Rote Sonne, Roter Tiger -  Charlotte Kerner

Rote Sonne, Roter Tiger (eBook)

Rebell und Tyrann. Die Lebensgeschichte des Mao Zedong. Mit vielen Fotos
eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
313 Seiten
Beltz (Verlag)
978-3-407-74547-7 (ISBN)
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Mao war Rebell und Tyrann. Er wurde geliebt und gehasst und faszinierte die Menschen - bis heute. Charlotte Kerner, die für längere Zeiten in China lebte, gelingt es, in ihrer engagierten Biografie all diese Widersprüche auf eindrückliche Weise greifbar zu machen. Mao Zedong (1893 - 1976), Gründer der Volkrepublik China, ist der berühmteste Chinese der Welt. Als Revolutionär und Herrscher schuf und prägte Mao das moderne China. Am Anfang dieser chinesischen Lebensgeschichte stand die persönliche Revolte des Bauernsohnes aus Hunan, dessen Porträt noch heute täglich am Tian'anmen Platz ausgestellt ist. Ungewiss und unsicher war zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht nur seine eigene Zukunft, sondern auch die seines Landes und einer neuen rebellischen Jugend, die die Welt nicht nur verstehen, sondern endlich verändern wollte. Charlotte Kerner schildert seinen langen Weg zur Macht und zugleich die Geschichte eines eindrucksvollen Landes, vom Kaiserreich bis hin zum Terror der Kulturrevolution.

Charlotte Kerner, geb. 1950, lebt als freie Journalistin und Buchautorin in Lübeck. Bei Beltz & Gelberg erschienen von ihr u.a. die Romane »Geboren 1999«, »Blueprint« (Deutscher Jugendliteraturpreis) und »Jane Reloaded« sowie als Herausgeberin »Die nächste GENeration. Science + Fiction«. In der Reihe Biographie veröffentlichte sie die vielfach ausgezeichneten Lebensgeschichten von Maria Sybilla Merian, Lise Meitner (Deutscher Jugendliteraturpreis), Hildegard von Bingen, Eileen Gray, die Anthologien über Frauen, die den Nobelpreis bekamen »Nicht nur Madame Curie« und »Madame Curie und ihre Schwestern«, die Anthologie »Sternenfllug und Sonnenfeuer« über berühmte Astronominnen sowie zuletzt »Die Fantastischen 6«: Die Lebensgeschichten von Mary Shelley, Bram Stoker, J.R.R. Tolkien, Stanislaw Lem, Philip K. Dick, Stephen King. Mehr zur Autorin: www.charlottekerner.com

I.Der Chinese 1893–1921


»Wir sind erwacht. Die Welt gehört uns,
die Nation, die Gesellschaft ist unser.
Wenn wir nicht sprechen, wer soll es dann tun?
Wer außer uns wird sich erheben und kämpfen?«
4

Mao Zedong mit 25 Jahren

Steinkind Zedong


Der Vorname war wichtig. Er musste gut klingen, poetisch sein und von den Hoffnungen der Eltern erzählen. Für ihren Sohn wollten der 23-jährige Vater, Mao Yichang, und die 26-jährige Mutter, Wen Qimei, die richtige Wahl treffen und suchten einen taoistischen Priester auf. Er deutete das Horoskop des Jungen, der am 26. Dezember 1893 oder – nach dem Mondkalender – am 19. Tag des 11. Monats im Jahr der Schlange auf die Welt gekommen war, und gab den Eltern folgenden Rat: Weil im Horoskop die Grundelemente Holz, Feuer, Metall, Erde ausreichend, das Wasser als fünfte Kraft aber zu wenig vorkomme, müsse der geschriebene Name des Kindes unbedingt ein Wassersymbol enthalten.

Der 23-jährige Hochschulabsolvent Mao Zedong im chinesischen Gelehrtenrock. Familienbild mit den zwei Jüngeren Brüdern Zemin und Zetan (li) und seiner Mutter, aufgenommen in deren Todesjahr 1919

Diese Bedingung erfüllte das Schriftzeichen1 , Ze, für die erste Hälfte des Namens Zedong: Die drei kleinen Striche am linken Rand symbolisieren das Wasser und das einsilbige Wort bedeutet »Glanz« und »Gunst« oder auch »Wohltäter«. Dass der Erbe einmal als »wohlwollender Herr« glanzvoll über Haus und Hof walten möge, erhofften sich die Eltern. Der zweite Teil des Vornamens , Dong, steht deshalb für die Himmelsrichtung des Sonnenaufgangs und so kann Zedong ebenso als »Glanz des Ostens« gelesen werden. Als solcher wird der Bauernsohn ein halbes Jahrhundert später in einem der berühmtesten Loblieder auf den Vorsitzenden Mao mit großem Pathos besungen werden:

Der Osten ist rot,
die Sonne geht auf,
aus China kommt ein Mao Zedong.
Er kämpft für das Glück des Volkes,
er ist sein Erlöser
.

Maos Geburtsort Shaoshan liegt in der zentralchinesischen Provinz Hunan. Wo der schärfste und beste rote Pfeffer des Landes wächst, lebt ein besonders widerständiges Volk, das als stur, hart und aufbrausend gilt. Ein Sprichwort sagt, China könne nur erobert werden, wenn alle Huanesen tot sind.

Die bergige Provinz wird von vier großen Flüssen durchschnitten, darunter der Chang Jiang, der »lange Fluss«, in Europa früher als Jangtsekiang bekannt, heute oft nach seinem letzten Abschnitt nur Yangzi genannt. Seine Quelle entspringt im Himalaja. Er teilt das Land in zwei Hälften, »nördlich des Flusses« und »südlich des Flusses«. Auf dem längsten Strom Asiens fuhren damals erste Dampfschiffe und Lastkähne, vorbei an der Stadt Wuhan bis zur Küstenmetropole Schanghai und dann weiter in das Ostchinesische Meer. Die huanesische Provinzhauptstadt Changsha entwickelte sich gerade zu einem geschäftigen Binnenhafen, den der Xiang-Fluss mit dem mächtigen Chang Jiang verband. Etwa 50 Kilometer südwestlich lebte der Mao-Clan bereits in der 19. Generation im Dorf Shaoshan. Seine Bewohner züchteten Hühner und Schweine und bauten Gemüse an, aber vor allem waren sie Reisbauern. Verstreut lagen die Gehöfte, verbunden durch schmale Pfade auf den Begrenzungswällen der Reisterrassen.

Das fruchtbare Tal überragt der heilige Berg Shao. Benannt ist er nach einer 4000 Jahre alten Zaubermusik, Shaoyu, die sogar Tiere zum Tanzen gebracht haben soll. Für den kleinen Weiler mit dem Namen »Zauber(musik)berg« wie für das gesamte Hinterland galt: »Die Berge sind hoch und der Kaiser ist weit.« Die Erlasse des Kaiserhofes brauchten Wochen, bis sie vom 1700 Kilometer entfernten Beijing, der »nördlichen Hauptstadt«, in den abgelegenen Ort kamen, dort per Anschlag bekannt gemacht und vorgelesen wurden. Tageszeitungen gab es keine, Handwerker und Händler auf der Durchreise berichteten, was andernorts passierte.

Bei Maos Geburt herrschte der Kaiser Guangxu zusammen mit seiner Tante, der Kaiserinwitwe Cixi, die in der »Verbotenen Stadt« in Beijing die politischen Fäden zog. Die Macht der von den Mandschus begründeten, über 200 Jahre alten Qing-Dynastie zerfiel immer mehr. Das große China war »der kranke Mann« Asiens. Als Erste waren die Engländer mit Kanonenbooten gekommen und hatten 1842, nach dem gewonnenen Opiumkrieg, Hongkong zur britischen Kronkolonie gemacht. Mit immer mehr »ungleichen Verträgen« zwangen nun auch Frankreich und Deutschland, Russland, Amerika und Japan den Kaiserhof, ihnen Häfen und Handelsrechte abzutreten. Die kaiserlichen Heere waren machtlos gegen die modernen Waffen der Eindringlinge. Nicht nur in der Millionenstadt Schanghai gab es inzwischen Viertel, die unter ausländischer Hoheit standen, die sogenannten Konzessionen. Die Einheimischen schufteten in den Spinnereien und Webereien, Abertausende Tagelöhner trieben für fremde Konzerne neue Bahnstrecken ins Hinterland. Westliche Waren überschwemmten die Märkte und machten immer mehr Menschen arbeitslos. Das provozierte Aufstände im Inneren – von der Taiping-Rebellion, auf die ein 13-jähriger Bürgerkriegs mit 20 Millionen Opfern folgte, bis zum Aufstand der »Geheimgesellschaft der fliegenden Fäuste« im Jahr 1900, der im Westen »Boxeraufstand« genannt wird. Auch arme Bauern erhoben sich immer häufiger gegen korrupte Beamte, gegen die Adligen und die Großgrundbesitzerklasse, die ständig reicher wurden, während auf dem Land das Volk darbte. Dem Riesenreich drohten Zersplitterung und Chaos.

In Shaoshan zweifelte niemand daran, dass Naturkatastrophen Zeichen waren: Sie kündigten an, dass Herrscher das »Mandat des Himmels« verloren hatten und einer neuen Dynastie weichen mussten. An die letzte große Hungersnot konnte sich Maos Mutter noch erinnern. Sie war zehn Jahre alt gewesen, als zwischen 1876 und 1879 elf Millionen Menschen starben. Und jetzt hörte sie von neuen Missernten. Damals war in China »das Schönste der Natur und des von menschlicher Fantasie Ersonnenen unentrinnbar mit den traurigsten Bildern dieser Erde vermengt«, in den Dörfern und auch Städten hing »der Gestank von Jauche und menschlichem Unrat« in der Luft.5 Unheimliche Krankheiten, gegen die keine Medizin half, rafften immer wieder die Dorfkinder hinweg. Eine weitere Plage waren neben den Seuchen die wiederkehrenden Überschwemmungen der großen Flüsse – sie vernichteten Menschen in einer heute unvorstellbaren Zahl und oft auch die Ernten. Ein Todeskreislauf, in dem ein einzelnes Leben wenig bedeutete. Als Mao aufwuchs, lag in China die durchschnittliche Lebenserwartung, wie im europäischen Mittelalter, bei nur knapp über 30 Jahren.

In diesen Zeiten brauchte ihr Sohn einen besonderen Schutz, beschloss Wen Qimei. Denn nur ein männlicher Nachkomme sicherte den Fortbestand der Familie und brachte eine Schwiegertochter ins Haus. Nur er konnte die religiösen Riten am Ahnengrab vollziehen, damit die Seelen der Verstorbenen dereinst Frieden fänden. Sobald Zedong laufen konnte, brachte seine Mutter ihn zu einer über zwei Meter hohen Steinformation, der die Leute magische Kräfte nachsagten. Der Junge umrundete den Felsen, unter dem eine Quelle entsprang, mehrmals und verbeugte sich dabei vor seiner »steinernen Mutter«. Zedong wurde seitdem von Wen Qimei im Gedenken an zwei früh verstorbene Brüder gerne Shisanyazi gerufen, »das dritte Kind mit dem Namen Stein«.6

Die gläubige Buddhistin bat sicher auch Guanyin, die Gottheit der Barmherzigkeit und des Glücks, um Gesundheit für Zedong und opferte im Tempel Essstäbchen, Kuaizi genannt. Denn der chinesische Name klingt wie: schnell (kuai) ein Kind (zi)! Vor allem Söhne brachte die beliebte Guanyin, die auf einer Lotusblüte thront und auch im 21. Jahrhundert als Porzellanfigur noch immer viele volksrepublikanische Wohnungen schmückt.

Frau Wens Bitten wurden erhört: Als Zedong zweieinhalb Jahre alt war, kam Bruder Zemin und erst neun Jahre später, 1905, der kleine Zetan auf die Welt. Gemeinsam repräsentierten die Brüder nun die 20. Generation der Mao-Sippe. Eine Cousine zweiten Grades, die »kleine Schwester Chrysantheme«, nur einen Monat jünger...

Erscheint lt. Verlag 18.8.2015
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur
Kinder- / Jugendbuch
ISBN-10 3-407-74547-8 / 3407745478
ISBN-13 978-3-407-74547-7 / 9783407745477
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