Ich habe den Todesengel überlebt (eBook)

Ein Mengele-Opfer erzählt
eBook Download: EPUB
2012
272 Seiten
cbj (Verlag)
978-3-641-06701-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ich habe den Todesengel überlebt - Eva Mozes Kor, Lisa Rojany Buccieri
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Berührend und authentisch - eine Zeitzeugin erzählt. In »Ich habe den Todesengel überlebt« berichtet Eva Mozes Kor davon, wie sie mit ihrer Zwillingsschwester die menschenverachtenden Experimente des KZ-Arztes Mengele überlebte.
Eva Mozes Kor ist zehn Jahre alt, als sie mit ihrer Familie nach Auschwitz verschleppt wird. Während die Eltern und zwei ältere Geschwister in den Gaskammern umkommen, geraten Eva und ihre Zwillingsschwester Miriam in die Hände des KZ-Arztes Mengele, der grausame »Experimente« an den Mädchen durchführt. Für Eva und ihre Schwester beginnt ein täglicher Überlebenskampf ...
Die wahre Geschichte einer Frau mit einem unbezwingbaren Überlebenswillen und dem Mut, die schlimmsten Taten zu vergeben.

Ein einmaliger Blick auf den Holocaust aus der Sicht einer Überlebenden des »Todesengels« Josef Mengele. Diese überarbeitete Neuausgabe ist ausgestattet mit zahlreichen Fotos, einem bewegenden Nachwort Eva Mozes Kors zu ihrem Engagement für Frieden und Freiheit in der Welt und einem Nachruf auf die Autorin, mit einem Einblick in die bewegten letzten zehn Jahre ihres Lebens.

Eva Mozes Kor (1934-2019) war eine Überlebende des Holocausts und wurde zusammen mit ihrer Zwillingsschwester Miriam von Josef Mengele für menschenverachtende medizinische Experimente missbraucht. Sie war eine international gefragte Referentin zu den Themen Holocaust, Menschenrechte und Ethik in der Medizin. Der Dokumentarfilm »Forgiving Dr. Mengele« erzählt von ihrem Schaffen.

Zweites Kapitel

Am 31. Januar 1944 wurden Miriam und ich zehn Jahre alt. An Familiengeburtstagen hatte Mama bisher immer einen Kuchen gebacken und den Tag zu einem fröhlichen und festlichen Ereignis gemacht. Miriam und ich jedoch konnten unseren zehnten Geburtstag nicht feiern. Mama war zu krank. Seit Oktober, unmittelbar nachdem die Jungnazis unsere Flucht verhindert hatten, war sie an Typhus erkrankt und den ganzen Winter über bettlägerig gewesen. Damals gab es keine einfachen Medikamente, wie sie heute in jeder Apotheke erhältlich sind, um fiebrige und andere krankheitsbedingte Beschwerden zu lindern. Wir machten uns Sorgen, ob Mama wieder genesen würde. Unsere Mutter war immer so stark und gesund gewesen.

Eine jüdische Frau aus einem Nachbardorf zog bei uns ein und kümmerte sich um unsere Mutter und den Haushalt. Edit, Aliz, Miriam und ich halfen mit, indem wir mehr Arbeiten als sonst auf dem Hof verrichteten. In dieser Zeit überwachten uns die nationalsozialistischen und ungarischen Behörden, aber wir standen nie unter Hausarrest und es wurde uns nie verboten, unser Haus zu verlassen. Vorerst schienen wir in Sicherheit zu sein. Wir besuchten sogar weiterhin die Schule, mit Ausnahme der seltenen Tage, an denen die Nazis es uns verboten. An solchen Tagen erhielten wir Unterricht zu Hause, wie unsere älteren Schwestern.

An einem Märzmorgen des Jahres, in dem wir zehn geworden waren, fand unsere relative Freiheit ein jähes Ende. Zwei ungarische Gendarmen tauchten in unserer Hofeinfahrt auf. Kurz darauf hämmerten sie an unsere Tür.

»Packen Sie Ihre Sachen! Suchen Sie alles zusammen. Sie werden zu einer Sammelstelle gebracht.« Das war keine Bitte; es war ein Befehl. »Sie haben zwei Stunden Zeit dafür.«

Mama hatte kaum genügend Kraft, das Bett zu verlassen. Papa und unsere älteren Schwestern trugen Essen, Bettzeug, Kleidung zusammen – alles, was ihnen als notwendig einfiel. Miriam und ich waren gleich gekleidet und nahmen zwei weitere Paare identischer Kleider mit.

Als die Polizisten uns aus unserem Haus holten, standen alle Bewohner von Portz an der einen Straße, die durch das Dorf führte, und schauten zu. Nachbarn kamen von ihren Höfen und reihten sich am Straßenrand auf. Unsere Klassenkameraden aus der Schule glotzten nur. Niemand versuchte die Gendarmen daran zu hindern, dass sie uns wegbrachten. Niemand sagte ein Wort.

Ich war nicht überrascht. Nachdem irgendwann jeder wusste, dass wir mitten in der Nacht hatten verschwinden wollen, hatten sich unsere Lebensbedingungen weiter verschlechtert; die Schikanen der Dorfbewohner und ihrer Kinder waren bedrohlicher und häufiger geworden.

Selbst Luci, Miriams und meine beste Freundin, stand still und stumm da, sie mied unseren Blick, als wir an ihrem Haus vorbeikamen. Sie sagte nicht, es tue ihr leid, und sie gab uns auch nichts zur Erinnerung auf unsere Reise mit. Kurz bevor wir an ihrem Haus vorüber waren, schaute ich sie an. Sie blickte zu Boden. Schweigend verließen wir, was seit jeher unser Zuhause gewesen war.

Man verfrachtete uns auf einen von Pferden gezogenen Planwagen. Die Polizisten brachten uns in eine Stadt namens S˛imleu Silvaniei, auf Deutsch Schomlenmarkt, ungefähr fünf Fahrstunden entfernt. Dort angekommen, wurden wir gezwungen, uns zusammen mit über siebentausend anderen Juden aus dem Gebiet unseres rumänischen Siebenbürgens in ein Getto zu begeben. Miriam und ich hatten noch nie so viele Menschen gesehen. Für uns waren einhundert Personen, die Zahl unser Dorfmitbewohner, eine Menschenmenge. Siebentausend Personen – allesamt Juden! – waren mehr, als wir in unserem gesamten Leben je auf einmal erlebt hatten.

Später erfuhren wir, dass Reinhard Heydrich, der Leiter des NS-Reichssicherheitshauptamts (der zentralen Sicherheitsbehörde Hitlers) einen offiziellen Erlass erteilt hatte: Alle Juden in den von Nationalsozialisten besetzten Gebieten sollten an eigens für sie ausgewiesene Orte umgesiedelt werden; diese Gettos, von Zäunen, Mauern oder Stacheldraht eingegrenzte Flächen, wurden in den heruntergekommensten Stadtbezirken beziehungsweise den ärmsten ländlichen Gegenden eingerichtet. Den Juden war es unter Androhung der Todesstrafe untersagt, sie ohne eine Sondererlaubnis zu verlassen.

Unser Getto lag auf einem Feld und war von einem Stacheldrahtzaun umgeben, der aussah, als hätte man ihn sehr schnell hochgezogen. Mitten durch das Feld lief der Fluss Berettyó. Das einzige Gebäude war eine stillgelegte Ziegelei, die der Kommandant, der oberste Sicherheitsoffizier, als sein Stabsquartier mit Beschlag belegt hatte. Es gab keine Zelte, Hütten oder andere Unterkünfte, in denen wir Juden ein Dach über dem Kopf hatten oder schlafen konnten. Der Kommandant sagte, wir würden bald zum Arbeiten in ungarische Arbeitslager gebracht und dort bis zum Kriegsende bleiben. »Euch wird nichts passieren«, versprach er.

Miriam und ich halfen Papa und unseren älteren Schwestern, auf dem feuchten Boden ein Zelt aus den Laken und Decken zu bauen, die wir mitgebracht hatten. Schnaufend mühten wir uns ab, während der Gettokommandant, die Hände in die Hüften gestemmt, auf und ab marschierte und lautstark rief: »Ist es nicht schön, dass ich die Kinder Israels in Zelten wohnen sehe wie zu Moses’ Zeiten?« Er brüllte vor Lachen, als hätte er sich selbst den lustigsten Witz aller Zeiten erzählt.

Unsere ganze Familie wohnte in einem einzigen Zelt. Jedes Mal, wenn der Himmel sich verdunkelte und es zu regnen begann, bellte der Kommandant durch einen Lautsprecher: »Baut die Zelte ab! Ich möchte sie jetzt auf der anderen Seite aufgestellt haben.« Es gab keinen anderen Grund dafür als schiere Grausamkeit. Bis wir schließlich unsere Zelte abgebaut, die Brücke über den Fluss überquert und unsere Unterkünfte neu aufgeschlagen hatten, waren wir völlig durchnässt.

Mama war durch ihre Krankheit noch immer sehr geschwächt, und der Aufenthalt im Freien, in Regen und Kälte, verschlimmerte ihren Zustand unweigerlich. Miriam und ich schliefen nachts eng beieinander, unsere kleinen Körper spendeten sich gegenseitig Wärme und Trost.

Während unseres Aufenthalts im Getto wurde jedes Familienoberhaupt zur Vernehmung ins Stabsquartier gebracht. Eines Tages kamen deutsche Wachleute und holten auch Papa zum Verhör ab. Sie glaubten, meine Eltern hätten Gold und Silber versteckt oder verwahrten geheim gehaltene Wertgegenstände auf dem Hof; sie wollten den genauen Ort wissen. Aber Papa war ein Landwirt, und sein Land und die Ernteerträge waren seine einzigen Reichtümer. Er sagte den Wachen, er besitze kein Silber außer unserem Shabbat- (oder Schabbat-)Leuchter. Vier oder fünf Stunden später transportierten sie ihn auf einer Trage zu unserem Zelt zurück. Er war mit Peitschenstriemen bedeckt, aus denen er blutete. Sie hatten seine Fingernägel und Zehennägel mit Kerzenflammen verbrannt. Es dauerte viele Tage, bis er sich erholte.

Miriam und ich fühlten uns hilflos. Wir waren noch Kinder und erwarteten von unseren Eltern, dass sie auf uns aufpassten. Doch sie konnten nichts tun, um uns die Dinge leichter zu machen. Und wir konnten nichts für Papa tun.

Unsere große Schwester Edit übernahm das Kochen. Man hatte uns vor unserer Ankunft gesagt, wir sollten Verpflegung für zwei Wochen mitbringen, aber Mama ließ uns Mädchen alles mitnehmen, was wir tragen konnten – Bohnen, Brot und Nudeln. Im Lauf der Wochen rationierten wir unsere Lebensmittel und aßen nur einmal am Tag Bohnen. Manchmal kamen nichtjüdische Menschen an die Grenzen des Gettos und warfen Lebensmittel und andere Vorräte hinein, aber ich kann mich nicht erinnern, ob wir jemals von diesen Dingen zu essen bekamen.

Mama hatte zu guter Letzt begriffen, wie schlecht es tatsächlich um unsere Familie stand. Miriam und ich klagten ständig, weil wir auf dem feuchten Boden schlafen mussten und ein nagender Schmerz in unseren Bäuchen rumorte, aber Mama konnte uns nicht wie früher helfen. Sie saß auf dem Boden und schüttelte immer wieder den Kopf. »Das ist alles meine Schuld«, sagte sie. »Wir hätten nach Palästina gehen sollen.« Ihre Augen waren eingesunken durch die Krankheit und von dunklen Ringen umgeben durch den Schlafmangel; sie verrieten, wie sehr sie verfolgt wurde von ihrer Entscheidung, nicht mit Onkel Aaron nach Palästina zu fliehen, als noch die Gelegenheit dazu bestand. Jetzt, gefangen im Elend und den Entbehrungen des Gettos, zog sie sich zunehmend in sich selbst zurück und wurde immer niedergeschlagener.

Eines Morgens im Mai 1944 sagten uns deutsche Wachleute, wir würden in ein Arbeitslager geschickt, das ihren Worten zufolge in Ungarn lag. »Es geschieht zu eurem eigenen Schutz. Wenn ihr arbeitet, bleibt ihr am Leben«, sagten sie. »Eure Familien bleiben zusammen.« Wir hatten Gerüchte unter den erwachsenen Gettobewohnern zirkulieren hören, denen zufolge die Juden, die man nach Deutschland verschickte, umgebracht wurden. Wir glaubten also, wenn wir in Ungarn blieben, würden wir davonkommen und wären sicher.

Die Wachleute sagten uns, wir sollten unsere Habseligkeiten dalassen, alles, was wir brauchten, sei im Arbeitslager vorhanden. Trotzdem nahmen Mama und unsere großen Schwestern ein paar Wertgegenstände aus unserem Zelt mit. Papa trug sein Gebetbuch bei sich. Miriam und ich zogen unsere gleich geschnittenen weinroten Kleider an.

Die Wachen verfrachteten uns zu den Zuggleisen und trieben uns in Viehwaggons, sie schoben und stießen, bis ein Waggon mit achtzig oder hundert Leuten gefüllt war. Sie machten Papa zum Verantwortlichen für unseren Waggon. Man teilte ihm mit, er werde...

Erscheint lt. Verlag 9.1.2012
Übersetzer Barbara Küper
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Kinder- / Jugendbuch
Schlagworte ab 12 • ab 14 • Antisemitismus • Arzt • Auschwitz • Autobiografie • Bericht • eBooks • Erinnerungen • Experimente • Geschichte • Grausamkeit • Holocaust • Judenverfolgung • Jugendbuch • Konzentrationslager • KZ • Mengele • Nationalsozialismus • Schullektüre • Überarbeitete Neuausgabe • Überleben • Überlebende • Unterrichtsmaterialien • Zeitzeuge • Zusatzmaterial • Zwillinge
ISBN-10 3-641-06701-4 / 3641067014
ISBN-13 978-3-641-06701-4 / 9783641067014
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