Wenn Sie mich fragen - Rainer Erlinger

Wenn Sie mich fragen

Antworten zu Fragen der Alltagsmoral

(Autor)

Buch | Softcover
272 Seiten
2009
Goldmann Verlag
978-3-442-16994-8 (ISBN)
7,95 inkl. MwSt
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Neue „Gewissensfragen“ aus der beliebten Kolumne des SZ-Magazins


Moralische Zwickmühlen, die jeden betreffen – erhellende Antworten, die weiterhelfen.


Der geistige und vergnügliche Leitfaden zu Fragen der Alltagsmoral.


Darf man hart gewordenes Brot wegwerfen? Sollte man 8,20 Euro Lohnsteuerjahresausgleich geltend machen, wenn es den Staat viel mehr kostet, den Vorgang zu bearbeiten? Jede Woche ergründet der beliebte SZ-Kolumnist Dr. Dr. Rainer Erlinger Gewissensfragen seiner Leser – und präsentiert nun das Spannendste in seinem neuen Leitfaden der Alltagsmoral. Ob man ein besserer Mensch werden kann? Mit diesem Buch sicher!


Rainer Erlinger, geboren 1965, ist promovierter Mediziner und Jurist. Als Autor, vor allem auf den Gebieten des Medizinrechts und der Ethik, schreibt er Bücher, Rundfunk- und Fernsehbeiträge und hält Vorträge zu medizinisch-rechtlichen und ethischen Frage

Nach dem Tod meiner Mutter fand ich unter ihren Sachen ein Tagebuch. Auf dem Umschlag steht »Nach meinem Tod zu vernichten«. Muss ich diesem Wunsch folgen, oder darf ich die Aufzeichnungen meiner Mutter lesen?
CLAUDIA S., MÜNCHEN

In Die Tante Jolesch, einem meiner Lieblingsbücher, berichtet Friedrich Torberg über die legendären »Krautfleckerln« ebenjener Tante. Sie seien in der gesamten Verwandtschaft über alle Maßen geschätzt gewesen und hätten, sobald angekündigt, einen Strom von Krautfleckerl-Liebhabern aus allen Teilen der Monarchie bis aus den entlegensten Winkeln der Puszta ausgelöst. Jahrelang habe man versucht, der Tante Jolesch das Rezept zu entlocken. Umsonst. Am Sterbebett der Wunderköchin habe sich schließlich ihre Lieblingsnichte Louise ein Herz gefasst und einen letzten Anlauf gewagt: »Tante - ins Grab kannst du das Rezept ja doch nicht mitnehmen. Willst du es uns nicht hinterlassen? Willst du uns nicht endlich sagen, wieso deine Krautfleckerln immer so gut waren?« Mit letzter Kraft habe sich die Tante Jolesch ein wenig aufgerichtet: »Weil ich nie genug gemacht hab ...« Sprach's, lächelte und verschied. So Torberg.
Die sagenhafte Tante hatte es sich in letzter Sekunde anders überlegt und ihr Geheimnis preisgegeben, weil sie es »nicht mit ins Grab nehmen« wollte. Gilt das vielleicht dann auch für die Aufzeichnungen Ihrer Mutter? Ich finde: Nein. Es war die Tante selbst, die sich entschloss, das bislang Gehütete zu offenbaren. Ihr stand die Entscheidung zu, nicht den Verwandten, wollten diese auch noch so sehr dem Geheimnis auf die Spur kommen.
Den Ausschlag gibt für mich letztlich ein weiterer Aspekt: Tagebücher besitzen - anders als Kochrezepte - einen hohen Stellenwert in Bezug auf die Persönlichkeit des Menschen, welche nicht mit dem Tod untergeht. Der Trierer Soziologe Alois Hahn hat nachgewiesen, dass das Tagebuch im Gefolge der Reformation vor allem vom Calvinismus als Mittel zur Gewissensprüfung gefordert wurde und somit die Funktion einer »Beichte ohne Beichtvater« erfüllt. Das Beichtgeheimnis jedoch gilt nicht umsonst als »heilig«. Die Anweisung Ihrer Mutter legt nahe, dass auch für sie die Aufzeichnungen ihrer eigenen Reflexion, nicht der Information der Nachwelt dienten. Solange Sie keine dem widersprechenden Gesichtspunkte finden - Neugier allein zählt hier nicht -, sollten Sie daher den Wunsch respektieren.

Friedrich Torberg, Die Tante Jolesch, dtv 1977, gebundene Ausgabe Langen/Müller 1996, einbändige Sonderausgabe zusammen mit Die Erben der Tante Jolesch, Langen/Müller 2008
Eine sehr schöne Hörbuchausgabe, gelesen vom Autor, ist in Zusammenarbeit mit dem ORF bei Langen/Müller Audiobook erschienen Alois Hahn, Zur Soziologie der Beichte und anderer Formen institutionalisierter Bekenntnisse: Selbstthematisierung und Zivilisationsprozess, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 34,1982: 407-434
Lesenswert in diesem Zusammenhang auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verwertbarkeit von Tagebuchaufzeichnungen des Beschuldigten im Strafverfahren in der amtlichen Sammlung BVerfGE 80, S. 367-383, sowie die Besprechungen dieses Urteils und des zugrunde liegenden Urteils des Bundesgerichtshofs von KNUT AMELUNG in Neue Juristische Wochenschrift 1988,S. 1002-1006 und 1990,S. 1753-1760

Friedrich Torberg erklärt Krautfleckerln im Zusammenhang mit der Geschichte der Tante Jolesch folgendermaßen: »Jene köstliche, aus kleingeschnittenen Teigbändern und kleingehacktem Kraut zurechtgebackene>Mehlspeis<, die je nachdem zum Süßlichen oder Pikanten hin nuanciert werden konnte: in der ungarischen Reichshälfte bestreute man sie mit Staubzucker, in der österreichischen mit Pfeffer und Salz.«
Es existiert eine Fülle von Rezeptvarianten, eine bewährte, angelehnt an das erstmals 1913 erschienene Standarwerk Wiener Küche von Olga und Adolf Hess, neu aufgelegt 2001 im Deuticke Verlag, lautet:
Einen Krautkopf (ca. 600 g) nach Entfernen des Strunks in kleine Quadrate (Fleckerln) schneiden, mit je 2 TL Salz und Kümmel vermischen, 20 Minuten stehen lassen. Eine feingehackte Zwiebel in Öl und Zucker goldgelb anrösten. Das ausgedrückte Kraut zugeben, mit Paprika und Pfeffer würzen und mit sehr wenig Wasser ca. 30 Minuten weich dünsten. Währenddessen 500 g Fleckerl (eine österreichische Spezialität aus quadratischen oder rautenförmigen Nudeln; in Notfällen, wozu der dauerhafte Aufenthalt außerhalb der österreichischen Landesgrenzen gehört, kann man auch andere Nudelsorten verwenden) bissfest kochen, unter das Kraut mengen, abschmecken und beides gemeinsam kurz anrösten.

OPAS GELDGESCHENK

Unsere Tochter hat zu ihrer Geburt von meinem Großvater ein nicht ganz kleines Geldgeschenk bekommen, welches er auf ihren Namen fest angelegt hat. Kurz darauf ist er leider gestorben. Nun erwarten wir ein zweites Kind, und mein Mann meint, da mein Großvater diesem ja sicher auch ein Geschenk gemacht hätte, dass das Geld nun einfach gerecht geteilt werden sollte. Ich bin mir da aber nicht so sicher. Bestehlen wir damit nicht unsere Tochter?
CHRISTINE S., INGOLSTADT

Dass Sie sich nicht so sicher sind, halte ich für gut nachvollziehbar. Ich kann nämlich der Auffassung Ihres Mannes fast ebenso sehr folgen, wie ich Ihre Bedenken teile, wobei die Bedenken am Ende überwiegen. Wenn keine besonderen Gründe vorliegen, warum Ihr Großvater anders entschieden hätte, ist tatsächlich die Annahme Ihres Mannes naheliegend, dass auch Ihr zweites Kind ein Geschenk bekommen hätte. Und für seine Idee spricht vor allem eines: Das Prinzip des gerechten Teilens ist einfach viel schöner als die Vorstellung, dass eines der Kinder alles bekommt und das andere völlig leer ausgeht. Auch moralische Standpunkte können nämlich so viel Charme haben, dass man ihnen sofort zustimmen möchte.
Allerdings hat die Idee einen Schönheitsfehler: Folgen Sie ihr, nehmen Sie Ihrer Tochter in der Tat etwas weg. Etwas, das sie noch dazu nicht einmal von Ihnen, sondern von einem Dritten bekommen hat. Das macht die Lösung für mich letztlich inakzeptabel. Andererseits ist die Alternative, alles beim Alten zu lassen, so unattraktiv, dass man nach weiteren Lösungen sucht.
Wie wäre es, wenn Sie die Angelegenheit später mit Ihrer Tochter besprechen, zu einem Zeitpunkt, an dem sie alt genug ist, selbst zu entscheiden? Oder, was ich für noch vorzugswürdiger halte: Wenn Sie annehmen, dass Ihr Großvater erneut ein entsprechendes Geschenk gemacht hätte, hatte er wohl das Geld dazu. Einen üblichen Erbgang vorausgesetzt, haben es dann die Großeltern des Kindes oder gar Sie selbst geerbt. Aus dieser Masse das zweite Geschenk zu bestreiten, entspräche, auch der Annahme Ihres Mannes nach, dem Willen des Großvaters wohl noch viel mehr, als die Hälfte des ersten Geschenks wieder wegzunehmen.

EIN SAGENHAFTES ERBE

In unserer Familie gibt es ein über hundert Jahre altes Märchenbuch meiner Großmutter, aus dem ich als Kind vorgelesen bekam, später las ich meinem Sohn daraus vor.

Erscheint lt. Verlag 12.2.2009
Reihe/Serie Mosaik bei Goldmann
Sprache deutsch
Maße 125 x 183 mm
Gewicht 257 g
Einbandart Paperback
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Lebenshilfe / Lebensführung
Geisteswissenschaften Psychologie Allgemeines / Lexika
Geisteswissenschaften Psychologie Angst / Depression / Zwang
Schlagworte Gewissen • Moral • Taschenbuch / Psychologie/Allgemeines, Lexika • TB/Psychologie/Allgemeines, Lexika
ISBN-10 3-442-16994-1 / 3442169941
ISBN-13 978-3-442-16994-8 / 9783442169948
Zustand Neuware
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