Auf den Spuren der Familie Gumpel

Biografische Zeugnisse als Quellen zur jüdischen Geschichte im 20. Jahrhundert
Buch | Softcover
112 Seiten
2006 | 1. geringfügig veränderter Nachdruck 2022
Verlag für Regionalgeschichte ein Imprint von Aschendorff Verlag GmbH & Co. KG
978-3-89534-634-7 (ISBN)
9,90 inkl. MwSt
Kurt Gumpel, 1922 als dritter Sohn der jüdischen Familie Gumpel in der lippischen Kleinstadt Lemgo geboren, hat dem Städtischen Museum in Lemgo bei einem Besuch im Jahre 2000 eine Sammlung von biografischen Dokumenten, Briefen und Fotos überreicht. Mit der Übergabe war der Wunsch verbunden, dass die Exponate nicht nur aufbewahrt werden, sondern dass damit auch gearbeitet wird. Diese Anregung wurde von der Lemgoer Jugendgruppe NicoTeens aufgenommen, die im Jahre 2001 das Internet-Projekt »Auf den Spuren Kurt Gumpels« erarbeitet hat. Es war der Beitrag der Jugendgruppe für den Wettbewerb *Auf dich kommt es an«, den die »Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland« initiiert hatte. Anhand der biografischen Dokumente und mündlicher Informationen haben die Jugendlichen den Lebensweg von Kurt Gumpel dargestellt. Er hatte im Jahre 1937 seine Heimatstadt Lemgo verlassen, um sich zusammen mit seinen beiden älteren Brüdern Herbert und Hans im Landwerk Neuendorf, einem Hachschara-Lehrbetrieb, auf die Auswanderung nach Palästina vorzubereiten. Kurz vor Kriegsbeginn konnte er im Juni 1939 nach Dänemark ausreisen. Im September 1943 flüchtete er nach Schweden. Am 31. Mai 1945 kehrte Kurt Gumpel nach Dänemark zurück. Heute lebt er in Belgien. Seine Mutter Rosalie wurde im Dezember 1941 von Lemgo aus nach Riga deportiert und im dortigen Ghetto ermordet. Der Bruder Herbert (Mordechai) emigrierte 1938 nach Palästina. Heute lebt er 94-jährig als Künstler in der Nähe von Jerusalem. Hans Gumpel lebte ebenfalls in Dänemark, wo er im Jahre 1996 starb.

Dr. Andreas Lange. Geboren 1964 in Höxter. Pfarrer an St. Nicolai Lemgo, Lutherischer Superintendent der Lippischen Landeskirche und Vizepräses der EKD-Synode. https://de.wikipedia.org/wiki/Andreas_Lange_(Theologe)

Jürgen Scheffler. Geboren 1954 in Hemer. Studium: Geschichtswissenschaft und Germanistik in Göttingen, Marburg und Bielefeld. Bis 2019 Leiter des Städtischen Museums in Lemgo. Forschungsschwerpunkte: Stadt- und Regionalgeschichte, Museumskunde, Geschichte der Heimatbewegung.

Vorwort • 7
Jürgen Scheffler: Biografische Dokumente, Briefe und Fotos als Quellen zur jüdischen Geschichte. Lemgo im 20. Jahrhundert • 9
Andreas Lange: Auf den Spuren Kurt Gumpels • 27
Klaus Pohlmann: »… und ich stehe schuldenfrei da …« Der Verkauf des Gumpelschen Hauses. Ein Fallbeispiel der »Arisierung jüdischen Besitzes« in der Kleinstadt • 35
Hanne Pohlmann: »Meine Gedanken weilen nur bei Euch, sie sind ein einziges Gebet für Euer Wohl …« Letzte Briefe von Rosalie Gumpel an ihre Kinder • 73
Edda Klessmann / Horst-Alfred Klessmann: Psychotherapeutische Anmerkungen zum Schicksal Kurt Gumpels • 87
Hanne Pohlmann: Die Brüder Mordechai (Herbert), Hans und Kurt Gumpel. Biografische Übersichten • 103
Autorinnen und Autoren • 110

Kurt Gumpel, 1922 als Sohn der jüdischen Familie Gumpel in Lemgo geboren, überließ dem Städtischen Museum im Jahre 2000 eine umfangreiche Sammlung von biografischen Dokumenten und Fotos als Dauerleihgabe. Schon ein Jahr später beschäftigten sich Lemgoer Jugendliche im Rahmen eines Projekts gegen Fremdenfeindlichkeit und Gewalt mit diesen Materialien und erstellten – quasi als Ergebnis ihrer Forschungen – eine Internet-Präsentation unter dem Titel »Auf den Spuren Kurt Gumpels«. Die Entstehungsgeschichte des Projekts und die Reflexion der Jugendlichen über ihre Erinnerungsarbeit sind im anzuzeigenden Buch, dem mittlerweile 24. Band der Schriftenreihe Panu Derech der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Lippe, dokumentiert.
Dieser von Andreas Lange verfasste Beitrag, der die Arbeit der Jugendlichen seinerzeit begleitete, ist jedoch nur die Grundlage, sozusagen die Initialzündung für weitere fünf Beiträge, die die damit angestoßene Thematik so erweitern und vertiefen, dass das Leben und Leiden einer jüdischen Familie aus Lemgo während des 20. Jahrhunderts unter ganz unterschiedlichen Fragestellungen lebendig wird.
Zunächst beschäftigt sich Jürgen Scheffler mit denjenigen biografischen Dokumenten, Briefen und Fotos als wichtigen Quellen zur jüdischen Geschichte Lemgos, die in den letzten Jahren aufgetaucht und in der Regel als Dauerleihgaben ins Museum gelangt sind, woraus sich mittlerweile eine ansehnliche familiengeschichtliche Sammlung entwickelt hat. Auffallend ist, so verdeutlicht der informative Überblick, dass viele Dokumente häufig deshalb ihren Weg (zurück) nach Lemgo fanden, nachdem sie durch engagierte Schüler und Schülerinnen im Rahmen von Unterrichtsprojekten aufgespürt worden waren. Deutlich wird aus Jürgen Schefflers Beitrag aber auch, dass erst die Erschließung und Interpretation solcher biografischer Quellen es möglich macht, »die Perspektive der [die Juden] verfolgenden Institutionen, die in den Quellen staatlicher und kommunaler Herkunft dominiert, zu überwinden.«
Klaus Pohlmann setzt sich in seinem Beitrag mit dem Verkauf des Wohn- und Geschäftshauses der Familie Gumpel (Mittelstraße 82) auseinander, wodurch es ihm gelingt, ein Fallbeispiel der »Arisierung jüdischen Besitzes« aufzuzeigen. Auf Grund der hervorragenden Quellenlage ist der Autor in der Lage, die einzelnen Phasen des Verkaufsprozesses, der sich von November 1938 bis zum September 1941 erstreckte, aber auch den Verlauf des Rückerstattungsverfahrens nach dem Krieg detailliert darzustellen.
Hanne Pohlmann, Initiatorin vieler oben erwähnter Unterrichtsprojekte, ist im vorliegenden Sammelband mit zwei Beiträgen vertreten. Zum einen hat sie die Briefe Rosalie Gumpels an ihre Kinder aus den letzten zwei Jahren vor ihrer Deportation analysiert. Diese selten vorzufindenden Dokumente, die die Autorin nachdrücklich als »Glücksfall für die Erinnerungsarbeit in Lemgo« bezeichnet, betrachtet sie besonders unter dem Gesichtspunkt, welchen Niederschlag die »Gesamtsituation« in ihren Briefen findet, d.h. welche Informationen über die immer kleiner werdende jüdische Gemeinde sich ihnen entnehmen lassen. Zum anderen hat sich Hanne Pohlmann der Mühe unterzogen, alle biografischen Daten der Brüder Modechai (Herbert), Hans und Kurt Gumpel in Übersichten zusammenzustellen, in denen ihre Lebenswege und die ihrer Nachkommen bis in die Gegenwart begreifbar werden.
Edda und Horst-Alfred Klessmann betrachten schließlich das Schicksal Kurt Gumpels aus einem bislang eher weniger beachteten Blickwinkel. Als Ärzte und Psychotherapeuten zeichnen sie das Schicksal Kurt Gumpels nach, mit dem Horst-Alfred Klessmann in seiner Jugend gut befreundet war, eine Freundschaft, die 1998 nach Jahrzehnten wiederbelebt wurde. Nicht zuletzt auf Grund des inzwischen wieder engen Kontakts mit Kurt Gumpel gelingt es ihm und seiner Frau, die »posttraumatische Belastungsstörung« seines Freundes zu beschreiben und in einen größeren Zusammenhang einzuordnen. Dass dieser der Veröffentlichung einer solch intimen Betrachtung seines Seelenlebens zustimmte, kann einen jeden nur mit Hochachtung erfüllen. Verständlich wird diese Haltung, wenn man Kurt Gumpels wichtigstes Anliegen nach dem Erlebten zur Kenntnis nimmt: Er habe vor allem das Ziel gehabt, »der Jugend zu helfen, damit so was nicht wieder passieren kann: Man könnte vielleicht mit Diskussionen und Aufklärung schon vorbeugen.«
Den Herausgebern sowie Autoren und Autorinnen ist für ein wichtiges Buch zu danken, das einen wertvollen Beitrag zur nach wie vor schmerzhaften, aber überaus notwendigen Erinnerungsarbeit zum Thema Holocaust leistet.
Stefan Wiesekopsieker, in: Heimatland Lippe 100, 2007

Erscheint lt. Verlag 6.8.2006
Reihe/Serie Panu Derech - Bereitet den Weg ; 24
Verlagsort Bielefeld
Sprache deutsch
Maße 170 x 240 mm
Gewicht 235 g
Einbandart Paperback
Themenwelt Geschichte Allgemeine Geschichte 1918 bis 1945
Geschichte Teilgebiete der Geschichte Sozialgeschichte
Schlagworte Arisierung • Auswanderung • Deportation • HC/Geschichte/20. Jahrhundert (bis 1945) • Juden • Lemgo
ISBN-10 3-89534-634-9 / 3895346349
ISBN-13 978-3-89534-634-7 / 9783895346347
Zustand Neuware
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