Der Bauernkrieg (eBook)
368 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-3300-7 (ISBN)
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Christian Pantle, geboren 1970 in München, ist Chefredakteur des Monatsmagazins G/Geschichte. Bei Propyläen erschienen sein Spiegel-Beststeller Der Dreißigjährige Krieg und Die Varusschlacht.
Kapitel I: Vorlauf
1.
Rebellisches Mittelalter (1315–1476)
Als Adam grub und Eva spann,
wo war denn da der Edelmann?
Unter diesem Motto erheben sich die deutschen Bauern, doch der Spruch ist viel älter und stammt aus England: »When Adam delved and Eve span, Who was then the gentleman?«, predigt der Geistliche John Ball 1381 während des englischen Bauernaufstands. Gott habe alle Menschen gleich erschaffen. Jetzt sei die Zeit gekommen, das Joch der Knechtschaft abzuwerfen und die Freiheit zurückzuerlangen.
John Balls Gedanken fallen auf fruchtbaren Boden. Die Menschen des Spätmittelalters sind fromme Kirchgänger, aber keine lammfrommen Untertanen. Heute wird gern das Bild einer fest zementierten mittelalterlichen Ständegesellschaft gezeichnet, in der die Adligen für den Schutz zuständig sind, die Geistlichen für das Seelenheil und die Bauern für die Ernährung. In diese angeblich gottgegebene Ordnung fügen sich die Untertanen widerstandslos, besagt die gängige Vorstellung. Doch in Wahrheit ist das späte Mittelalter eine Epoche der Rebellionen, weit mehr als die Moderne: Ab 1300 zieht sich eine ganze Kette von Aufständen quer durch Europa, und diese Kette reißt nicht ab, als um 1500 die Frühe Neuzeit beginnt. Der Bauernkrieg von 1525 bildet dabei den Höhepunkt einer Entwicklung, die nicht nur gesellschaftliche Ursachen hat, sondern auch durch zwei übergreifende Krisen befeuert wird: den Klimawandel und die Pest.
Um 1300 beginnen sich die Temperaturen in Europa langsam abzukühlen. In der Folge werden die Ernten schlechter, es kommt zu Hungersnöten – allein im sogenannten Großen Hunger von 1315 bis 1317 sterben Millionen Menschen von Spanien über Deutschland bis Skandinavien. 1347 tritt der Schwarze Tod hinzu: Die Pestwelle fegt über Europa, tötet bis 1353 etwa ein Drittel der Bevölkerung des Kontinents und taucht auch danach immer wieder örtlich begrenzt auf.
Die Menschen fangen an, Fragen zu stellen: Warum legt Gott uns solche Prüfungen auf? Wieso kann niemand diese Katastrophen verhindern? Immer mehr Untertanen zweifeln an den kirchlichen und weltlichen Autoritäten – und wehren sich gegen diese, wie aus zeitgenössischen Dokumenten hervorgeht. Chroniken berichten von Sekten und Rebellionen, Gesetzestexte verbieten Streiks. Kaum ein Jahrzehnt vergeht mehr in Europa ohne einen größeren Aufstand.
Den Anfang machen die Schweizer. Die Bewohner der drei Kantone Uri, Schwyz und Unterwalden verbinden sich 1291 per Eid zu einer Genossenschaft, um sich beizustehen und die eigenen Freiheiten zu verteidigen – vor allem gegen die österreichischen Habsburger, die in der Region herrschen. Es kommt zu Konflikten, in deren Verlauf die Amtsleute der Habsburger unter anderem den Eidgenossen Wilhelm Tell 1307 zwingen, mit der Armbrust einen Apfel vom Kopf seines Sohnes zu schießen. So jedenfalls lautet die populäre Legende; vermutlich ist der Schweizer Freiheitsheld keine reale Person.
Ende 1315 hat der Habsburger Herzog Leopold von Österreich genug von den aufmüpfigen Schweizern und startet einen Feldzug mit mehreren Tausend Rittern und Fußsoldaten. Beim Dorf Morgarten, das 30 Kilometer südlich von Zürich liegt, begibt er sich mit seinem Heer auf einen schmalen Pfad zwischen dem örtlichen See und einer Bergflanke. Die Ritter ziehen wie üblich vorneweg, bis sie vor einer Wegbarriere anhalten müssen. Plötzlich kommt von oben ein Steinhagel, und die Schweizer Bauern stürmen aus ihrem Versteck heraus den Berghang herab. In den Händen halten sie neuartige Waffen, mit denen sie einerseits zustechen, andererseits mit ungeheurer Wucht zuschlagen können: die Hellebarden, die sogar eiserne Rüstungen durchtrennen.
Die Eidgenossen hacken die Ritter regelrecht in Stücke – oder treiben diese in den See, wo sie in ihren schweren Panzern ertrinken. »Da war es nicht ein Kampf, sondern nur gleichsam ein Schlachten«, schildert der zeitgenössische Chronist Johann von Winterthur. »Niemanden verschonten sie, noch auch bemühten sie sich, einige zu fangen, sondern schlugen alle ohne Unterschied bis zur völligen Vernichtung nieder.« Keine Gefangenen zu machen wird auch in der Folgezeit zu einem gefürchteten Charakteristikum der Schweizer Kriegführung.
Herzog Leopold kann zwar mit einigen Rittern und den nachfolgenden Fußsoldaten fliehen, aber die Schlacht am Morgarten bedeutet eine Zeitenwende. Sie begründet die Unabhängigkeit der Schweiz und läutet das Ende der Ritterheere ein, zumal es den Eidgenossen noch zwei weitere Male gelingt, die Habsburger Ritter zu besiegen: 1339 bei Laupen nahe Bern und 1386 bei Sempach unweit Luzern. Die einfachen Fußsoldaten, die diszipliniert in geschlossener Formation mit ihren Spießen und Hellebarden vorrücken, sind nun die Herren des Schlachtfeldes, nicht mehr die Adligen in ihren teuren Rüstungen.
Die Schweizer Bergbauern haben damit auch bewiesen, dass ein erfolgreicher Freiheitskampf gegen die Herren hoch zu Ross möglich ist. Sie werden so zum Vorbild, das den späteren Rebellen quer durch Europa Hoffnung spendet. Unter anderem erheben sich 1323 die Bauern und Bürger der Grafschaft Flandern, die großteils im heutigen Belgien liegt, und übernehmen jahrelang die Macht im Land. 1328 beendet ein französisches Heer den flandrischen Volksaufstand in einer Schlacht, in der über 3000 Freiheitskämpfer ihr Leben lassen. 1336 bis 1339 rebellieren Bauern in Franken und im Rheinland. 1358 folgt eine große Bauernrevolte im Nordosten Frankreichs, die ebenfalls blutig niedergeworfen wird.
1381 wagen die englischen Bauern den Aufstand. Angeführt von dem Rebellen Wat Tyler und angestachelt von dem Priester John Ball (»Als Adam grub und Eva spann …«), stürmen Zehntausende London. Sie befreien Gefangene aus dem Kerker, zerstören eine Reihe von Gebäuden, verüben einige Lynchmorde und schicken König Richard II. eine Liste mit Forderungen. Der erst 14-jährige Monarch trifft sich daraufhin auf offenem Feld mit Wat Tyler, doch am zweiten Verhandlungstag ersticht ein Begleiter des Königs den Bauernführer. Beinahe eskaliert die Situation, aber schließlich vertrauen die Aufständischen den Versprechen ihres Monarchen, der ihnen ein Ende der Leibeigenschaft und allgemeine Straffreiheit zusichert. Die Bauern zerstreuen sich und kehren zurück in ihre Dörfer.
Es folgt ein Verhaltensmuster, das Adlige noch oft bei Volksaufständen zeigen werden: Kaum ist die Gefahr vorbei, nimmt der Herrscher alle Zusagen zurück, schickt seine Truppen aus und lässt zahlreiche Rebellen festnehmen und hinrichten. Bei der Exekution John Balls sieht König Richard persönlich zu. Der Priester wird zunächst gehängt, aber kurz bevor er erstickt, vom Galgen abgenommen. Dann schneidet der Henker ihm bei lebendigem Leib die Genitalien ab, zieht die Gedärme aus dem Körper, schneidet das Herz heraus und verbrennt die Organe vor den Augen der Zuschauer. Schließlich wird der Leichnam enthauptet, der restliche Körper in vier Teile zertrennt und öffentlich ausgestellt. Diese Hinrichtungsform namens »Hängen, Ausweiden und Vierteilen« ist die traditionelle englische Strafe für Hochverrat und wird erst 1870 offiziell abgeschafft.
Selbst solche grausamen Strafaktionen unterdrücken die rebellische Stimmung in Europa nicht. Weitere große Revolten folgen, unter anderem: 1382 der Aufstand der »Maillotins«, mit Bleihämmern bewaffneter Handwerker und Bauern in der Region um Paris; ab 1410 die Volksaufstände im heutigen Litauen; 1437 die Bauernerhebung im heute rumänischen Siebenbürgen, auch Transsilvanien genannt; 1438 in Norwegen; 1441 in Dänemark; 1462 im spanischen Katalonien.
Im Frühjahr 1476 löst ein ungebildeter Viehhirte die bis dato radikalste Massenbewegung aus, und zwar dort, wo ein halbes Jahrhundert später auch der Bauernkrieg toben wird: Der nur etwa 18-jährige Hans Böhm, Pauker oder Pfeifer von Niklashausen genannt, beginnt in der Region um Würzburg zu predigen. Die Mutter Gottes sei ihm erschienen und habe ihm befohlen, Folgendes zu verkünden: Es soll künftig keinen Kaiser, keinen Fürsten, keinen Papst, keine weltliche und geistliche Obrigkeit mehr geben, keine Frondienste, Zinsen, Steuern und sonstigen Abgaben. Niemand soll künftig mehr haben als der andere, dann haben alle genug, erklärt der frühe Kommunist – und trifft damit bei seinen Zuhörern einen Nerv.
Zunächst strömen die Menschen aus der Nachbarschaft herbei. Bald kommen sie auch aus Bayern und Schwaben, Thüringen und Sachsen, Hessen und dem Elsass, um dem Prediger vor der Kirche von Niklashausen zu lauschen. »Der ganze Süden und die Mitte von Deutschland müssen sich in Bewegung befunden haben«, schreibt der Historiker Günther Franz in seinem Buch Der deutsche Bauernkrieg, das 1933 in erster, 1984 in zwölfter Auflage erschien und bis heute als Standardwerk gilt. »Die einen kamen in geordneter Wallfahrt mit Fahnen und mächtigen Kerzen, andere liefen von ihrer Arbeit weg, die Knechte vom Pflug, die Mägde von der Ernte, die Handwerker aus ihrer Werkstatt, das Werkzeug noch in der Hand.« Die Anhänger des Pfeifers von Niklashausen schlafen auf den Wiesen um...
Erscheint lt. Verlag | 1.8.2024 |
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Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Mittelalter |
Geschichte ► Allgemeine Geschichte ► Mittelalter | |
Schlagworte | Adel • Aufstand • Feudalismus • haufen • Hörigkeit • Katholizismus • Leibeigenschaft • Martin Luther • Privilegien • Reformation • Revolution • Schwäbischer Bund • Süddeutschland • thomas münzer • Thüringen • Waffen • Zwölf Artikel |
ISBN-10 | 3-8437-3300-7 / 3843733007 |
ISBN-13 | 978-3-8437-3300-7 / 9783843733007 |
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