleicht das Leben gerettet? Aber egal, mit wem hier im Block der Typ Palaver haben mag – wenn ich da reingezogen würde, wär ich eh der Allerletzte, dem die Cops irgendwas glauben. Deshalb muss ich so schnell wie möglich weg von hier.

Ich komm an die Treppe, die nach unten zur Straße führt. Blaue Blitze schneiden in die Nacht. Zwei Rettungswagen biegen in die Zufahrt zum Parkhaus ein. Fuck, ich würd denen direkt in die Arme laufen. Ich mach ein paar Sätze zurück und bieg nach links. Die Brüstung da ist nicht hoch und der Gehweg, der seitlich am Parkhaus vorbeiführt, liegt nicht zu tief. Schon hab ich die Brüstung erreicht und das rechte Bein drübergeschwungen, da hör ich unterdrückte Stimmen.

»Niemals«, sagt einer. »Der ist doch nicht so blöd, nach oben zu laufen.«

Könnte die Stimme von Schädel sein, dem Boss der Nazi-Clique hier im Block.

»Aber hier ist er auch nicht lang.« Das ist Schädels Buddy Nikolaj. Ich erkenne seinen russischen Akzent. »Sonst wären doch irgendwo Blutspuren.«

»Falls ich ihn überhaupt richtig erwischt hab«, antwortet Schädel.

Er ist es definitiv, denn er und Nikolaj hängen immer zusammen rum wie siamesische Zwillinge. Drillinge eigentlich, denn meistens haben sie noch ihren Kumpel Emil im Schlepptau … oh fuck, oh mega-fuck, plötzlich schnalle ich das alles. Schädel hat den Typen abgestochen, der da drüben im Gebüsch liegt, und ich lauf hier mit dessen Handy und dem ominösen USB-Stick rum.

Lautlos zieh ich das Bein wieder zurück und späh nach unten. Schädel kratzt sich am kahlen Kopf und Nikolaj kramt eine Zigarette hervor, die er sich anzündet. Beide machen keine Anstalten weiterzugehen.

Drüben, wo die Treppe und die Garageneinfahrt liegen, quietschen Bremsen. Türen werden geknallt, Worte fliegen hin und her. Das stumme Blaulicht füllt die Häuserschlucht bis oben an, als wär der ganze Block ein verdammter Club oder was. Hinter etlichen Fenstern wird es hell, Gesichter schieben sich über Blumenkästen, ein Meer roter Punkte glüht auf. Ich renn die paar Schritte zum Sandkasten rüber, fall auf die Knie und buddle rasch ein tiefes Loch, bis ich den harten Grund erreiche. Dann werf ich Handy und Stick rein und auch den Stummel meines Joints, füll es auf und streich den Sand glatt. Trotz der Buddelei klebt immer noch das verdammte Blut an meinen Händen. Auch an meinem Hoodie ist Blut, aber nur von innen, da hab ich extra aufgepasst. Soweit ich das erkennen kann, denn der Spielplatz liegt im Dunkeln, und das ist ja auch gut so. Keine Ahnung, ob irgendeiner von den Zaungästen da oben auf den Balkonen sieht, was ich hier mach, oder mich sogar erkennt. Wenn ich Glück hab, glotzen alle bloß auf die andere Seite der...

Erscheint lt. Verlag 8.9.2017
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Kinder- / Jugendbuch Jugendbücher ab 12 Jahre
Schlagworte AfD • Alleinerziehende Mutter • Bewährungsstrafe • block • Brennpunktviertel • Cybermobbing • Demokratie • Deutsche Alternative Partei • Die Welle • Drogen • Dschihad Calling • Ein-Eltern-Familie • Fremdenhass • Gewalt unter Jugendlichen • Hass • Hassbotschaften • Informant • Jugendroman • Jugendthriller • kulturpass • Leben im sozialen Brennpunkt • Mahnwachen • Mord • Mordzeuge • Neonazis • Politik • Radikalimus • Radikalisierung • Rechtspopulismus • Rechtsruck • Reporter • Schulabbrecher • Schullektüre • Schullektüre 10. Klasse • Schullektüre 9. Klasse • Schullektüre mit Unterrichtsmaterial • Selbstmord des Vaters • Spannung • Thriller für Jugendliche • Verführbarkeit • zerrüttete Familie • Zivilcourage gegen Rechts
ISBN-10 3-423-43324-8 / 3423433248
ISBN-13 978-3-423-43324-2 / 9783423433242
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