Das System der Dinge
Campus (Verlag)
978-3-593-38470-2 (ISBN)
"In der städtischen Zivilisation sieht man, wie Generationen von Gegenständen, Apparaten und Gadgets einander in immer schnellerem Tempo ablösen ..." - so beginnt Jean Baudrillards Erstlingswerk von 1968, in dem er die uns umgebenden, hergestellten Dinge als ein geschlossenes Zeichensystem deutet: als eine Scheinwelt des Konsums, in der Wunsch und Ware untrennbar miteinander verknüpft sind. Als das Werk entstand, gab es noch keine PCs, geschweige denn das Internet. Angesichts globalisierter Märkte und einer inflationären Apparatewelt lohnt es sich, dieses faszinierende Dokument postmodernen Denkens heute wieder zu lesen.
Jean Baudrillard, 1929 – 2007, Medientheoretiker, Philosoph und Soziologe, war bis zu seinem Tod Professor an der European Graduate School in Saas-Fee, Schweiz.
Inhalt
Einleitung 9
Die Sprache der Gegenstände 21
Die Ausgestaltung des Wohnraums 23
Das überlieferte Milieu 23
Der moderne Gegenstand - von seiner Funktion befreit 25
Das Modell-Interieur 28
Vor einer Soziologie der Ausgestaltung? 34
Der Raumgestalter 37
Die Strukturen der Stimmung 42
Stimmungswert Farbe 42
Stimmungswert Material 50
Persönliche Beziehungen und Stimmung 57
Stimmungswerte: Gebärden und Formen 62
Stilisierung - Handlichkeit - Verhüllung 69
Naturalität und Funktionalität 83
Nachtrag: Wohnung und Wagen 86
Der subjektive Ausdruck 93
Das alte Objekt - Zeit und Dauer 95
"Stimmungswert" Historizität 95
Symbolischer Wert: Mythos des Ursprungs 96
Die "Authentizität" 98
Die "Beseelung" des Hauses 99
Legende und Nützlichkeit 103
Kontrapunkt: das technische Objekt und die Primitiven 106
Der Antiquitätenmarkt 108
Der kulturelle Neo-Imperialismus 109
Die Sammlung 110
Gegenstand ohne Funktion 110
Die Sammelleidenschaft 112
Das schönste Haustier 114
Das Spiel mit der Serie 116
Von der Quantität zur Qualität: das Unikat 117
Gegenstände und Gewohnheiten: die Uhr 120
Gegenstand und Zeit: der geregelte Kreislauf 122
Gegenstand im Gewahrsam: die Eifersucht 126
Entstrukturiertes Objekt: die Perversion 128
Freude an der Freude 132
Selbstgespräch 135
Gadgets und Roboter 137
Technische Konnotation: Automatismus 139
Der Automatismus 140
Der funktionelle Rausch 143
Das Trugbild des Automaten 145
Der Roboter als Supergegenstand 150
Metamorphose der Technik 156
Technik und System des Unbewußten 161
Gegenstände und Verbrauch 169
Modelle und Serien 171
Vorindustrieller Gegenstand und industrielles Modell 171
Der "verpersönlichte" Gegenstand 174
Die Idealität des Modells 178
Vom Modell zur Serie 180
Der Kredit 194
Rechte und Pflichten des Konsumenten 194
Eine neue Ethik: Verbrauch vor Erzeugung 197
Der Kaufzwang 199
Der wunderbare Einkauf 200
Die Doppeldeutigkeit der Haushaltswaren 201
Die Werbung 203
Gespräch über den Gegenstand und Gesprächsgegenstand 203
Befehl und Aussage im Werbegespräch 204
Die Logik des Weihnachtsmanns 205
Die mütterliche Instanz: das moderne Sitzmöbel 207
Kaufkraftfestival 212
Doppelte Instanz: Belohnung und Strafe 216
Die kollektive Annahme 220
Ein neuer Humanismus? 225
Eine neue Sprache? 231
Vor einer neuen Definition des "Verbrauchs" 243
Die Rache der Dinge und der Terror des Systems
Nachwort von Florian Rötzer (2007) 250
Die Ausgestaltung des Wohnraums Das überlieferte Milieu In der Ausgestaltung des Wohnraums spiegeln sich die Familien- und Gesellschaftsstrukturen einer Epoche wider. Das typisch bürgerliche Interieur hat ein patriarchalisches Gepräge: Es stellt die Einheit von Speise- und Schlafzimmer dar. Die Möbel, unterschieden nach ihrer Funktion, doch streng aufeinander bezogen, kreisen um den Tisch oder um das Bett in der Mitte. Die Tendenz, den Raum anzufüllen, auszufüllen, ihn abzugrenzen, ist offensichtlich. Eindeutigkeit, Unverrückbarkeit, beeindruckende Gegenwärtigkeit und rangachtende Förmlichkeit bestimmen das Bild. Jedes Stück hat, den einzelnen Verrichtungen der familiären Zelle entsprechend, eine fest umrissene Bestimmung und verweist überdies auf eine Auffassung von der Person als eines ausgewogenen Gefüges distinkter Fähigkeiten. Die Möbel starren einander an, behindern einander und fügen sich zu einer Einheit zusammen, die weniger eine räumliche, als eine moralische ist. Sie ordnen sich entlang einer Achse, die den regelmäßigen Ablauf des Tages und die symbolische Anwesenheit der Familie versinnbildlicht. In diesem privaten Raum verinnerlicht jedes Möbelstück, jeder Gegenstand auch seine eigene Funktion und verleiht ihr eine symbolische Würde - wie das Haus selbst die Integration der persönlichen Beziehungen innerhalb der halb geschlossenen Familiengruppe zur Vollendung führt. All dies verbindet sich zu einem Ganzen, dessen Struktur auf der patriarchalischen Tradition und Autorität beruht und in dessen Mitte jene gefühlvollen und komplexen Beziehungen Platz greifen, die alle Mitglieder untereinander verbinden. Dieses Heim bildet einen spezifischen Raum, der an einer sachlich-objektiven Einrichtung nur wenig Geschmack findet, weil hier die Möbel und Gegenstände vor allem die Funktion haben, die menschlichen Beziehungen zu personifizieren, den Raum, in den sie sich teilen, zu bevölkern und selbst eine Seele zu besitzen. Die reelle Dimension, in der sie leben, ist der moralischen unterstellt, welche sie anzuzeigen haben. In diesem Raum ist ihnen eine ebenso begrenzte Autonomie zugestanden, wie sie die verschiedenen Familienmitglieder in der Gesellschaft haben. Wesen und Dinge sind übrigens miteinander verbunden und nehmen in dieser heimlichen Übereinkunft eine Innigkeit, einen affektiven Wert an, den man überkommenerweise als ihre "Präsenz" bezeichnet. Was die Tiefe des Elternhauses auszeichnet, sein Erfülltsein mit Erinnerungen veranschaulicht, beruht offensichtlich auf dieser komplexen Struktur der Verinnerlichung, in welcher die Gegenstände vor unseren Augen eine symbolische Konfiguration annehmen, die man als das Zuhause bezeichnet. Die Zäsur zwischen Innen und Außen, ihre formelle Gegenüberstellung als Eigentum unter dem sozialen und als Familienimmanenz unter dem psychologischen Vorzeichen, macht aus diesem traditionellen Raum eine abgeschlossene Transzendenz. Hausgöttern gleich leben die Gegenstände hier, verkörpern die affektiven Bindungen in diesem Milieu, die ständige Anwesenheit der Gruppe, und umgeben sich mit einem milden Abglanz der Unsterblichkeit - bis eine neue Generation kommt und sie verbannt, in den Wind zerstreut oder sie bisweilen mit einer frischen Nostalgie nach altehrwürdigen Dingen aus der Vergessenheit zurückholt. Wie oft selbst Götter haben auch die Möbel gelegentlich die Chance eines wiederkehrenden Daseins, indem sie, ihrer alltäglichen Verpflichtungen enthoben, zu einer barocken Ausschmückung aufgewertet werden. Die Anordnung des Speise- und des Schlafzimmers, dieser beweglichen Struktur über dem starren Grundriß des Hauses, ist noch die gleiche, welche die Werbung einem breiten Publikum anpreist. Die Großkaufhäuser bestimmen immer noch für den Massengeschmack die Normen des "dekorativen" Ensembles, obwohl die Linienführung sich "stilisiert" und die Ausschmückung bereits ihre Anziehungskraft eingebüßt hat. Diese Einrichtungen finden nicht deshalb Abnehmer, weil sie preiswert sind, sondern weil sie das Merkzeichen der offiziellen Anerkennung der Gruppe und die Billigung der Bourgeoisie erhalten haben. Übrigens deuten diese Möbelungeheuer (Kredenz, Bett, Kasten) und ihre Kombinationen auf das Fortbestehen der traditionellen Familienstrukturen noch in breiten Schichten der modernen Gesellschaft hin.
Erscheint lt. Verlag | 13.8.2007 |
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Reihe/Serie | Campus Bibliothek |
Nachwort | Florian Rötzer |
Übersetzer | Joseph Garzuly |
Verlagsort | Frankfurt |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Le système des objets |
Maße | 141 x 214 mm |
Gewicht | 340 g |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Philosophie ► Erkenntnistheorie / Wissenschaftstheorie |
Geisteswissenschaften ► Philosophie ► Philosophie der Neuzeit | |
Sozialwissenschaften ► Soziologie | |
Schlagworte | Dingwelt • Erkenntnistheorie • Gesellschaftskritik • Gesellschaftstheorie • Globalisierung • HC/Soziologie/Sonstiges • Konsum • Konsumgesellschaft • Kultursoziologie • Mixed Media • Philosophie der Ästhetik • Poststrukturalismus • Programm • Simulation • Symbol • Symbolstruktur • Systemtheorie |
ISBN-10 | 3-593-38470-1 / 3593384701 |
ISBN-13 | 978-3-593-38470-2 / 9783593384702 |
Zustand | Neuware |
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