Helmut Weihenmaier (eBook)
240 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-045451-4 (ISBN)
Ralf Bernd Herden ist Jurist und Lehrbeauftragter an der Hochschule für öffentliche Verwaltung in Kehl am Rhein.
Ralf Bernd Herden ist Jurist und Lehrbeauftragter an der Hochschule für öffentliche Verwaltung in Kehl am Rhein.
2 Das Generalgouvernement
Das von den deutschen Truppen während des Zweiten Weltkrieges besetzte Polen war von den Nationalsozialisten als »Generalgouvernement für die besetzten polnischen Gebiete« der Verwaltung des Reichsministers und Generalgouverneurs Hans Frank unterstellt worden. Die Beauftragung Hans Franks erfolgte durch Adolf Hitler direkt am 15. September 1939,106 die Zeit der Verwaltung des Landes durch eine deutsche Militärverwaltung war damit nur kurz. Mit dem Generalgouvernement wurde bewusst ein »völkerrechtliches Niemandsland« geschaffen, sein Status blieb bis zuletzt offen und ungeklärt.107 Der offizielle Erlass Hitlers stammt jedoch vom 12. Oktober 1939 und wurde am 24. Oktober 1939 im Reichsgesetzblatt bekannt gemacht.108 Am 26. Oktober 1939 trat der »Erlass des Führers über Gliederung und Verwaltung der Ostgebiete« vom 8. Oktober 1939 in Kraft.109
In Deutschland hatte niemand von diesen Dingen, vom Unrechtsystem im »Nebenland des Deutschen Reiches« gewusst? Das kann zumindest nicht von den Beziehern der Juristenzeitschrift Deutsches Recht – vereinigt mit Juristische Wochenschrift behauptet werden. Die vom Reichsführer des NS-Rechtswahrerbundes Hans Frank (also dem Generalgouverneur selbst) herausgegebene Zeitschrift gehörte zur Pflichtlektüre nicht nur aller Rechtspfleger, Rechtsanwälte, Staatsanwälte, Notare, juristischen Hochschullehrer und Richter, sondern berichtete auch mehrfach ausführlich über »Das Recht des Generalgouvernements«.110 Natürlich aus berufener Feder: Der Autor, Oberlandesgerichtsrat Dr. Albert Weh war damals Leiter der Abteilung Gesetzgebung im Amt des Generalgouverneurs in Krakau.
Und selbst der in Deutschland mit einem Veröffentlichungsverbot belegte Schriftsteller Erich Kästner wusste bereits 1941 durch Begegnungen mit einem Angehörigen der Waffe-SS davon, dass Polen und Juden »im Keller kalt gemacht« werden.111
Der Sprecher des Reichspropagandaministeriums gab am 20. Oktober 1939 im Hinblick auf das Generalgouvernement die Parole aus, es werde in Zukunft »pressemäßig über dieses Gebiet nicht viel zu sagen sein, und zwar sowohl aus inneren, wie auch aus äußeren Gründen.«112 Das Reich bevorzugte trotz der zumindest juristischen Mitteilungsfreudigkeit Schweigen um das, was im Generalgouvernement geschehen sollte. Das Recht des Generalgouvernements entsprach ja in der Regel den Bestimmungen im Deutschen Reich – mit Abweichungen, die vom System gezielt so gewollt waren, um die Rechte vor allem der jüdischen und polnischen einheimischen Bevölkerung rücksichtslos mit Füßen zu treten.
Der neue Generalgouverneur hatte es jedoch nicht eilig, sein Amt anzutreten. Er fürchtete Spannungen mit der noch vorhandenen Militärverwaltung: Der Stab des (militärischen) Chefs der Zivilverwaltung in Lodz stellte seine Tätigkeit erst am 26. Oktober 1939 ein, am Tag der Übernahme durch den neuen Generalgouverneur. In einem Wehrmachtbericht des Grenzabschnittskommandos Süd hieß es am 30. November 1939: »Vorläufig ist der praktische Aufbau der Verwaltung noch immer im Werden. Sie zeigt die krankhaften Erscheinungen unserer Zeit: An der Spitze ein riesiger Apparat, bei den Ausführungsstellen zahlenmäßig unzureichende Kräfte.«113 Dafür trafen im November 1939 in Krakau 800 Beamte ein, welche in der Regierung des Generalgouvernements eingesetzt werden sollten.
Die zentrale Behörde im Generalgouvernement war das Amt des Generalgouverneurs, das am 30. Juni 1940 in Regierung des Generalgouvernements umbenannt und damit natürlich auch in der politischen Bedeutung massiv aufgewertet wurde.114 Die dominierende Rolle kam dabei der Inneren Verwaltung zu, auch wenn diese durch die Herauslösung der Polizei als Verwaltungsexekutive geschwächt war. Der Dienstsitz des Generalgouverneurs wurde in Krakau eingerichtet.115
Die Verwaltung bestand aus drei Ebenen: Dem Generalgouverneur, den Distrikten116 und den Kreishauptmannschaften117. Die Kreishauptmannschaften bildeten dabei das Rückgrat der deutschen Verwaltung,118 die Ernennung der Kreishauptleute behielt sich der Generalgouverneur selbst vor.119 Die Amtssprache im Generalgouvernement war deutsch, die polnische Sprache lediglich zugelassen.120
Die allgemeine Polizei war fest in den SS- und Polizeiapparat eingebunden,121 den man sicherlich als ›Nebenregierung‹ bezeichnen konnte – auch weil der »Höhere SS- und Polizeiführer« dem Generalgouverneur und seinem Stellvertreter zumindest formell direkt unterstand.122 Jedenfalls war den höheren SS-Führern die Haltung der Verwaltungsstellen meistens völlig gleichgültig.
Die Verwaltung des Generalgouvernements gliederte sich in die Distrikte Krakau, Radom, Lublin, Warschau und Galizien. Zum Distrikt Lublin gehörte auch die Kreishauptmannschaft Zamosc, der bei der neuen Kreiseinteilung auch der größte Teil des Kreises Tomaszów-Lubelski zugeschlagen worden war.123 Zum 1. Januar 1940 bildete man aus den zuvor 72 polnischen Landkreisen 40 Kreishauptmannschaften sowie sechs Stadthauptmannschaften.124 Die Fläche eines der neuen Kreise betrug mit durchschnittlich rund 2.500 qkm ein Vielfaches des Reichsdurchschnitts von 600 qkm.125
Der Kreis Zamosc umfasste offiziell auch das Stadtkommissariat Zamosc und das Landkommissariat in Tomaszów-Lubelski.126 Die Stadt- und Landkommissariate waren jedoch stets zumindest formell dem Kreishauptmann unterstellt.
Im Gebiet des Generalgouvernements wurde bereits am 23. November 1939 durch den Generalgouverneur Frank eine Verordnung erlassen,127 durch welche alle Jüdinnen und Juden gezwungen wurden, am rechten Arm eine weiße Armbinde mit blauem Davidstern zu tragen, was auch den deutschen Wehrmachtsangehörigen nicht entging.128 Bereits im September 1939 hatte es entsprechende Verfügungen lokaler Behörden gegeben. In der Juristenzeitschrift Deutsches Recht wurde dies wie folgt kommentiert:
»Es ist bekannt, wie stark auch im Gebiet des Generalgouvernements das jüdische Element vertreten ist. Da galt es vor allem, die reinliche Scheidung zwischen Juden und Nichtjuden zu vollziehen. [...] Schon rein äußerlich ist (durch) die Pflicht zum Tragen der Armbinde mit dem Zionsstern [...] für klare Verhältnisse gesorgt.«129
Neben die »Kennzeichnungspflicht« trat für Juden die »Allgemeine Arbeitspflicht«. Der Vollzug der Todesstrafe durch Stand- und Sondergerichte, auch solche der Gestapo, war an der Tagesordnung. Dies war aber so weiten Kreisen bekannt, dass sich selbst die Exil-SPD damit auseinandersetzen musste.130
Auch im Deutschen Reich wurden die Juden zu harter Zwangsarbeit gepresst, am 20. Dezember 1938 hatte die Reichsanstalt für Arbeitslosenvermittlung und Arbeitslosenversicherung eine Verfügung erlassen, wonach sich alle arbeitslosen Juden zur Zwangsarbeit melden mussten, wobei Juden natürlich nur sehr schwere und unangenehme Arbeiten zugewiesen bekamen.131 Und im Gau Wien (damals Gauleiter Josef Bürckel) wusste man recht früh zu berichten, dass die Juden nach Lublin transportiert worden seien.132
Kennzeichnungspflichtig waren aber auch polnische Zwangsarbeiter im »Reichsgebiet«, welche laut einer Polizeiverordnung vom 8.3.1940 verpflichtet waren, ein gelbes Quadrat mit violettem »P« zu tragen.133 Ferner galt strafrechtlich für Polen ein Sonderrecht: Die »Polenstrafrechtsverordnung«, welche man nur als Unrechtsverordnung ohne jeden Rechtsschutz bezeichnen kann.134
Grundsätzlich herrschte (und vermutlich nicht nur) zu Anfang Mangel an (fachlich qualifiziertem) deutschem Verwaltungspersonal im Generalgouvernement, was sich wohl in den Jahren 1940/41 verbesserte, in denen die Kreishauptleute mehr Personal zugewiesen bekamen.
Jedoch ließ die fachliche Qualität dieses Personals wohl deutlich zu wünschen übrig. Ab 1942 wurde die Personallage wieder merklich schlechter, weil viele jüngere Angehörige der Verwaltung zur Wehrmacht einberufen wurden.135 General Walter Rudolf Moritz von Unruh betätigte sich offiziell als »Heldenklau«. Er wurde am 22. November 1942 zum »Sonderbeauftragten für die Überprüfung des zweckmäßigen Kriegseinsatzes« nicht nur in der Wehrmacht, sondern ebenso in den Gliederungen und Verwaltungen von Partei und Staat ernannt. Militärisch war das Bemühen des Generals »Heldenklau« wirkungslos, verwaltungstechnisch meist wirkungsvoll im negativen Sinne.
Der Generalgouverneur Hans Frank
Der im Jahre 1900 in Karlsruhe geborene Jurist Hans Frank war 1928 Gründer des späteren...
Erscheint lt. Verlag | 16.10.2024 |
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Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geschichte ► Allgemeine Geschichte ► 1918 bis 1945 |
Schlagworte | 1950er Jahre • 1960er Jahre • 20. Jahrhundert • Entnazifizierung • Nationalsozialismus |
ISBN-10 | 3-17-045451-X / 317045451X |
ISBN-13 | 978-3-17-045451-4 / 9783170454514 |
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