Mit anderen Augen (eBook)
95 Seiten
Neufeld-Verlag
978-3-86256-795-9 (ISBN)
Jayson Georges (M. Div., Talbot) hat die Internetseite HonorShame.com ins Leben gerufen und unterhält dort einen Blog zum Thema dieses Buches. Mit seiner Familie lebte er neun Jahre in Zentralasien, wo sie in der Jüngerschaftsschulung und Gemeindegründung tätig waren. Jayson Georges arbeitet als Missiologe bei einer christlichen Organisation, erstellt Hilfsmittel für Mission und hält praxisorientierte Seminare. Ihm selbst hat das Verständnis der in diesem Buch beschriebenen Scham-Ehre-Dynamiken sehr geholfen - in Beziehungen zu Menschen, in der Verkündigung des Evangeliums und darin, Gottes Gnade tiefer zu verstehen.
Jayson Georges (M. Div., Talbot) hat die Internetseite HonorShame.com ins Leben gerufen und unterhält dort einen Blog zum Thema dieses Buches. Mit seiner Familie lebte er neun Jahre in Zentralasien, wo sie in der Jüngerschaftsschulung und Gemeindegründung tätig waren. Jayson Georges arbeitet als Missiologe bei einer christlichen Organisation, erstellt Hilfsmittel für Mission und hält praxisorientierte Seminare. Ihm selbst hat das Verständnis der in diesem Buch beschriebenen Scham-Ehre-Dynamiken sehr geholfen – in Beziehungen zu Menschen, in der Verkündigung des Evangeliums und darin, Gottes Gnade tiefer zu verstehen.
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KULTUR
GLEICHGEWICHT HALTEN
Obwohl die Kulturen von den drei verschiedenen Aspekten Schuld, Scham und Angst geprägt sind, kann man eine bestimmte Kultur nicht auf eine dieser drei Perspektiven reduzieren. Alle drei Bereiche spielen dynamisch zusammen und überschneiden sich in allen Gesellschaften.
In dem Beispiel von Maryam haben wir gesehen, wie Scham- und Angstdynamiken miteinander verflochten sind. Selbst innerhalb einer Kultur gibt es Schwankungen, je nach Region, Alter, Geschlecht usw. Ein Thailänder vom Land wird wohl viel mehr angstorientiert denken als ein Städter aus Bangkok. Junge Erwachsene in den USA legen heute mehr Wert auf Echtheit und Beziehungen, so dass sie schamorienterter werden als ihre Eltern. Die Natur des Menschen ist so komplex, dass man sie nicht in Kategorien von „entweder oder“ fassen kann.
Besser ist es, wir verwenden ein Kulturmodell, das den Einfluss misst, den jeder der drei Dynamikbereiche auf die jeweilige Gruppe ausübt. Auf der Abbildung auf der folgenden Seite ziehen die Kräfte Schuld, Scham und Angst in verschiedene Richtungen. Die Orientierung einer Kulturgruppe wird durch die Position innerhalb des Dreiecks dargestellt, je nachdem, wie stark die jeweiligen Kräfte auf die Kultur einwirken:
(Nur zur Illustration, basiert nicht auf Forschungsergebnissen)
In jedem kulturellen Weltbild finden wir eine einzigartige Mischung aus Schuld, Scham und Angst. Daher ist nahe des oberen Winkels (nicht im Winkel) eine schamorientierte Kultur platziert. Roland Muller, der viele Bücher über Mission herausgegeben hat, sagt, dass diese drei Dynamiken wie die drei Grundfarben sind, aus denen ein Künstler alle möglichen Farben mischen kann. Wieviel von einer Farbe zum Einsatz kommt, bestimmt letztlich als Endergebnis die Kultur, die daraus hervorgeht.4
Die Dreiteilung Schuld – Scham – Angst dient wie jedes andere Kulturmodell der Vereinfachung, um eine sehr komplexe Realität verstehen zu können und das Ganze überschaubarer zu machen. Obwohl jede Kultur einzigartig ist, finden wir in allen Kulturen Grundzüge, mit denen wir sie in diese drei Kulturtypen (Scham-, Angst-, Schuld-Kultur) einteilen können. Die folgenden Abschnitte geben Ihnen eine Zusammenfassung über die Eigenarten dieser drei Kulturtypen:
KULTURTYP SCHULD – UNSCHULD
„Charakter ist, das Richtige zu tun,
selbst wenn niemand hinsieht.“
(Quelle unbekannt)
Die Einteilung in Richtig und Falsch bildet die Grundlage von Schuld-Unschuld-Kulturen. Die Gesellschaft etabliert Regeln und Gesetze, die bestimmen, welches Verhalten akzeptabel ist, was richtig und was falsch ist. Ein reifer Mensch kennt Recht und Unrecht – er ist ein „gesetzestreuer Bürger“.
Durch rechtes Verhalten bleibt man unschuldig, durch unrechtes Verhalten lädt man Schuld auf sich. Regierungen, Firmen, Schulen und Familien stellen Regeln auf, die das Verhalten in der Gruppe lenken, und man erwartet, dass alle diesen Regeln Folge leisten. Niemand steht über dem Gesetz. Man erwartet, dass Justitia, die Göttin der Gerechtigkeit, mit ihren verbundenen Augen stets unparteiisch ihr Urteil spricht.
In schuldorientierten Kulturen werden nicht nur die Regeln und Gesetze an sich betont. Durch Sozialisation, die Anpassung an gesellschaftliche Denk- und Gefühlsmuster, werden die Verhaltensnormen verinnerlicht. Moralisches Verantwortungsbewusstsein und Handeln kommt aus dem Inneren des Menschen heraus. Eine solche Gesellschaft erwartet, dass das Gewissen dem Menschen hilft, „das Richtige“ zu tun.
Eine meiner frühen Kindheitserinnerungen ist, wie ich ein Hot-Wheels-Feuerwehrauto aus dem Kindergarten gestohlen habe. Ich hatte so ein schlechtes Gewissen! Obwohl niemand es mitbekommen hatte, habe ich das Spielzeugauto am nächsten Tag wieder zurückgebracht. Schuld braucht keine Zuschauer.
Das Ergebnis ist ein individualistisches System. In westlichen Kulturen sagen die Eltern ihren Kindern: „Denk selber nach!“ Oder: „Bleib dir selbst treu!“ „Geh deinen eigenen Weg!“ Sich dem gesellschaftlichen Druck zu beugen und einzufügen, gilt als weniger wichtig. Die Menschen sind selbstständig. Da jeder über einen eigenen inneren Kompass verfügt, definiert der einzelne Mensch individuell, welches Verhalten in Ordnung ist. Die Gesellschaft erwartet, dass die Menschen aus sich selbst heraus richtig handeln lernen.
Wenn man jedoch etwas falsch gemacht hat (den Regeln und Gesetzen nicht entsprochen hat), setzt ein starkes Gerechtigkeitsdenken ein. Man muss seinen Fehler unbedingt auf angemessene Weise wiedergutmachen.
Wir finden genügend Beispiele, wie sich die Überlegenheit des Gesetzes auch sprachlich in unserer Gesellschaft niedergeschlagen hat. Wenn ein Unrecht begangen wurde, suchen wir Recht oder fordern es ein. Wir wollen, dass für Gerechtigkeit gesorgt wird. Recht und Gerechtigkeit werden als allgemeingültige Prinzipien empfunden.
In Schuldkulturen stehen die Taten im Vordergrund. Ein Schuldiger kann für seine schlechte Tat mit einer entsprechenden guten Tat aufkommen, beispielsweise durch gemeinnützige Arbeit, eine Geld- oder Gefängnisstrafe. Eine Missetat wird durch eine Aktion ausgeglichen. Um die Schuld zu begleichen, muss eine Person in der Regel gestehen und/oder eine Entschädigung leisten. Wer für sein Fehlverhalten Verantwortung übernimmt, wird belohnt. So kann ein Politiker, der beschuldigt wird, seiner Frau untreu zu sein, diese Situation bereinigen, indem er sich öffentlich zu seinem Fehler bekennt.
Diese eng miteinander verwobenen Konzepte von innerem Gewissen, Schuldbekenntnis, Richtig und Falsch, Wiedergutmachung, Gerechtigkeit und Vergebung lenken das Sozialverhalten in Schuld-Unschuld-Kulturen.
Die Orientierung an Schuld und Vergebung bildet nicht nur den Rahmen für die Ethik einer solchen Kultur, sie beeinflusst auch deren Auffassungen über die menschliche Identität. Aufgrund der Betonung von Aktivität erhalten Individualisten ihren Wert durch das „Tun“. Ihr Selbstwert basiert auf Arbeit und Hobbies, statt auf Familie und Volkszugehörigkeit. Die Menschen definieren sich darüber, wie ihr Verhalten und ihre Selbstäußerung sich von der Gruppe unterscheiden; nicht danach, welcher Gruppe sie angehören.
Die Entwicklung zu einer individualistischen, schuldorientierten Kultur im Westen begann bereits vor mehr als 2500 Jahren: Die Griechen und Römer in der Antike hielten anfangs noch sehr ihre Ehre hoch. Filotimo, ein „Freund der Ehre“, zu sein, war als Tugend angesehen. Mit der Zeit jedoch plädierten die Philosophen dafür, dass man Ehre auch aufgrund des moralischen Verhaltens erlange, nicht nur durch Abstammung, Erfolg im Krieg, sportliche Leistung und Reichtum. Respekt gebührte dem, der das Richtige tat, nicht nur den Mächtigen und Einflussreichen.
In Euthyphrons Dilemma argumentiert der griechische Philosoph Sokrates (469–399 v. Chr.), dass selbst die Götter fromm sein sollten. Antike Philosophen würdigten persönliches moralisches Verhalten.
Später in der Renaissance und Aufklärung begriffen die Denker den Menschen als selbstständiges, rationales Individuum: „Ich denke, darum bin ich.“ Europäische Philosophie definiert damit das menschliche Wesen unabhängig von seinen Beziehungen oder von seiner Gemeinschaft. Daraus resultierend verwirft die westliche Zivilisation Gemeinschaftsdynamiken wie Ehre, Scham oder „das Gesicht wahren“ zugunsten von Schuld, Unschuld, Gerechtigkeit und Vergebung.
KULTURTYP SCHAM – EHRE
„Ehre ist die gute Meinung von guten Leuten.“
Seneca, römischer Philosoph
Nach dem schrecklichen Bombenattentat von Boston 2013 fanden die Medien den Onkel des Verdächtigen. Der tschetschenische Mann denunzierte seinen Neffen öffentlich im Fernsehen mit folgenden Worten: „Du hast Schande über unsere ganze Familie gebracht, über die Familie Tsarnaev. Und du hast Schande über das gesamte tschetschenische Volk gebracht … Jeder wird nun diese Schande auf unser ganzes Volk legen.“ Während die Amerikaner von Trauer über den tragischen Vorfall erfüllt waren, klagte der tschetschenische Onkel über die Schande, die der junge Mann seinem Volk bereitet habe.5
In Scham-Ehre-Gesellschaften herrscht eine starke Gruppenorientierung vor. Ehre ist die gesellschaftliche Würde einer Person, der Wert, den man vor den Augen der Gemeinschaft besitzt. Ehre ist, wenn andere positiv über dich denken. Das schafft dem Menschen harmonische soziale Bindungen innerhalb der Gemeinschaft. Der Weg der Ehre geht über Beziehungen.
Scham dagegen erfährt man durch die negative Bewertung in der Öffentlichkeit, wenn die Gemeinschaft schlecht über einen denkt. Man ist von der Gruppe getrennt. Das macht ein thailändisches Wort deutlich. Wird jemand beschämt, sagt man in Thailand, ihm wird „das Gesicht ausgerissen“. Dann steht man hässlich vor den anderen da. Oder um es mit der Klage eines Israeliten aus der Bibel zu sagen:
„Du machst uns zur Schmach bei unsern Nachbarn, zu Spott und Hohn bei denen, die um uns her sind. Täglich ist...
Erscheint lt. Verlag | 16.9.2024 |
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Übersetzer | Fred Eick |
Vorwort | Günther Beck |
Verlagsort | Luhe-Wildenau |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Religion / Theologie ► Christentum |
Schlagworte | Angst • Angstkultur • Bibel • Ehre • Epheser • Erlösung • Evangelisation • Evangelium • Gemeinschaft • Gewissen • Gute Nachricht • Heilsgeschichte • Heilsplan • Heilung • Kultur • Kulturtyp • Lösegeld • Macht • Missiologie • Opfertod • Scham • Schamkultur • Schuld • Schuldkultur • Stellvertreter • Sühne • Unschuld • Vergebung • Wiedergutmachung |
ISBN-10 | 3-86256-795-8 / 3862567958 |
ISBN-13 | 978-3-86256-795-9 / 9783862567959 |
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