Sextropolis (eBook)

Anita Berber und das wilde Berlin der Zwanzigerjahre

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
304 Seiten
Bebra Verlag
978-3-8393-4145-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Sextropolis -  Armin Fuhrer
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Anita Berber (1899-1928) war Filmstar, Tänzerin, Modeikone und Skandalfigur zugleich. Sie trug Frack und Monokel, lange vor Marlene Dietrich, sie lebte auf offener Bühne ihre Bisexualität und ihre Drogensucht aus, prügelte sich mit Kritikern, versuchte Gäste ihrer Aufführungen zu bestehlen - und geriet damit immer wieder in Konflikt mit den Normen der Gesellschaft. Diese Biografie erzählt das dramatische Leben Anita Berbers als Spiegelbild einer wilden und in sich widersprüchlichen Zeit. Nirgendwo anders als im Berlin der frühen Zwanzigerjahre wäre ihre kurze, einzigartige Karriere möglich gewesen.

Armin Fuhrer, Jahrgang 1963, ist freier Journalist und Autor zahlreicher Bücher zur Zeitgeschichte. Nach dem Studium der Geschichte und Politikwissenschaft besuchte er die Axel-Springer-Journalistenschule und arbeitete danach bei der Tageszeitung »Die Welt« und beim Nachrichtenmagazin »FOCUS«.

Armin Fuhrer, Jahrgang 1963, ist freier Journalist und Autor zahlreicher Bücher zur Zeitgeschichte. Nach dem Studium der Geschichte und Politikwissenschaft besuchte er die Axel-Springer-Journalistenschule und arbeitete danach bei der Tageszeitung »Die Welt« und beim Nachrichtenmagazin »FOCUS«.

Kapitel 1


SKANDAL IN WIEN


Die Aufregung ist groß, die Spannung greifbar, das Konzerthaus seit langem restlos ausverkauft. Seitdem Wochen zuvor bekannt wurde, dass Anita Berber in der Stadt ist und am 14. November gemeinsam mit ihrem Partner Sebastian Droste ihr neues Programm, die Tänze des Lasters, des Grauens und der Ekstase, aufführen wird, ist sie in diesem Jahr 1922 das beherrschende Thema des Boulevards. Endlich ist wieder etwas los in Wien, freuen sich die Zeitungen. Denn seit die Inflation in Österreich gestoppt wurde, durchlebt die Stadt eine Krise – die Touristen strömen jetzt noch mehr als ohnehin schon nach Berlin, die im doppelten Sinne des Wortes billige Hauptstadt des Deutschen Reiches. Hier reißt die Inflation alles mit sich, lässt zugleich aber Besucher mit ausländischen Devisen zu Königen werden, denn alles ist für ein paar Dollar, Pfund oder Gulden zu haben: Antiquitäten, Wohnungen, Nächte in den nobelsten Hotels, verruchte Unterhaltung in den zahllosen Nachtclubs, Frauen. Berlin gilt als die »Hure Babylon«, das Zentrum des Lasters und der Lust. Und dieses Zentrum hat eine Herrscherin, eine Königin: Anita Berber.

Viele Geschichten ranken sich um diese gerade einmal 23 Jahre alte Frau, die als Schauspielerin in Skandalfilmen wie Prostitution und Anders als die Anderen mitgewirkt hat und deren Auftritte als Nackttänzerin in den berühmtesten Lokalen der Metropole an der Spree inzwischen legendär sind. Tänzerin – ja, eine gute vermutlich sogar. Aber dass sie stets von einem Nebel von Kokain, Morphium und Alkohol umgeben sein soll, ihr Gesicht hinter einer Maske aus Schminke verbirgt, ihre bisexuellen Neigungen offen auslebt und ihre sexuellen Fantasien unbekleidet auf der Bühne tanzt, erhöht ihr Ansehen gerade beim bürgerlichen Publikum nur noch weiter. Laster – Sehnsucht des Bürgers! Wohlwollend, fast dankbar vermerkt der Journalist Karl Tschuppik alias Kajetan, dass es Anita Berber als Einziger gelinge, das Wunder zu vollbringen, den größten Saal Wiens, das Konzerthaus mit seinen 1800 Sitzen, bis auf den letzten Platz zu füllen.

Die Berliner Königin der Nacht hat sich schon seit einigen Wochen in Wien niedergelassen und probt, gemeinsam mit ihrem nicht minder geheimnisvollen Partner Sebastian Droste, ihre Tänze des Lasters, des Grauens und der Ekstase. Ist es nicht geradezu eine Ehre, dass sie sie hier, in Wien, aufführt, und nicht in Berlin? Dass Berber und Droste ihr Programm zuerst an der Donau zeigen, ist allerdings ein Irrtum. Tatsächlich tanzen sie ihr Programm bereits Anfang Oktober, also sechs Wochen vor dem Auftritt im Konzerthaus, im Blüthner-Saal in Berlin. Aber der Auftritt, obwohl ebenfalls ausverkauft, findet in den Zeitungen praktisch keinen Widerhall, und wenn doch, dann eher spöttischen. Mit Berlin sind Anita und Sebastian in diesem Herbst 1922 erst einmal durch. Dort wird sie nur noch als »Nackttänzerin« gesehen. Aber ihr Anspruch ist ein ganz anderer. Sie will vom seriösen, anspruchsvollen Publikum wahrgenommen werden, und der Schlüssel zu diesem Erfolg sollen die Tänze des Lasters, des Grauens und der Ekstase werden. Wien ist der Versuch eines Neuanfangs für Anita Berber, die erst seit wenigen Wochen mit ihrem neuen Partner auftritt.

In Wien ist Berber keine Unbekannte, denn hier hat sie mit dem Regisseur Richard Ostwald eine Reihe von erfolgreichen Filmen gedreht und hier ist sie auch schon mehrmals aufgetreten – allerdings galt sie damals noch nicht als verruchte, skandalumwitterte Tänzerin, sondern als Talent seriöser Kunst, als vielversprechendes Nachwuchstalent des expressionistischen Ausdruckstanzes.

Doch Publikum und Kritiker haben jetzt, bei ihrer Rückkehr, kein großes Interesse an Anitas und Sebastian Drostes künstlerischen Versuchen. Allein die Tatsache, dass die beiden beim Tanzen sicher auch ihre Hüllen fallen lassen werden, ist die Sensation. Wien ist bei weitem nicht so wild, so enthemmt, so verzweifelt, verzagt und großmäulig wie Berlin. Im Vergleich wirkt es eher provinziell und spießig. Aber verruchte Schönheit weiß man auch hier zu schätzen, zumindest ein Teil des Publikums. »Mag sein, daß die Menschen im allgemeinen und die Wiener im besonderen die nackte Wahrheit nicht hören wollen, aber sehen, sehen wollen sie sie alle … wenn sie Anita Berber heißt«, schreibt die Wiener Mittags-Zeitung.

Bis heute wird immer wieder behauptet, Sebastian Droste und Anita Berber hätten den Skandal, der sich in den Wochen nach dem Auftritt im Konzerthaus vor den Augen eines fasziniert-abgestoßenen Publikums abspielt und von den Zeitungen breitgetreten wird wie kaum ein anderer, bewusst inszeniert, nachdem der erhoffte Erfolg der Aufführung ausgeblieben sei. Doch das ist kaum glaubwürdig, denn alles beginnt bereits kurz nach der Ankunft des Paares an der Donau, Wochen vor dem Auftritt. Schon Drostes erster Schritt in Wien wirkt keineswegs so, als unternehme er ihn in der Hoffnung auf Publicity. Sebastian Droste, der unter seiner Herkunft aus einem wohlhabenden Elternhaus leidet, weil er dadurch die Authentizität seiner Kunst gefährdet sieht, braucht Geld – viel Geld. So versucht er, sich bei einem Juwelier fünfzig Millionen Kronen zu beschaffen. Er legt dem Mann eine gefälschte Unterschrift eines Bekannten, des Prinzen von Taxis, vor. Der Schwindel fliegt auf, kommt zur Anzeige – und die Behörden verfügen Drostes Ausweisung mit anschließendem fünfjährigen Einreiseverbot. Urkundenfälschung ist eben mehr als ein Kavaliersdelikt. Aber er bekommt eine Schonfrist; er darf bleiben, bis die angekündigte Aufführung seines und Anita Berbers Tanzabends stattgefunden hat. Zu groß wäre wohl die Aufregung, wenn das Ereignis, dem die Wiener Kulturszene wie das Bürgertum entgegenfiebern, wegen des kriminellen Vergehens eines der beiden Akteure nicht stattfinden könnte.

Lehren zieht Droste daraus nicht. Am Morgen nach der Aufführung steht die Polizei vor seinem Hotelzimmer und verhaftet ihn. Diesmal soll er zwei adeligen Damen aus Deutschland Schmuck und eine beträchtliche Summe Geld, die Rede ist von 200 Millionen Kronen und 70.000 Lire, gestohlen haben. Anita Berber muss ihren Partner herauspauken und für ihn bürgen; ob die Vorwürfe stimmen, lässt sich nicht belegen. Der behördlichen Ausweisung kommen die beiden nicht nach, obwohl der Tanzabend im Konzerthaus inzwischen vorüber ist. Das Paar bleibt Stadtgespräch, die Journalisten mutmaßen, wann es wohl zur Abschiebung kommen werde. Wien sonnt sich in der Anwesenheit der bekannten Skandaltänzerin und ihres nicht minder verruchten, wenn auch noch nicht so bekannten Partners, es wird geklatscht und getratscht, die Boulevardblätter spekulieren, wie es weitergeht. Berber und Droste wollen in Wien bleiben und suchen neue Auftrittsmöglichkeiten. Sicher ist, dass die große Aufmerksamkeit eine gute Werbung ist, fraglich aber, was stärker wiegt: der Wunsch, in Wien zu bleiben, oder die Hoffnung, aus dem Klatsch Kapital zu schlagen. Es ist durchaus möglich, dass Droste mit seinem Sinn für Marketing erkennt, dass es sich auszahlen könnte, wenn das Paar die Sensationslust der Wiener Szene kitzelt. Die Kehrseite aber ist, dass die Auftritte selbst in den Hintergrund rücken. Sie sind keine Kunst-, sondern gesellschaftliche Ereignisse.

Auf der Suche nach neuen Auftrittsmöglichkeiten trifft Droste auf Moritz Rosner, den Leiter des Etablissements Ronacher. Der ist begeistert von der Aussicht, dass die berühmte Anita Berber auf seiner Bühne tanzt, und bietet dem Paar einen Vertrag für den Monat Dezember an. Nun gibt es nur eine Hürde – die drohende Ausweisung durch die Polizei. Moritz Rosner klärt die Angelegenheit mit einem Trick. Er behauptet, Droste könne seine Schulden in Wien durch das Geld, das er im Ronacher einnimmt, wenigstens zu einem Teil begleichen. Und so genehmigen die Behörden eine Verlängerung des Gastspiels für den Dezember. Rosner freut sich auf die Aufführungen mit seinen illustren Bühnenstars, die ihm Geld in die Kasse spülen sollen, doch schon kommt es zum nächsten Skandal. Es wird bekannt, dass Droste auch Verträge mit dem Apollo-Theater und dem Kabarett Tabarin abgeschlossen hat. Rosner ist empört und ruft die Internationale Artistenorganisation an. Die entscheidet eindeutig: Anita Berber und Sebastian Droste müssen ihre Verträge mit dem Apollo-Theater und dem Tabarin kündigen und dürfen nur im Ronacher tanzen. Bei Missachtung droht der Ausschluss aus der Artistenorganisation, was einem Auftrittsverbot auf fast allen europäischen Bühnen gleichkäme. Doch Regeln haben Anita Berber noch nie interessiert, der Regelbruch hat sie berühmt gemacht. Sebastian Droste hat seine kriminellen Neigungen bereits offenbart und sich als halbseidener Geschäftspartner erwiesen, dem vertragliche Vereinbarungen egal sind. Also treten beide einfach weiter auf den verbotenen Bühnen auf.

Jetzt ist der öffentliche Skandal perfekt und überlagert jegliche künstlerische Wertschätzung. Die Wiener verfolgen die Vorgänge atemlos, die Zeitungen berichten in großer Aufmachung. »Ganz Wien ist über die Affären der Tänzerin Anita Berber furchtbar aufgeregt. Ganz Wien fragt sich: Tanzt sie oder tanzt sie nicht?«, schreibt die Illustrierte Kronen Zeitung. Und wenige Tage zuvor, am 6. Dezember, weiß das Prager Tagblatt zu berichten: »Die bekannte Tänzerin Anita Berber hält seit Wochen das Interesse Wiens gefangen. Sie hat bei ihrem ersten Auftreten im großen Konzertsaal mit einem Nackttanz große...

Erscheint lt. Verlag 1.10.2024
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Geschichte Teilgebiete der Geschichte Kulturgeschichte
Schlagworte Drogen • Ekstase • Metropole Berlin • Nachtleben • Nackttanz • Naher Osten • otto dix • Skandal • Tanz • Tänzerin • Wien • Zwanziger Jahre
ISBN-10 3-8393-4145-0 / 3839341450
ISBN-13 978-3-8393-4145-2 / 9783839341452
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