So nah und doch so fern (eBook)
192 Seiten
BALANCE Buch + Medien Verlag
978-3-86739-370-6 (ISBN)
»Ein motivierendes und zur Selbsthilfe anleitendes Werk, welches empathisch auf die belastende Situation von Angehörigen depressiver Patienten und Patientinnen eingeht und viele, vor allem lösungsorientierte Bewältigungsmöglichkeiten anbietet. Darüber hinaus skizziert die Autorin ein umfassendes, auch für Laien verständliches Bild der Diagnose ?Depression? und deren Ursache und Wirkfaktoren. Ein Mutmacher und Ratgeber für eine häufig vernachlässigte und therapeutisch wenig fokussierte Zielgruppe.« Aus dem Gutachten der Stiftung Gesundheit Angehörige von depressiv erkrankten Menschen stellen andere Fragen als die Patienten selbst: Bin ich vielleicht Schuld an der Depression meines Partners? Muss ich mir deshalb vieles gefallen lassen? Wie kann ich wirklich helfen? Antworten gibt Jeannette Bischkopf in diesem Ratgeber und nimmt dabei konsequent die Perspektive der Angehörigen ein.
Prof. Dr. phil. Jeannette Bischkopf ist Diplom-Psychologin, sie vertritt an der Fachhochschule Kiel die Lehrgebiete Psychologie und Gruppendynamik.
Weniger Sorgen, mehr Sicherheit
Mit der Diagnose Depression wird das Thema auch Teil Ihres Lebens. Sie beginnen sich zu informieren und mit jedem neuen Hinweis wächst nicht nur Ihr Wissen, auch Sorgen und Beunruhigung nehmen zu. Mit jedem neuen Begriff, den Sie sich aneignen, stellen sich neue Fragen: Psychische Störungen, psychisch krank, Psychotherapie und Psychiatrie – was bedeuten sie wirklich?
Für die meisten Menschen sind das Dinge, die bis zur Diagnose nichts mit ihrer Realität zu tun hatten. Man weiß darum, aber es hat nichts mit einem selbst zu tun. Vielleicht spricht man noch hinter vorgehaltener Hand von anderen, sofern man von ihren Problemen weiß. Undenkbar, dass man in einem Café entspannt über die neuesten oder besonders erfolgversprechenden Behandlungen bei psychischen Problemen spricht, wie man es vielleicht bei anderen Krankheiten tut. Menschen reden ohne Scham über Knie- und Gelenkprobleme, Zuckerwerte und Erkältungsviren, selten jedoch über psychische Krisen und deren Behandlung. Wenn man bedenkt, dass psychisch Kranke noch bis vor ein paar Generationen zum Teil lebenslang in großen Anstalten außerhalb der Städte eingesperrt wurden und »Selbstmörder« nicht wie andere beerdigt werden durften, dann wundert es nicht, dass wir alle noch die Last der Vorurteile tragen (siehe dazu das Kapitel »Vorurteile hinterfragen«). Plötzlich sind all diese Assoziationen wach und schüren Fragen und Besorgnisse, was die Krankheit Depression und ihre Auswirkungen angeht.
Besorgniserregende Symptome der Depression
Die meisten Angehörigen sorgen sich zunächst einmal um den Kranken selbst, wünschen sich nichts mehr, als dass er gut behandelt wird, damit es ihm bald wieder besser geht. Wie bei anderen Krankheiten leiden sie förmlich mit, die dunkle Stimmung und Schwere geht auch an ihnen nicht vorüber. Schlaflose Nächte entstehen durch die Schlaflosigkeit des Partners oder Kindes, aber auch durch die eigenen Sorgen. Wie geht es weiter? Was kann passieren? Was kann ich unternehmen oder muss ich vielleicht sogar unternehmen? Wie lange wird die Situation anhalten? Ist sie behandelbar? Wird sie wiederkommen?
Sie müssen förmlich Platz machen für die Depression in ihrem Alltag und in ihrem Leben und sie fragen sich, ob das vorübergehend der Fall ist oder auf Dauer. Beim ersten Auftreten einer Depression sind mögliche Auswirkungen kaum einzuschätzen. Angehörige hoffen, dass die Behandlung den vertrauten Menschen zurückbringt. Sie sind bereit, alles zu tun, damit es dem anderen gut bzw. besser geht. Sie umsorgen ihn, belauschen seinen Schlaf, versuchen eine Atmosphäre zu schaffen, die ihn nicht zusätzlich stört: Sie stellen das Radio leise, ermahnen die Kinder, nehmen ihm alles ab, und hoffen, hoffen, hoffen. Fragen, ob er die Medikamente nimmt, helfen ihm, dass er zur Behandlung geht. Vielleicht fahren sie ihn sogar dorthin.
Wenn ein Klinikaufenthalt notwendig wird, erleben viele dies zunächst als Entlastung, können zum ersten Mal nach Wochen selbst wieder durchschlafen und tanken Energie. Gleichzeitig kommen immer wieder Zweifel, wenn Sie in die Klinik fahren: War es die richtige Entscheidung, muss es wirklich eine stationäre Behandlung sein, fühlt sich der Kranke nicht abgeschoben, und schließlich: Wird es besser werden?
Vielleicht fühlen Sie sich auch leer, wie ausgebrannt, und merken so zum ersten Mal, wie groß die Verantwortung und Anspannung war, die auf Ihnen lastete, und wie erleichternd es ist, wenn jemand anderes diese Verantwortung übernimmt. Jetzt muss die Klinik aufpassen, dass dem Kranken nichts passiert, und ihm helfen.
Am Anfang stehen die Sehnsucht nach Anzeichen von Besserung und die Sorge, dass sie sich nicht einstellt. Es wird dann im Verlauf oft sehr schmerzhaft klar, dass viele Depressionen nicht mit ein paar Medikamenten, Geduld und Ruhe zu beheben sind. Die Behandlung wird länger dauern, selbst eine Kurzzeitbehandlung braucht ca. ein halbes Jahr, das heißt, Sie müssen sich auf eine längere Zeit einstellen, bis Veränderungen spürbar sind. Selbst die meisten Medikamente wirken erst nach ca. zwei bis drei Wochen. Wenn Sie sich Sorgen darüber machen, dass sich nichts verändert, dann erinnern Sie sich daran, dass eine Depressionsbehandlung Zeit braucht. Diese Zeit sollten auch Sie sich geben.
Verlieren Sie nicht die Hoffnung, wenn sich trotz Behandlung in Ihrem Alltag zunächst nichts verändert. Die Überwindung einer Depression ist ein langer Prozess und braucht Ausdauer und Geduld.
Machen Sie sich klar, was die zentralen Symptome der Depression sind, also die depressive Stimmung, der Antriebsmangel, die Freud- und Interesselosigkeit. Akzeptieren Sie diese als Teil der Depression, nicht als Teil Ihres Partners, Freundes, Kindes oder Elternteils.
Auch dem Betroffenen ist es fremd, so teilnahmslos, freudlos und ohne Energie zu sein. Halten Sie sich vor Augen, dass er im Moment nicht anders kann und dass es mit zunehmender Behandlung wieder anders werden wird. Versuchen Sie, Zuversicht zu gewinnen, sorgen Sie sich nicht um die Behandlung. Sie können die Depression nicht kurieren, das ist nicht Ihre Aufgabe und wird auch der depressive Angehörige in Ihrer Familie nicht von Ihnen erwarten. Sie sind die Ehefrau, der Ehemann, die Schwester, der Bruder, die Mutter des Kranken, nicht sein Arzt, Psychologe oder Sozialarbeiter.
Versuchen Sie, sich Ihre Ängste und Sorgen klarzumachen. Vielleicht hilft es auch, sie zu Papier zu bringen. Vor allem, wenn Sie nachts nicht schlafen können, kann es hilfreich sein, die eigenen Sorgenkreise zu durchbrechen, indem Sie sie aufschreiben und sich sagen: Darum kümmere ich mich morgen, keine einzige Sorge wird vergessen werden.
So können Sie sich zunächst beruhigen und schlafen, Sie brauchen Ihre Energie. Machen Sie eine Liste der zentralen Themen. Was bewegt und bedrückt Sie? Sorgen sind wie Spinnfäden, sie umwickeln einen, bis man sich nicht mehr bewegen kann, wie gefangen und gelähmt ist. Behalten Sie den Überblick und suchen Sie konstruktive Wege, statt sich immer neue Szenarien auszumalen.
Der Alltag mit dem Kranken
Die häufigsten Sorgenthemen umfassen neben der Dauer und dem Verlauf der Erkrankung konkrete Fragen des Zusammenlebens und der Zukunft. Soll ich dem Kranken etwas zu Essen machen oder anbieten, obwohl er keinen Appetit hat? Soll ich zu ihm gehen, wenn er dasitzt und vor sich hinstarrt? Soll ich versuchen, mit ihm ein Gespräch zu führen, auch wenn er einsilbig ist? Soll ich versuchen, ihn aufzuheitern?
Da die Stimmungen sehr wandelbar sind, erleben viele auch immer wieder hoffnungsfroh stimmende Anzeichen, die dann doch nicht zu dem ersehnten Durchbruch führen. Eine Angehörige berichtete, dass ihr Mann sie manchmal mit Kaffee von der Spätschicht zurückerwartete, was sie jedes Mal sehr rührte und freute. Dann gab es wieder Tage, an denen er reglos auf der Couch saß und sie nicht wusste, wie sie reagieren sollte. Diese Unberechenbarkeit ist besonders beängstigend. Man weiß nicht, was in dem anderen vor sich geht und kann seine Stimmung und sein Verhalten nicht mehr vorhersagen. Er ist fremd geworden und das Fremde macht Angst.
Die Angst vor dem Suizid
Die größte Angst haben Angehörige davor, dass der andere sich das Leben nimmt. Das Thema ist im Hintergrund beständig da, alle Sinne sind darauf gerichtet, die kleinsten Anzeichen wahrzunehmen. Ängste vor einem Rückfall, Suizidversuch oder Suizid des Partners werden von Angehörigen in nahezu allen Phasen der Erkrankung beschrieben. Die Befürchtung, Alarmsignale zu übersehen, führt zu einer Art Daueraufmerksamkeit; in der Folge sind die Angehörigen selbst ständig angespannt und besorgt. Nicht wenige stellen eine ständige »Rufbereitschaft« her. Sie rufen mehrfach zu Hause an oder stellen sicher, dass sie ihr Telefon immer dabei haben, für den Fall, der Erkrankte möchte sie erreichen. Gleichzeitig sind sie jedoch durch eigene Verpflichtungen am Arbeitsplatz oder anderswo gebunden und können nicht rund um die Uhr für ihn da sein.
Akzeptieren Sie, dass Sie den Kranken nicht wie ein Bodyguard vor sich selbst beschützen können. Es ist jedoch gut, wenn Sie Kontakt halten, sodass er weiß, dass er sich auch mit seinen Zweifeln am Sinn des Lebens an Sie wenden kann.
Haben Sie keine Angst davor, über seine Verzweiflung zu sprechen. Versuchen Sie, ihm ein Partner zu sein, versuchen Sie zu verstehen, was in ihm vor sich geht, und halten Sie sich beide immer wieder vor Augen, dass Suizidgedanken Teil der Depression sind, ein Symptom, das behandelbar ist. Nehmen Sie Äußerungen über den Verlust von Lebensmut immer ernst und als Anzeichen dafür, dass derjenige eine Behandlung braucht (mehr zum »Umgang mit Suizidgedanken« siehe das Kapitel »Akzeptieren, was ist«).
Was immer es ist, das Sie besorgt macht, halten Sie sich vor Augen, dass es vorübergehen wird. Sagen Sie sich, dass die Auswirkungen auf die eigene Person und die Kinder erst später sichtbar werden und zu Beginn einer Depression keine grundsätzlichen Entscheidungen über das familiäre Zusammenleben anstehen. Zunächst geht es um die Krankheit selbst und den Alltag mit der Krankheit.
Das Mehr an Verantwortung und Hausarbeit
In der Depression sind Menschen sind oft außerstande, familiäre Aufgaben in Haushalt und Kindererziehung wahrzunehmen. Sie ziehen sich zurück in einen Zustand der Passivität und überlassen es den gesunden Familienmitgliedern, ihren Anteil zu erledigen. Angehörige...
Erscheint lt. Verlag | 11.11.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften |
ISBN-10 | 3-86739-370-2 / 3867393702 |
ISBN-13 | 978-3-86739-370-6 / 9783867393706 |
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