Imaginative Techniken (eBook)

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2024 | 1. Auflage
160 Seiten
Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG
978-3-8444-3073-8 (ISBN)

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Imaginative Techniken -  Fritz Renner
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In der Psychotherapie lassen sich imaginative Techniken störungsübergreifend auf vielfältige Weise diagnostisch und therapeutisch einsetzen. Das Buch beschreibt verschiedene, primär verhaltenstherapeutisch orientierte imaginative Techniken und stellt den aktuellen Forschungsstand zur Indikation und Wirksamkeit imaginativer Techniken praxisnah dar. Das Buch informiert zunächst über wichtige Theorien und zugehörige Modelle des Phänomens Imagination und geht auf individuell unterschiedliche Voraussetzungen für imaginatives Arbeiten aufseiten der Patientinnen und Patienten ein. Weiterhin stellt es diagnostische Verfahren zur Erfassung der Imaginationsfähigkeit, von Vorstellungsbildern oder von intrusiven mentalen Bildern nach traumatischen Erlebnissen vor. Praxisnah werden verschiedene imaginative Techniken beschrieben und es wird veranschaulicht, wie diese mit anderen Interventionen kombiniert und in das therapeutische Gesamtkonzept eingebettet werden können. Unterschieden werden imaginative Techniken zur Entwicklung und Förderung emotionaler Kompetenz, zur Entwicklung und zum Aufbau positiver Gefühle sowie zur Reduktion und Transformation negativer Gefühle. Beispiele aus der klinischen Praxis und Transkripte exemplarischer Sitzungen vermitteln eine konkrete Vorstellung des imaginativen Arbeitens.

|8|3  Indikation und Diagnostik


Im Folgenden werden die Indikation und der Nutzen imaginativen Arbeitens dargestellt sowie die Diagnostik im Zusammenhang mit imaginativen Techniken unter zwei Aspekten vorgestellt.

3.1  Indikation


Da Emotionen und deren Veränderung im Zentrum jeder Therapie stehen, bietet es sich aufgrund des engen und wechselseitigen Zusammenhangs zwischen Emotionen und mentalen Bildern an, imaginative Interventionen transdiagnostisch einzusetzen. Je nach Therapieziel und Störung können verschiedene imaginative Techniken spezifiziert und schwerpunktmäßig in verschiedenen Settings (in Gruppen, stationär, ambulant) angewendet werden. Die Exploration mentaler Bilder dient der Elaboration der Fallanalyse bzw. Verhaltensanalyse. Allgemein betrachtet können mittels imaginativer Techniken Emotionen aktiviert, reguliert und verändert werden. Je nach Anwendungsbereich kann es jedoch hilfreich sein, genauere Hinweise zur Indikation und Kontraindikation der einzelnen imaginativen Techniken zu beachten (vgl. hierzu die Hinweise bei den jeweiligen Interventionen in Kapitel 4). Sollte imaginative Arbeit nicht indiziert oder vonseiten des Patienten aus nicht möglich sein, kann mit anderen erlebensorientierten Techniken wie beispielsweise Stuhldialogen gearbeitet werden (Kellogg & Garcia Torres, 2021; Pugh, 2018). Bei klaren Kontraindikationen stellen Kognitive Techniken, Übungen aus der emotionsbezogenen Psychotherapie nach Lammers (Lammers, 2011), Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT; Hayes, 2016) oder Skills aus der Dialektisch-Behavioralen Therapie (DBT; Linehan & Wilks, 2015) je nach Zielsetzung Behandlungsalternativen dar, um auf Emotionen Einfluss zu nehmen.

3.2  Diagnostische Verfahren


Diagnostik im Rahmen imaginativer Arbeit bezieht sich zum einen auf die Erfassung individuell unterschiedlicher Imaginationsneigung und Imaginationsfähigkeit, mit dem Ziel, diese, falls notwendig, zu fördern. Menschen unterscheiden sich in ihrer allgemeinen Imaginationsfähigkeit und darin, wie |9|sie in ihrem alltäglichen Leben bildlich denken. Es stehen verschiedene Instrumente zur Verfügung, um die Imaginationsneigung und die Imaginationsfähigkeit zu erfassen. Diese Instrumente kommen vor allem im Forschungsbereich zum Einsatz, können aber auch im psychotherapeutischen Setting genutzt werden. Unter einem zweiten Aspekt geht es um den Einsatz innerer Bilder als Diagnostikum im Rahmen der Kognitiven Verhaltenstherapie (KVT) mit dem Ziel der Erstellung einer Mikroanalyse und Integration in eine umfassende Verhaltensanalyse, aus der wiederum die nächsten Schritte der therapeutischen Arbeit abgeleitet werden.

3.2.1  Feststellung der Imaginationsfähigkeit

Individuelle Unterschiede in der Imaginationsneigung. Die Spontaneous Use of Imagery Scale (SUIS) (Kosslyn, Chabris, Shephard & Thompson, 1998; Nelis, Holmes, Griffith & Raes, 2014) ist ein Fragebogen zur Erfassung individueller Unterschiede im alltäglichen Gebrauch mentaler Vorstellungsbilder. Eine deutschsprachige Adaption liegt von Görgen, Hiller und Witthöft (2016) vor.

Itembeispiele aus dem SUIS (Görgen et al., 2016)

  • „Wenn ich mich in einem Geschäft nach neuen Möbeln umschaue, dann stelle ich mir immer bildlich vor, wie die Möbel an bestimmten Stellen meiner Wohnung aussehen würden.“

  • „Wenn ich daran denke, eine/n Verwandte/n zu besuchen, habe ich fast immer ein klares mentales Bild von ihr/ihm.“

  • „Wenn ich an einen bevorstehenden Vortrag oder an ein wichtiges Gespräch denke, dann stelle ich mir diese Szene bildlich vor.“

Individuelle Unterschiede in der Imaginationsfähigkeit. Zur Erfassung der Imaginationsfähigkeit wurde der Vividness of Visual Imagery Questionnaire (VVIQ; Marks, 1973) und das Plymouth Sensory Imagery Instrument (PSI-Q; Andrade, May, Deeprose, Baugh & Ganis, 2014) entwickelt. Während der VVIQ sich auf die visuelle Modalität begrenzt, werden im PSI-Q alle Sinnesmodalitäten erfasst. Zu beiden Instrumenten liegt eine deutschsprachige validierte Adaption vor (Jungmann, Becker & Witthöft, 2022). Eine individuelle und subjektive Erfassung der Imaginationsfähigkeit kann auch mithilfe einer allgemeinen Vorstellungsübung erfolgen (vgl. Kasten). Hierbei kann die Lebhaftigkeit der Vorstellung für verschiedene Sinnesmodalitäten erfragt werden (z. B. „Wie lebhaft konnten Sie sich die Situation auf einer Skala von 1 bis 10 vorstellen?“).

Erfassung der Lebhaftigkeit und der emotionalen Beteiligung durch mentale Bilder. Im Anschluss an die Durchführung einer Imaginationsübung kann es hilf|10|reich sein, die Lebhaftigkeit der mentalen Bilder und die emotionale Aktivierung während der Imagination zu erfassen und zu skalieren. Im Anhang auf Seite 77 lässt sich eine Vorlage für eine kompakte Selbstberichtsskala zur „Erfassung der Lebhaftigkeit und der emotionalen Beteiligung durch mentale Bilder“ finden. Die Fragen können je nach Anwendungsbereich variiert werden.

Förderung der Imaginationsfähigkeit. Menschen unterscheiden sich in ihrer Imaginationsfähigkeit. Es kann daher nützlich sein, im Vorfeld der therapeutischen Arbeit anhand imaginativer Techniken die Imaginationsfähigkeit zu erfassen und diese bei Bedarf durch allgemeine Imaginationsübungen zu fördern. Inhaltlich eignen sich dafür neutrale Alltagssituationen, in denen der Patient als Agierender auftritt. Die betreffenden mentalen Bilder sollten multisensorisch ausgestaltet werden und als therapeutische Hausaufgabe bis zur deutlichen Verbesserung der Imaginationsfähigkeit täglich vom Patienten aufgerufen und in allen Details vorgestellt werden. Hierzu eignen sich Übungen, in denen mit einfachen Alltagsbildern geübt wird (vgl. Kasten).

Allgemeine Imaginationsübung

„In welchem Raum in Ihrer Wohnung bzw. in Ihrem Haus halten Sie sich am liebsten auf? Stellen Sie sich vor, Sie betreten diesen Raum. Was nehmen Sie vor Ihrem inneren Auge wahr? Was können Sie sehen; welche Geräusche hören Sie? Gehen Sie durch den Raum, berühren Sie die Möbel und andere Gegenstände. Wie fühlen diese sich an? Können Sie Gerüche wahrnehmen? Wie fühlen Sie sich gerade? Was spüren Sie in Ihrem Körper?“

Einigen Menschen fehlt die Fähigkeit, sich etwas bildlich vorzustellen, vollkommen. Dieses Phänomen, was in der Literatur als Afantasie beschrieben wurde, betrifft nach Schätzungen etwa 2 % der Bevölkerung, wobei belastbare Zahlen aufgrund einer geringen Studienlage fehlen (Keogh & Pearson, 2018). Wenn Patienten Schwierigkeiten haben, sich etwas bildlich vorzustellen, sollte der Therapeut eine validierende und normalisierende Haltung einnehmen:

Es ist nicht immer einfach, sich etwas bildlich vorzustellen. Das fällt vielen Menschen schwer. Das Wichtige ist, dass Sie sich darauf eingelassen haben und Ihre Vorstellungsfähigkeit trainieren wollen.

Falls sich die Imaginationsfähigkeit nicht verbessert, sollte versucht werden, mit dem zu arbeiten, was möglich ist, oder auf alternative Techniken zurückgegriffen werden (vgl. Tabelle 3 auf Seite 21).

|11|3.2.2  Diagnostischer Einsatz von inneren Bildern

Erfassung intrusiver mentaler Bilder nach traumatischen Erlebnissen. Die Impact of Event Scale (IES-R; Weiss & Marmar, 1997) ist ein Selbstbeurteilungsverfahren zur Messung posttraumatischer Belastungsreaktionen. Der Fragebogen besteht aus drei Subskalen: Intrusion, Vermeidung und Übererregung. Die Subskala zu Intrusionen enthält Items, die spezifisch intrusive mentale Bilder erfragt (z. B. „Bilder, die mit dem Ereignis zu tun hatten, kamen mir plötzlich in den Sinn“). Eine validierte deutschsprachige Version des Fragebogens ist verfügbar (Maercker & Schützwohl, 1998).

...

Erscheint lt. Verlag 23.9.2024
Reihe/Serie Standards der Psychotherapie
Verlagsort Göttingen
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Psychologie
Schlagworte Bildtransformationstechniken • EMDR • Emotionale Kompetenz • Emotionsregulation • Entspannung • Exposition • Imagery Rescripting and Reprocessing Therapy (IRRT • Imagination • Imaginationsfähigkeit • Imaginatives Nacherleben • Imaginatives Überschreiben • Imaginative Techniken • innere Bilder • Kognitive Verhaltenstherapie • Mentale Bilder • Phänomen der bildlichen Vorstellung • Psychische Störung • Selbstberuhigung • Trauma • Vorstellungsbilder
ISBN-10 3-8444-3073-3 / 3844430733
ISBN-13 978-3-8444-3073-8 / 9783844430738
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