Bindung als sichere Basis -  John Bowlby

Bindung als sichere Basis (eBook)

Grundlagen und Anwendung der Bindungstheorie

(Autor)

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2024 | 1. Auflage
163 Seiten
Ernst Reinhardt Verlag
978-3-497-61928-3 (ISBN)
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Wie wächst ein Kind zu einem gesunden, ausgeglichenen und selbstsicheren Menschen heran? Die sichere Bindung an die Eltern ist die Basis, von der aus Kinder die Welt erkunden und sich entwickeln. Misslingt sie, können sich Eifersucht, Angst, Wut, Kummer oder Niedergeschlagenheit festigen und Menschen ein Leben lang belasten. John Bowlby schildert Grundkonzepte, empirische Prüfung und therapeutische Anwendung der Bindungstheorie. Die Aufarbeitung früher Bindungserfahrungen im Erwachsenenalter hilft bei der Bewältigung schwieriger Lebenssituationen und psychischer Probleme. Der Psychotherapeut übernimmt dann die Rolle der verlässlichen Basis für die Erkundung früherer Erfahrungen und Gefühle. Eltern erkennen, wie ihre eigene Bindungsgeschichte ihr Erziehungsverhalten gegenüber ihren Kindern prägt - damit leidvolle Bindungsbeziehungen nicht über Generationen weitergegeben werden.

John Bowlby (1907-1990), britischer Psychiater und Psychoanalytiker, arbeitete und forschte an der Tavistock Klinik in London, Begründer der Bindungstheorie.

Geleitwort

von Jeremy Holmes

Als 1988 A Secure Base erschien, stand John Bowlby in seinem 81sten Lebensjahr. Obwohl er erstaunlicherweise danach noch ein Buch veröffentlichte – die Darwin-Biografie – war dieses Werk sein letzter Beitrag zur Bindungstheorie, einer Disziplin, die er mit Mary Ainsworth’ Hilfe ein halbes Jahrhundert zuvor gegründet hatte. A Secure Base wirkt deshalb wie ein Vermächtnis, wie die Summe eines Lebenswerks, gleicht aber auch einem Tribut, einer Gabe an interessierte Personen der nächsten Generation, die sich theoretisch oder praktisch mit der Bindungstheorie auseinander setzen.

So kommt es, dass dieses Buch alle bekannten Bowlby-Themen enthält – sämtliche theoretischen, ethologischen, methodologischen, praktisch-klinischen und politischen Aussagen. Er bekräftigt hier noch einmal die konzeptuellen Grundannahmen seiner Theorien: das Primat eines geglückten Bindungsverhaltens und dessen Rolle als Schutz vor Trennung und Verlust, den hohen Stellenwert einer einfühlsamen Betreuung als Basis für psychische Gesundheit sowie die über den ganzen Lebenszyklus hinweg anhaltende Bedeutung sicherer Bindungen. Kraftvoll vertritt er die Ansicht, dass es die realen Nöte des Lebens sind – emotionale Deprivation, ungelöste Trauer, Zurückweisung, Verwirrung, Vernachlässigung, körperliche und sexuelle Gewalt – die psychische Störungen auslösen, keineswegs angeblich innerpsychische Zustände, wie der „Todestrieb“.

Was die Methodologie angeht, so betonte er die Wichtigkeit systematischer wissenschaftlicher Beobachtung von Kindern und Eltern; spekulativen, von der Couch aus vorgenommenen Rekonstruktionen erteilte er eine Absage. Praktisch-klinisch betrachtet Bowlby die Therapeutin oder den Therapeuten als eine Person, die ihrem Klientel eine sichere Basis vermittelt, ein Sprungbrett, von dem aus Patientinnen und Patienten anfangen können, einen frei fließenden Diskurs der Emotionen zu entwickeln, der das Kennzeichen sicher gebundener Menschen ist.

Schließlich ist da noch die bildhaft formulierte Grundlage seiner Sozialphilosophie, welche den Kern seines Werks ausmacht: „Von dieser in vielen Kulturen noch immer wie selbstverständlich praktizierten Form der Kinderbetreuung rücken paradoxerweise gerade die reichsten Gesellschaften ab, weil in unserer kommerziellen Zeit materielle ‚Produktivität‘ ungleich mehr zählt als die ‚Produktion‘ gesunder, ausgeglichener und selbstsicherer Kinder – eine verkehrte Welt.“ (s. S. 4)

In den vergangenen 25 Jahren schwoll das Interesse an der Bindungstheorie geradezu explosionsartig an und gipfelte in dem Grundlagenwerk Handbook of Attachment (Cassidy/Shaver 1999). Es schildert den faszinierenden Vorgang, wie der kleine Trieb, den Bowlby und Ainsworth eingepflanzt und zu einem kräftigen jungen Baum herangezogen haben, seine Samen verbreitet und einen ganzen Wald von Entwicklungen, Anwendungsbereichen und Ideen hervorgebracht hat. In dieser kurzen Einführung werde ich drei Punkte herausgreifen, drei „neuere Erkenntnisse“ in der Bindungstheorie, die Bowlby bereits angedeutet hat, die in der Zeit nach dem Erscheinen von A Secure Base jedoch erheblich vertieft wurden: die Rolle des Vaters bei der Herstellung einer sicheren Bindung, Mentalisierung und die „Theory of Mind“ als Entwicklungsziel und Psychotherapie als interpersonales Unterfangen.

Vaterbindung. Wie das obige Zitat beweist, hat Bowlby immer betont, dass Mütter und Väter dafür zuständig sind, dem Kind eine sichere Basis zu bieten. Die Behauptung, Bindungssicherheit sei ein interpersonales, interaktives Phänomen und nicht einfach eine Sache des angeborenen kindlichen Temperaments, wird entscheidend gestützt durch die Tatsache, dass ein und dasselbe Kind in der Fremden Situation mit einem Elternteil als sicher, mit dem anderen als unsicher eingestuft werden kann. Dessen ungeachtet war die Bindungstheorie, sei es in ihrer wissenschaftlichen oder ihrer praktisch-klinischen Gestalt, ein tendenziell matrizentrisches Unterfangen, weshalb es gar nicht leicht fiel, präzise festzulegen, welchen Beitrag Väter zur Bindungssicherheit tatsächlich leisten.

Neuere Arbeiten (Grossmann et al. 1999; Grossmann et al. 2005) haben diesen Gegenstand etwas näher beleuchtet. Als Bowlby in den 1980er Jahren die in diesem Buch versammelten Aufsätze und Vorträge niederschrieb, steckten die Langzeitstudien des Bindungsphänomens ja noch in den Kinderschuhen. Heute, zwanzig Jahre danach, liegen uns prospektive Studien vor, die Bindungssicherheit, elterliche Sensibilität, Exploration und Beziehungskompetenz messen, und sich mit deren mentalen Repräsentationen im Laufe der Kindheit befassen. Diese lassen sich nun mit den Bindungsdispositionen im frühen Erwachsenenalter korrelieren, wie sie sich in Einstellungen zu romantischen Beziehungen und im Erwachsenen-Bindungs-Interview (Adult Attachment Interview, AAI) manifestieren.

Diese Studien beweisen, dass eine sichere, stabile, explorative, ausgewogene, verbalisierungsfähige Bindungsdisposition im Erwachsenenalter in der Tat wesentlich von väterlichen Beiträgen abhängig ist. Sein Beitrag zur psychischen Gesundheit betrifft jedoch nicht überwiegend die Bindungssicherheit, wie sie in der Fremden Situation gemessen wird. Die Rolle der Väter macht sich eher in der exploratorischen Dimension der Dichotomie von Bindung und Exploration bemerkbar. Dieser Faktor wird mit dem „SCIP“-Test (Sensitive and Challenging Interaktive Play) ermittelt (Grossmann et al. 2005), indem Eltern in einer 10-minütigen Sitzung beim Spielen mit ihren Kindern beobachtet und dann eingestuft werden.

Generell gilt, dass die von Mutter und Vater gemeinsam erreichten Bewertungen der multiplen Bindungsdimensionen in der Kindheit weit bessere Prädiktoren für sicheres oder unsicheres Bindungsverhalten im Erwachsenenalter sind, als die von einem Elternteil allein erreichten Punktzahlen. Der besorgniserregende Anteil jedoch – Erwachsene, die in der Versuchssituation konfus, affektgeladen, unstrukturiert reagieren – steht in enger Korrelation mit väterlicher Zurückweisung und unsensiblem Verhalten des Vaters in deren mittlerer Kindheit und einem relativ schwachen mütterlichen Anteil. Daraus lässt sich schließen, dass ausreichend gute Väter ihren Kindern helfen, die Fähigkeit zu klarem Denken zu entwickeln, sowie die Kraft aufzubringen, negativen Emotionen standzuhalten, ohne sich überwältigt zu fühlen.

Väter müssen, genau wie Mütter, einfühlsam sein, was sich bei ihnen jedoch in Form von Lob und Ermutigung äußert sowie in der Fähigkeit, sich ihrem Nachwuchs anhaltend positiv verbunden zu fühlen. Ein Vater, der seine Kinder bei der Bewältigung des Neugier-Vorsicht-Konflikts unterstützt, dieser beschützende, ermutigende „Du-kannst-das-Vater“, unterscheidet sich erheblich vom kastrierenden Vaterbild der klassischen psychoanalytischen Theorie, das vermutlich besser auf nicht-feinfühlige Väter zutrifft, die intuitiv versagen und die grundlegende Botschaft von Bindung nicht erfassen: dass Leistung immer Sicherheit voraussetzt.

Mentalisierung und die „Theory of Mind“. Bowlby hat lange genug gelebt, um die enorme Bedeutung des Werks von Mary Main für die Bindungstheorie einschätzen und insbesondere erfassen zu können, welche Möglichkeiten das von ihr entwickelte Erwachsenen-Bindungs-Interview (Adult Attachment Interview, AAI) eröffnet (Hesse 1999). Er zitiert ihre, von anderen bestätigte Erkenntnis, dass Mütter, die im AAI Unsicherheit zeigen, meistens Kinder haben, die in der Fremden Situation unsicher reagieren. Er betrachtete unsichere Bindung als einen psychologischen Schutzmechanismus – notwendig für das emotionale Überleben (und das physische Überleben, in einer Umwelt der evolutionären Anpassung, aus der unsere Spezies entstanden ist) – aber auch als einschränkenden Faktor, der unsichere Menschen daran hindert, negative Erfahrungen zu verarbeiten.

Eine entscheidende Erkenntnis in seinem frühen Werk war, dass „Selbstreflexion“ (Fonagy et al. 2002), wie sie vom AAI gemessen wird, ein Schutzfaktor ist, der es Menschen trotz widriger Kindheitserlebnisse – Trennung von den Eltern, Tod der Eltern, ja sogar Vernachlässigung und Gewalt – ermöglicht, sich sicher zu fühlen und ihren Sprösslingen Sicherheit zu vermitteln. Einfach gesagt: Die Fähigkeit „darüber zu reden“ mildert die negativen Langzeitfolgen des Kindheitstraumas. „Selbstreflexion“ schaltet sich sozusagen in den inneren Dialog ein; sie kann als mentale Repräsentation gelten, die von der Fähigkeit abhängig ist, extern, interaktiv Geschichten zu erzählen.

Fonagy und sein Team (Fonagy et al. 2002; Bateman/Fonagy 2004) haben mit ihrem neuen Konzept von „Mentalisierung“ diese frühen Erkenntnisse erweitert. Sie gehen von der philosophischen Tradition der „Theory of Mind“ aus und behaupten, es gäbe entscheidende Entwicklungsprozesse, die es Kleinkindern nach und nach ermöglichen, festzustellen, dass sie selbst und die Menschen in ihrer Umgebung eine „innere Welt“ haben, d. h. fähig sind, die Welt zu repräsentieren und Projekte, Überzeugungen und Wünsche zu haben. Mentalisierung erlaubt uns, zwischen der „Realität“ und unserer Sicht oder Einschätzung der Realität zu unterscheiden sowie die Tatsache zu erfassen, dass unterschiedliche Menschen die Welt unterschiedlich...

Erscheint lt. Verlag 8.7.2024
Übersetzer Axel Hillig, Helene Hanf
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Psychologie
Medizin / Pharmazie Medizinische Fachgebiete Psychiatrie / Psychotherapie
Sozialwissenschaften Pädagogik
ISBN-10 3-497-61928-0 / 3497619280
ISBN-13 978-3-497-61928-3 / 9783497619283
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