Chuzpe, Schmus & Tacheles -  Hans Peter Althaus

Chuzpe, Schmus & Tacheles (eBook)

Jiddische Wortgeschichten
eBook Download: EPUB
2024 | 5. Auflage
178 Seiten
Verlag C.H.Beck
978-3-406-82285-8 (ISBN)
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Jiddische Wörter sind ein kleiner, aber sehr farbiger Teil der deutschen Sprache. Hans Peter Althaus erklärt kurzweilig, warum sie bis heute von einer besonderen Aura umgeben sind, die sie unübersetzbar macht. Wussten Sie, dass taff kein englisches, sondern ein jiddisches Wort ist und gut bedeutet? Hier hat sich ganz stikum eine Verbindung mit tough eingeschlichen, wobei stikum wiederum kein lateinisches, sondern ebenfalls ein jiddisches Wort ist. Schmus ist dagegen die Meinung, der Neujahrswunsch Guten Rutsch! komme aus dem Jiddischen. Hans Peter Althaus redet in diesem Buch Tacheles. In rund hundert kurzweiligen Wortgeschichten erzählt er, wie Macke und Maloche, Massel und Schlamassel, Reibach und Pleite neben vielen anderen jiddischen Wörtern Eingang in die deutsche Sprache gefunden haben. Der Gebrauch der Wörter und ihr Nebensinn haben sich im Laufe der Zeit verschoben, aber immer noch stehen sie für geistreiche Polemik, überlegenen Witz und feine Ironie.

HANS-PETER ALTHAUS ist Professor em. für Germanistische Linguistik an der Universität Trier und einer der führenden Experten für den jiddischen Lehnwortschatz im Deutschen. Bei C.H.Beck erschien von ihm u.a. das erfolgreiche 'Kleine Lexikon deutscher Wörter jiddischer Herkunft' (5. Aflg. 2022).

1. Unerwartetes


Wer den jiddischen Wörtern im Deutschen nachspüren will, muß sie in der Fülle des deutschen Wortschatzes erst einmal auffinden. Das ist nicht mehr so leicht wie früher, als das Wissen um diese Ausdrücke weit verbreitet war und sie von Juden und Christen gebraucht wurden. Bei deutschen Juden gehörten sie zum sprachlichen Erbe. Kindern, die sich ihrer jüdischen Herkunft kaum bewußt waren, erschienen sie als Familienwörter, die nicht einmal das Personal verstand.1 Mit ihnen konnte man eine Aussage besonders betonen, aber auch die Verwandtschaft provozieren wie mit dirty words.2 Manche Juden schämten sich dieser Wörter und suchten sie deshalb konsequent zu vermeiden.3 Andererseits ließen sie sich zu mancherlei Zwecken einsetzen, von der internen Kommunikation bis zu besonderen Effekten in der öffentlichen Rede oder in der Presse.4 Vor allem aber durfte man sich durch Kenntnis und Verwendung dieser Ausdrücke dem Judentum zugehörig fühlen, selbst wenn man sie wie Karl Kraus für »Ekelworte« hielt.5

Bereits mit einem einzigen Wort ließ sich das Jüdische im ganzen aufrufen. Stefan Zweig wählte daher in seinem Lebensrückblick »Die Welt von Gestern« mit Golus anstelle von Exil oder Diaspora einen jüdischen Ausdruck, der für Juden mit der Konnotation einer zweitausendjährigen Leidensgeschichte besetzt ist und den Wissenden im Jahr 1941 die Situation des jüdischen Volkes eindringlich vor Augen führte.6 Er wird von Stefan Zweig in seiner Autobiographie nicht erklärt, dürfte aber heute kaum noch verstanden, geschweige denn in seinem vollen geschichtlichen, religiösen und kulturellen Gehalt gewürdigt werden.7

Daß Wörter aus dem Jiddischen, die von Juden in ihrer Alltagsrede verwendet wurden, mehr zur Sprache brachten, als es der Sonderwortschatz einer kleinen Bevölkerungsgruppe sonst vermocht hätte, war schon jüdischen Kindern klar. Ludwig Greve schreibt dazu in seinen Erinnerungen an die Kindheit: »Allemal schien es sich um so verwickelte Zustände zu handeln, daß die normalen Wörter nicht griffen. Vor den Gojim, das versteht sich, wurde nie so geredet, da genügte die Alltagssprache.«8 Die Gojim waren in der jüdischen Ausdrucksweise die Nichtjuden, von denen man sich durch Herkunft und Schicksal, aber auch durch den Sonderwortschatz unterschied.

Das spiegelt sich auch in einer Anekdote, die Hans Ostwald 1928 noch einmal neu erzählt hat. Auf die Frage, ob sie sogenannte jüdische Ausdrücke noch kenne, antwortet eine assimilierte Jüdin: »Gar nicht, höchstens noch nebbich und melancholisch.«9 Mit dieser Antwort wird darauf angespielt, daß die deutschen Juden den jüdischen Wortschatz am Ende der Weimarer Republik öffentlich kaum noch gebrauchten und ihn auch im privaten Verkehr mehr und mehr vermieden. Angesichts des wachsenden Antisemitismus gibt melancholisch die Stimmung unter den Juden so treffend wieder, daß es als jüdischer Ausdruck angesehen wird. Und schließlich vermag die Frau nicht zwischen eigentlich jüdischen Ausdrücken wie nebbich10 und anderen Wörtern zu unterscheiden.

Christen war der jüdische Wortschatz weithin auch deshalb ein Buch mit sieben Siegeln, weil sie seine Bestandteile manchmal gar nicht als jüdisch erkannten. Das ist heute noch mehr der Fall, weil selbst Gebildete ein Wort wie Mauscheln nicht mit dem jidd. Personennamen Mausche ›Moses‹ in Verbindung bringen und deshalb die jahrhundertelange Geschichte dieses Wortes in der deutschen Sprache nicht angemessen beurteilen können.11 Sonst wäre man nach 1945 mit der Wiederbelebung eines tabuisierten Ausdrucks vielleicht sensibler umgegangen. Ein Wort wie Zoff, das heute in aller Munde ist, wird eher der für Comics typischen Lautmalerei zugerechnet als aus dem Jiddischen hergeleitet.12

Pseudolateinisches


Golus

Bei Wörtern wie Bonum, Golus, Mores oder stikum denkt mancher vielleicht zunächst an eine Herkunft aus dem Lateinischen, wie es die Endungen nahelegen. Dabei handelt es sich keineswegs um eine Maskierung der Ausdrücke, sondern um Lautformen, die sich im Laufe der Zeit herausgebildet haben. Golus ›Exil‹ ist eine jidd. Form des sephard. hebr. galut, das wörtl. ›Wegführung ins Exil‹ bedeutet und auch die Exilanten bezeichnet. Von den Veränderungen, die das Wort auf dem Weg vom Hebräischen ins Jiddische erfahren hat, sind der Vokalwechsel a > o und der Konsonantenwechsel th > s in der Umschrift mit Lateinbuchstaben ausgedrückt. Die germanische Akzentverlagerung von der Endsilbe auf die Stammsilbe muß man sich hinzudenken. Als Stefan Zweig das Wort 1941 niederschrieb, war die Lautform Golus schon veraltet und mußte als traditionell gelten. Statt dessen wurde bereits im 19. Jh. die Form Goles verwendet, wie es dem gesprochenen Jiddisch entspricht. Ob der Autor, der im ganzen Buch sonst kein Wort jidd. Herkunft gebraucht, den Ausdruck bewußt in einer Form benutzte, die auch für lateinisch gehalten werden kann, muß offenbleiben.

Bonum

Daß es sich bei der scheinbaren Latinisierung der Wortendung nicht um eine bewußte Verschleierung der Herkunft handelt, sondern um einen Vorgang, in dem sich die geschichtliche Entwicklung des Wortes zeigt, verdeutlicht das Beispiel Bonum ›Gesicht‹. Aus sephard. hebr. paním wird jidd. pónim, púnim, mit Abschwächung des Vokals ponem, punem. Als Ponem ›Gesicht, Aussehen‹ wird das Wort von deutschen Juden verwendet, immer mit einem p im Anlaut.13 In den deutschen Mundarten ist es dagegen unter den Einfluß einer deutschen Konsonantenveränderung geraten und wird meist Bonem, Bunem ausgesprochen, in einigen Mundarten auch Bonum.14 In Frankfurt am Main sagte man: Der mecht e bees Bonum ›macht ein böses Gesicht‹ und mach doch so kein mieß Bonum.15

Diese Lautform ließ einen Sprachforscher im 19. Jh. an frz. bonne mine ›gute Miene‹ denken.16 Das war zu einer Zeit, als die Wissenschaft die jidd. Wörter in der deutschen Sprache noch nicht systematisch beobachtet hatte. Sonst hätte man schon gewußt, daß Ponem bei deutschen Juden zumindest in Zusammensetzungen wie Chutzpeponem ›freche Person‹17 oder Schlamasselponem ›Pechvogel‹18 metonymisch nicht das Gesicht, sondern den ganzen Menschen meint.

stikum

Stikum und Mores sind zwei weitere Beispiele dafür, daß ein jidd. Wort wie ein lateinisches erscheinen kann. Während stikum wegen seiner Endung pseudolateinisch wirkt, ist Mores ein lat. Wort, dem allerdings ein lautgleicher jidd. Ausdruck zur Seite steht. Stikum ›stille‹ gehört zu jidd. schtiko ›Stillschweigen, Ruhen, ruhiges Verhalten‹ und wird im Rotwelschen, der historischen deutschen Gaunersprache, erstmals 1755 bezeugt.19 Hier wie in den deutschen Mundarten zeigen verschiedene Lautformen von schtike über stieke und stigem bis zu stekkum und stikum,20 daß das scheinbar lat. Wort nur eine Spielart des Ausdrucks unter mehreren ist. Eher zufällig ist die Form stiekum ›ganz heimlich, leise‹ als Wort der deutschen Umgangssprache festgeschrieben worden, das nun auch in der Presse und der Literatur seinen Platz gefunden hat.21

Mores

Mores ›Sitten, Anstand‹, Mehrzahl von lat. mos, moris ›Sitte, Gebrauch‹, ist als Fachwort der mittelalterlichen Schulsprache ins Deutsche gekommen.22 Das lat. Wort ist in der Wendung Mores lehren ›jemanden zurechtweisen‹ seit dem 16. Jh. gebräuchlich; Mores lernen sagte man in der Verkehrssprache bis zum Ende des 18. Jh.s. Die teils rotwelschen, teils mundartlichen Fügungen Mores haben, führen und kriegen, die ›Angst haben‹ bedeuten, haben mit dem lat. Wort nichts zu tun.23 Dieses Mores geht auf den Plural des jidd. more ›Furcht‹ zurück, das westjidd. auch maure, ostjidd. mojre lautet. Studentensprachlich war die Wendung More haben ›Furcht haben‹, in der der Singular des jidd. Wortes erscheint.24 In Frankfurt am Main ging Mores lernen nicht auf das lateinische, sondern auf das lautgleiche jidd. Wort mores zurück und bedeutete ›Angst einjagen‹.25 Dort wurden das lat. und das jidd. Wort im Ausdruck Mores machen ›Reverenz erweisen, klein beigeben‹ miteinander verbunden.26 Jud, mach Mores war eine derbe Aufforderung christlicher Burschen an Juden, den Hut zu ziehen. Wenn sie nicht befolgt wurde, war eine Tracht Prügel fällig. Das erklärt, warum hier im lat. Mores ›Anstand‹ eine gehörige Portion des jidd. Mores ›Angst‹ mitschwingt.

Rückentlehnungen


Am wenigsten an das Jiddische denkt man gewiß bei Wörtern, die aus dessen deutscher Komponente stammen und von Juden in der dort üblichen Gebrauchsweise in die deutsche Verkehrssprache übernommen worden sind.27 Alfred Kerr bezeichnete das osteuropäische Jiddisch gerade wegen dieser Bestandteile 1921 als »mittelalterliches Deutsch«, das halbwegs verstehen könne, wer des Mittelhochdeutschen mächtig sei.28 Allerdings haben die deutschen Ausdrücke des Jiddischen, wenn sie von Juden als sprachliches Erbe im Deutschen weitergebraucht wurden, oftmals eine Bedeutung, die sich von der heute sonst üblichen unterscheidet. Das kann eine bewahrte mittelalterliche Gebrauchsweise sein oder eine Bedeutung, die das Wort erst im Jiddischen erhalten...

Erscheint lt. Verlag 11.7.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Schulbuch / Wörterbuch Wörterbuch / Fremdsprachen
Geisteswissenschaften Sprach- / Literaturwissenschaft
ISBN-10 3-406-82285-1 / 3406822851
ISBN-13 978-3-406-82285-8 / 9783406822858
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