Wo, bitte, geht's denn hier zur Couch? Verhaltenstherapie einfach erklärt (eBook)
208 Seiten
mvg Verlag
978-3-98922-073-7 (ISBN)
Diplom-Psychologe Benjamin Ließmann ist approbierter psychologischer Psychotherapeut mit Fachkunde in Verhaltenstherapie. In seinen Texten versucht er, eine kritische Perspektive zu psychologischen und psychotherapeutischen Themen einzunehmen, ungewöhnliche Einblicke hinter die Kulissen zu ermöglichen und Laien wie Fachleute gleichermaßen anzusprechen.
Diplom-Psychologe Benjamin Ließmann ist approbierter psychologischer Psychotherapeut mit Fachkunde in Verhaltenstherapie. In seinen Texten versucht er, eine kritische Perspektive zu psychologischen und psychotherapeutischen Themen einzunehmen, ungewöhnliche Einblicke hinter die Kulissen zu ermöglichen und Laien wie Fachleute gleichermaßen anzusprechen.
Die 2. Welle der Verhaltenstherapie
In den 70er-Jahren kam es zu einer philosophischen Revolution innerhalb der Verhaltenstherapie, die als »kognitive Wende« in die VT-Geschichte einging. Die revolutionäre Idee: Der Mensch denkt. Die Therapiemethoden der zweiten Welle zielten folglich darauf ab, das »gedankliche Verhalten« zu verändern – die Geburtsstunde der »kognitiven Therapie«.
Kognitive Therapie
Die Black Box wird geöffnet
Dass die Psyche des Menschen auch Gedanken beinhaltet, erscheint aus heutiger Sicht wie eine Banalität. Allerdings kann man den Protagonisten des Behaviorismus nicht vorwerfen, diese Offensichtlichkeit nicht bemerkt zu haben. Natürlich haben auch Forscher wie Watson oder Skinner gewusst, dass im Menschen mehr vorgeht als nur Konditionierungsprozesse. Es war halt eine Entscheidung mit bestimmten Vor- und Nachteilen, psychologische Forschung unter Beschränkung auf das klar Messbare zu betreiben. Immer wieder stieß man dabei allerdings auf Probleme, etwa bei der Planung positiver Aktivitäten im Rahmen der Behandlung einer Depression. Hier konnte man feststellen, dass eine eigentlich »positive« Aktivität von Klienten auch als gänzlich unangenehm erlebt werden kann. Ein Mensch kann z.B. die ganze Freude an einem gemeinsamen Abendessen mit Freunden verlieren, wenn er denkt, dass die ihn am liebsten gar nicht dabeihätten und ihn nur aus Höflichkeit eingeladen haben. Das muss überhaupt nicht der Wahrheit entsprechen – entscheidend für die Frustration ist nur, dass es subjektiv für wahr gehalten wird. Ohne sich mit der Gedankenwelt eines Menschen zu beschäftigen, ist es oft schwer, eine »Reaktion« auf einen »Reiz« zu verstehen.
Der zentrale Begriff der zweiten Welle der Verhaltenstherapie lautet »Kognition«. Im »Lehrbuch der Verhaltenstherapie« von Jürgen Margraf und Silvia Schneider taucht der Begriff über tausendmal auf. Führen Verhaltenstherapeuten ein Fachgespräch, dann dauert es oft keine Minute, bis einer »kognitiv« sagt. Die Bedeutsamkeit von Kognitionen für die moderne VT ist derart groß, dass sie heute kaum noch als simple »Verhaltenstherapie« bezeichnet wird, sondern als »kognitive Verhaltenstherapie« bzw. KVT. Im englischsprachigen Raum: »cognitive behavioral therapy« bzw. CBT.
Aber was sind eigentlich »Kognitionen«? Verhaltenstherapeuten verstehen unter diesem Begriff nahezu alles, was im Kopf herumspukt: Gedanken, Vorstellungen, Überzeugungen, Ideen, Bewertungen, Vermutungen, Erinnerungen, Zukunftsprognosen, das Selbstbild, Fantasien, moralische Grundsätze, Lebensphilosophie, Informationsverarbeitung etc. Begriffe für die Inhalte unserer inneren Welt gibt es unzählige.
Meist werden Kognitionen zur besseren Veranschaulichung als ausformulierte Sätze dargestellt. Gemeint ist damit aber nicht, dass diese im realen Alltagsdenken auch auf diese Weise wahrgenommen werden. Wer hat schon den kompletten Satz im Kopf: »Ich gehe lieber nicht über die Schnellstraße, denn ich könnte von einem Auto überfahren werden«, während er auf dem Bürgersteig auf das Ampel-Grün für Fußgänger wartet? Dennoch kann dieser Gedanke Teil dessen sein, was unser intuitives Verhalten im Straßenverkehr steuert. Kognitionen finden nicht unbedingt als »innere Stimme« statt, vorgelesen wie von einem Hörbuch-Sprecher. Es sind mentale Ereignisse, von denen man vielleicht nur sagen kann, dass sie dem eigenen Erleben in einer unmittelbaren und nur schwer zu beschreibenden Weise begegnen. Für die Psychologie sind es vor allem hypothetische Konstrukte, die ein Verhalten erklären sollen. Die Existenz von Kognitionen kann man nicht wirklich beweisen, weswegen sie von Behavioristen auch nur wenig beachtet wurden. Allerdings würden die meisten Menschen auf Grundlage der eigenen Lebenserfahrung wohl intuitiv zustimmen, dass Gedanken existieren. Wer das bezweifelt, müsste erklären, wie er ohne Gedanken zu genau dieser Schlussfolgerung gelangt ist.
Für die Psychotherapie sind Kognitionen von großem Interesse, weil sie als Auslöser von Emotionen erachtet werden. Stimmen Sie dieser Ansicht zu? Lassen Sie uns ein wenig über dieses Thema philosophieren. Fragt man jemanden spontan nach seiner Meinung, wie eigentlich ein Gefühl entsteht, wird meist folgende Antwort vorgeschlagen: Gefühle entstehen im Gehirn. Das ist vermutlich richtig, insbesondere der Gehirnbereich »limbisches System« wird in der Neurowissenschaft oft mit Gefühlen in Zusammenhang gebracht. Aber ist das eine ausreichende Erklärung? Denn woher weiß das limbische System, dass es jetzt bitte einmal eine Dosis »Schamgefühl« produzieren soll?
Wann kommt es zu einer Emotion? Die Lebenserfahrung suggeriert, dass Gefühle meist vor, während oder nach bestimmten Ereignissen entstehen: Wut während oder nach einem Streit, Freude nach dem Erhalt eines Kompliments, Angst im Wartezimmer vor einer anstehenden Zahnbehandlung. Tatsächlich wirkt es so, als ob Ereignisse ganz direkt die jeweilige Emotion verursachten. Das drückt sich auch in der Sprache aus: »Meine Schwiegermutter hat mich am Wochenende zur Weißglut getrieben, weil sie wieder so gehässig war« oder »Ich war enttäuscht von meinem Freund, weil er mich nicht wie versprochen angerufen hat«. Entstehen Gefühle also direkt durch Ereignisse?
Diese Idee mag auf den ersten Blick plausibel erscheinen, erweist sich aber bei genauerer Betrachtung als unzureichend. Zum einen sind direkt stattfindende Ereignisse gar nicht notwendig, um Gefühle zu provozieren. Auch die Erinnerung an den Streit, das Kompliment, den Zahnarztbesuch, die Schwiegermutter oder den nicht erfolgten Anruf kann ausreichen, um sich entsprechend zu fühlen. Aber noch wesentlich entscheidender: Gefühle können auch durch Ereignisse ausgelöst werden, die überhaupt nicht in der Realität stattgefunden haben, also rein der Vorstellung entspringen. So kann beispielsweise eine Ehefrau rasende Eifersucht bei dem Gedanken empfinden, ihr Mann hätte eine Affäre mit der neuen Arbeitskollegin und die beiden vergnügten sich gerade im Hotelzimmer. Und allein die Fantasie im Vorfeld einer mündlichen Abschlussprüfung, im entscheidenden Moment einen Blackout zu erleiden und gnadenlos durchzufallen, kann bei Studenten Angst und Übelkeit erzeugen. Der Auslöser scheint hier eher etwas zu sein, was man gerne als »Kopfkino« bezeichnet – Vorstellungen über eine mögliche Realität.
Das letzte Puzzlestück unseres kleinen Gedankenspiels: Die gleichen Ereignisse können zu sehr unterschiedlichen Gefühlsregungen führen, je nachdem, wie man über diese denkt. Der eine fühlt sich nach dem völlig missglückten Tinder-Date frustriert, deinstalliert die App und meldet sich auf der Arbeit für eine Woche krank. Der andere erlebt keine fundamentalen inneren Zerwürfnisse, obwohl das Date identisch schlecht verlief, und verabredet sich fröhlich gleich mit der Nächsten. Das gleiche Ereignis – zwei verschiedene Reaktionen. Wie das? Es sieht so aus, als ob hier etwas Persönliches bei den jeweiligen Männern dafür gesorgt hat, dass sich anschließend völlig unterschiedliche Gefühle entwickelten. Aus Sicht der kognitiven Psychologie besteht das »Persönliche« hier darin, dass die beiden Männer das Missglücken ihrer Verabredung ganz unterschiedlich bewerten. Der letztlich Frustrierte interpretiert das Geschehene vielleicht als Beweis für die eigene Unzulänglichkeit und Unattraktivität und gibt sich selbst die Schuld für den negativen Verlauf. Vielleicht schlussfolgert er sogar daraus, auf dem Partnermarkt ganz generell völlig chancenlos zu sein. Der Gelassenere hingegen denkt sich vielleicht: »Entweder es passt bei Dates oder es passt nicht. Hier hat es halt nicht gepasst.« Oder er vergegenwärtigt sich, dass auch ihm vieles an der Dame nicht so gut gefallen hat, wie z. B. das ständige Überprüfen des eigenen Instagram-Accounts während des gemeinsamen Essens.
Die kognitive Theorie zur Entstehung von Emotionen lautet ganz allgemein etwa so: Der Mensch interpretiert ständig die Welt um sich herum. Ereignisse bekommen erst durch ihre Bewertung eine subjektive, persönliche Bedeutung. Und die entscheidet dann über Art und Intensität der ausgelösten Gefühle.
In Hunderten Praxen kognitiver Verhaltenstherapeuten werden Sie das eingerahmte Zitat des antiken Philosophen Epiktet finden, der offenbar schon vor ca. 2000 Jahren auf diese Idee gekommen ist. Ein echter Klassiker verhaltenstherapeutischer Praxisraum-Dekoration.
»Nicht die Dinge selbst beunruhigen die Menschen, sondern ihre Vorstellungen von den Dingen.« (Epiktet, 50-138 n. Chr.)
An dieser Stelle eine kurze Warnung zu einer häufigen Verwirrung, die bei Gesprächen über dieses...
Erscheint lt. Verlag | 17.11.2024 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Psychologie |
Schlagworte | Achtsamkeit • Act • assertiveness training • Behaviorismus • B. F. Skinner • Entspannungstechniken • Gesprächstherapie • Interventionen • Kognitive Therapie • Konditionierung • Künstliche Intelligenz • mindfulness based stress reduction • Psychische Erkrankungen • Psychoanalyse • Psychologie • Psychotherapie • Ratgeber • Schematherapie • Sigmund Freud • Therapiesitzung |
ISBN-10 | 3-98922-073-X / 398922073X |
ISBN-13 | 978-3-98922-073-7 / 9783989220737 |
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