Der einmalige Mensch oder die Ausnahme als Regel -  Klaus P. Fischer

Der einmalige Mensch oder die Ausnahme als Regel (eBook)

Zur Anthrolologie der Berufung
eBook Download: EPUB
2024 | 2. Auflage
116 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7597-4114-1 (ISBN)
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In George Orwells utopischem Roman erklärt der Peiniger seinem Opfer Winston: "Sie existieren nicht! Die Partei existiert - für immer". Sätze dieser Art irrlichtern durch die Geschichte. Sie enthüllen die Not von Individuen, sich gegen das Kollektiv zu behaupten, das sie aufsaugen will. Doch die Jesus-Botschaft macht das unscheinbare Individuum sichtbar, mehr noch: sie spricht der Person einzigartige Würde und Berufung zu. Hrsg: Hans-Jürgen Sträter, Adlerstein Verlag

Der Mensch vor dem Gesetz


Viele Menschen der modern-postmodernen Gesellschaft halten Distanz zu Gott - zu einem Gott mit dem Profil eines Gesetzgebers, dessen Gebote und Verbote - sagt man - "Maximalforderungen" stellen und Menschen nötigen, sich schuldig zu fühlen. Die Kirche vertrete ein einseitiges Menschenbild, flöße Menschen ein negatives Selbstbild ("Sünder") ein und schwäche so die Lebensenergie. Heutige Menschen setzen auf selbstbestimmte, statt fremdbestimmte Lebensgestaltung.

Kirchenvertreter wie nicht wenige Fromme empfinden solche Äußerungen als tendenziös, ja polemisch. Sie berufen sich auf den kirchlichen Kernauftrag: Menschen den Sinn ihres Lebens aufzuzeigen, der im Heilsangebot Gottes liege, konkret in Gottes Rechtfertigung, die er ihnen im Glauben an Jesus Christus (s. Röm 3,22) eröffne. Dafür brauche es allerdings ein offenes Herz und - Demut.

Dieses Anliegen kommt indes bei vielen Menschen nicht an. Viele, auch Christen vermögen kaum zu sagen, was Kirche ist und will.

Das ist kein Zufall. Zumal in der Neuzeit bis in die Gegenwart fühlten und fühlen sich viele vom Evangelium statt angezogen eher abgeschreckt.

In der Tat galt (und gilt nicht selten bis heute) in der römisch-katholischen Kirche lange Zeit ein Konzept, welches das Glaubensleben der getauften Christen vorrangig als System von Pflichten gegen Gott (im Kern die Zehn Gebote) darstellt, deren Erfüllung oder Verletzung Gegenstand des Examens beim Empfang des Bußsakramentes war und ist. Dieses Sakrament - und mit ihm die moralisch betonte Glaubensschulung - ist aber vielerorts in die Krise geraten. Das moralisch akzentuierte Gottesbild und das davon abgeleitete Bild vom verdorbenen, unwissenden, der Erziehung bedürftigen Menschen, in frühen Epochen volkspädagogisch akzeptabel, wird heute weithin abgelehnt.

Der heutige Mensch weiß und spürt: Traditioneller Moralismus und Rigorismus, auf tiefes Misstrauen gebaut, manchmal gar gesteigert bis zur Verachtung der "schwachen" Menschen, Ablehnung von Materie und Welt, Überbetonung von Autorität, Ordnung, Gehorsam, einhergehend nicht selten mit Gefühlskälte und Lieblosigkeit gegen die "schwachen" Menschen,1 scharfe Distanzierung der Geistlichen von den Weltlichen durchzogen als Hauptströmung die Kirche jahrhundertelang und machten sich nachdrücklich im Gemüt von Generationen fest, wo sie langlebige Aversionen erzeugten. Zwar weiß man, dass es Ausnahmen - Heilige - gab und gibt. Aber viele nehmen sie kaum als Vorbilder wahr: sie erscheinen den ´Normalverbrauchern` himmelhoch entrückt, etwa so, wie ein Super-Bergsteiger wie Reinhold Messner auf schlichte Freizeitwanderer wirkt.

Exemplarisch für die Problematik dürfte die tiefe Krise des Bußsakramentes sein: jenes Sakramentes, das bis zum II. Vatikanischen Konzil als Schwergewicht katholisch frommer Praxis galt.

Traditionell wurde bei Handlungen, welche die - Sünde genannte - Verletzung einer der sogenannten Pflichten gegen Gott und den Nächsten bedeuten, zunächst der objektive Tatbestand (Art, Gewicht der Pflichtverletzung) festgestellt, dann der subjektive Anteil des Sünders geprüft: ob er um das Gebot oder Verbot wusste, frei handelte, ob er unter innerem oder äußerem Druck stand, im Moment des Handelns voll zurechnungsfähig war, ob krank oder gesund, u.a.m.

Da man damit rechnete, dass für die meisten Christen die häufige Verletzung der Gebote den Normalfall darstellt, riet man zu oftmaligem Empfang des Bußsakramentes.

Positiv schärfte man ihnen ein, um weniger leicht zu sündigen, sollten sie sich um die (natürlichen und übernatürlichen) Tugenden bemühen.

Damit die "Beichtväter" sich in dem ausgeklügelten System von Tod- Sünden, schweren und lässlichen Sünden zurechtfänden, erschienen moraltheologische Handbücher mit dem Anspruch, alle denkbaren Details einer sündigen Handlung sowie der Disposition des Sünders zu erfassen und so das richterliche Urteil des "Beichtvaters" zu schärfen (Kasuistik). Das Gewissen des "Beichtvaters" durfte ebenso wenig den Ausschlag geben wie das Gewissen des Sünders selbst (daher die Abwehr einer als "Situations-Ethik" bekannt gewordenen Strömung).2

Widersprach ein individuelles Gewissen der von der Kirche vorgelegten göttlichen Norm, war es als "irrig" zu werten.

So wurde, volkspädagogisch motiviert, der biblische Glaube ausgelegt als Unterwerfung unter göttliche Gebote und Verbote, die Glaubenspraxis gleichgesetzt mit einer Pflichten- und Tugendlehre.

Zudem äußert sich der Glaube der Bibel ja ´praxistauglich`: als Praxis von Zehn Geboten, ab der frühen Kirche zudem in Sätzen, zuerst in Taufbekenntnissen, später, als Ergebnis doktrinärer Konflikte, in den kirchlichen Glaubensbekenntnissen. Daraus erwuchs die - in Form von Katechismen konzentrierte - Glaubenslehre, die man als hinreichend durchdacht und geklärt ansah. Daher deutete man Verständnisprobleme in Glaubensdingen oft eng geführt als Glaubenszweifel. Gestand jemand, ihm leuchte diese oder jene von der Kirche vorgelegte Glaubenswahrheit trotz guten Willens nicht ein, wurde ein "Verstandesirrtum" attestiert, mit der Warnung, nicht in sündhaften Glaubensabfall abzugleiten. 3

Um dieser Gefahr zu entgehen, solle man "häufig beten" (ebd).

Diese Engführung moralisierender Glaubenslehre irritierte und befremdete zahlreiche Menschen, die zwar eine Frohe Botschaft, Gott, Transzendenz suchten, aber wegen des ´Labyrinths` von Bedingungen und Hindernissen vor der Kirchtüre verharren

Die Situation hat gewisse Ähnlichkeit mit Franz Kafkas Parabel "Vor dem Gesetz".

Für den schlichten "Mann vom Lande" war der Theologe oder Pfarrer nicht selten ein mächtiger Türhüter, der Zögern und Unsicherheit des Mannes durch Legen und Ausmalen immer höherer Schwellen und Bedingungen zu vermehren scheint, bis er dem durch Warten schon entkräfteten Alten erklärt, seine, des Hüters, Aufgabe habe schon immer darin bestanden, ihm, dem Gott-Sucher, Einlass zu gewähren - Einlass zum Sinn des Gesetzes: Leben mit Gott und durch Gott.

Eines der Urteile des "Mannes vom Lande" sagt, "die Kirche" halte Gesetze und Normen für wichtiger als Menschen, stigmatisiere jene, deren Lebensgang anders, im Widerspruch zu kirchlicher Moral verläuft, und missachte deren eigenes Gewissensurteil. Damit okkupiere die Kirche den Zugang zu Gott, binde ihn an ihre eigenen Konditionen. Ein verbreitetes Gefühlsurteil.

Bekanntlich war dieser schon vor Jahrhunderten erhobene Vorwurf eine der Triebfedern für die Loslösung der reformatorischen Christen von der römischen Kirche, da sie in Haltung und Verlautbarungen damaliger Kirchenleitung keinen Zugang fanden zu einem persönlich zugewandten, gnädigen Gott.4

Davon geblieben ist oft heute noch eine Art kirchenamtlichen Umgangs mit Wiederverheiratet-Geschiedenen, die nicht selten anhaltenden Groll entfacht.

Das primär moralische Glaubens-Konzept litt und leidet an bedauerlicher Einseitigkeit: der Glaube der Menschen mutiert leicht zu einer bürokratischen Angelegenheit.

Legalistische Optik erkennt die Individualität des gläubigen Menschen vor allem in Abweichungen von den Geboten, sowie in der Häufigkeit, mit der sie geschehen - eine quantitative Optik.

Beispiel: So geschah es häufig im Blick auf Verfehlungen im Rahmen des Sechsten Gebotes.

Zwar wissen erfahrene Seelsorger: Menschen, die z.B. geschieden und wieder-verheiratet sind, verwickeln sich nicht selten in Unehrlichkeit, Selbstbetrug und Subjektivismus, was auch nicht-kirchlichen Eheberatern und Therapeuten bekannt ist. Das nötigt nachdenkliche Zeitgenossen - Christen wie Nicht-Christen - vor dem Menschlich-Allzu-Menschlichen zur Kunst der Unterscheidung: Berater, Beraterinnen benötigen ebenso viel Einfühlung wie Unerschrockenheit.

So wurde "Ehebruch" in der Kulturgeschichte nie als Bagatelle aufgefasst, sind ja Ehe und Kinder bis heute die Bestandsgarantien jeder Gesellschaft.

Das alte jüdische Gesetz verhängte dafür die Todesstrafe (Lev 20,10).

Auch in der frühen Kirche verlautete, Unzüchtige und Ehebrecher werde Gott richten (Hebr 13,4; Jak 4,4). An der harten Sprache erkennt man, dass gescheiterte Ehen den jungen Gemeinden große Sorgen bereiteten, zumal sie wohl auch in Gemeinden eine weitere Scheidung: die zwischen Anhängern und Gegnern der Beteiligten, im Gefolge hatten. Da wurde oft der Lebensnerv berührt, was zu harten Reaktionen führte.

Allerdings lässt Jesus erkennen, dass ihm das Leid der Getrennten und darob Stigmatisierten nicht fremd ist. Dem Pharisäer, der Gott betend dankt, dass er nichts gemein habe mit Räubern, Betrügern, Ehebrechern und Zöllnern, spricht er die Erhörung durch Gott ab (Lk 18,10-14). Die von Gesetzes-Frommen beim Ehebruch ertappte Frau, Jesus zur Verurteilung überstellt, verurteilt er nicht, vielmehr ermutigt er sie zu einem Neu-Anfang...

Erscheint lt. Verlag 24.7.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Religion / Theologie Christentum
ISBN-10 3-7597-4114-2 / 3759741142
ISBN-13 978-3-7597-4114-1 / 9783759741141
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