Lessons for living (eBook)
208 Seiten
Goldmann Verlag
978-3-641-32266-3 (ISBN)
Phil Stutz hat mit dem internationalen Bestseller The Tools fünf Praktiken vorgestellt, die er als Therapeut anwendet. Nun hat er in dreißig Essays, die er seit den 1990ern als Kolumnen sammelt, die großen Probleme des Lebens zusammengestellt und zeigt konkret, wie wir uns ihnen stellen können. Denn es gibt Probleme, und es gibt Probleme - Liebe, Verlust, Erfolg, Versagen, Hoffnung, Reue, Leben, Tod. Nur wenn wir anerkennen, dass das Leben voller Schmerz ist und kein Mensch dem von Natur aus gewachsen ist, können wir verstehen und versuchen unser volles Potenzial zu entfalten.
Eine Einladung, ganz neu über das Leben und die Herausforderungen, die es uns stellt, nachzudenken. Vom internationalen Bestsellerautor und Protagonisten der Netflix-Doku »Stutz« von Hollywood-Star Jonah Hill.
Phil Stutz studierte am City College in New York Medizin und promovierte an der New York University. Er arbeitete als Gefängnispsychiater auf Rikers Island, bevor er seine eigene psychotherapeutische Praxis eröffnete. Er lebt und arbeitet in Los Angeles.
Raus aus dem Blues
Für einen Arzt ist es manchmal sehr schwer, keine Medizin zu verschreiben. Ab und an verlangt eine Patientin nach Tabletten, die ich ihr jedoch zu ihrem eigenen Wohl verweigern muss. Richtig eingesetzt können Antidepressiva wie Fluoxetin ein Geschenk des Himmels sein, in anderen Fällen jedoch sind sie eine Kur, die schlimmer ist als die Krankheit selbst. Das wäre bei Joe so gewesen, einem dreißigjährigen Englisch-Professor an einem Elite-College. Er war ein charismatischer Dozent, der im Hörsaal und bei gesellschaftlichen Veranstaltungen aufblühte. Zudem war er auf dem Weg, ein versierter Romanautor zu werden, da er bereits einen Bestseller veröffentlicht hatte. Sein Problem: Auf sich allein gestellt, versank er in einer paralysierenden Angst, in der er verharrte, bis er den nächsten Vortrag halten oder eine Signierstunde veranstalten konnte. Die Wochenenden waren schlimm, die vorlesungsfreie Zeit und die Sommerferien noch schlimmer. Er saß dann typischerweise vor dem Fernseher, das Haus um ihn herum in Unordnung, und hatte nicht die geringste Idee, was er mit dem Rest des Tages anfangen sollte. Er war irgendwo zwischen einem verlorenen Kind und einem desillusionierten alten Mann eingeklemmt, und seiner Literatenkarriere drohte das vorzeitige Ende. Joe betrachtete seine Lage aus einem fast komisch verzerrten Winkel. Jedes Mal, wenn ihn die dunkle Stimmung übermannte, wollte er von mir wissen: »Warum jetzt?«, so als wäre dieser Moment überraschend aus dem Nichts aufgetaucht. Dann, wie aufs Stichwort, fragte er klagend, wann nur die Freude zurückkäme, so als wäre sie der Weihnachtsmann oder der Messias. In einem Film von Woody Allen wäre all das lustig anzuschauen, im echten Leben allerdings bahnte sich hier eine Katastrophe an.
Trotz seiner Situation wollte ich ihm keine Antidepressiva verschreiben. Erst versuchte er es mit Wimmern, dann mit Betteln. Ich blieb hart, denn seine Haltung gegenüber den Medikamenten basierte auf derselben Einstellung, die die Depression überhaupt erst ausgelöst hatte. Einmal abgesehen davon: Empfiehlt Ihnen Ihr Psychiater, Medikamente einzunehmen, dann sollten Sie sich unbedingt daran halten. Anders als in Joes Fall sind die Dinge manchmal schlimmer, als sie erscheinen. Nicht so bei Joe. Er konnte sich erst dann zum Besseren hin entwickeln, wenn er sich über die Illusion klar geworden war, um die herum er sein Leben organisiert hatte. Vereinfacht gesagt, glaubte er, dass er seine Stimmung und seine Motivation durch äußere Ereignisse regulieren konnte. Joe wollte, dass Dinge außerhalb seines Selbst, also beispielsweise Alkohol, der Applaus seiner Studierenden oder Ruhm, ihn in eine positive Verfassung versetzten. Er grübelte über eine Freundin aus Collegezeiten nach, mit der er eine sexuell aufregende, aber gefährlich instabile Beziehung geführt hatte, und verlangte zu wissen, wann er wieder dermaßen »verliebt« sein werde. Liebe war eine weitere Sache, die ihn glücklich machen sollte. Und Fluoxetin gehörte für ihn eindeutig in dieselbe Kategorie.
Zu glauben, dass von außen kommende Dinge Sie glücklich machen werden, ist eine trügerische Hoffnung. Die alten Griechen sprachen in diesem Zusammenhang vom »zweifelhaften Geschenk der Götter«. In Wirklichkeit kann diese Hoffnung nur zu zwei Ergebnissen führen. Entweder passieren die Dinge, auf die man so sehr gehofft hatte, gar nicht – oder sie ereignen sich doch und ihre Effekte nutzen sich rasch ab. In beiden Fällen sind Sie anschließend schlimmer dran als zuvor, denn Sie sind nun daran gewöhnt, sich auf von außen kommende Ergebnisse zu fixieren. Ein extremes Beispiel dafür findet sich in Viktor Frankls Buch … trotzdem Ja zum Leben sagen. Darin beschreibt der Psychiater, der im »Dritten Reich« mehrere Konzentrationslager überlebte, wie sich im Jahr 1944 unter seinen Mithäftlingen das Gerücht verbreitete, die Alliierten würden das Lager bis Weihnachten befreit haben. Der Weihnachtstag kam und ging vorüber, doch es sollte noch Monate dauern, bis die Befreier tatsächlich anrückten. Frankl erklärt in seinem Buch, dass er in diesem Jahr zwischen Weihnachten und Neujahr mehr Todesfälle im Lager registriert habe als zu jeder anderen Zeit. Er führt dies auf die zerstobenen Hoffnungen der Häftlinge zurück. So extrem die Umstände auch waren, Frankl, der auch in Auschwitz interniert war, leitet sein eigenes Überleben davon ab, dass er innere Werkzeuge entwickelt habe, um seine innere Verfassung zu stabilisieren.
Um es eindeutig zu sagen: Menschen können in der materiellen Welt nie glücklich gemacht werden. Wir sind spirituelle Wesen und bleiben nur dann emotional gesund, wenn wir die Verbindung zu einer höheren Welt aufrechterhalten. Wir brauchen die höheren Kräfte genauso wie wir Luft brauchen. Das ist keine abstrakte Philosophie, sondern die Beschreibung unserer Natur. Mit diesen Kräften in Kontakt zu bleiben, verlangt stetige Arbeit. Und es gehört ebenso zu unserer Natur, dass wir diese Arbeit vermeiden wollen. Daher fallen wir der Illusion zum Opfer, wir könnten spirituell passiv bleiben, denn etwas von außen Kommendes wird unsere Stimmung schon wieder heben. Angesichts dieser Hoffnung kann man Depression als das Versagen der Außenwelt verstehen, sich um Sie zu kümmern. In diesem Sinne kann sie eine gute Lehrerin sein.
Jedes Mal, wenn die Depression zurückkehrt, erinnert dies daran, dass man sich nicht auf die äußere Welt verlassen kann. Dieses Bewusstsein ist der erste Schritt bei der Überwindung einer Depression.
Haben Sie schließlich die Hoffnung aufgegeben, externe Einflüsse würden Ihre Stimmung schon regulieren, bleibt als einzige Alternative, dass Sie selbst Ihre Gemütsverfassung steuern müssen, unabhängig von den äußeren Bedingungen. Diese Verantwortung anzunehmen, ist der zweite Schritt im Kampf gegen die Depression. Joe übernahm überhaupt keine Verantwortung für seine aktuelle Lage und wollte Fluoxetin verschrieben bekommen, um den Zustand der mangelnden Verantwortung fortzusetzen. Als ich ihm zum ersten Mal nahelegte, er könne seine Gefühle durch Zugriff auf sein Inneres kontrollieren, schaute er mich an, als sei ich verrückt. Zu seinen Gunsten muss gesagt werden, dass unsere gesamte Kultur darauf basiert, dass wir von außen kommende Dinge einsetzen, um unsere Stimmung zu regulieren. Es ist keine intellektuelle Entscheidung, Verantwortung für die eigenen Gefühle zu übernehmen. Dazu muss man sich jeden Moment selbst überwachen. Das ist wohl das Befreiendste, was ein Mensch tun kann, zugleich aber auch das Ermüdendste. Ihre Verbindung zur höheren Welt muss über eine Vielzahl kleiner Augenblicke aufgebaut werden. Jedes Mal, wenn Sie demoralisiert, depressiv oder träge sind, müssen Sie augenblicklich darauf reagieren.
Wie Löcher in einem Schweizer Käse sind diese düsteren Zwischenspiele Löcher in unserer Beziehung zum Leben, Orte, an denen unsere Verbindung zur höheren Welt durchtrennt ist. Jeder erlebt diese Unterbrechungen, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. Doch selbst falls sie uns auffallen, empfinden wir meist keine Verantwortung dafür, aktiv zu werden und unseren Zustand zu ändern. Das ist tragisch, denn diese Löcher in unserer Energie bieten große Möglichkeiten, unsere Lebenskraft zu verändern. Letztere besteht in Wirklichkeit aus einer Reihe von Gewohnheiten. Sind Sie daran gewöhnt, außerhalb Ihres Selbst nach Stimulation oder Bestätigung zu suchen, werden Sie jedes Mal, wenn Sie die nicht bekommen, in eine Depression verfallen. Wenn Sie aber davon ausgehen, dass Sie selbst verantwortlich sind für Ihre Stimmung und daher Maßnahmen ergreifen, um sich genau in dem Moment mit höheren Kräften zu verbinden, in dem Sie das Gefühl haben, in ein Loch zu stürzen, dann werden Sie Gewohnheiten entwickeln, die Sie auf ein neues Level an Energie und Lebendigkeit heben.
Selbst bei jenen Menschen, die prinzipiell akzeptieren, dass sie für ihre Gemütslage selbst verantwortlich sind, gibt es die Tendenz, ihre Aufgabe gerade in den dunklen Momenten zu vernachlässigen. Ihnen fehlt noch das Gespür für die Möglichkeit, sich selbst aus einer trüben Stimmung heraus zu entwickeln und dazu nichts anderes als innere Werkzeuge einzusetzen. Dieses Gespür für die sich bietende Chance ist entscheidend, um eine Depression zu überwinden, und die einzige Option, dieses Vertrauen zu erlangen, besteht darin, ein Werkzeug in die Hand zu nehmen und zu erleben, wie es funktioniert. Nur dann werden Sie willens sein, das zu tun, was nötig ist – es nämlich immer und immer wieder zu nutzen, manchmal sogar mehrfach an einem Tag.
Ich stelle Ihnen nun ein sehr wirksames Werkzeug vor, das ich transmutierende Motivation nenne. Es hilft Ihnen, negative Emotionen in pure Motivation zu verwandeln, eine höhere Form des Willens, die es Ihnen ermöglicht, im Leben vorwärtszukommen. Wenn Sie sich die Zeit nehmen und üben, werden Sie die Möglichkeit entdecken, systematisch Ihre Stimmung zu verändern.
Wir beginnen mit dem schweren, demoralisierenden Gefühl, das Sie überkommt, wenn Sie depressiv sind. Konzentrieren Sie sich darauf und sagen Sie sich, dass Sie dieses Gefühl nun in etwas Positives verändern werden. Stellen Sie sich vor, dass über Ihrem Kopf ein mächtiger Energiestrom fließt, ein Jetstream. Nun stellen Sie sich vor, wie Sie eine bestimmte Handlung durchführen, die für eine Vorwärtsbewegung in Ihrem Leben steht. Das könnte ein Risiko sein, etwas, das Sie vermeiden zu tun oder sogar ein täglicher Vorgang wie Schreiben, Sport oder Meditation. Schieben Sie dieses spezifische Bild über Ihren Kopf in den Energiestrom. Nun streben Sie selbst nach oben, indem Sie fühlen, wie Sie diese Handlung vollziehen...
Erscheint lt. Verlag | 20.11.2024 |
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Übersetzer | Jörn Pinnow |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Lessons for living |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Psychologie |
Schlagworte | 1% Methode • 2024 • Byron Katie • eBooks • Gabor Maté • Gesundheit • JAMES CLEAR • Jonah Hill • Lebenskrise • netflix stutz • Neuerscheinung • Psychologie • Psychotherapie • Sacha Bachim • Selbstbefähigung • Selbstbewusstsein • Selbstermächtigung • Selbstvertrauen • Therapeut • Therapie • Therapie to go • The Tools |
ISBN-10 | 3-641-32266-9 / 3641322669 |
ISBN-13 | 978-3-641-32266-3 / 9783641322663 |
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