Grenzregionen -

Grenzregionen

Ein europäischer Vergleich vom 18. bis 20. Jahrhundert
Buch | Softcover
365 Seiten
2007
Campus (Verlag)
978-3-593-38448-1 (ISBN)
46,00 inkl. MwSt
Grenzen im »langen« 19. Jahrhundert
Das 19. Jahrhundert gilt als Jahrhundert des Nationalismus. Waren bis dahin Räume vor allem durch Konfession, Sprache oder gemeinsame Kultur gebildet worden, erfolgte nun die Konzeption linearer nationaler Grenzen. An Beispielen aus West- und Osteuropa wird in diesem Band gezeigt, wie solche Grenzen erfunden wurden, wie die betroffenen Bevölkerungen sich damit arrangierten oder auch identifizierten und wie durch Grenzen Fremdheit entstand, aber auch Kontrolle ermöglicht wurde.

Christophe Duhamelle, Dr. habil., ist Direktor der Mission Historique Française in Göttingen. Andreas Kossert, Dr. phil., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Historischen Institut Warschau. Bernhard Struck, Dr. phil., ist Lecturer in Modern History an der University of St. Andrews.

Inhalt

Einleitung
Perspektiven für eine vergleichende Grenzforschung Europas
Christophe Duhamelle/Andreas Kossert/Bernhard Struck9

Erfindung und Aneignung von Grenzen

Von der frontier zum Binnenraum
Visionen und Repräsentationen Sibiriens als
innerrussländischer Grenzraum
Lutz Häfner25

Von sichtbaren und unsichtbaren Grenzen
Die Annexion von 1871 und ihre Auswirkungen auf das
annektierte Lothringen bis zum Ersten Weltkrieg
Stephanie Schlesier51

"Grenzen" in nationalen Historiographien
Drei Fallstudien über das 19. Jahrhundert: Polen, Böhmen
und Rumänien
Monika Baár 77

Kulturraumwissenschaft als Grenzverteidigung
Geohistorie und Raumideologie im "Denkschriften-Krieg"
der Weimarer Reichsreformdebatte
Riccardo Bavaj97

Das Gibraltar des Nordens
Die Herstellung des schwedisch-russischen Grenzgebietes um 1900
Magnus Rodell123

Grenzen wahrnehmen, erleben, symbolisieren

Die Konkurrenz um Verortung
Raumentwürfe zwischen "baltischen Provinzen" und "Latvija"
im 19. und frühen 20. Jahrhundert
Ulrike von Hirschhausen155

Kontinuität und Wandel
Die Wahrnehmung der sächsisch-böhmischen Grenze, 1780-1850
Martina Krocová181

Staatsgrenze, touristisches Ausflugsziel und Ort der Begegnung
Deutsche und französische Grenzerfahrungen am Col de la Schlucht
im Elsass, 1871-1918
Günter Riederer203

"Das Asien auf der Krim"
Die Kategorien "Orient" und "Okzident" im russischen Krim-Diskurs
vom ausgehenden 18. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg
Kerstin S. Jobst225

Brückenlandschaft oder Ende der Welt?
Das Egerland als Grenzgebiet im langen 19. Jahrhundert
Markus Krzoska247

Ausgrenzungen: Fremdheit, Kontrolle und Identität

Die Bedeutung von Fremden für die Nationalstaatsbildung
Köln als französische Grenzstadt, 1798-1814
Astrid Küntzel273

Der "internationale Zigeuner" in der Tschechoslowakei
Eine transnationale Geschichte der Grenzkontrolle, 1918-1938
Celia Donert295

Fließende Grenzen in einer Grenzstadt
Sprache, Kultur, gesellschaftlicher Status und nationale Identität
im Flensburg des langen 19. Jahrhunderts
Martin Klatt315

Grenzziehung und Identität in einem Vielvölkerreich
Bessarabien unter russischer Herrschaft, 1812-1917/18
Oliver Schulz333

Autorinnen und Autoren361

Erstens läuft nicht nur durch den ganzen Band, sondern auch oft durch einzelne Beiträge eine Grenztypologie. Diese lädt dazu ein, die unterschiedlichen Typen nicht gegeneinander, zum Beispiel als Sieg der "nationalen" Grenze, sondern vielmehr in ihren Wechselwirkungen zu erfassen. Die Sprach- und Kulturgrenzen, die militärischen und politischen, die inneren und äußeren Grenzen, die wirtschaftlichen, konfessionellen, kulturellen Grenzen und endlich die sozial unterschiedlichen Wahrnehmungen der Grenzen spielen in den einzelnen Fallbeispielen verschiedene Rollen. In einigen Fällen bilden sie Gegensätze, teils verstärken sie sich gegenseitig. Der zentrale Punkt besteht jedoch darin, dass die Grenze in den meisten Fällen nur durch ihre wechselnden Interaktionen zu verstehen ist, ohne dass eine eindeutige und allgemeine Hierarchie festzustellen wäre. Dass Grenzen zumeist Konstruktionen sind, was nicht bedeutet, dass sie "künstlich" sind, sondern dass sie stets erneut erlebt und aktualisiert werden, wird in vielen Beiträgen unterstrichen. Das trifft auch auf die "natürlichen" Grenzen zu, sei es der trennende Rhein im französischen Diskurs der Revolution (Küntzel) oder die verbindende Donau im Werk des Historikers Palacký (Baár). Konfessionelle Grenzen bieten ein gutes Beispiel dieser Plastizität: Sie bestimmen unterschiedliche Vorstellungen des Raums und seines Namens im Baltikum (Hirschhausen), verstärken die nationale Alterität und die unsichtbaren Grenzen innerhalb des selben politischen Raums in Lothringen (Schlesier), werden zum trennenden Kriterium zwischen "West" und "Ost" auf der Krim (Jobst) und zum ersten vernehmbaren Merkmal der zwischenstaatlichen Grenze im Falle Böhmens, während die Sprachgrenze erst Kilometer nach dem Passieren der Grenze wahrgenommen wird (Krocová). Zweitens heben die Beiträge dieses Bandes die große Vielfalt der Akteure hervor, die an der Gestaltung, Deutung und gegebenenfalls Relativierung von Grenzen teilnehmen. Der Terminus "Akteure" ist vage und könnte zu einer Dichotomie zwischen "dem Staat" und "den Akteuren" führen. Eine weitaus nuanciertere Auffassung ist jedoch notwendig. Der Staat, das Zentrum, bildet keinen Monolith. Zwischenstaatliche Wissenstransfers bestimmen den Grenzdiskurs (Donert), innerstaatliche Konflikte drücken sich in Grenzkonflikten aus (Bavaj) und verschiedene Behörden, je nach dem Ort und den zu lösenden konkreten Fragen, gewähren Ausnahmen von Grenzregelungen (Küntzel). Dasselbe gilt für die Handelnden vor Ort: Die soziale Zugehörigkeit übt einen großen Einfluss aus, nicht nur über den Umgang mit der Grenze, sondern auch über die Grenze selbst, ihre Definition, ihre Interpretation. Der Protest der Flensburger Arbeiter zum Beispiel wendet sich von einem nationalen zu einem politischen Ausdruck (Klatt) und der Adel in Litauen oder in Bessarabien pflegt über die Grenzen des "nationalen" Raums ganz andere Vorstellungen als andere soziale Gruppen (Hirschhausen, Schulz). Drei personelle und institutionelle Akteursgruppen gewinnen gerade im 19. Jahrhundert einen entscheidenden Einfluss. Erstens besetzen Vereine und Gruppen eine nicht zu unterschätzende Funktion im Grenzdiskurs, zum Beispiel für die Errichtung von Festungen in Schweden (Rodell). Zweitens spielen Zeitschriften eine wachsende Rolle. Eine von ihnen trägt wesentlich dazu bei, die Bezeichnung "baltisch" zu verbreiten (Hirschhausen), andere plädieren für eine volkskundliche deutsche Identität des Egerlands (Krzoska). Drittens übernehmen Historiker eine Hauptrolle in der Legitimierung oder Infragesetzung der Grenzen. Drei Beiträge eröffnen einen Einblick in die Bemühungen von Historikern, die Grenzen ihres neuen oder in die Zukunft projizierten Staats (Baár, Schulz) oder innerstaatliche Grenzen (Bavaj) zu definieren und zu erweitern. Bei Schulz wird darüber hinaus sichtbar, dass nicht nur die "nationale" Historiographie, sondern auch die marxistische Historiographie ihre Argumentation als Mittel zu diesem Zweck einsetzen konnte. Ein dritter roter Faden durch die Beiträge führt zu den konkreten Artefakten und symbolischen Handlungen, die Grenzen veranschaulichen. Die Grenze wird unter anderem singend symbolisiert und erfunden - die Entwicklung desselben Lieds zeigt den Aufstieg des Begriffs "Latvija" zuungunsten des Begriffs "Baltija" (Hirschhausen) - und im Gesang wird auch das Gefecht an der Grenze zwischen Frankreich und Deutschland ausgetragen (Riederer). Grenzpfähle beeinflussen die Wahrnehmung der Grenze (Krocová), sind aber auch Ziele der symbolischen Widerstandshandlungen gegen die Grenze (Schlesier). Uniformen, Fahnen (Rodell), sorgfältig gesetzte Grenzsteine (Rodell, Riederer) gehören ebenfalls zum reichen symbolischen Wortschatz der Grenze. In einigen Fällen gewinnen unerwartete Symbole eine große Rolle. Da die neuen Ladenschilder in Lothringen auf Deutsch verfasst werden müssen, werden die alten französischen Schilder, die einfach nicht ersetzt werden, zum stillen Widerstand gegen die neue Grenze (Schlesier). Die Kamele gelten auf der Krim in vielen Texten als die wahren Merkmale der inneren Grenze zwischen "West" und "Ost" (Jobst). Karten sind ebenfalls Artefakte, die zur Erfindung der Grenze beitragen, auch wenn sie demonstrativ als objektiv-wissenschaftlich vorgestellt werden (Bavaj). Auch die Klassifizierungen, die entweder bei Bevölkerungsübersichten oder bei der Herstellung von Personalausweisen angewandt werden, gehören zu den symbolischen Machtinstrumenten der Ausgrenzungen (Küntzel, Donert).

Erscheint lt. Verlag 8.10.2007
Co-Autor Monika Baár, Riccardo Bavaj, Celia Donert, Christophe Duhamelle, Lutz Häfner, Ulrike von Hirschhausen, Kerstin S. Jobst, Martin Klatt, Andreas Kossert, Martina Krocová, Markus Krzoska, Astrid Küntzel, Günter Riederer, Magnus Rodell, Stephanie Schlesier, Oliver Schulz, Bernhard Struck
Verlagsort Frankfurt
Sprache deutsch
Maße 142 x 214 mm
Gewicht 515 g
Themenwelt Geisteswissenschaften Geschichte Allgemeines / Lexika
Geisteswissenschaften Geschichte Allgemeine Geschichte
Schlagworte 18. Jahrhundert • 19. Jahrhundert • 20. Jahrhundert • Baltikum • Böhmen • Deutschland • England • Europa, Geschichte • Frankreich • Fremdheit • Grenzen • Grenzregion • HC/Geschichte/Allgemeines, Lexika • Identität • Lothringen • Raum • Region • Russland • Tschechoslowakei
ISBN-10 3-593-38448-5 / 3593384485
ISBN-13 978-3-593-38448-1 / 9783593384481
Zustand Neuware
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