Philosophieren mit Bildern und Fotografien (eBook)
352 Seiten
Felix Meiner Verlag
978-3-7873-4430-7 (ISBN)
Das Spektrum der Bilder
Oliver R. Scholz
Menschen kennzeichnet es – neben manch anderem –, dass sie mit Bildern umgehen können, das heißt im Einzelnen: Bilder herstellen, mit Bildern etwas darstellen und ausdrücken können, dass sie differenzierte Oberflächen als Bilder sehen, behandeln und verstehen können.
Die Anfänge solchen Bildgebrauchs reichen bis in Zeiten zurück, die im Dunkel der Vergangenheit verschwinden. Erhalten sind uns Höhlenmalereien und Felszeichnungen aus dem Paläolithikum und Neolithikum. Danach finden sich Bilder in allen frühen Hochkulturen; und trotz wiederholter Bilderstreite und Bilderverbote ließen sie sich nicht mehr verdrängen. Nach und nach breiteten sie sich über den gesamten Globus aus. Menschliche Lebensformen ohne Bilder scheint es nicht zu geben; aber die Bilder und der Umgang mit ihnen können sich von Lebensform zu Lebensform unterscheiden. Jede Kultur bildet ihre besondere Bildkultur aus. Heute sind Bilder allgegenwärtig. längst schon brauchen wir nicht mehr in Höhlen oder Katakomben hinabzusteigen, in Kirchen und Paläste, Museen oder Galerien zu pilgern, um auf bildhafte Darstellungen zu stoßen. Alle öffentlichen und privaten Lebensräume – ob Alltag, Wissenschaft, Kunst oder Religion, ob Arbeit oder Freizeit – sind von Bildern durchsetzt und geprägt. In vielfältigen Zusammenhängen sind wir darauf angewiesen, mit Illustrationen, Piktogrammen, Infografiken, Fotografien, Filmaufnahmen, Fernsehbildern und anderen bildhaften Darstellungen umzugehen. Die Unfähigkeit, mit Bildern verstehend umzugehen, stellt in unseren bildgeprägten Kulturen ein ebenso großes Hindernis dar wie die Unfähigkeit zu lesen und zu schreiben. Obwohl diese Problemlage mehr und mehr ins allgemeine Bewusstsein rückt, steht der viel beschrieenen Bilderflut und ihrer wachsenden Macht noch immer eine beträchtliche praktische und theoretische Inkompetenz gegenüber. Längst fällig ist eine Aufklärung über Bilder.
Was ist ein Bild?
Diese Aufklärung wird natürlicherweise von der Frage »Was ist ein Bild?« ihren Ausgang nehmen. Sie gehört zu den ältesten, aber auch zu den am wenigsten geklärten. Angesichts der großen politischen, religiösen und kulturellen Bedeutung von Bildern war sie seit Tausenden von Jahren unabweislich.
Die vermeintliche Klarheit und Eindeutigkeit der Frage »Was ist ein Bild?« und vor allem die Dominanz einer unzulänglichen »offiziellen Lehre«, der Ähnlichkeitsauffassung des Bildes (in allen ihren historischen Spielarten)1, haben eine adäquate Vorstellung von der Komplexität des Bildbegriffs und damit das tiefere Eindringen in viele Besonderheiten von Bildern und Bildsystemen lange Zeit behindert.
Wort und Begriff
Bevor wir auf die Frage »Was ist ein Bild?« zurückkommen, müssen wir uns darauf besinnen, in welchem Sinne das Wort »Bild« hier zu verstehen ist, denn es ist – wie die meisten Wörter – vieldeutig. Werfen wir einen Blick auf die Hauptbedeutungen2:
a)Der Terminus »Bild« und seine Entsprechungen in anderen Sprachen bezeichnen primär künstliche bildhafte Darstellungen wie Gemälde, Zeichnungen und verwandte Artefakte (wie Kupferstiche, Holzschnitte, Fotografien usw.). Als eminenter Fall gilt das künstlerisch gestaltete Bild. Die große Masse der Bilder stand jedoch seit jeher in außerkünstlerischen Verwendungszusammenhängen.
b)Neben diesen künstlichen Bildern kannte man von alters her sogenannte natürliche Bilder, die ohne menschliches Hinzutun zustande kommen. Dazu zählte man insbesondere Spiegelungen, Schatten und Abdrücke. Heute ist zu fragen, ob auch automatisch erzeugte technische Bilder in diese Rubrik fallen.
c)Auch innere Bilder, Bilder im Geiste oder in der Seele, wurden früh postuliert, sei es um die Sinneswahrnehmung, sei es, um das Denken, die Erinnerung, die Vorstellungstätigkeit oder das Träumen zu beschreiben und zu erklären. Man kann in diesem Zusammenhang von psychologischen bzw. gnoseologischen Bildbegriffen sprechen.
d)Besonders im Altertum und Mittelalter war eine metaphysische oder auch typologische Verwendung des Bildbegriffs verbreitet, demzufolge eine Person, eine Sache oder ein Abstractum aufgrund eines Dependenzverhälmisses Bild einer anderen Person, Sache oder Entität genannt werden konnte. Die eine Seite heißt dann »Urbild«, die andere »Abbild«.
e)Ferner fungierten eikon, imago, Bild und ihre Äquivalente als rhetorische und poetologische Fachausdrücke für verschiedene Formen sprachlicher Veranschaulichung, etwa Vergleiche, Gleichnisse und Parabeln, später auch die Metapher. Mehr und mehr entwickelten sich »Bild« und »Bildlichkeit« zu Sammelbezeichnungen für Verfahren der sprachlichen Veranschaulichung oder Vergegenwärtigung.
f)Vor allem in Zusammensetzungen wie ›Vorbild‹ oder ›Leitbild‹ kann der Bildbegriff einen normativen Sinn annehmen. Schon seit ca. 100 v. Chr. wurde imago im Sinne einer vorbildlichen Verkörperung einer Eigenschaft gebraucht; als klassisch galt Senecas Kennzeichnung von Cato als einem lebenden Bild der Tugenden (virtutum viva imago).
Es dürfte schon aufgrund der kurzen Erläuterungen einsichtig sein, dass die unterschiedlichen Verwendungen von »Bild« auf ein Zentrum hin geordnet sind. »Bild« ist zwar vieldeutig; aber die Vieldeutigkeit ist eine systematische oder zentrierte. Begriffsgeschichtlich grundlegend waren die beiden erstgenannten Verwendungen: der Begriff des künstlichen, paradigmatisch des malerisch-zeichnerischen Bildes und der Begriff des natürlichen Bildes. Bei den anderen Gebrauchsweisen handelt es sich augenscheinlich um Ausweitungen oder Übertragungen dieser Termini. Im Folgenden wird der Begriff des malerisch-zeichnerischen Bildes (und seiner technischen Fortentwicklungen) im Mittelpunkt stehen.
Fragen über Fragen
Die Frage »Was ist ein Bild?«, mit der man beginnen möchte, scheint, wie gesagt, klarer zu sein, als sie tatsächlich ist. Mit »Was ist X?«-Fragen im Allgemeinen und der Frage »Was ist ein Bild?« im Besonderen hat es seine Schwierigkeiten. Wie ein bekannter Platon-Forscher einmal bemerkte, ist eine »Was ist X?«-Frage ohne Einbettung extrem vage und unspezifisch: »[…] it is, perhaps, when unsupported by a context, the vaguest of all forms of question except an inarticulate grunt. lt indicates less determinately than any other the sort of information the questioner wants.«3
Neben der Vagheit kann an der Frage »Was ist ein Bild?« die essentialistische Suggestion misslich sein, es müsse ein Wesen des Bildes und deshalb auch nur eine Hauptfrage in Bezug auf den Bildbegriff geben. Tatsächlich haben wir es sowohl mit einer weitverzweigten Familie von Phänomenen, als auch mit einem Bündel zwar miteinander zusammenhängender, aber keineswegs identischer Fragen und Probleme zu tun. Es empfiehlt sich deshalb, die vage und potenziell irreführende Frage »Was ist ein Bild?« durch weniger unbestimmte Fragen zu ersetzen. Die folgende Liste gibt einen Eindruck von den Aufgaben, mit denen systematische Bildtheorien konfrontiert sind: (1) Welchen Umfang hat der Bildbegriff? Welche Dinge oder Phänomene fallen unter den Begriff, welche nicht? (2) Welchen Sinn, welche Bedeutung hat der Begriff »Bild«? (3) Wie unterscheiden sich Bilder von anderen Dingen? (3.1) Wie unterscheiden sich Bilder von anderen Zeichen? (3.2) Wie unterscheiden sich Bilder insbesondere von sprachlichen Ausdrücken? (4) Wodurch ist der Inhalt eines Bildes festgelegt? (5) Wodurch ist der Sachbezug eines Bildes festgelegt? (6) Was heißt es, Bilder zu verstehen? (7) Wie ist die Bilderfahrung zu charakterisieren?
Umfassende Bildtheorien müssen zu allen genannten Fragen Stellung beziehen. Zu jeder dieser Fragen haben sich in der Diskussion besondere Rätsel herauskristallisiert. Bildtheorien müssen sich daran messen lassen, wie sie diese Rätselfragen lösen können. Daneben lassen sich allgemeine Adäquatheitsbedingungen formulieren. Zu den wichtigsten Adäquatheitsbedingungen jeder Explikation des Bildbegriffs zählt die Forderung, dass sie den unterschiedlichen Arten von Bildern gerecht werden muss. Bildtheorien müssen mit anderen Worten einer Allgemeinheits- und Diversitätsbedingung genügen.4 In den vortheoretischen Anwendungsbereich fallen alltägliche, künstlerische und wissenschaftliche Bilder, bildhafte Darstellungen aus allen Zeiten, Weltgegenden und Kulturen, Techniken und Stilrichtungen. Je mehr von diesen intuitiv als bildhafte Darstellungen eingestuften Phänomenen eine Theorie erfassen und adäquat behandeln kann, desto angemessener wird sie ceteris paribus...
Erscheint lt. Verlag | 15.7.2024 |
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Reihe/Serie | Methoden im Philosophie- und Ethikunterricht |
Zusatzinfo | Enthält 128 Abbildungen. |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Philosophie |
Schlagworte | Bild • Bildtheorie • Didaktik der Philosophie • Pädagogik • Schulunterricht |
ISBN-10 | 3-7873-4430-6 / 3787344306 |
ISBN-13 | 978-3-7873-4430-7 / 9783787344307 |
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Größe: 11,6 MB
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