Ergotherapie bei Autismus (eBook)
157 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-045012-7 (ISBN)
Meike Miller ist als Ergotherapeutin und Coach tätig und nutzt seit vielen Jahren die Sensorische Integrationstherapie für die Arbeit mit autistischen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Gemeinsam mit Christine Preißmann hält sie regelmäßig Weiterbildungsseminare zum Thema Wahrnehmung, Ergotherapie und Autismus. Seit 2024 ist Meike Miller zudem als Personalreferentin tätig.
Meike Miller ist als Ergotherapeutin und Coach tätig und nutzt seit vielen Jahren die Sensorische Integrationstherapie für die Arbeit mit autistischen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Gemeinsam mit Christine Preißmann hält sie regelmäßig Weiterbildungsseminare zum Thema Wahrnehmung, Ergotherapie und Autismus. Seit 2024 ist Meike Miller zudem als Personalreferentin tätig.
Geleitwort
»Ergotherapie? Was macht man denn da?« – dieser Reaktion begegne ich sehr oft, wenn ich von den therapeutischen Maßnahmen bei Menschen mit Autismus berichte. Und ich muss gestehen, auch ich wusste lange nicht, auf welch vielseitige und effektive Weise Ergotherapeuten unterstützen können. Nach über einem Jahrzehnt ambulanter Psychotherapie, durch die ich vieles gelernt habe, hatte ich das Gefühl, dass mich eine zusätzliche Unterstützung im Hinblick auf meine Wahrnehmungsbesonderheiten einerseits und die Anforderungen des Alltags auf der anderen Seite deutlich voranbringen könnte. Dass gerade dies die beiden Domänen der Ergotherapie sein würden, wusste ich damals noch nicht.
Ich schrieb also eine lange Mail an eine ergotherapeutische Praxis in meiner Nähe, da mir das Telefonieren schwerfällt, und erhielt umgehend eine Antwort mit Erläuterungen und der Ermutigung, einen Ersttermin zu vereinbaren. So kam es, dass ich Frau Miller kennenlernen durfte.
Autismus – Definition und Gliederung
Erst im Erwachsenenalter hatte ich die Diagnose Asperger-Syndrom erhalten und dadurch endlich Antworten auf viele Fragen in meinem Leben gefunden. Ich informierte mich ausführlich über meine Besonderheiten, um besser darüber Bescheid zu wissen:
Derzeit wird noch unterschieden zwischen den einzelnen Formen1
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Asperger-Syndrom (F84.5),
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Frühkindlicher Autismus (F84.1),
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Atypischer Autismus (F84.0).
Auch für Fachleute ist jedoch die Abgrenzung nicht immer leicht, deshalb spricht man heute meist von einer Autismus-Spektrum-Störung, um zu verdeutlichen, dass die Auffälligkeiten in jedem Einzelfall unterschiedlich sind und eine sehr große Bandbreite besteht. Es gibt also ein breites Spektrum an typischen Merkmalen, die sowohl Schwierigkeiten als auch Fähigkeiten umfassen. Während einige autistische Menschen nur leicht betroffen zu sein scheinen, besteht bei anderen eine schwere Mehrfachbeeinträchtigung.
Ein Kind mit frühkindlichem Autismus zeigt bereits vor dem dritten Lebensjahr Auffälligkeiten
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im sozialen Umgang mit anderen,
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in der Kommunikation,
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durch sich wiederholende stereotype Verhaltensweisen.
Das Asperger-Syndrom dagegen lässt sich von den anderen Formen abgrenzen durch eine mindestens durchschnittliche Intelligenz und das Fehlen einer sprachlichen bzw. kognitiven Entwicklungsverzögerung. Es zeigen sich jedoch Auffälligkeiten in der psychomotorischen Entwicklung und in der sozialen Interaktion.
Der atypische Autismus kann diagnostiziert werden, wenn nicht alle Diagnosekriterien (s. u.) vorliegen, gleichzeitig aber keine andere Diagnose in Betracht kommt.
Die nicht selten verwendete Formulierung »autistische Züge« sollte allenfalls dann ihre Berechtigung haben, wenn zusätzliche Beeinträchtigungen im Sinne einer autistischen Symptomatik bei vorbestehenden anderen Formen der Behinderung verdeutlicht werden sollen.
Symptome und Auffälligkeiten
Schaut man sich die Kernsymptome von Autismus-Spektrum-Störungen an, so kann man in fast jedem Fall eine Verbindung zur Wahrnehmungsproblematik herstellen. Daher ist es eigentlich naheliegend, an eine ergotherapeutische Maßnahme zu denken.
Allen Autismus-Spektrum-Störungen gemeinsam sind
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Beeinträchtigungen in der sozialen Interaktion,
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Beeinträchtigungen in der Kommunikation,
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eingeschränkte und stereotype Verhaltensmuster, Interessen und Aktivitäten.
Weitere häufige Auffälligkeiten bestehen z. B. in
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motorischer Ungeschicklichkeit (insbesondere beim Asperger-Syndrom),
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isolierten speziellen Fertigkeiten und ungleichen Kompetenzen,
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dem Bedürfnis nach Gleicherhaltung der Umwelt sowie großer Angst vor Veränderungen und allem Unerwarteten,
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dem Bedürfnis nach strikten Routinen, täglich wiederkehrenden Ritualen und Struktur (eingespielte, immer gleiche Tätigkeitsabläufe oder bestimmte Speisen, Kleidung etc.),
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einer auffälligen Detailwahrnehmung (Kleinigkeiten, winzige Fehler etc. können rasch entdeckt werden, das Erkennen übergreifender Zusammenhänge fällt dagegen oft schwer).
Überempfindlichkeiten hinsichtlich verschiedener Sinnesreize (z. B. können leichte Berührungen, Sonnenlicht, Geräusche oder Gerüche manchmal Schmerzen bereiten),
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dagegen evtl. Unempfindlichkeiten gegenüber Schmerz- oder Temperaturwahrnehmung,
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eingeschränktem Fantasiespiel,
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Schlafstörungen (Ein- oder Durchschlafstörungen, verschobener Tag-Nacht-Rhythmus etc.).
Häufigkeit und Verlauf
Die Häufigkeit von Autismus-Spektrum-Störungen liegt bei etwa 1 %, es ist also von mehreren Hunderttausend unmittelbar betroffenen Menschen in Deutschland auszugehen. Die deutliche Zunahme an Autismus-Diagnosen lässt sich nach Ansicht von Experten aber eher nicht durch eine Zunahme des Autismus als solchem erklären, sondern vielmehr durch die besseren Kenntnisse der Fachleute. Das Bewusstsein für den Autismus hat also zugenommen, vor allem eben auch das Wissen, dass bei einer entsprechenden Diagnose auch Hilfen möglich sind.
Früher wurden Autismus-Spektrum-Störungen als typische Störungen des Kindesalters angesehen, heute jedoch ist man sich ihrer Bedeutung auch im Erwachsenenalter bewusst. Das findet seinen Ausdruck u. a. in der Namensänderung des größten deutschen Selbsthilfeverbandes. 1970 wurde der Bundesverband unter dem Namen »Hilfe für das autistische Kind« von betroffenen Eltern gegründet, seit 2005 heißt er »autismus Deutschland – Bundesverband zur Förderung von Menschen mit Autismus«, um auch betroffenen Jugendlichen und Erwachsenen gerecht zu werden.
Der Autismus wächst sich eben nicht aus, sondern besteht lebenslang. Durch eine gute Unterstützung sind aber viele Verbesserungen möglich, auch noch jenseits des Jugendalters.
Meine Erfahrung mit Ergotherapie
In einer Zeit, als ich sehr belastet war durch auch bereits geringe Sinnesreize, kam die Unterstützung im Sinne der Sensorischen Integrationstherapie gerade recht. Ich lernte, meine Grenzen besser wahrzunehmen, die Beeinträchtigungen zu benennen und Maßnahmen zu erlernen, einige belastende Sinnesreize zu vermeiden bzw. für die Situationen, in denen sie sich nicht vermeiden ließen, Strategien zu erlernen, um besser damit umgehen zu können. Das war extrem wichtig für mich, denn die körperliche wie psychische Belastung durch Zustände der Reizüberflutung war enorm. Ich bemerkte, wie sehr sich nun durch die Aufklärung über Wahrnehmungsauffälligkeiten und die passenden Strategien auch mein Befinden insgesamt besserte.
Anschließend konnten Frau Miller und ich uns mit den Anforderungen des Alltags beschäftigen. Anhand von Fragebögen ermittelten wir meinen Bedarf im Hinblick auf meine Wünsche und Lebensziele. Alle Maßnahmen wurden stets mit mir und auf meine Bedürfnisse abgestimmt und im Verlauf angepasst. Frau Miller besprach mit mir hilfreiche Maßnahmen für Arbeit und Beruf, sie begleitete mich zu Arztterminen und stellte dafür manchmal, wenn mir das allein nicht gelang, in meinem Beisein und nach Absprache mit mir auch dort den Kontakt für mich her. Sie unterstützte mich beim Einkaufen und beim Einrichten meiner Wohnräume nach meinen Wünschen und Bedürfnissen. Sie besprach mit mir Maßnahmen, um mit anderen Menschen in Kontakt kommen zu können, und nannte mir Ansprechpartner für weiterführende Hilfen. Mit welchem Thema ich auch zu ihr kam, sie war stets bereit, mit mir gemeinsam nach Lösungen zu suchen.
Ein Buch zum Thema
Ich durfte erleben, wie vielseitig und wie ungemein hilfreich eine solche ergotherapeutische Behandlung für Menschen mit Autismus sein kann, und ich begann damit, diese Erfahrung auch anderen Betroffenen zu vermitteln. In vielen Fällen haben auch therapeutische, medizinische oder pädagogische Fachkräfte noch keine Erfahrung mit Ergotherapie bei Autismus, daher war es mein Anliegen, diese Möglichkeit bekannter zu machen.
Glücklicherweise zeigte sich Frau Miller offen dafür, sodass wir inzwischen gemeinsam Seminare gestalten für Fachleute genauso wie für Betroffene und Angehörige. In einem Buchbeitrag erläuterte Meike Miller zudem erstmals schriftlich die Konzepte und Besonderheiten der ergotherapeutischen Behandlung bei Menschen mit Autismus-Spektrum-Störungen (Meike Miller: Ergotherapie bei Frauen mit Autismus. In: Christine Preißmann: Überraschend anders: Mädchen und Frauen mit Asperger. Stuttgart: Trias 2013).
Rasch wurde mir jedoch deutlich, dass eine detailliertere Beschreibung auch in einem eigenen Buch notwendig sein würde, da bislang keine Literatur zu diesem Thema im deutschen Sprachraum zu finden war. Erfreulicherweise zeigten sich die Mitarbeiter des...
Erscheint lt. Verlag | 14.8.2024 |
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Zusatzinfo | 8 Abb. |
Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Psychologie |
Schlagworte | Autismus-Spektrum-Störung • Ergotherapie • Sensorische Integration • Stress • Wahrnehmung • Wahrnehmungsstörung |
ISBN-10 | 3-17-045012-3 / 3170450123 |
ISBN-13 | 978-3-17-045012-7 / 9783170450127 |
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