Gründerzeit 1200 (eBook)
320 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-3269-7 (ISBN)
Gisela Graichen entwickelte als Fernsehautorin für das ZDF preisgekrönte Serien wie Schliemanns Erben, Humboldts Erben und Ungelöste Fälle der Archäologie. Sie ist Autorin und Co-Autorin zahlreicher Wissenschaftsbestseller zur Archäologie, zuletzt erschien bei Propyläen der Spiegel-Bestseller: Liegt die Antwort in den Sternen? (mit Harald Lesch).
Gisela Graichen entwickelte als Fernsehautorin für das ZDF preisgekrönte Serien wie Schliemanns Erben, Humboldts Erben und Ungelöste Fälle der Archäologie. Sie ist Autorin und Co-Autorin zahlreicher Wissenschaftsbestseller zur Archäologie, zuletzt erschien bei Propyläen der Spiegel-Bestseller: Liegt die Antwort in den Sternen? (mit Harald Lesch). Matthias Wemhoff ist Direktor des Museums für Vor- und Frühgeschichte in Berlin und Landesarchäologe von Berlin. Er kuratierte große kulturhistorische Ausstellungen wie Die Wikinger,Bewegte Zeiten. Archäologie in Deutschland, Die Germanen und Schliemanns Welten. Als Moderator ist er in vielen Fernsehdokumentationen zu archäologischen und historischen Themen zu sehen (TerraX, Rom am Rhein u.a.).
Brückenschlag:
Von der Römerzeit zum Mittelalter
Matthias Wemhoff
1984 beging Trier sein 2000-jähriges Stadtjubiläum und erinnerte damit an die überlieferte Gründung durch Kaiser Augustus um 16 v. Chr. Trier feierte sich als älteste Stadt Deutschlands, dabei hatte Mainz ihr bereits 1962 diesen Rang streitig gemacht. Heute wird die Gründung von Mainz auf drei bis vier Jahre nach Trier datiert. Auch Köln, immer zum Feiern aufgelegt, nutzte nach dem Zweiten Weltkrieg 1950 die Möglichkeit, das 1900-jährige Jubiläum zu begehen, obwohl die älteste Gründungsphase sogar noch weiter zurückreicht, aber nicht mit einer so vielschichtigen Gründungspersönlichkeit aufwarten kann: Agrippina die Jüngere hatte Kaiser Claudius, ihren Mann und Onkel, um das Jahr 50 n. Chr. gebeten, ihrem Geburtsort den Rang einer Bürgerkolonie und zudem einen neuen Namen zu verleihen: Colonia Claudia Ara Agrippinensis. Wenige Jahre später setzte die »Kaiserin aus Köln« dem Leben ihres Mannes mit einem vergifteten Pilzgericht ein Ende.
Zum Römischen Reich gehörte nur ein kleiner Teil des heutigen Deutschlands, und viele der Städte entstanden »auf der grünen Wiese«. Wer über diese Wurzeln verfügt, feiert 2000 Jahre Geschichte, 2000 Jahre Stadtkultur von der Römerzeit über das Mittelalter in die Gegenwart. Solche Jubiläen spiegeln eine Kontinuität vor, die so nicht gegeben ist. Die Entwicklung einer Stadt ist voller Brüche und Wendungen, manche Orte, die zu Römerzeiten erblüht waren, versanken nach dem Zusammenbruch des Imperiums in der Vergessenheit. Andere, in denen in der nächsten großen Gründungsphase um 1200 römische Siedlungen überbaut wurden, erlebten einen enormen Aufschwung. Wie schwer der dazwischenliegende Transformationsprozess war, verdeutlichen die drei Beispiele Trier, Köln und Regensburg.
In Trier, im 4. Jahrhundert als Kaiserresidenz noch die bedeutendste Stadt im Westen des Römischen Reiches, hing die Kontinuität am seidenen Faden – nur noch wenige Hundert Menschen bewohnten den Ort ein Jahrhundert später. Nur etwa die Hälfte des vom römischen Mauerring umschlossenen Gebiets wurde im Mittelalter genutzt, so sehr war die Bevölkerung geschrumpft.
Das mittelalterliche Köln dagegen erstreckte sich bald über die einstigen Gräberfelder hinaus, die vor der römischen Stadt gelegen hatten. Für Köln wurde ebenso wie für Trier und Regensburg die Bedeutung als Bischofssitz zum Rettungsanker in schwierigen Zeiten. Denn die werdende Stadt des Mittelalters entwickelte sich um solche kirchlichen Zentren.
Das Legionslager Regensburg wiederum, nicht mit der Hauptstadt einer römischen Provinz zu vergleichen, entwickelte sich nach dem Zerfall des Römischen Reiches zum Zentralort einer aufstrebenden Regionalmacht und konnte so im Mittelalter unter Weiternutzung einiger römischer Strukturen eine ganz neue Stadtkarriere starten.
Trier – von der Kaiserresidenz zur Bischofsstadt
Wer an Trier denkt, denkt an das berühmte Stadttor, die Porta Nigra. In Deutschland ist kein anderes Bauwerk aus der Römerzeit so eindrucksvoll erhalten, es scheint allein aufgrund seiner schieren Masse gut durch alle Zeiten gekommen zu sein. Doch dass wir die mächtige Toranlage heute bewundern können, verdanken wir tatsächlich ihrer mittelalterlichen Umnutzung.
Ein Pilger, der sich um 1200 moselaufwärts auf der alten Römerstraße Trier näherte, sah schon aus der Ferne ein felsenartiges Gebilde hinter der Stadtmauer aufragen, auf dem eine mächtige Gottesburg thronte. Sein Weg in die Stadt führte durch das kleine Simeonstor entlang einer romanischen Apsis. Der Chor der Kirche war erst wenige Jahrzehnte zuvor hoch oben mit einer umlaufenden Galerie geschmückt worden. Über eine breite Treppe gelangte er schließlich an sein Ziel: Der Pilger wollte zum Gebet das Grab des berühmten Einsiedlers Simeon aufsuchen, über dem sich nun die gewaltige Kirche erhob.
Der eingemauerte Einsiedler
Der Heilige Simeon trug einen berühmten Namen. Symeon der Stylit hatte in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts im Byzantinischen Reich die Massen, aber ebenso dessen Regenten in Konstantinopel beeindruckt. Sein asketisches Leben, das Symeon schließlich auf einer Säule stehend beschloss, galt als beispiellos. Der Ort, an dem die Säule stand, trug schon bald seinen Namen. Die darüber in der Nähe von Aleppo errichtete Kirche in Qalʿat Simʿan lässt noch heute die Bedeutung dieses Pilgerzentrums erkennen.
Simeon wurde als Sohn griechischer Eltern um 990 in Syrakus geboren. Das Leben seines Namenspatrons scheint ihm Inspiration gewesen zu sein. Sein eigener Weg zeigt, dass bereits das frühe Mittelalter von weitreichenden Verbindungen geprägt war. Aufgewachsen in Konstantinopel, war er als Pilgerführer in Jerusalem tätig, dann als Mönch in Bethlehem und am Sinai, später gelangte er mit einer Pilgergruppe, zu der auch ein Trierer Abt gehörte, nach Trier und begleitete dann den Erzbischof der Stadt auf eine Pilgerreise in das Heilige Land.
Zurück in Trier, erinnerte er sich an seinen Namenspatron Symeon, wurde Einsiedler und suchte das einzige »Gebirge« auf, das wild und ungenutzt in Trier aufragte: die mächtige Ruine der Porta Nigra. Hier ließ er sich einmauern und entfaltete doch als vielgefragter Ratgeber eine große Wirkung. Als er nach fünf Jahren, die er in einer kleinen Kammer im Ostturm verbrachte, dort starb, stand er unmittelbar im Ruf der Heiligkeit und galt bald auch offiziell als Heiliger. Der Trierer Bischof Poppo sorgte mit der Gründung eines Stiftes für eine angemessene Betreuung des Grabes und der dort hinströmenden Pilger. Der Beginn der Umgestaltung eines römischen Stadttores zu einer Kirche war gemacht.
Napoleon, der in seinem Streben nach imperialer Größe nur die »kaiserliche« römische Architektur schätzte, ordnete 1804 an, die kirchlichen Anbauten abzureißen. Nur die Apsis überstand diese »Reinigung« von jüngeren Zutaten. Auf diese Weise wurde zwar die »pure« Porta wieder ans Tageslicht gebracht, anderes ging jedoch verloren. Denn die Kirche war geradezu ein Sinnbild für den Umgang des Mittelalters mit Zeugnissen aus der Römerzeit. Sie wurden häufig nicht ihrem ursprünglichen Zweck entsprechend genutzt und führten fortan ein vom Geist des Mittelalters geprägtes Eigenleben. Die alten Mauern waren den mittelalterlichen Stadtbewohnern wichtig gewesen, weil hier der Heilige Simeon gewirkt hatte. Dass diese Mauern aus römischer Zeit stammten, dürfte sie weniger beeindruckt haben als uns heute.
Brüche und Kontinuitäten
Das römische Trier war schon vor der Entwicklung zur kaiserlichen Residenz um 300 n. Chr. eine echte Großstadt. Die 6418 Meter lange, auch Geländeanstiege nicht aussparende Stadtmauer umschloss damals bereits seit hundert Jahren etwa neunzig quadratische Areale, auf denen überwiegend Wohngebäude und öffentliche Großbauten standen. Die quadratische Form dieser sogenannten Insulae ergab sich durch die rechtwinklig dazwischen angelegten Straßen.
Stadtplan von Trier mit dem gegenüber der römischen Ummauerung deutlich verkleinerten Stadtgebiet Peter Palm, BerlinVon den drei mächtigen Stadttoren, durch die man hinter die Mauer gelangte, ist nur die Porta Nigra dank ihrer mittelalterlichen Umnutzung zur Kirche bis heute erhalten. Auch die älteste Brücke Deutschlands, die sich über die Mosel spannt, stammt mit ihren mächtigen Pfeilern im Fluss noch aus der Römerzeit. Von der einstigen Bedeutung der Stadt erzählen heute außerdem noch das einst in die römische Stadtbefestigung einbezogene Amphitheater und die Reste der größten nördlich der Alpen errichteten Thermenanlage – die Barbaratherme – sowie die Konstantinbasilika und die Kaiserthermen.
Mit dem Zusammenbruch des römischen Imperiums verloren viele der Gebäude ihre Nutzung. Thermen funktionieren nicht ohne eine sorgfältig gepflegte Infrastruktur, Basiliken werden ohne Herrscher nicht mehr gebraucht, Straßen und öffentliche Räume leiden schnell unter mangelnder Pflege. Nur wo eine zentrale Funktion erhalten bleibt und damit verbundene Mittel zur Verfügung stehen, kann Kontinuität auch in unruhigen Zeiten gewährleistet werden. In Trier geschah dies in jenem Bereich, in dem die kaiserlichen Paläste standen. Es waren aber nicht Nachfolger der Herrschenden oder lokale Größen, die sich diese Gebäude als Wohnsitz aussuchten und damit über die Zeit brachten, es war eine neue Bestimmung, die in die Zukunft führte.
Bischöfe als Rettungsanker
Der Überlieferung nach hatte Kaiserin Helena, die Mutter von Konstantin dem Großen, von 306 bis 337 römischer Kaiser, in den Palastanlagen einen ersten Kirchenraum errichten lassen. Aus diesen Anfängen entwickelte sich eine gewaltige sakrale Baugruppe, die nördlich der Alpen ihresgleichen suchte und deutlich machte, dass hier kaiserliche Auftraggeber am Werk waren. Mehrere mehrschiffige Kirchenräume gruppierten sich entlang zweier Achsen. Eines dieser Bauwerke, das als Quadratbau...
Erscheint lt. Verlag | 31.10.2024 |
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Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Mittelalter |
Geschichte ► Allgemeine Geschichte ► Mittelalter | |
Schlagworte | Archäologie • Brille • Bürger • Ghetto • Grabungen • Gründung • Handwerker • Juden • Kirchen • Kompass • Marktplatz • Rathäuser • Recht • Revolution • Rom • Sachsenspiegel • Städteboom • Stadtluft macht frei • Uhr • Umweltschutz |
ISBN-10 | 3-8437-3269-8 / 3843732698 |
ISBN-13 | 978-3-8437-3269-7 / 9783843732697 |
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