Das Geheimnis kluger Entscheidungen - Maja Storch

Das Geheimnis kluger Entscheidungen

(Autor)

Buch | Softcover
128 Seiten
2008
Goldmann Verlag
978-3-442-16998-6 (ISBN)
6,95 inkl. MwSt
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Schluss mit dem Entscheidungsfrust!


Zusammenbleiben oder sich trennen? Die Firma wechseln, ja oder nein? Nicht immer wissen wir, was im entscheidenden Moment gut für uns ist. Belegt ist: Der Verstand allein trifft noch keine kluge Entscheidung, Gefühle sind von enormer Bedeutung! Zur erfolgreichen Zwiesprache beider leitet Psychoanalytikerin Maja Storch an. Zum Glück gilt: Klug entscheiden kann man trainieren!


Maja Storch, Dr. phil, Diplom Psychologin, Psychoanalytikerin, geboren 1958, arbeitet als Projektleiterin an der Universität Zürich, als Trainerin und als Autorin. Zusammen mit Dr. Frank Krause hat sie das Zürcher Ressourcen Modell ZRM entwickelt, ein wis

Was ist eine kluge Entscheidung?

»Ja, wenn ich das wüsste...!«, werden Sie vielleicht seufzen. Mit dieser Unsicherheit sind Sie nicht allein. Jeder Mensch kennt Situationen, in denen die Antwort auf diese Frage furchtbar schwierig zu sein scheint. Vermutlich haben Sie bei Ihrem Seufzer an besonders verwickelte Entscheidungssituationen gedacht. Situationen, in denen Sie zwischen zwei Alternativen hin- und hergerissen waren. In denen Sie damit begonnen haben, Punktelisten zu führen und die Vor- und Nachteile der in Frage kommenden Alternativen säuberlich zu verzeichnen. Doch Ihre Hoffnung, am Ende Ihrer Liste ein eindeutiges Ergebnis zugunsten der einen oder der anderen Wahlmöglichkeit aufzufinden, wurde enttäuscht. Die beiden Möglichkeiten hielten sich die Waage. Sie waren genauso klug wie vorher. Und Sie waren nicht fähig zu entscheiden. »Eigentlich könnte ich auch eine Münze werfen!«, sagen manche Menschen in einer solchen Situation. Und einige entscheiden dann auch tatsächlich auf diese Art. Andere Menschen befragen ihren Freundeskreis und richten sich in ihrer Entscheidung danach, was hilfsbereite Ratgeber/-innen meinen.
Doch es geht auch anders. Denn wie jeder Mensch haben Sie die Möglichkeit, Ihre Entscheidungen selbst zu fällen. Schließlich handelt es sich ja um Ihr Leben, oder etwa nicht? Und weil es Ihr Leben ist, tun Sie gut daran, die Gestaltungsspielräume, die Sie haben, mit Ihren eigenen Entscheidungen auszufüllen und diese nicht dem Zufall, dem Schicksal oder anderen Menschen zu überlassen.
Dieses Buch handelt vom Entscheiden. Ich habe es geschrieben, weil ich davon überzeugt bin, dass die Zeit reif dafür ist, das Know-how vom guten Entscheiden möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen. An den Universitäten hat sich in den letzten Jahren ein fundiertes Wissen darüber angesammelt, wie Entscheidungsprozesse verlaufen. Insbesondere die Psychologie und die Gehirnforschung haben sich damit intensiv beschäftigt. Heute ergänzen sich die beiden Fachrichtungen aufs Fruchtbarste; sie arbeiten sich gewissermaßen in die Hände.
Ich möchte Sie dazu einladen, dieses Wissen kennen zu lernen. Und ich möchte Ihnen zeigen, wie Sie dieses Wissen dazu nutzen können, kluge Entscheidungen zu treffen. Natürlich kann dieses Buch keinen Menschen davor bewahren, Irrtümer zu begehen oder unter Druck eine Fehlentscheidung vorzunehmen. Manchmal greift auch das Leben selbst ein und macht eigene Entscheidungen überflüssig, weil es einfach Fakten schafft. Es wäre ein falscher Anspruch, angesichts der Vielfalt an Wahlmöglichkeiten, die uns umgeben, immer das Richtige tun zu wollen. Fehlerfreundlichkeit ist eine Kompetenz, die für ein geglücktes Leben genauso wichtig ist wie die Kompetenz, gute Entscheidungen zu fällen.
Mit diesem Buch möchte ich Ihnen einen grundlegenden Einblick in die Art und Weise vermitteln, wie Ihr Gehirn entscheidet, und Ihnen Informationen darüber geben, wie Sie dieses Wissen in Ihren ganz persönlichen Entscheidungssituationen einsetzen können. Wenn Sie es gelesen haben, werden Sie einige Entscheidungen anders fällen als früher, das verspreche ich Ihnen.
Ich habe das Buch aus zwei Teilen aufgebaut. Im ersten Teil erhalten Sie einen Einblick in das spannende Gebiet der Gehirnforschung. Sie müssen sich hierfür ein wenig Zeit zum Lesen nehmen, Sie werden auch das eine oder andere Fremdwort kennen und verstehen lernen. Sie werden zum Beispiel die Forschungsarbeit des Gehirnforschers Antonio Damasio kennen lernen und erfahren, was »somatische Marker« sind. Mir ist nämlich wichtig, Ihnen gut zu erklären, was im Gehirn, in der Psyche und im Körper abläuft, wenn wir Entscheidungen treffen. Dies tue ich, weil ich der Überzeugung bin, dass ein Mensch, der verstanden hat, wie sein Gehirn und seine Psyche funktionieren, besser in der Lage ist, eigenständige Entscheidungen zu treffen als ein Mensch, der sich und sein Handeln schematisch nach irgendwelchen »7 Tipps zum Erfolg« ausrichtet.
Ein Mensch, der die wichtigen Grundprinzipien des Entscheidens verstanden hat, ist in der Lage, diese flexibel anzuwenden. Er ist im Stande, Situationen, in denen er wenig erfolgreich war, selbst zu analysieren und aus Versuch und Irrtum zu lernen. Ein Mensch hingegen, der die »7 Tipps zum Erfolg« verwendet wie ein Backrezept, weiß nicht weiter, wenn die 7 Tipps einmal den Dienst versagen. Und dies tun sie mit Sicherheit über kurz oder lang. In diesen Fällen ist es immer von Vorteil, wenn Sie in der Lage sind, Ihre eigenen Lösungen zu entwickeln.
Den zweiten Teil des Buches habe ich als Leitfaden zur praktischen Anwendung geschrieben. Anhand von Beispielen erläutere ich, wie Sie das Wissen, das ich Ihnen im ersten Teil vermittelt habe, im Alltag einsetzen können.
Ich habe beide Teile mit vielen Illustrationen gewürzt, um die psychologischen Vorgänge sichtbar und damit besser verständlich zu machen. Meine Absicht ist, dass Sie am Ende dieses Buches das Geheimnis guter Entscheidungen für sich ganz persönlich gelüftet haben, dass Sie dann einige Entscheidungen besser treffen als früher und dass Sie auch über die wesentlichen Argumente verfügen, warum Sie das tun. Denn dann haben Sie die Möglichkeit, Ihre Entscheidungen zu begründen, die Mitmenschen, die Ihnen wichtig sind, von Ihrem Vorgehen in Kenntnis zu setzen und sie vielleicht sogar davon zu überzeugen.

TEIL I

Wie Gehirn und Körper beim Entscheiden zusammenarbeiten

Das Geheimnis kluger Entscheidungen

Wer das Geheimnis kluger Entscheidungen ergründen will, muss zunächst die herkömmliche Vorstellung davon, was gute Entscheidungen ausmacht, verabschieden. Bisher gingen die meisten Forscher/innen und Denker/innen davon aus, dass gute Entscheidungen auf Vorgängen basieren, die man in der Alltagssprache mit Begriffen wie »Verstand«, »Vernunft« oder »Denken« bezeichnet. Emotionen oder Körperempfindungen, wie sie zum Beispiel in Wörtern wie »Bauchgefühl« oder »Herzenswunsch« auftauchen, wurde bei Entscheidungen höchstens die Rolle eines Störenfrieds zugebilligt. Dieser Sachverhalt zeigt sich in Bemerkungen wie: »Sei doch vernünftig!« oder »Jetzt benutze endlich deinen Verstand!« oder »Versuch doch mal, klar zu denken!« Nach der herkömmlichen Vorstellung kann ein Mensch nur dann gut entscheiden, wenn er versteht, seine Gefühle unter Kontrolle zu halten. Denn Gefühle und ihre körperlichen Begleiterscheinungen verwirren den »vernünftigen« Menschen und stören seine Sachlichkeit.

Gute Entscheidungen fallen emotions- und leidenschaftslos: Diese Vorstellung hat sich in unserem Alltagsverständnis so sehr festgesetzt, dass sie oftmals gar nicht mehr hinterfragt wird. Für viele Menschen aus dem Management zum Beispiel ist sie so selbstverständlich wie die Tatsache, dass sie Luft zum Atmen brauchen. Sie versuchen, ihre Gefühle in den Griff zu kriegen, und üben sich im Pokerface. Erfolgreiches Management besteht nach dieser Ansicht darin, Kosten und Nutzen der zu entscheidenden Vorgänge gegeneinander abzuwägen und dann eine sachliche und rein rational begründete Entscheidung zu treffen. Das Ideal, das viele Führungskräfte anstreben, ist der so genannte homo oeconomicus, ein Mensch, der sich in seinen Entscheidungen wie eine Rechenmaschine verhält.
Commander Spock aus der Science-Fiction-Serie »Raumschiff Enterprise« verkörpert diesen Typus Entscheider in Reinform. Obwohl es sich beim Raumschiff Enterprise um ein Phantasiegebilde handelt, lässt es sich gut als Beispiel für das Thema dieses Buches verwenden. Für diejenigen, die bisher keine Enterprise-Fans waren, sei diese Figur kurz eingeführt. Commander Spock ist kein Mensch, sondern ein Vulkanier. Die Vulkanier und Vulkanierinnen sehen im Großen und Ganzen aus wie Menschen, bis auf ihre Ohren, die spitz zulaufen. Auf der Abbildung auf der vorangegangenen Seite habe ich versucht, Commander Spock mit seinen spitzen Ohren zu zeichnen.
Außer durch die spitzen Ohren unterscheiden sich die Vulkanier/ -innen noch durch etwas anderes von der menschlichen Rasse: Sie kennen keine Emotionen.
Commander Spock hat im Raumschiff Enterprise die Rolle des Datensammlers. Sein Lieblingswort ist »Fakten«. Sein Gesichtsausdruck ist eigentlich immer unbewegt. In Momenten der höchsten Erregung kann ab und zu das Hochziehen der linken Augenbraue verzeichnet werden, ansonsten sind die Körperhaltung und die Mimik bei ihm zuverlässig gleich bleibend; meistens sieht er aus, als hätte er einen Stock verschluckt. Generationen von Führungskräften wurden danach ausgebildet, als wäre Commander Spock das heimliche Vorbild für ihre zukünftige Tätigkeit. Und wir finden sie heute noch in den meisten Entscheidungspositionen. Ich nenne dieses Führungsideal das »Spock-Modell«.
Interessanterweise hat aber im Raumschiff Enterprise nicht Commander Spock, der Vulkanier, die Führungsposition inne. Geführt wird das Raumschiff von einem Menschen, Captain Kirk. Aus wissenschaftlicher Sicht käme für diese Position natürlich genauso eine Frau in Frage, darum habe ich versucht, einen weiblichen Captain Kirk zu zeichnen.
Warum kann ein Mensch besser führen als ein Wesen aus Vulkanien? Das menschliche Gehirn funktioniert anders als das Gehirn eines Vulkaniers oder einer Vulkanierin. Denn das menschliche Gehirn verarbeitet nicht nur Fakten, es entwickelt auch Emotionen. Emotionen wiederum rufen Veränderungen in Körperausdruck und Mimik hervor. Und diese Vorgänge sind wesentlich, wenn es darum geht, gute Entscheidungen zu treffen. Wegen seiner Emotionen und seiner Fähigkeit, diese auch körperlich zu erleben, kann ein Mensch bessere Entscheidungen fällen als ein Wesen aus Vulkanien. Hierin liegt das Geheimnis kluger Entscheidungen. Im weiteren Verlauf dieses Buches werden wir uns in allen Einzelheiten anschauen, wie die Gehirnforschung diese Aussage begründet.

Das Unbewusste entscheidet mit

Noch eine zweite Vorstellung davon, was gute Entscheidungen ausmacht, müssen Sie gleich zu Beginn dieses Buches verabschieden. Dies ist die Vorstellung, dass gute Entscheidungen immer an Bewusstsein gekoppelt sind. Da ich das Wort »Bewusstsein« öfter verwenden werde, möchte ich Ihnen ganz kurz erklären, was ich darunter verstehe:
Mit dem Begriff Bewusstsein bezeichne ich alle geistigen Tätigkeiten, die ein Mensch bei sich selbst wahrnimmt und über die er Auskunft geben kann, wenn man ihn danach fragt. Wenn ich Sie zum Beispiel frage: »Warum haben Sie sich eben eine Coca-Cola und keine Pepsi gekauft?«, werden Sie vielleicht antworten, dass Ihnen Coca-Cola besser schmeckt als Pepsi. Diese Begründung können Sie mir geben, wenn Sie mit Hilfe Ihres Bewusstseins über Ihre Vorliebe für Coca-Cola nachdenken.
Es kann sein, dass Sie durch die bewussten Überlegungen den wesentlichen Grund für Ihre Kaufentscheidung herausgefunden haben. Der Fall kann aber auch ganz anders liegen. Denn Menschen treffen ihre Entscheidungen nicht allein aufgrund von Vorgängen, die im Bewusstsein ablaufen, sondern auch aufgrund von Vorgängen, die im Unbewussten stattfinden.
Mit dem Begriff Unbewusstes bezeichne ich — ganz einfach — alle Vorgänge, die nicht bewusst sind. Vielleicht hat Ihr Unbewusstes sich für Coca-Cola entschieden, weil ein Mensch, von dem Sie viel halten, gestern beim Mittagessen auch eine Coke bestellt hat. Oder vielleicht ist Ihnen der knackige Po eines Coca-Cola-Jünglings aus einem Werbespot unbewusst in Erinnerung geblieben. Eine gewiefte Werbepsychologin könnte in einem intensiven Interview möglicherweise aus Ihnen herausholen, dass Sie mit der Flasche von Coca-Cola und ihrer typischen Form eine lieb gewordene Kindheitserinnerung an Ihren Großvater verbinden, der auf seinem Schreibtisch eine solche Flasche stehen hatte. Mit einer rosaroten Plastiknelke drin, die er mit Ihnen zusammen an einer Schießbude auf der Kirmes als Preis für zehn Treffer bekommen hat.

Es war Sigmund Freud, der Ahnvater der Psychoanalyse, der immer wieder darauf hingewiesen hat, dass der Mensch nicht allein vom Bewusstsein gesteuert wird. Er hat betont, dass auch das Unbewusste großen Einfluss auf unsere Entscheidungen ausübt und damit natürlich auch auf unser Handeln. Diese Grundaussage der Psychoanalyse war lange Zeit sehr umstritten, denn sie widersprach dem Ideal, das die westliche Welt seit der Aufklärung im 18. Jahrhundert hochhält: dass der Mensch ein Wesen mit Verstand ist, das im Gegensatz zum Tier über Bewusstsein und einen freien Willen verfügt. Gemessen an diesem Ideal war die Behauptung von Sigmund Freud, dass der Mensch vor allem von unbewussten Motiven gesteuert wird, ein ähnlicher Affront wie die Entdeckung von Charles Darwin, dass Mensch und Affe gemeinsame Vorfahren haben. Ein weiterer Grund, warum das Unbewusste an den Universitäten mit großer Skepsis behandelt wurde, war, dass man es wissenschaftlich nur schwer messen konnte.
Die Gehirnforschung hat diesen unbefriedigenden Zustand zum Besseren wenden können. Ihr ist es in den letzten Jahren gelungen, Bilder davon zu erzeugen, wie das Gehirn arbeitet. Auf diese Weise kann man das Gehirn bei seiner Tätigkeit direkt beobachten. Wenn Sie an ein entsprechendes Gerät angeschlossen wären, könnte man zum Beispiel genau sehen, welche Gebiete Ihres Gehirns aktiv sind, wenn Sie über die Coca-Cola-Frage nachdenken. Und man könnte daraus Rückschlüsse ziehen, womit sich Ihr Gehirn gerade beschäftigt.
Man weiß aufgrund solcher Untersuchungen, dass nur ein kleiner Teil der Tätigkeit des Gehirns überhaupt ins Bewusstsein gelangt. Sehr viel mehr von dem, was wir den ganzen Tag (und natürlich die Nacht) über wahrnehmen und tun, wird vom Gehirn über unbewusste Vorgänge geregelt. Der Gehirnforscher Gerhard Roth sagt sogar: »Bewusstsein ist für das Gehirn ein Zustand, der tunlichst zu vermeiden und nur im Notfall einzusetzen ist.« Wir werden im weiteren Verlauf dieses Buches noch genauer erfahren, woher diese Vorliebe des Gehirns für die unbewusste Verarbeitung kommt. Für den Moment genügt es, wenn Sie sich klar machen, dass Sigmund Freud in diesem Punkt von der Gehirnforschung bestätigt wird und dass die Vorstellung, der Mensch habe jederzeit auf alle Vorgänge in seiner Psyche bewussten Zugriff, falsch ist.

Das emotionale Erfahrungsgedächtnis

Nachdem nun deutlich geworden ist, dass unbewusst verlaufende Vorgänge bei Entscheidungen eine wichtige Rolle spielen können, wollen wir uns genauer anschauen, wie man sich diese Vorgänge aus der Sicht der Gehirnforschung vorzustellen hat. Zunächst etwas zum Bauplan des Gehirns: Das Gehirn benutzt bei bewussten Vorgängen andere Gebiete als bei unbewussten. Wenn Sie sich selbst beim Denken zusehen könnten, würden Sie feststellen, dass immer dann, wenn Ihnen bestimmte Dinge ins Bewusstsein kommen, die so genannte Großhirnrinde Ihres Gehirns aktiv ist. Die Großhirnrinde umgibt Ihr Gehirn wie eine Rinde den Baum. Sie ist nur ungefähr drei Millimeter dick. In der Sprache der Gehirnforschung nennt man die Großhirnrinde auch Cortex. »Cortex« ist das lateinische Wort für »Rinde«.
Die Großhirnrinde ist nur eine vergleichsweise dünne Umhüllung. Bewusst wird die Tätigkeit Ihres Gehirns für Sie ausschließlich dann, wenn diese dünne Umhüllung sich in Aktion befindet. Alle Aktivität des Gehirns, die unterhalb der Gehirnrinde stattfindet, ist unbewusst. Manches von dieser Aktivität kann unter bestimmten Umständen bewusst werden, wie zum Beispiel die Erinnerung an die Coca-Cola-Flasche mit der rosaroten Plastiknelke. Anderes davon gelangt nie in Ihr Bewusstsein, zum Beispiel die Art und Weise, wie Ihre Bauchspeicheldrüse oder Ihre Milz vom Gehirn beeinflusst werden.
In den Gebieten unterhalb der Großhirnrinde, im Unbewussten also, befindet sich ein Zusammenschluss von mehreren Teilgebieten, die für unser Thema der guten Entscheidungen wesentlich sind. Diesen Zusammenschluss hat der Gehirnforscher Gerhard Roth sehr anschaulich das emotionale Erfahrungsgedächtnis genannt.
Dieses emotionale Erfahrungsgedächtnis begleitet uns schon viel länger, als wir auf der Welt sind. Denn die Gehirngebiete, die für das emotionale Erfahrungsgedächtnis zuständig sind, beginnen bereits vor der Geburt, noch im Uterus, zu arbeiten. In ihnen wird alles gespeichert, was dem Organismus zeit seines Lebens widerfährt. Im emotionalen Erfahrungsgedächtnis wird das Wissen in Form von Gefühlen und Körperempfindungen gespeichert.
Das emotionale Erfahrungsgedächtnis ist keine Besonderheit von uns Menschen. Über diesen Wissensspeicher verfügen Tiere genauso wie wir. Durch innere Signale über Veränderungen des Körperzustandes und über Emotionen kann ein Organismus aus Erfahrungen lernen und das Gelernte blitzschnell abrufen, wenn er sich in vergleichbaren Situationen wiederfindet. Auf diese Weise kann er aus Erfahrungen Nutzen ziehen und gute Erlebnisse wiederholen, schlechte kann er vermeiden. Unser emotionales Erfahrungsgedächtnis ist gewissermaßen ein Erbe unserer tierischen Ahnen. Es enthält eine umfassende Sammlung unserer gesamten Lebenserfahrung und ist daher ein Wissensspeicher von unschätzbarer Qualität.
Wenn man das weiß, billigt man den Emotionen sofort eine sehr viel wichtigere Bedeutung zu, als dies in der herkömmlichen
Vorstellung, die ich eingangs das »Spock-Modell« genannt habe, der Fall ist. Emotionen werden daher heutzutage nicht mehr als Störfaktoren für das vernünftige Denken betrachtet, sondern als unersetzliche Überlebenshilfen. Diese Überlebenshilfen stammen aus zwei Quellen: Die einen sind angeboren, andere sind gelernt.
Das emotionale Erfahrungsgedächtnis, das für gute Entscheidungen so wichtig ist, hat gelerntes Wissen gespeichert. Weil es auf den persönlichen Erfahrungen jedes einzelnen Menschen beruht, ist es ganz individuell angelegt. Das gelernte Wissen entsteht -vereinfacht gesagt — dadurch, dass bestimmte Verhaltensweisen belohnt beziehungsweise als angenehm erfahren und andere bestraft oder als unangenehm registriert werden. Diese Erfahrungen hinterlassen dauerhafte Spuren.






Erscheint lt. Verlag 11.4.2008
Reihe/Serie Mosaik bei Goldmann
Sprache deutsch
Maße 125 x 183 mm
Gewicht 145 g
Einbandart Paperback
Themenwelt Geisteswissenschaften Psychologie Allgemeines / Lexika
Geisteswissenschaften Psychologie Angst / Depression / Zwang
Schlagworte Entscheidung • Entscheidung; Ratgeber • Taschenbuch / Psychologie/Allgemeines, Lexika • TB/Psychologie/Allgemeines, Lexika
ISBN-10 3-442-16998-4 / 3442169984
ISBN-13 978-3-442-16998-6 / 9783442169986
Zustand Neuware
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