Achtsamkeit für Skeptiker (eBook)
180 Seiten
Schattauer (Verlag)
978-3-608-12333-3 (ISBN)
Renato Kruljac, geboren 1972, verheiratet und Vater zweier erwachsener Söhne, Kampfkünstler, Studium der Pädagogik und des Bildungsmanagements, Führungskraft, Schüler von Benediktiner und Zen-Meister Willigis Jäger und Leitung von Kontemplations- und Zenkursen. Seit vielen Jahren Trainer für Achtsamkeit, Intuition und ganzheitliche Persönlichkeitsentwicklung im In- und Ausland. MBSR-/MBCL-Lehrer, Coach, Ausbildung in Existenzieller Gestalttherapie sowie anderen Methoden der Psychologie und Persönlichkeitsentwicklung.
Renato Kruljac, geboren 1972, verheiratet und Vater zweier erwachsener Söhne, Kampfkünstler, Studium der Pädagogik und des Bildungsmanagements, Führungskraft, Schüler von Benediktiner und Zen-Meister Willigis Jäger und Leitung von Kontemplations- und Zenkursen. Seit vielen Jahren Trainer für Achtsamkeit, Intuition und ganzheitliche Persönlichkeitsentwicklung im In- und Ausland. MBSR-/MBCL-Lehrer, Coach, Ausbildung in Existenzieller Gestalttherapie sowie anderen Methoden der Psychologie und Persönlichkeitsentwicklung.
3 Einblicke in unsere Wahrnehmungswelt
3.1 Von Faultieren und Elefanten
»Die Wahrnehmung ist real, auch wenn sie nicht die Realität ist …«
Edward de Bono
Fast jeder Mensch hat schon einmal ein Faultier gesehen, auf einem Foto oder in echt. Wir nennen es faul, weil es aus unserer Perspektive langsam ist und nicht durch die Gegend hetzt. Das ist unsere Interpretation, bei der wir unsere Sichtweise als Maßstab nehmen. Das Faultier würde sich selbst vermutlich nicht als zu langsam, sondern uns als zu schnell bezeichnen. Die menschliche Wahrnehmung ist eine unzuverlässige Linse, beeinträchtigt von einer Vielzahl kognitiver Verzerrungen und Fehler, die den klaren Blick auf die Realität trüben. Unsere Wahrnehmung, so einnehmend sie auch sein mag, erfolgt von einem individuellen Stand- respektive Referenzpunkt aus, der nicht nur unser Verständnis von uns selbst, sondern auch das der Welt um uns herum maßgeblich beeinflusst.
Ein prominentes Beispiel ist die Projektion. Stell dir vor, du steckst in einem emotional belastenden Streit mit einem Kollegen. Deine innere Abwehr könnte dazu führen, dass du deine eigenen Ängste und Unzulänglichkeiten auf ihn projizierst. »Er ist so aggressiv und unfähig«, könntest du denken, während in Wirklichkeit deine eigene Angst vor Konfrontation im Raum steht. Ein weiteres Beispiel ist der sogenannte »Heiligenschein-Effekt« oder »Horns-Effekt«. Wenn Elon Musk, einer der erfolgreichsten Unternehmer der Welt, eine Aussage zu einem beliebigen Thema macht, sind wir aufgrund seiner Erfolge in der Technologiebranche eher geneigt, seine Meinung als allgemeingültig zu akzeptieren – ein klassisches Beispiel dafür, wie positive Leistungen auf die Gesamtpersönlichkeit projiziert werden.
Beurteilungen, die in Referenz zu den eigenen Leistungsansprüchen getroffen werden, sind ebenfalls weit verbreitet. Man denke nur an das Faultier. Angenommen, du bist ein erfahrener Marathonläufer und siehst jemanden, der stolz darauf ist, 5 Kilometer gelaufen zu sein. Deine innere Stimme mag sagen: »Das ist doch gar nichts!«, obwohl die Leistung für diese Person vielleicht ein Meilenstein ist. Dein Referenzpunkt beeinflusst also, wie du die Leistungen anderer beurteilst.
Das der Kognitionspsychologie entstammende Konzept des Anker-Effekts geht zudem davon aus, dass unser erstes Urteil oder unsere erste Wahrnehmung als Anker dient, der unsere nachfolgenden Einschätzungen beeinflusst (vgl. Tversky & Kahneman 1974). Wenn du beispielsweise einen exzellenten ersten Eindruck in einem Vorstellungsgespräch machst, sind die Chancen höher, dass die Interviewer deine folgenden Antworten ebenfalls positiv bewerten.
In der komplexen Landschaft menschlicher Wahrnehmung und Urteilsbildung können solche Verzerrungen gravierende Folgen haben, von fehlgeleiteten Beziehungen bis hin zu Fehlentscheidungen auf organisatorischer und sogar gesellschaftlicher Ebene. Ein bewusstes Erkennen dieser Wahrnehmungsfehler kann der erste Schritt in Richtung einer klareren, realitätsnäheren Sichtweise sein.
Abb. 3.1: Der Blickwinkel zählt: Achtsamkeit betont die Einzigartigkeit des eigenen Wertes unabhängig von Vergleichen. Quelle: Renato Kruljac.
Dass unsere Wahrnehmung abhängig ist von unserem jeweiligen Stand- beziehungsweise Referenzpunkt, Blickwinkel, verdeutlicht auch die Abbildung oben. Vergleiche ich mich ständig mit anderen Menschen, wird die Sicht auf meinen Wert als Mensch immer abhängig vom Außen sein. Wenn ich mich mit anderen vergleiche, die in meinen Augen besser, größer und erfolgreicher sind, entstehen automatisch Gefühle wie »Ich bin kleiner« oder »Ich bin schlechter« – beziehungsweise umgekehrt. Achtsamkeit hilft uns, unseren Wert als etwas Einzigartiges zu sehen. Unser Wert als Mensch verändert sich nämlich genauso wenig wie der Kreis in der Mitte – ganz egal, ob die Kreise um uns herum groß sind oder klein.
Unsere Lebenserfahrung, die verschiedenen kulturellen Prägungen und das soziale Umfeld sowie die neuronalen, biochemischen Prozesse im Gehirn haben auf unsere Wahrnehmung und unser Denken einen entscheidenden Einfluss. So zeigen wissenschaftliche Untersuchungen, dass es bei geometrischen Experimenten wie der obigen Abbildung unterschiedliche Wahrnehmungen gibt. Beispielsweise bestimmt der kulturelle Hintergrund, auf was sich das Gehirn fixiert. Die in Südafrika beheimateten San fielen etwa in geometrischen Tests mit geraden Linien auf perspektivische Tricks gar nicht herein, waren ihnen gerade Linien doch nicht oder kaum geläufig. Interessant sind auch Studien, die zeigen, dass sich bei US-Amerikanern das Belohnungszentrum im Gehirn aktiviert, wenn sie eine dominante Person auf einem Bild sehen, während dasselbe bei Japanern auftritt, wenn sie Menschen in bescheidenen Posen betrachten (vgl. Chang 2016, S. 187–192).
Unabhängig von diesen wissenschaftlichen Studien machen wir alle im Alltag die Erfahrung, dass Menschen unterschiedlich auf die Welt schauen. Während in manchen Teilen der Welt etwa Insekten als normale Nahrungsquelle dienen, erzeugt der Gedanke daran bei den meisten Menschen in Deutschland wohl noch eher Ekel. Und während es hierzulande vollkommen üblich ist, Rindfleisch zu essen, gelten Kühe in Indien als heilig und werden von Hindus traditionellerweise nicht geschlachtet. Man muss gar nicht so weit blicken. Selbst bei Nachbarn oder Geschwistern kann sich die Sicht auf die Welt ziemlich unterscheiden. Jenseits kultureller Prägungen gibt es in jedem von uns Persönlichkeitsanteile, die verschiedene Ansichten und Vorlieben haben. So steckt in jeder Fremdbeurteilung auch eine Selbstbeurteilung, oder wie es Reinhard K. Sprenger, Bestsellerautor im Bereich Managementliteratur, bemerkte: »Alle Beurteilungen sagen also immer mehr über den Beurteiler aus als über den Beurteilten. In einem Wort: Jede Beurteilung ist Selbstbiographie.« (Sprenger 1995, S. 212)
In diesem Zusammenhang möchte ich die Geschichte vom Elefanten und den blinden Weisen erzählen, da sie aufzeigt, wie fragmentarisch und unterschiedlich unsere Sicht auf die Welt ist: Fünf Weise wurden von ihrem König auf eine Reise geschickt, um herauszufinden, was ein Elefant ist. Sie begaben sich nach Indien und wurden dort zu einem Elefanten geführt. Die fünf Gelehrten versuchten nun, sich durch Ertasten ein Bild von dem Tier zu machen. Als sie zurück zu ihrem König kamen, berichtete der erste Weise, der am Kopf des Tieres gestanden und den Rüssel betastet hatte: »Ein Elefant ist wie ein langer Arm.« Der zweite Gelehrte hatte das Ohr des Elefanten mit seinen Händen betastet und sprach: »Nein, ein Elefant ist wie ein großer Fächer.« Der dritte Gelehrte sprach: »Nein, nein, ein Elefant ist wie eine dicke Säule.« Er hatte ein Bein des Elefanten berührt. Der vierte Weise sagte: »Ich finde, ein Elefant ist wie eine Schnur«, denn er hatte nur den Schwanz des Elefanten ertastet. Und am Ende sprach der letzte Weise zum König: »Also, ein Elefant ist wie eine riesige runde Masse, mit ein paar Borsten darauf.« Dieser Gelehrte hatte den Rumpf des Tieres mit seinen Händen erkundet.
Viele von uns sehen die Welt, als blickten wir durch ein Schlüsselloch. Unsere Perspektive ist begrenzt; manchmal fokussieren wir uns so sehr auf ein Detail, dass wir das große Ganze aus den Augen verlieren. Wir sind wie Entdecker mit einer Karte, die nur einen Teil des unbekannten Territoriums zeigt. Blinde Flecken in unserer Wahrnehmung halten uns davon ab, das vollständige Bild zu erkennen, und manchmal sind wir auf einem Auge blind für die vielfältigen Farben und Konturen der Realität um uns herum.
Es passiert, dass wir in den Schatten unserer eigenen Beschränkungen wandern, und wenn das Licht der Wahrheit diese Dunkelheit durchbricht, sind wir oft enttäuscht. Diese Enttäuschung, so schmerzhaft sie auch sein mag, ist jedoch ein Geschenk. Es ist das Aufleuchten der Erkenntnis, das Ende einer Illusion, der wir vielleicht unbewusst erlegen sind. In diesem Augenblick werden wir also enttäuscht in einem eher positiven Sinne. Die Schleier der Selbsttäuschung werden weggenommen, und plötzlich stehen wir, vielleicht zum ersten Mal, vor der unverhüllten Wahrheit. Es ist, als erwachten wir aus einem Traum und sähen die Welt mit neuen, klaren Augen. Es ist ein Moment der Verwundbarkeit und zugleich ein Moment der Befreiung. In diesem scharfen, klaren Licht der Erkenntnis liegt unsere Chance zur Transformation. Es ist der Punkt, an dem das Erkennen zur Einsicht wird, wo der Bruch mit unseren bisherigen Überzeugungen und Annahmen den Raum für ein tieferes Verständnis und eine echte Veränderung eröffnet. Wir stehen an der Schwelle einer Erneuerung, bewaffnet mit der mächtigen Waffe der Klarheit. In diesem Moment sind wir nicht länger Gefangene unserer eigenen Illusionen, sondern Pioniere in einer neu entdeckten Wirklichkeit.
3.2 Der Pfad zur inneren Klarheit und Intuition
»Ihre Zeit ist begrenzt, also verschwenden Sie sie nicht. Lassen Sie sich nicht von Dogmen in die Falle locken. Lassen Sie nicht zu, dass die Meinungen anderer Ihre innere Stimme ersticken. Am wichtigsten ist es, dass Sie den Mut haben, Ihrem Herzen und Ihrer Intuition zu folgen. Alles andere ist nebensächlich.«
Steve Jobs
Achtsamkeit ist mehr als Konzentration und stilles Sitzen auf dem Meditationskissen. Konzentration ist fokussiert und grenzt wie bei einer Rechenaufgabe andere Dinge aus. Dies gleicht einem Laserstrahl. Achtsamkeit beziehungsweise Achtsamkeitsmeditation ist ganzheitlich. Sie kann das Bewusstsein...
Erscheint lt. Verlag | 17.8.2024 |
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Co-Autor | Michaela Schaumann |
Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften |
Medizin / Pharmazie ► Medizinische Fachgebiete ► Psychiatrie / Psychotherapie | |
Schlagworte | Achtsamkeit • Achtsamkeit am Arbeitsplatz • Achtsamkeit im Alltag • Achtsamkeit kritisch • Buddhismus • Jon Kabat-Zinn • MBSR • MBSR (Mindfulness-Based Stress Reduction) • McMindfulness • Meditation • Mindfulness • Spiritualität • Spiritualität in der Psychotherapie • Stress • Taoismus • Trauma • Trauma und Achtsamkeit • übungen achtsamkeit • Zen |
ISBN-10 | 3-608-12333-4 / 3608123334 |
ISBN-13 | 978-3-608-12333-3 / 9783608123333 |
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