Ullis Tagebuch -  U. Thater

Ullis Tagebuch (eBook)

Was soll's !?

(Autor)

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2016 | 2. Auflage
284 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7392-8687-7 (ISBN)
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Erlebnisse, die sich in einem Schullandheim zwischen Eldagsen und Springe tatsächlich begeben haben sollen. Ulli hing seinen Erinnerungen nach: Ja damals - 1971 - in den Sommerferien, sie sagten die großen Ferien dazu, da sollte es Nächte geben, in denen er befürchten musste, dass man während des Schlafens auf ihn einprügeln oder ihm etwa ein Kissen ins Gesicht drücken könnte. Sollte er einschlafen, dann galten seine letzten Gedanken immer nur Ihr, die er am nächsten Morgen wiedersehen würde.

1958 geboren und aufgewachsen in Hamburg, genauer gesagt in Barmbek, wo er auch seine Jugend zwischen den für den Stadtteil typischen dunklen Klinkersteinbauten verbrachte. Man könnte ihn einen Hans-Dampf in allen Gassen bezeichnen, der seine aufregenden Erinnerungen an die Aufbruchsstimmung der wilden 70er Jahre mit einer gewissen Schnoddrigkeit festhält. Mit aufmerksamem Blick geht er - seine Jugend beschreibend - durch die geliebte Heimat. Dabei sind ihm scheinbar belanglos wirkende Nebensächlichkeiten von höchster Wichtigkeit.

Freitag, der 30. Juli 1971


Die Sonne ließ um halb neun Uhr in der Früh auf sich warten. Sehr zurückhaltend warf sie ihre ersten Strahlen über die Moorweide.

Endlich war es so weit. In der für diesen Sommer relativ angenehmen morgendlichen Kühle trafen sich am Dammtor etwa siebzig Jugendliche, alle im zarten Alter von zwölf bis fünfzehn Jahren, die ganz aufgeregt mit ihren Eltern an der Tesdorpfstraße standen und sich gegenseitig, zwischen Unmengen von Koffern und Taschen, neugierig beäugten.

Die Moorweide war ganz früher mal, vor der städtischen Nutzung, eine Viehweide gewesen. Danach musste sie als Exerzierplatz fürs Militär herhalten. Nun war sie einem Park ähnlich und wurde damit mehr zu einem Naherholungsgebiet, das für die verschiedensten Freizeitaktivitäten genutzt wird. Aber des Öfteren wurde sie auch zu einem Versammlungsort für unzufriedene Mitbürger, die sich von hier aus, demonstrierend ihren Forderungen kundtuend, auf den Weg begaben und in die Innenstadt marschierten. Im südwestlichen Teil des Parks, zwischen dichten Bäumen, schien sich ein düsterer Zeuge des letzten Weltkrieges aus dem weißlich grauen Morgendunst zu lösen: der alte Rundbunker.

Ein Junge, der eine Weile neben den Pohlmanns gestanden hatte, begrüßte höflicherweise erst die Eltern und dann Ulli selber, mit einer überschwänglich tiefen Verbeugung und einem festen Handschlag. Er stellte sich als Holger Boencke vor. Neugierig musterte er Ulli und zog sich selber voller Tatendrang am Gürtel seiner beigen Cordhose in die Höhe.

»Ich bin ja mal gespannt, was dat wird!?«, grinste er freundlich in die Runde. Ulli hatte in seiner zurückhaltenden Vorfreude nur ein stummes Nicken übrig.

Ein kurzer scharfer Pfiff ertönte vom Straßenrand.

»Solls schon losgehn?«, rief Holger, mit einem Blick auf die beiden gerade vorgefahrenen großen weißen Reisebusse, die sie alle nach Eldagsen befördern sollten.

»Kommst mit?«, fragte er Ulli, dem Drängen und Herbeiwinken seines kleinen Bruders nachgebend, dabei entschlossen seinen Koffer ergreifend.

»Vielleicht können wir ja im Bus zusammensitzen.«

Beim Besteigen der Busse verabschiedeten sich die Jugendlichen artig von ihren Eltern.

Ulli blickte, bevor er einstieg, um sich. Die blassbleiche Morgensonne hatte endgültig den Durchbruch vollzogen. Damit war er sich fast sicher, dass es ein schöner Tag werden konnte.

»Also, in drei Wochen sehen wir uns wieder!«, rief ihm sein Vater noch hinterher.

Eldagsen! Wo sollte dieser Ort noch mal sein? Ulli wusste es damals gar nicht so genau. Irgendwo, ein ganzes Stück südwestlich, also unterhalb von Hannover gelegen. Und Hameln sollte auch nicht weit sein.

Ullis Bus hielt Vormittags an einer Autobahnraststätte. Die Jungen sprangen erschöpft hinaus, für eine halbstündige Pause von der im Fahrzeug herrschenden Wärme erlöst. Hinter ihnen hielt der zweite Bus mit den darin befindlichen Mädchen. Verdeckt durch einen Schatten spendenden Baum gab man sich gegenseitig Feuer für die ersten Zigaretten.

»Dürfen wir eigentlich rauchen?«, fragten sie sich.

»Ach, ist doch scheißegal!«

Trotzdem überzeugten sie sich dabei doch etwas unsicher davon, ob nicht irgendwo ein Betreuer in der Nähe herumstand.

Es war ein sehr heißer Sommertag geworden. Die Hitze schien förmlich über der Raststätte zu liegen.

Der Rasen, auf dem sie verweilten, war ausgedörrt. Das stetige monotone Verkehrsrauschen von der Autobahn drang bis zu ihnen herüber. Eine Cola musste her! Mit einem erfrischenden Zischen war die Dose geöffnet. Kaum in der Lage den Durst spontan zu löschen.

Dort auf dem Rastplatz machte Ulli die Bekanntschaft mit Helmut. Die Kippen lässig im Mundwinkel standen sie sich gegenüber. Helmut mit etwas schütteren, strähnigen, dünnen Haaren, die eine breite Stirn freigaben. Die Hände bequem in den tiefen Seitentaschen seiner mintfarbenen Flanellhose vergraben, stand er mit seinen leicht verschlagen wirkenden Gesichtszügen breitbeinig vor ihm.

Aha, einer aus gutem Hause, dachte Ulli bei sich. Helmut war seinem Äußeren und seinem Wesen nach durchaus der Typ, der aus besserem Hause stammte und an dem man eine gute Erziehung versucht hatte. Einer, der nie ohne einwandfreie Bügelfalte auf die Straße gegangen wäre. Nicht so, wie viele andere zu dieser Zeit, mit verwaschener und womöglich mehrfach geflickter Jeans. Komischerweise waren Ulli an Helmut sofort die sogenannten Budapester aufgefallen. Die Halbschuhe mit den breiten Absätzen, schönem Lochmuster und vor allem die mit aufwendig verarbeiteten Ziernähten versehenen Kappen, gaben dem Schuhwerk etwas Edles.

Bei einer belanglosen Unterhaltung pendelten ihre Blicke immer wieder hinter den an ihnen vorüberziehenden kessen Mädels her. Mit einem frechen, abschätzenden Kennerblick pfiff Helmut leise auf. In den Knien ein leichtes Wippen, deutete er mit einem Kopfnicken über Ullis Schulter die kommende Sensation an.

Uuiih, so ein Mädchen …!, verschlug es dem fast den Atem und guckte entzückt einer Blondine hinterher. Als diese mit einer, die vermutlich ihre kleine Schwester war, an ihnen vorbeispazierte. Sie sah einfach hinreißend aus mit ihrer das knackige Hinterteil betonenden dunkelbraunen Hotpants. Diese heißen Höschen waren in letzter Zeit der Hit überhaupt.

Die sind der Reißer. Jedes Mädchen will es heißer.

Dazu trug sie einen fliederfarbenen gestrickten Pullover und an den Beinen bis über die strammen Waden geriemte weiße Römersandalen. Obwohl sie die linkischen Blicke der beiden Jungs fühlen musste, die jeden ihrer Schritte atemlos verfolgten, bewegte sie sich völlig ungezwungen. Ulli konnte seine Augen nicht von diesem reizenden Wesen abwenden, bis sie in den anderen Bus kletternd entschwand.

Die Fahrt, sie sollte ja nicht mehr allzu lange dauern, ging dann bald weiter. Helmut saß ihm schräg gegenüber und sah erwartungsvoll durch den Mittelgang. Bis in die hintersten Sitzreihen vernahm man Chris Roberts aus dem Radio des Busfahrers:

Hab ich dir heute schon gesagt, dass ich dich liebe. Hab ich dir heute schon gesagt, wie schön du bist?

Vorne im Bus fingen die Ersten an lustig zu werden. Bei Tony Marshall wurde schon kräftig mitgesungen:

Schöne Maid, hast du heut für mich Zeit? Ho-ja ho-ja ho … sag bitte ja … schöne Maid, glaub mir so jung wie heut … ho-ja ho-ja ho … kommen wir nicht mehr zusammen …

Das konnte ja noch heiter werden, verzog Ulli griesgrämig sein Gesicht.

wir singen trallala und tanzen hopsasa …

Nach einer weiteren guten Stunde Fahrt bogen die beiden Busse in eine unbefestigte Auffahrt ab. Neugierig sahen sie durch die Scheiben des Reisebusses dem entgegen, was sie erwarten sollte. Mit behäbiger Mühsamkeit schaukelten sie auf der holprigen Strecke, bis sie schließlich auf dem Vorplatz eines altehrwürdigen, vom wilden Wein umrankten Gebäudes zum Stehen kamen. Endlich war das Ziel erreicht.

Mit hohem Giebel, umsäumt von einem großen, romantisch unmittelbar an einem Wald grenzenden Gelände lag das Landheim der hannoverschen Bismarckschule vor ihnen.

Vor Erlösung schnaufend, öffneten sich die Türen und die Busfahrer entließen die Ankömmlinge hinaus in die unerbittlich brennende Mittagshitze. Da standen sie nun, erlöst von der langen Fahrt, auf einem staubigen Platz, der auf dem ersten Blick, wie ein großer Hof auf sie wirkte. Alle trugen sie eilig ihre Koffer und Taschen herbei.

Herr Eggers, ein Lehrer, der auch in den Ferien seine pädagogischen Fähigkeiten unter Beweis stellen wollte und hier mit seiner Frau die Funktion der Herbergseltern einnahm, begrüßte sie. In der einen Hand ein Klemmbrettchen mit einer Namensliste haltend, mit der anderen die einzelnen Zimmer im jeweiligen Gebäude zuweisend.

Geduldig abwartend, bis irgendwann der Name Pohlmann fallen würde, hockte Ulli mit einigen Jungs auf dem dicken gemauerten Sims einer Außentreppe die, wenn man einen Blick hinter sich warf, zu einem Heizungs- und Wirtschaftsraum, beziehungsweise einer Spülküche hinabführte.

Aus dem Schatten dieses in die Jahre gekommenen Hauptgebäudes heraus, an deren uralter Kalksteinfassade der wilde Wein bis unter das Dach emporgeklettert war, beobachteten sie ein im grellen, flirrenden Mittagslicht über den Hof kommendes sonnengebräuntes Mädchen. Der zur Stirn gefranste blonde Kurzhaarschnitt gab ihr ein äußerst pfiffiges Aussehen. Sie trug ein recht kurzes, schwarzes, in der Sonne matt glänzendes Etuikleidchen, das eine etwas knabenhafte schlanke Figur mit leicht zu übersehenden Brüsten, betonte. Mit einem weit von sich gestreckten Arm der einen schweren Koffer angestrengt ausbalancierte, trat sie in den kühlen Schatten des Hauses. Nicht ohne vorher einen beiläufig prüfenden Blick auf die Jungs zu werfen, stellte sie das schwere Gepäckstück direkt vor deren Füßen ab.

»Ooah, puuh … is das warm!«, blähte sie ihre Wangen kurz auf, um die angestaute Luft mit einem deutlich hörbaren Pusten wieder zu entlassen. Sich nun erleichtert fühlend, wendete sie sich mit einem strahlenden Lächeln den auf sie aufmerksam geworden und sie mit äußerstem Interesse beobachtenden Jungs zu. Mit den Fingerspitzen beider Hände, an deren Gelenken kleine goldene Kettchen glitzerten, zog sie an dem Stoff ihres knappen schwarzen Satinteilchen, um mit dem wedelnd ein kühlendes Lüftchen an ihren Körper zu lassen. Ihre wasserblauen Augen blitzten belustigt die vor ihr sitzenden Jungs an.

»Hier bleib ich erst mal.«

»Das is 'ne Hitze, wah?«, stellte...

Erscheint lt. Verlag 30.6.2016
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur
Kinder- / Jugendbuch
ISBN-10 3-7392-8687-3 / 3739286873
ISBN-13 978-3-7392-8687-7 / 9783739286877
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