Vom Gegner lernen
Campus (Verlag)
978-3-593-38442-9 (ISBN)
Kulturelle Transfers fanden nicht nur zwischen Gesellschaften und Gruppen statt, die in gutem Verhältnis zueinander standen. Auch in Konstellationen fundamentaler Ablehnung - etwa zwischen den "Erbfeinden" Frankreich und Deutschland oder zwischen den Gegnern im Kalten Krieg - war Austausch nicht nur möglich, sondern eventuell strategisch günstig. Bei einem Blick auf dieses Phänomen kommen erstaunliche Geschichten ans Licht: die konservative russische Aneignung des revolutionären Mottos "liberté, égalité, fraternité", die Kampagne für amerikanische Produktionsmethoden in der frühen Sowjetunion oder der Westfernsehkonsum in der DDR.
Daniel Schönpflug ist außerplanmäßiger Professor für die Neuere Geschichte Westeuropas an der FU Berlin.
Inhalt
Vorwort7
Martin Aust, Daniel Schönpflug
Vom Gegner lernen
Einführende Überlegungen zu einer Interpretationsfigur der Geschichte Europas im 19. und 20. Jahrhundert9
Martin Aust, Daniel Schönpflug
Nos amis les ennemies
Über die russisch-französischen Beziehungen von der Revolution 1789 bis zum Krimkrieg 1853-185636
Denis Sdvižkov
Aneignung zur Abwehr
Scharnhorst, Frankreich und die preußische Heeresreform61
Michael Sikora
Lernen vom Feind
Das Militär als Träger des deutsch-französischen Kulturtransfers im 19. Jahrhundert95
Jakob Vogel
Deutsche und Polen in der Provinz Posen
Überlegungen zur Relevanz gegenseitiger Lernprozesse114
Christoph Schutte
Antibolschewismus als Lernprozess
Die Auseinandersetzung mit Sowjetrussland in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg137
Andreas Wirsching
Die europäischen Ursprünge des Eurasianismus
Russische Emigranten und ihre Kritik am Eurasianismus 1920-1930157
Marlène Laruelle
"Einholen und überholen"
Amerikanische Technologie aus sowjetrussischer Sicht: Die zwanziger und frühen dreißiger Jahre179
Jutta Scherrer
Planung, Technokratie und Rationalisierung in Deutschland und Frankreich während der Weltkriegsära209
Olivier Dard, Dieter Gosewinkel
"All of This Helps Us in Planning"
Der New Deal und die NS-Sozialpolitik234
Kiran Klaus Patel
Lernprozesse, Konkurrenz und Legitimationsdruck
Inszenierungen von Politik in Berlin, 1950-1963253
Andreas W. Daum
Feindbild und Leitbild
Westfernsehen in der DDR271
Hanno Hochmuth
"Nichts erweckt den Ehrgeiz im Herzen mehr als die Posaune fremden Ruhmes"
Die Wissenschaftsbeziehungen der DDR zum Westen293
Jens Niederhut
Sympathie mit dem Gegner
Wahrnehmungen der DDR in Großbritannien und ihre Träger316
Arnd Bauerkämper
Feindschaft und Verflechtung
Anmerkungen zu einem scheinbaren Paradox341
Johannes Paulmann
Autorinnen und Autoren357
Konkurrenz, Gegnerschaft und Feindschaft sind von Anfang an zentrale Themen einer europäischen Geschichtsschreibung gewesen, in deren Fokus ursprünglich der Fürsten-, später der Nationalstaat stand und die vom Primat der Außenpolitik ausging. Im 20. Jahrhundert wurden die vormodernen und historistischen Deutungstraditionen mit dem Anspruch konfrontiert, neben Staatenkonkurrenz, Diplomatie, Militär und Krieg auch Gesellschaft, Wirtschaft und Technik bei der Analyse europäischer Gegnerschaft zu berücksichtigen. Aus den USA kamen darüber hinaus wichtige Impulse für kulturgeschichtliche Zugänge zur Geschichte internationaler Beziehungen, und ein ähnlich gelagerter Paradigmenwechsel fand auch in der politologischen und soziologischen Kriegs- und Friedensforschung statt. Parallel zu diesen Entwicklungen hat sich die Geschichte des Nationalismus, Benedict Andersons These von der Nation als imagined community folgend, die Erkenntnis zu eigen gemacht, dass "Selbstdefinition durch Feindmarkierung" stattfindet; Michael Jeismanns Das Vaterland der Feinde verhalf der europäisch ausgerichteten Geschichte nationaler Feindbilder endgültig zum Durchbruch. Inzwischen sind sehr unterschiedliche negativ zugespitzte Alteritäten untersucht worden. Es hat sich gezeigt, dass Feindbilder auch ein sinnvolles Forschungsthema in Antike, Mittelalter und Früher Neuzeit sind. Für das 19. und 20. Jahrhundert ist herausgearbeitet worden, dass die Verdammung des Anderen nicht nur das hässliche Produkt des Nationalismus war, sondern auch Ergebnis ideologischer Zuspitzung, fragwürdiges Integrationsinstrument der Diktaturen oder Triebkraft von ethnischen Säuberungen und Genozid. In der Feindbildforschung wird durchaus berücksichtigt, dass negative Alteritäten besonders intensive Wahrnehmungen eines anderen voraussetzen und dass Konfliktpartner - wie Boxer im Klintsch - in besonders engem Kontakt stehen. Gleichzeitig mangelt es dieser Forschungsrichtung häufig an dem Bestreben, historische Vorstellungen von Gegner- und Feindschaft nicht nur schlüssig zu rekonstruieren, sondern auch ihre Grenzen und Ambivalenzen sowie gegenläufige Prozesse in die Analyse einzubeziehen. Das zweite der eingangs angesprochenen Themengebiete, die Kulturtransferforschung, trat in den frühen achtziger Jahren an, eine Geschichtssicht, die auf Nationalstaaten und ihrer Konkurrenz beruhte, zu kritisieren und zu korrigieren. Sie befasste sich mit dem Austausch von Gütern und Ideen unter Individuen und Gruppen, und sie thematisierte die komplexen Aneignungsvorgänge, welche Übernahmen aus anderen Kulturen mit sich bringen. Sie umfasste vor allem die Geschichte der gebildeten Eliten Europas, ihrer wechselseitigen Wahrnehmung und Beeinflussung sowie der in diesem Milieu entstehenden ›europäischen Identität‹, und sie widmete sich auch den Migrationen der handarbeitenden Schichten und Fachkräfte, die ihr Wissen und ihre Kultur in andere Regionen trugen. Wo andere getrennte nationale Entitäten sahen, entdeckten sie Kommunikationsströme, Vermittler, Medien und Übersetzungen; die ›transnationale Geschichte‹ radikalisiert diese Sichtweise noch, indem sie verflochtene Räume jenseits der Nationen in den Blick nimmt. Wenn Historiker die Nationen - einst als singuläre Hervorbringungen gepriesen - als verflochtene Hybriden analysieren, werden die mit der Nationsbildung einhergehenden Impulse der Abgrenzung und Aggressivität zum einen produktiv hinterfragt, zum anderen aber auch an den Rand des Gesichtsfeldes gedrängt. Der Versuch, die Geschichte der konkurrierenden Nationalstaaten zu korrigieren, ist vielfach allzu erfolgreich gewesen, und die Existenz von Gegnerschaft und Konflikt wird in vielen Arbeiten zum Kulturtransfer nicht mehr thematisiert. Es besteht so das Risiko, dass Transfer und Verflechtung vornehmlich als Vorgang unter Freunden, gar als wichtiger Schritt "auf dem Weg zu einer europäischen Gesellschaft" erscheinen, das heißt gleichermaßen als Ursache wie als Folge der von Hartmut Kaelble analysierten wachsenden europäischen Konvergenz. Eine Historiographie, die ihre Aufmerksamkeit vor allem den sich austauschenden europäischen Kulturen widmet, droht daher zu einem Baustein einer langangelegten Erfolgsgeschichte der europäischen Integration zu werden.
Erscheint lt. Verlag | 12.9.2007 |
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Co-Autor | Martin Aust, Arnd Bauerkämper, Olivier Dard, Andreas W. Daum, Dieter Gosewinkel, Hanno Hochmuth, Marlène Laruelle, Jens Niederhut, Kiran Klaus Patel, Johannes Paulmann, Jutta Scherrer, Daniel Schönpflug, Christoph Schutte, Denis Sdvizkov, Michael Sikora, Jakob Vogel, Andreas Wirsching |
Verlagsort | Frankfurt |
Sprache | deutsch |
Maße | 143 x 214 mm |
Gewicht | 500 g |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Geschichte ► Allgemeines / Lexika |
Geisteswissenschaften ► Geschichte ► Allgemeine Geschichte | |
Schlagworte | 19. Jahrhundert • 19. Jahrhundert; Geistes-/Kultur-G. • 20. Jahrhundert • 20. Jahrhundert; Geistes-/Kultur-G. • DDR • Deutschland • Europa, Geschichte; Geistes-/Kultur-Geschichte • Feindschaft • Frankreich • HC/Geschichte/Allgemeines, Lexika • Kulturtransfer • Polen • Politikgeschichte • Preußen • Russland • USA |
ISBN-10 | 3-593-38442-6 / 3593384426 |
ISBN-13 | 978-3-593-38442-9 / 9783593384429 |
Zustand | Neuware |
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